Eine hohe Mauer, vergittertes Eingangstor: Die Pariser Hochschule für Sozialwissenschaften, kurz EHESS genannt, wirkt wie eine abweisende Festung. Aber für Ilias – seinen echten Vornamen hält der Afghane aus Angst geheim - ist sie zum Zufluchtsort geworden.
"Die Hochschule hat mir unter Leitung von Professor Kiesow ihr Vertrauen geschenkt. Jetzt kann ich hier eine Doktorarbeit schreiben."
Der 26-Jährige ist im vergangenen September nach Frankreich geflüchtet. Seit Kurzem ist er ordentlich immatrikuliert, der deutsche Jura-Professor Rainer-Maria Kiesow betreut seine Forschungsarbeit. Ilias hat ideale Voraussetzungen, weil er früher schon mal in Frankreich war und in Lyon Jura studiert hat. Nach seiner Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan sei aber sein Leben in Gefahr geraten, deshalb sei er geflüchtet und habe in Frankreich Asyl beantragt. Außer ihm betreut Professor Kiesow noch einen Boots-Flüchtling aus dem Sudan bei der Doktorarbeit.
"Also das ist ein anderer Fall. Er konnte kein Französisch, als er hierher gekommen ist. Aber natürlich besucht er Sprachkurse, das ist wichtig, damit er die Vorlesungen, die wir hier anbieten, besuchen kann."
Pariser Hochschulen bieten spezielle Programme an
Obwohl es in Frankreich sehr viel weniger Flüchtlinge und Migranten als in Deutschland gibt, haben sich letzten Sommer in Paris mehrere Flüchtlingslager unter freiem Himmel gebildet. Einige Dozenten und Studenten haben daraufhin in einem Zeitungsartikel an die Universitäten appelliert, geflüchtete Akademiker aufzunehmen. Inzwischen haben mehrere Pariser Hochschulen entsprechende Programme entwickelt und sie auch miteinander vernetzt. Im restlichen Frankreich sei das hingegen seltener der Fall, meint Rainer Maria Kiesow.
"Aber man kann jetzt nicht sagen, dass es in Frankreich übers ganze Land gesehen Programme gibt, öffentlich und mit Werbeintention, damit die Migranten darüber Bescheid wissen."
Erlass der Studiengebühren
Sobald ein Flüchtling in Frankreich Asyl beantragt hat, kann er sich bei der Hochschule für Sozialwissenschaften bewerben. Während die übrigen Anwärter dort einen Bachelor oder Master nachweisen und Einschreibefristen respektieren müssen, ginge die EHESS bei den Flüchtlingen allerdings ganz pragmatisch vor, sagt Kiesow.
"Was wir anbieten sind in der Tat Erlass der Studiengebühren, ein paar hundert Euro, und, das ist das Entscheidende: die Erleichterung der Einschreibung. Wir sind auch ein bisschen nachsichtiger in Hinsicht auf die Überprüfung der Diplome."
Entscheidend ist, ob der Kandidat in der Lage ist, ein Studienprojekt zu entwickeln und selbstständig zum Ziel zu führen.
Französischunterricht für die Flüchtlinge
Die Hochschule bezahlt den Flüchtlingen auch Französischunterricht. Dazu müssen sie nur den Boulevard Raspail überqueren - die Alliance Francaise liegt praktischerweise genau gegenüber. Weil die bekannte Sprachschule teuer ist, kann die EHESS maximal 15 Flüchtlinge pro Jahr bei sich aufnehmen, die Französischkurse brauchen. Bei Ilias und einem zweiten Studenten ist das nicht nötig, deshalb konnten insgesamt 17 Flüchtlinge immatrikuliert werden. Sie kommen aus Syrien, Sudan, Afghanistan und Bangladesch, vier von ihnen sind Frauen, sagt Liora Israel von der Hochschulleitung.
"Wir sind eine kleine Institution und finanzieren das Programm bislang nur aus eigenen Mitteln. Wir haben auch unser Programm für Gastdozenten ausgeweitet und empfangen jetzt Kollegen, die auf der Flucht sind. In Kürze kommen zwei Syrer zu uns, die im Libanon leben. Wir wollen zeigen, dass die akademische Welt solidarisch ist."