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Integration in Sachsen
Kampf gegen Vorurteile

Heidenau, Freital, Bautzen – all diese Städte sind Chiffren geworden für fremdenfeindliche Anfeindungen in Sachsen. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl liegt das Bundesland in dieser Statistik an der Spitze. Viele Integrationsprojekte werden unter diesen Umständen zur Herausforderung.

Von Bastian Brandau |
    Die Band «Banda Internationale» spielt am 18.08.2016 im Großen Garten in Dresden (Sachsen). In der Band musizieren Einheimische und Geflüchtete zusammen.
    In der Dresdner "Banda Internationale" musizieren Einheimische und Geflüchtete zusammen. (dpa/ picture alliance / Arno Burgi)
    So klingt Dresden. Am 3. Oktober beschimpfen Pegida- und AfD-Anhänger vor der Frauenkirche die Besucher des Festgottesdienstes am Tag der Deutschen Einheit. Und so klingt Dresden nach wie vor fast jeden Montag. Etwas weniger als 2.000 Menschen kamen diese Woche, um dem verurteilten Volksverhetzer und Pegida-Chef Lutz Bachmann zuzuhören.
    So klingt Dresden auch. Am 3. Oktober auf der Straße stellten sich die Musiker der Banda Internationale dem Pegida-Demonstrationszug entgegen. Im Sommer 2015 hat sich die Band gegründet. Hervorgegangen aus der Dresdner Blaskapelle Banda Comunale, suchten die Musiker um Klarinettist Michal Tomaszewski neue Mitspieler unter den Geflüchteten in den Erstaufnahmeeinrichtungen. Um die 20 Musiker sind sie jetzt, der Musikstil hat sich verändert durch die neuen Bandmitglieder, die unter anderem aus Syrien, Iran und dem Irak gekommen sind. Viele mit einem Schlauchboot über das Mittelmeer.
    "Letztendlich machen wir zum ersten Mal, seitdem es uns gibt, Musik mit Musikern. Das ist Musik, die wir über Jahre gehört haben, und auf einmal sind die Typen da, und das ist für uns irgendwie das wichtigste. Die können das, wir respektieren das, das spielt gar keine Rolle."
    Keine Lust auf "Flüchtlingsbonus"
    Eine Dresdner Stiftung fördert das Projekt. Schnell spielt die Banda Internationale die ersten Konzerte. In Flüchtlingsunterkünften, aber auch auf Festivals und in Konzertsälen. Bundesweit und auch international. Kulturstaatsministerin Monika Grütters verleiht den Sonderpreis für Kulturprojekte mit Flüchtlingen. Alles schön und gut, findet Tomaszweski, aber längst sei die Banda Internationale eigentlich einfach nur noch eine Band:
    "Die wollen einfach nicht mehr mit diesem Flüchtlingsbonus hausieren gehen. Und wollen auch nicht, dass wir das machen. Und das ist finde ich eine ziemlich gute Erkenntnis, die ist auch schon ziemlich schnell gekommen. Also wir fahren irgendwo hin, und ich mache ja meistens die Ansagen, und dann merke ich: Scheiße, jetzt erzähle ich zum zehnten Mal, dass wir hier mit Flüchtlingen Musik machen. Dabei sind es schon längst meine Kumpels, mit denen ich längst einen Kasten Bier geleert habe, und eigentlich ist mir das ziemlich peinlich, zu erzählen, dass wir hier so toll unterwegs sind, weil wir Flüchtlinge sind."
    Kumpels, die Musik zusammen machen. Egal, wo man herkommt. Eigentlich ganz normal, findet Tomaszewski. Aber in Sachsen gebe es eben auch Tausende Geflüchtete, die niemand nach ihren Träumen und Wünschen befrage.
    Integration in Sachsen steckt in den Kinderschuhen. Das sagt Petra Köpping, seit 2014 die erste sächsische Integrationsministerin und verweist auf den vergleichsweise niedrigen Anteil an Zuwanderern: Weniger als 1,5 Prozent der Bevölkerung. An diesem Mittag besucht die SPD-Politikerin eine Unterkunft für minderjährige Flüchtlinge in einem Ortsteil von Brandis, in der Nähe von Leipzig.
    - "Was war das hier früher?"
    - "Das war ein Hotel."
    - "Ah, ein Hotel."
    - "Ja, und stand über eineinhalb Jahre leer."
    Die DRK-Kreisverbandsvorsitzende, der Heimleiter und der Bürgermeister von Brandis besichtigen mit der Ministerin die Fortschritte, die gemacht wurden, in dem ehemaligen Hotel zwischen Autobahn und Waldrand. Das Deutsche Rote Kreuz hat knapp eine Million Euro investiert, um hier dauerhaft eine Einrichtung der Jugendhilfe zu schaffen. Köpping hakt nach, fragt, wie man sich mit den Nachbarn versteht, ob es Probleme mit Alkohol gebe. Und vernimmt zufrieden, dass hier alles ruhig verlaufe.
    Also mir ist es wichtig, dass ich vor Ort, mit denen, die die Integration jeden Tag durchführen, die wir in Dresden mit unseren Förder- und Unterstützungsprogrammen begleiten, dass ich einfach von denen höre, wie unser Alltag funktioniert. Und genau weiß, wo sind noch Punkte, wo wir was verbessern können, weil ich glaube, dass Prävention, gerade im Bereich der Integration, gerade bei jungen Menschen, unglaublich wichtig ist.
    Tägliche Anfeindungen
    32 minderjährige Asylsuchende leben in dieser Einrichtung, unter ihnen acht junge Frauen. Nach dem Mittag trudeln sie ein im Essensraum, schmieden Pläne für den Nachmittag. Sport oder Deutsch lernen, manchmal kommen Menschen aus dem Ort vorbei, um Gesellschaftsspiele zu spielen. Sehr zufrieden seien sie in der Einrichtung. Doch die jungen Menschen begegnen auch Ablehnung, etwa auf dem Weg zur Schule.
    "Wir fahren nach Wurzen, aber wir sehen zu viele Finger jeden Tag. Aber wir können nichts machen. Weil wir sind Ausländer. Deutsche sagen 'Scheiß Ausländer', was können wir machen? Wir müssen nur stark sein und sagen: 'Okay, kein Problem.'"
    Beleidigungen, Angriffe auch mit Pfefferspray, viele hier können auch solche Geschichten erzählen. Die eben noch so fröhlichen Mienen verfinstern sich bei diesem Thema:
    "Die Leute reden schlecht und sagen "Ausländer raus", aber wir machen nichts, wir kommen nur nach Deutschland, weil wir möchten leben hier, genauso wie die jungen Deutschen. Wir sind nicht nach Deutschland gekommen, um Deutschland kaputt zu machen oder um Scheiße –Tschuldigung- zu bauen. Wir möchten nur normal leben."
    Normal leben in dem Bundesland, in dem 2015 im Verhältnis zur Einwohnerzahl am meisten fremdenfeindliche Straftaten verübt wurden. Das in diesem Jahr nach fremdenfeindlichen Übergriffe immer wieder in den Schlagzeilen war.
    Anwohner blockierten im Frühjahr einen Bus mit Flüchtlingen in Clausnitz. In Bautzen jagten im September rund 80 Menschen 20 minderjährige Flüchtlinge durch die Stadt. In Dresden gab es einen Sprengstoffanschlag auf eine Moschee. Etwa 14.000 Asylsuchende sind bis November in diesem Jahr nach Sachsen gekommen, ein Bundesland mit über 4 Millionen Einwohnern.
    58 Prozent der Sachsen halten Deutschland für "überfremdet"
    Eine Umfrage der Landesregierung ergab im November, dass 58 Prozent der Sachsen Deutschland für "überfremdet" halten. Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden, das sagen 39 Prozent der Befragten. Wie will die Integrationsministerin auf diese Menschen zugehen? Köpping hofft, dass direkte Kontakte dazu führt, Vorurteile abzubauen.
    "Wenn ich natürlich denjenigen, der zu uns kommt, kategorisch ablehne, hat er auch keine Chance, sich zu integrieren. Weil das eine ist, was wir machen können als Staat ist Kurse anbieten, Sprache beibringen, die entsprechenden Formalien ausfüllen, notfalls auch eine Wohnung zur Verfügung stellen. Aber das, was zwischen den Menschen passiert, das ist der Alltag und den können wir nicht beeinflussen, zumindest nicht mit Geld."