Hip-Hop-Beats sollen die Syriza-Anhänger in Wahlkampfstimmung bringen. Denn Ende Mai stehen nicht nur Europa-, sondern auch Kommunalwahlen in Griechenland an. Die kleine Halle auf dem Stadiongelände der Basketballer von Olympiakos Piräus füllt sich langsam. Auch Yonous Muhammadi ist heute mit dabei. Er ist aus Afghanistan vor den Taliban geflüchtet, vor fast 18 Jahren kam er nach Griechenland. Und nun kandidiert er für das EU-Parlament.
"Das gefällt mir. Denn es hat mir gefehlt, jahrelang kein Wahlrecht zu haben, keine politischen Rechte. Ich fühle mich sehr wohl damit, dass mir das jetzt zusteht. Ich habe ja zum ersten Mal in meinem Leben einen Ausweis. Ich wähle nicht nur selbst zum ersten Mal in meinem Leben – ich kann sogar selbst gewählt werden. Mit 46 Jahren!"
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Griechenland und die EU – Eine komplizierte Beziehung.
Yonous Muhammadi hat erst vor knapp einem halben Jahr die griechische Staatsbürgerschaft erhalten – nach fünf Jahren Wartezeit, Einbürgerungstest und Bürokratiemarathon. Er hat die afghanische Gemeinde und das "Griechische Flüchtlingsforum" mitgegründet, setzt sich für Menschenrechte und gegen Rassismus ein, er ist kein Unbekannter. Und Zufall ist es auch nicht, sagt er, dass er nun kandidiert. Ihm geht es darum, gehört zu werden.
"Das ist für mich die Hauptsache: Migranten und Geflüchtete müssen mit einbezogen werden, Politik kennenlernen und politisch teilhaben können. Ich sage nicht unbedingt, dass sie in eine Partei eintreten müssen, aber sie müssen sich Gehör verschaffen, zum Beispiel für das Wahlrecht kämpfen. Hier in Griechenland haben Migranten oder Geflüchtete kein Recht, an Kommunalwahlen teilzunehmen. Wir setzen uns dafür ein, dass das gelingt."
Ein Geflüchteter als Kandidat
Yonous Muhammadi hat Medizin studiert. Er sei unter Tausenden Asylsuchenden einer der elf gewesen, denen im Jahr 2004 ein Schutzstatus zugesprochen worden sei. Und nun? Besteht nicht die Gefahr, jetzt wo er Kandidat für Syriza ist, als "guter Migrant" ins politische Schaufenster gestellt zu werden?
"Das ist eine Gefahr, ja. Ich habe auch mit der Partei gesprochen. Es ist zwar schön, dass ein Geflüchteter mitmachen kann, aber das soll nicht im Vordergrund stehen. Ich will für die Stimmen der Menschen kämpfen! Ich will erfolgreich sein, ich möchte gewählt werden!"
Pathetische Musik ertönt aus den Boxen, man schwört sich ein auf den politischen Gegner. Es ist Wahlkampf, Zeit für Inszenierungen. Der griechische Ministerpräsident und Syrizas Parteichef Alexis Tsipras betritt die Halle, begleitet von rund einem Dutzend Sicherheitsleuten.
Bessere Migrationspolitik ist Muhammadis Ziel
Yonous Muhammadi hat mittlerweile im vorderen, abgesperrten Teil Platz genommen. Er hört Tsipras zu, wie er von einem stabileren Griechenland redet ohne Sparprogramme. Er hört, wie Tsipras 20 Minuten sich und Syriza als progressive Kraft des Landes darstellt, gegen den Neoliberalismus und die Stimmen von rechts.
Nicht ganz so laut geht es im Büro von Yonous Muhammadi zu. In der Athener Parteizentrale hat man ihm, auf seinen Wunsch hin, einen kleinen Raum gegeben. Spärlich eingerichtet, wenig persönlich. Ein Bücherregal, ein Schreibtisch, ein Telefon. Sollte er es tatsächlich ins EU-Parlament schaffen, will er sich vor allem für eine bessere europäische Migrationspolitik einsetzen.
"Wenn es einen politischen Willen auf EU-Ebene gibt, dann wird das Flüchtlingsthema auch gelöst. Ich kenne mich gut aus, kenne die Probleme und möchte hierzu etwas beitragen. Es ist nicht nur eine griechische Angelegenheit, sondern eine europäische, der auch europäisch begegnet werden muss."
Yonous Muhammadi weiß aber auch, dass es gerade auf EU-Ebene viele Widerstände gibt. Der 46-Jährige ist kein Parteimitglied und kann offener als andere sprechen. Auch über die Probleme in den griechischen Flüchtlingslagern, über die Rolle der Regierung. Zwar sei die Situation besser als vor einigen Jahren, sagt er, aber:
"Die Situation ist nicht gut. Es gibt schwerwiegende Probleme in den Camps, in den Hot-Spots, in Moria. Die Menschen sind oft verzweifelt. Und: So wie es teilweise lückenhafte medizinische Betreuung in den griechischen Krankenhäusern gibt, so gibt es diese Probleme auch in den sogenannten Zentren der Gastfreundschaft."
Gegen Rechtspopulismus in Europa
Ein anderes Thema, das Yonous Muhammadi im Blick hat: Rassismus. Er selbst ist bereits Opfer rassistischer Gewalt geworden. Muhammadi warnt vor einem Erstarken der rechtsnationalen Parteien, vor allem bei den Europawahlen.
"Es ist wichtig zu wissen, wie kritisch und bedeutsam diese Wahlen sind. Viele andere und ich sind beunruhigt über den Aufstieg der extremen Rechten. Die extreme Rechte zielt auf die Zerstörung der Gesellschaft und der Demokratie."
Um das zu verhindern, will er ins EU-Parlament. Dafür muss er bei potenziellen Wählerinnen und Wählern bekannter werden. Damit das gelingt, sammeln Freunde Geld für seinen Wahlkampf. Denn für ihn ist klar: Er gehört zu Europa – und Griechenland auch.
"Ich bin Europäer, ich lebe in einem europäischen Land. Ich kandidiere für das EU-Parlament, weil ich an die europäischen Grundwerte glaube. Wir müssen für ein Europa kämpfen, das alle Bürger Europas respektiert. Ich will diesem Europa angehören und nicht denen, die Europa verlassen wollen."
Und wenn es nicht klappt mit Brüssel für Yonous Muhammadi? Dann war es nur ein erster Schritt. Sich für Menschenrechte und Geflüchtete einzusetzen, endet nicht mit einer Wahl, sagt er.