Jürgen Liminski: Von dem großen französischen Demografen Alfred Sauvy stammt der knappe Satz, "Entweder unsere Kinder, oder die der anderen". Derzeit scheint es langfristig eher auf die der anderen hinauszulaufen. Die Altersstruktur in Deutschland verändert sich zugunsten der Migranten und Zuwanderer, was allerdings nur auf Dauer ein Problem werden könnte, dann nämlich, wenn die Integration nicht gelingt, oder nach den Thesen Sarrazins weiter nicht gelingt. – Darüber wollen wir nun sprechen mit dem Migrationsforscher Stefan Luft. Er lehrt an der Universität Bremen und seine Habilitation befasst sich mit der Steuerbarkeit von Zuwanderung und Integration - sie ist auch als Buch erschienen unter dem Titel "Staat und Migration" -, und er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Luft.
Stefan Luft: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Luft, ähnlich wie die Demografie hat auch die Migrationsforschung lange Zeit ein Mauerblümchendasein geführt, meist aus ideologischen Gründen. Multikulti-Probleme mit der Integration wurden weitgehend ausgeblendet, oder auf lokaler Ebene versucht zu lösen. Glauben Sie, dass das nun anders wird, wenn die meisten Medien nicht mehr über Sarrazin reden?
Luft: Zunächst mal hat die Migrationsforschung ja in den letzten 15 bis 20 Jahren einen erheblichen Aufschwung genommen, gefördert durch starke Stiftungen – denken Sie an die Volkswagen-Stiftung -, oder durch die Ressortforschung, die beispielsweise beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angesiedelt ist. Ob die Diskussion nach dem Sarrazin-Hype in sachlichere Bahnen gelangt, ist eine Frage, da bin ich skeptisch. Die Migrationsdebatte ist auch sehr stark pfadabhängig. Wir haben doch in der Vergangenheit sehr stark Scheinlösungen debattiert, die Politik hat sich festgelegt auf interkulturelle Öffnung, auf Diversity Management, in der vergangenen Woche war die Rede davon, dass es jetzt die zentrale Herausforderung sei, mehr Lehrer mit Migrationshintergrund einzustellen. All das läuft ja darauf hinaus, die einheimischen Institutionen kulturell zu öffnen, als sei das die zentrale Herausforderung. Das ist zu bestreiten, denn die zentrale Herausforderung besteht darin, dass die Zuwanderer sich in wesentlichen Aspekten, vor allem Sprache und interethnische Kontakte, der Aufnahmegesellschaft angleichen.
Liminski: Herr Luft, wo sind denn die Probleme der Integration?
Luft: Die Probleme der Integration bestehen in der Hauptsache darin, dass die sozialräumliche Spaltung der Städte in den vergangenen zehn, 15 Jahren stark zugenommen hat, dass sich in den Städten ethnische Kolonien, oder, wenn man es etwas differenzierter ausdrücken will, ethnisch-soziale Unterschichten-Konzentrationen gebildet haben, was zur Folge hat, dass festzustellen ist, dass dort, wo die meisten Ausländer leben, statistisch betrachtet die meisten armen Inländer und die meisten Kinder leben. Und diese wohnräumliche Konzentration ethnischer und sozialer Gruppen wird noch in seiner Bedeutung verstärkt durch die starke schulische Segregation. Die schulische Segregation ist noch mal stärker ausgeprägt und beides zusammen hat sehr starke negative Aspekte auf den Spracherwerb, der ja Voraussetzung ist für die Integration in Bildungswesen und Arbeitsmarkt.
Liminski: Sehen Sie hier Versäumnisse der Integrationspolitik?
Luft: Ich glaube, dass die Politik in den 80er- und 90er-Jahren zu stark davon ausgegangen ist, dass Integration ein Selbstläufer ist. Wir haben zwar auch in den 1980er-Jahren festzustellen, dass erhebliche staatliche Investitionen für die Sprachförderung beispielsweise erfolgt sind, aber es war doch der Gedanke, das erledigt sich irgendwann von selbst. Und es gab einen zweiten Gesichtspunkt: Das war die Fixierung auf die Identität von Zuwanderern, die unbedingt zu bewahren sei, und das ist eben ein sehr schwieriger Drahtseilakt. Auf der einen Seite muss das kulturelle Gepäck, das Zuwanderer mitbringen, in weiten Teilen geachtet werden, aber es muss natürlich auf der anderen Seite eine erhebliche Anpassungsleistung vonseiten der Zuwanderer an die Aufnahmegesellschaft erfolgen, und das ist zu wenig thematisiert worden.
Liminski: Zuwanderung ist weitgehend steuerbar. Das zeigen Länder wie Kanada, USA, Australien. Kann man auch Integration steuern? Im Gegensatz zur Zuwanderung, die ein räumlich-physisches Phänomen ist, ist Integration ja ein psychologisches, intentionales, also nicht unmittelbar sichtbares Phänomen. Das hängt ja vor allem vom Willen der Migranten ab. Kann man das steuern?
Luft: Zentrale Voraussetzung ist zunächst mal, dass man die Zuwanderung nach Qualifikation steuert, wie das in den von Ihnen genannten Einwanderungsländern erfolgt ist. Und der zweite wichtige Aspekt besteht darin, dass Zuwanderer, die die Aufnahmegesellschaft positiv erleben, die hier Chancen erhalten, die sie im Herkunftsland nicht erhalten, die werden sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch mit dem Aufnahmeland identifizieren. Das heißt, es ist von zentraler Bedeutung, dass wir eben gerade den jungen Menschen, von denen doch ein erheblicher Teil außen vor bleibt, stärker als bisher zu Eintrittskarten in Wirtschaft und Gesellschaft verhelfen.
Liminski: Was ist denn Ihrer Meinung nach die Bringschuld der Aufnahmeländer?
Luft: Die Bringschuld der Aufnahmeländer ist, in erster Linie dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für Integration, die strukturellen Bedingungen für Integration einigermaßen vernünftig sind und sich nicht über die Jahre verschlechtern. Wenn wir ethnische Gruppen, die gleichzeitig sozial schwach sind, immer stärker abdrängen in einzelne Stadtteile, in einzelne Schulen und sagen, damit sind wir im Prinzip zufrieden, dann stören sie die anderen nicht, dann wird das auf Dauer zu einem Problem, das sich möglicherweise wie in Nachbarländern schon geschehen gewalttätig entlädt. Der einzige tatsächliche große Hebel, den der Staat hat, ist die Mischung an vorschulischen und schulischen Einrichtungen. Hier könnte in der Tat viel bewegt werden und hier ist Integration eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft.
Liminski: Ist denn die deutsche Zivilgesellschaft integrationswillig oder besser gesagt aufnahmewillig?
Luft: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Es gibt etliche positive Initiativen. Es gibt Bürgerstiftungen wie beispielsweise in Hannover, die nachweislich positive Effekte haben, die Schülern insbesondere an Hauptschulen gezielt helfen. Es gibt auf der anderen Seite sicher auch vonseiten der deutschen Mittelschicht eine Haltung, die geprägt ist von Abstiegsängsten, von Ressentiments, die natürlich auch die gegenwärtige oder hinter uns liegende Debatte um Sarrazin und seine Stilisierung des Islam als inneren Feind noch mal befördert wird. Da gibt es auch ein nicht zu unterschätzendes Potenzial an Ressentiments, wenn man so will auch an Ablehnung, und wenn man so will, an Hass. Aber wir werden uns aufgrund der demografischen Entwicklung darüber im Klaren sein müssen, dass wir auf Dauer nicht anders können, als diese Teile der Gesellschaft, die Zuwanderer, die hier dauerhaft und rechtmäßig leben, besser als bisher, stärker als bisher aufzunehmen, einzugliedern, was dann insbesondere Schule und Arbeitsmarkt anlangt.
Liminski: Die Integrationsdebatte hat erst begonnen. Das war hier im Deutschlandfunk der Migrationsforscher Stefan Luft von der Universität Bremen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Luft.
Luft: Herzlichen Dank! – Auf Wiederhören!
Stefan Luft: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Luft, ähnlich wie die Demografie hat auch die Migrationsforschung lange Zeit ein Mauerblümchendasein geführt, meist aus ideologischen Gründen. Multikulti-Probleme mit der Integration wurden weitgehend ausgeblendet, oder auf lokaler Ebene versucht zu lösen. Glauben Sie, dass das nun anders wird, wenn die meisten Medien nicht mehr über Sarrazin reden?
Luft: Zunächst mal hat die Migrationsforschung ja in den letzten 15 bis 20 Jahren einen erheblichen Aufschwung genommen, gefördert durch starke Stiftungen – denken Sie an die Volkswagen-Stiftung -, oder durch die Ressortforschung, die beispielsweise beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angesiedelt ist. Ob die Diskussion nach dem Sarrazin-Hype in sachlichere Bahnen gelangt, ist eine Frage, da bin ich skeptisch. Die Migrationsdebatte ist auch sehr stark pfadabhängig. Wir haben doch in der Vergangenheit sehr stark Scheinlösungen debattiert, die Politik hat sich festgelegt auf interkulturelle Öffnung, auf Diversity Management, in der vergangenen Woche war die Rede davon, dass es jetzt die zentrale Herausforderung sei, mehr Lehrer mit Migrationshintergrund einzustellen. All das läuft ja darauf hinaus, die einheimischen Institutionen kulturell zu öffnen, als sei das die zentrale Herausforderung. Das ist zu bestreiten, denn die zentrale Herausforderung besteht darin, dass die Zuwanderer sich in wesentlichen Aspekten, vor allem Sprache und interethnische Kontakte, der Aufnahmegesellschaft angleichen.
Liminski: Herr Luft, wo sind denn die Probleme der Integration?
Luft: Die Probleme der Integration bestehen in der Hauptsache darin, dass die sozialräumliche Spaltung der Städte in den vergangenen zehn, 15 Jahren stark zugenommen hat, dass sich in den Städten ethnische Kolonien, oder, wenn man es etwas differenzierter ausdrücken will, ethnisch-soziale Unterschichten-Konzentrationen gebildet haben, was zur Folge hat, dass festzustellen ist, dass dort, wo die meisten Ausländer leben, statistisch betrachtet die meisten armen Inländer und die meisten Kinder leben. Und diese wohnräumliche Konzentration ethnischer und sozialer Gruppen wird noch in seiner Bedeutung verstärkt durch die starke schulische Segregation. Die schulische Segregation ist noch mal stärker ausgeprägt und beides zusammen hat sehr starke negative Aspekte auf den Spracherwerb, der ja Voraussetzung ist für die Integration in Bildungswesen und Arbeitsmarkt.
Liminski: Sehen Sie hier Versäumnisse der Integrationspolitik?
Luft: Ich glaube, dass die Politik in den 80er- und 90er-Jahren zu stark davon ausgegangen ist, dass Integration ein Selbstläufer ist. Wir haben zwar auch in den 1980er-Jahren festzustellen, dass erhebliche staatliche Investitionen für die Sprachförderung beispielsweise erfolgt sind, aber es war doch der Gedanke, das erledigt sich irgendwann von selbst. Und es gab einen zweiten Gesichtspunkt: Das war die Fixierung auf die Identität von Zuwanderern, die unbedingt zu bewahren sei, und das ist eben ein sehr schwieriger Drahtseilakt. Auf der einen Seite muss das kulturelle Gepäck, das Zuwanderer mitbringen, in weiten Teilen geachtet werden, aber es muss natürlich auf der anderen Seite eine erhebliche Anpassungsleistung vonseiten der Zuwanderer an die Aufnahmegesellschaft erfolgen, und das ist zu wenig thematisiert worden.
Liminski: Zuwanderung ist weitgehend steuerbar. Das zeigen Länder wie Kanada, USA, Australien. Kann man auch Integration steuern? Im Gegensatz zur Zuwanderung, die ein räumlich-physisches Phänomen ist, ist Integration ja ein psychologisches, intentionales, also nicht unmittelbar sichtbares Phänomen. Das hängt ja vor allem vom Willen der Migranten ab. Kann man das steuern?
Luft: Zentrale Voraussetzung ist zunächst mal, dass man die Zuwanderung nach Qualifikation steuert, wie das in den von Ihnen genannten Einwanderungsländern erfolgt ist. Und der zweite wichtige Aspekt besteht darin, dass Zuwanderer, die die Aufnahmegesellschaft positiv erleben, die hier Chancen erhalten, die sie im Herkunftsland nicht erhalten, die werden sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auch mit dem Aufnahmeland identifizieren. Das heißt, es ist von zentraler Bedeutung, dass wir eben gerade den jungen Menschen, von denen doch ein erheblicher Teil außen vor bleibt, stärker als bisher zu Eintrittskarten in Wirtschaft und Gesellschaft verhelfen.
Liminski: Was ist denn Ihrer Meinung nach die Bringschuld der Aufnahmeländer?
Luft: Die Bringschuld der Aufnahmeländer ist, in erster Linie dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen für Integration, die strukturellen Bedingungen für Integration einigermaßen vernünftig sind und sich nicht über die Jahre verschlechtern. Wenn wir ethnische Gruppen, die gleichzeitig sozial schwach sind, immer stärker abdrängen in einzelne Stadtteile, in einzelne Schulen und sagen, damit sind wir im Prinzip zufrieden, dann stören sie die anderen nicht, dann wird das auf Dauer zu einem Problem, das sich möglicherweise wie in Nachbarländern schon geschehen gewalttätig entlädt. Der einzige tatsächliche große Hebel, den der Staat hat, ist die Mischung an vorschulischen und schulischen Einrichtungen. Hier könnte in der Tat viel bewegt werden und hier ist Integration eine Aufgabe der Gesamtgesellschaft.
Liminski: Ist denn die deutsche Zivilgesellschaft integrationswillig oder besser gesagt aufnahmewillig?
Luft: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Es gibt etliche positive Initiativen. Es gibt Bürgerstiftungen wie beispielsweise in Hannover, die nachweislich positive Effekte haben, die Schülern insbesondere an Hauptschulen gezielt helfen. Es gibt auf der anderen Seite sicher auch vonseiten der deutschen Mittelschicht eine Haltung, die geprägt ist von Abstiegsängsten, von Ressentiments, die natürlich auch die gegenwärtige oder hinter uns liegende Debatte um Sarrazin und seine Stilisierung des Islam als inneren Feind noch mal befördert wird. Da gibt es auch ein nicht zu unterschätzendes Potenzial an Ressentiments, wenn man so will auch an Ablehnung, und wenn man so will, an Hass. Aber wir werden uns aufgrund der demografischen Entwicklung darüber im Klaren sein müssen, dass wir auf Dauer nicht anders können, als diese Teile der Gesellschaft, die Zuwanderer, die hier dauerhaft und rechtmäßig leben, besser als bisher, stärker als bisher aufzunehmen, einzugliedern, was dann insbesondere Schule und Arbeitsmarkt anlangt.
Liminski: Die Integrationsdebatte hat erst begonnen. Das war hier im Deutschlandfunk der Migrationsforscher Stefan Luft von der Universität Bremen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Luft.
Luft: Herzlichen Dank! – Auf Wiederhören!