"Das Thema des Abends: Die Wahlen stehen vor der Tür. Was passiert? Bundestags-wahlen im Fatih-Land. In der Politik hat man jetzt die Ausländer als Wahlgruppe, als Stimmen entdeckt. Und die Frage ist doch – wir sind ja aufgeklärte Demokraten hier - was wissen wir Deutschen eigentlich über uns Türken? (Lachen)"
Der Kabarettist Fatih Çevikkollu, in Köln geboren, hat türkische Eltern.
"Es gibt neue Bundesausländer und alte Bundesausländer. Eine neue Bundesaus-länderin regiert schon seit geraumer Zeit. Überleg mal! Wie lange ist die Merkel schon in Deutschland? Ich bin länger da."
Fatih Çevikkollu ist nicht der einzige Kabarettist mit Migrationshintergrund, der sich abendfüllend über die Beziehungen zwischen Deutschen und ausländischen Mitbürgern lustig macht, mal bissig und böse, mal ironisch und mit nachdenklichem Unterton. Ethno-Comedy boomt in Deutschland, und dabei bekommen alle Seiten, Mehrheit wie Minder-heiten, ihr Fett weg.
Es gebe gerade vonseiten der Migranten ein großes Bedürfnis sich zu äußern, meint die Sprach-und Sozialwissenschaftlerin Halyna Leontiy. Sie selber hat ukrainische Wurzeln. Leontiy untersucht in einem Forschungsprojekt am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen wie sich im Spiegel von Komik und Satire die interkulturellen Beziehungen zwischen einheimischen Deutschen und Zugewanderten darstellen. Komik, so ihre These, hat eine wichtige soziale Wirkung.
"Zum Beispiel kann man durch Humor, Satire und Komik Vorurteile abbauen oder Wissen vermitteln, man kann Gespräche dadurch steuern, weil man z. B. in der
postmodernen Gesellschaft nicht direkt moralisieren darf, das wird nonverbal, aber auch durch scherzhafte Äußerungen, auch durch Sticheleien gemacht, und das ist in Migranten-kreisen oft der Fall, dass z. B. Deutsch-Türken in Deutschland mit Deutsch-Russen nicht kommunizieren, aber darüber wird gelacht, das ist eher eine exkludierende Wirkung der Komik, um jemanden auszugrenzen, herabzustufen. Aber die Komik kann auch positiv wirken, die Beziehungen stärken, Solidarität stiften – das ist die inkludierende Wirkung."
Komik kann Vorurteile bekräftigen und Gräben vertiefen. Der rassistische Witz macht Stimmung gegen Minderheiten, ätzt gegen die Schwächsten, vor allem jene Gruppen, die zuletzt zugewandert sind. Aber es gibt auch eine andere, eine positive und integrative Art von Komik: Satire und Witz können, gerade indem sie hemmungslos übertreiben,
Vorurteile untergraben, vielleicht sogar kippen. Denn Lachen lockert die innere Blockade, erschüttert zumindest für einen Moment die eigenen Vorbehalte. Komik entwaffnet und lädt dazu ein, künftig unvoreingenommener hinzuschauen.
Fragt ein ortsunkundiger Deutscher einen Ausländer: 'Wie komme ich denn hier nach dem Aldi? – 'Zu Aldi‘, antwortet der Ausländer. – Guckt der Deutsche auf seine Uhr: 'Was, der Aldi hat schon zu?‘
In Sachen Integration klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Was die Politik nicht anpackt und die Gesellschaft gern verdrängt, das bringt die Satire auf die Bühne. Sie zeigt die Stolperfallen und Widersprüche des Integrationsalltags, so Halyna Leontiy:
"Von den Migranten wird erwartet, dass sie sich selbst integrieren, aber wie das im
Alltag geht, weiß niemand. Dass die deutschen Nachbarn die Türen zumachen und die Migranten nicht einladen, dass Migranten keine Wohnung vermietet wird, vor allem wenn sie äußerlich als solche zu erkennen sind, das sind ernste Themen, von denen viele Deutsche nichts wissen wollen. Und das kann man durch Komik so gut darstellen, dass es niemand verletzt, dass es nicht moralisierend wirkt. Das ist die subtile Wirkung der Komik, dass die eigenen Vorurteile dann vielleicht irritiert und abgebaut werden, dass man etwas im neuen Lichte sieht, und das ist eben die Wissen vermittelnde und Vorurteile abbauende Wirkung der Komik."
Halyna Leontiys Untersuchung von Migration und Komik gehört zusammen mit anderen Projekten zum Arbeitskreis Interkultur, einem Forschungsschwerpunkt des Kulturwissen-schaftlichen Instituts in Essen. Dabei geht es auch um eine überfällige Korrektur unserer Grundannahme. Immer noch, so die Kritik des Soziologen Hans-Georg Soeffner, versteht man Integration und kulturelle Vielfalt nach dem Bild fester, einander gegenüber stehender Blöcke: hier die eigene, dort die fremde Kultur; hier die Deutschen, dort die Ausländer. Dabei befinden wir uns, erklärt Hans-Georg Soeffner, längst in einer Situation, wo die sich Kulturen miteinander verschränken.
"In Gesellschaften, wo sich Kulturen verschränken, wie das früher im Mittelmeerraum der Fall war, in der Antike oder jetzt bei uns im Zuge der Globalisierung, kommen wir mit den klassischen Methoden nicht mehr hin. Wir können nicht mehr zwei Ethnien
miteinander vergleichen und deren unterschiedliches Brauchtum mehr oder weniger
erheben und dann sagen, die einen machen es so, die anderen machen es so. In kulturell verschränkten Gesellschaften geht das nicht mehr. Das schiebt sich ineinander, und das schiebt sich nicht nur innerhalb von Gruppierungen ineinander, sondern auch in einer Person möglicherweise."
Was gemeint ist, kennt jeder aus seinem Alltag. In der Straßenbahn zum Beispiel sitzt gegenüber eine junge Frau mit streng gebundenem Kopftuch, gleichzeitig stark
geschminkt. Unter dem Rock eine lange Hose, aber die Jeansjacke eng und körperbetont. Als das Handy klingelt, mischen sich ins perfekte Deutsch vereinzelte türkische Wörter. Wenn man die junge Muslima fragen würde, ob sie sich zu Deutschland zugehörig fühlt, so würde sie den Grund dieser Frage vermutlich gar nicht verstehen, wo sie doch in Deutschland geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist.
"Ich habe einige Interviews mit Frauen, die Kopftuch tragen, gemacht, und für diese Frauen ist auch die Frage nach ihrer Zugehörigkeit als Muslime zur deutschen Gesellschaft etwas merkwürdig. Wieso sollen sie nicht hierhin gehören, wieso werden ihnen bestimmte Charakteristika zugeschrieben, mit denen sie sich selber gar nicht beschreiben. Dass wird aber gemacht, dass man ihnen unterstellt, dass bestimmte Gruppen von Menschen nur anhand ihrer äußeren Merkmale, weil sie z. B. Kopftuch tragen, bestimmte Sichtweisen auf die Familie, auf Politik, auf Schulsystem, auf Bildung usw. haben, das ist viel differenzierter zu sehen, wenn man die Menschen selber fragt."
Die Kulturwissenschaftlerin Thea Boldt hat im Rahmen des EU-Projektes "Identities and Modernities in Europe" die öffentliche Debatte der letzten zehn Jahre in Deutschland zum Thema Integration, Einbürgerung und Migration untersucht. Und dabei festgestellt, dass die Frage von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit bestimmter Gruppen zu Deutschland oder zu Europa den politischen Diskurs beherrscht, ganz im Gegensatz zu Betroffenen, die sich selbst und ihre Situation anders beschreiben. Sie sprechen nicht primär über ethnisch-kulturelle Unterschiede, sondern über soziale Probleme, sorgen sich um ihre Ausbildungs- und Arbeitschancen in Deutschland.
Während die Kulturwissenschaftlerin Thea Boldt das Bild der Migranten in öffentlichen Debatten mit dem vergleicht, was sie selbst über sich denken, widmet sich der Soziologe Hans-Georg Soeffner zusammen mit anderen Wissenschaftlern der Analyse des
interkulturellen Handelns. In Fallstudien nehmen sie ausgewählte Berufsgruppen unter die Lupe, wo regelmäßig und geschult ethnisch gemischte Teams zusammenarbeiten.
"Also haben wir ausgesucht die Sozialarbeit .Das liegt nahe. Wir untersuchen
Asylantenheime, die von Sozialarbeitern betreut werden, die Sozialarbeiter gehen ihrerseits fast immer auf eine Hochschule, wo der Umgang mit Migranten gelehrt wird. Das zweite Feld ist eine Klinik, in der das Personal, also Ärzteschaft aber auch Pfleger und
Krankenschwestern, in der Regel auch schon sehr unterschiedlich zusammengesetzt sind, auch die Ärzte an den Universitätskliniken sind häufig keine deutschen mehr oder wenn sie deutsche sind, haben sie oft andere Herkünfte. Das Gleiche gilt für das Pflegepersonal, wiederum haben wir Laien, die Patienten unterschiedlicher Herkunft, die müssen betreut werden und dann muss man sehen, wie geht man mit denen um, wie geht man z. B. mit einer Muslima um, die von einem deutschen Arzt oder deutschen Pfleger behandelt wird."
Da gibt es nicht nur sprachliche Verständigungshürden, sondern auch kulturelle Tabus, weil eine Muslima in ihrem Land nur von anderen Frauen oder Familienangehörigen unter-sucht und behandelt wird. Schon das diagnostische Gespräch ist ein sensibler Punkt. Arztpraxen und Apotheken haben sich längst darauf eingestellt und beschäftigen eine Sprechstundenhilfe mit Migrationshintergrund. Interkulturelle Verständigung geschieht hier auf klassischem Weg, über einen vermittelnden Dritten, der die Unterschiede über-brücken hilft. Krankenhäuser können dieses Mittel nicht institutionalisieren, weil Ambulanz und Stationen im Schichtbetrieb und mit wechselnder Besetzung arbeiten.
Ein ganz anderes Feld, wo ethnische gemischte Teams unmittelbar zusammenarbeiten, erforscht die aus Indien stammende Germanistin Anandita Sharma.
"Wir untersuchen ganz einfach Prozesse interkultureller Verständigung in gemischtkulturellen Arbeitsteams am Beispiel von deutsch-indischen Flugbegleiterteams bei einer großen deutschen Fluggesellschaft."
Auf der Indienroute setzt die Fluggesellschaft indische Flugbegleiterinnen ein, die einen - wie es heißt - kulturnahen Service garantieren sollen. Auf den ersten Blick scheint es zwischen den deutschen und indischen Kolleginnen keine interkulturellen Konflikte zu geben, schon deshalb nicht, weil der ganze Ablauf an Bord von der Organisation durch-reglementiert ist. Im Interview erfährt Anandita Sharma dann aber von einer indischen Flugbegleiterin eine interessante Episode.
"Für Indienflüge gibt es bestimmte Besonderheiten im Service, z. B. die servieren Marsala Chai, das ist eine indische Spezialität, und der Purser entscheidet, wie der Service gemacht wird. Und diese Purserette – es war eine Frau, hat ihr gesagt: ‚Okay, Essen wird jetzt serviert und wir nehmen die Marsala-Chai-Kanne mit und dann meint die Inderin, kein Inder würde Marsala Chai zum Essen trinken, wir sollten das nach dem Essen servieren. Da meint die Purserette, nein so steht es im Buch … und hat darauf bestanden, dass das so gemacht wird, - und als Trost erzählt die indische Flugbegleiterin, am Ende sind sie zu-rückgekommen mit vollen Kannen; keiner hat den Tee genommen."
Für Ergebnisse sei es noch zu früh, so Anandita Sharma. Allerdings zeigt das Beispiel, so viel lässt sich wohl auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen, dass interkulturelle Kommunikation meist nicht unter Gleichgestellten stattfindet, sondern von einer
Machtasymmetrie geprägt ist. Die indischen Flugbegleiterinnen haben keinerlei
Aufstiegschancen, und im Gegensatz zu ihren deutschen Kolleginnen dürfen sie sich auch kein Teilzeitmodell aussuchen. An Bord machen sie denselben Job, doch mit einem fundamental anderen Selbstverständnis. Während eine deutsche Flugbegleiterin sich darüber beklagt, dass sie als Kellnerin in der Luft abqualifiziert, gar als Saftschubse
beschimpft werde, beschert der Job der indischen Kollegin in der Heimat ihr ein hohes Prestige: Unter 14.000 Bewerberinnen, erzählt sie stolz, sei sie zusammen mit 44 anderen ausgewählt worden.
"Aus der deutschen Perspektive sind die Inder die billigeren Arbeitskräfte, und für die Inder gehören sie zu den Besserverdienenden in Indien, und gehören zu einer upper middle class, die selber Bedienstete haben zu Hause in Indien."
Die neuen Forschungsprojekte des Arbeitskreises Interkultur schließen an eine Unter-suchung an, die vor anderthalb Jahren an Schulen des Ruhrgebiets durchgeführt wurde. Denn nirgendwo sonst in der Gesellschaft ist das Zusammentreffen von Menschen
unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser und kultureller Prägung so direkt und unumgänglich wie im Alltag der Schule, erklärt der Sozialwissenschaftler Ronald Kurt, der die Studie durchgeführt und ausgewertet hat.
Tatsächlich haben die Schüler, ohne dies eigens zu reflektieren, bestimmte konstruktive Formen des Miteinanders entwickelt. Zum Beispiel, dass sie während des Ramadan nicht ihre Schulbrote vor den Augen der islamischen Klassenkameraden auspacken und hinein-beißen, sondern auf dem Schulhof ein wenig abseits gehen und dort essen. Ronald Kurt:
"Eine Bemerkung habe ich noch von einer Schülerin im Ohr, die hat gesagt, ich weiß ja, wo es denen wehtut. Sehr interessant, das heißt, ich weiß, wie ich den anderen verletzen kann, und umgekehrt ausgedrückt, ich weiß auch, wie ich ihn schonen kann oder wie ich gut für ihn sein kann. Und mit diesem differenzsensiblen Wissen kann man seinen
Schulalltag bestreiten. Das gilt nicht nur für die Schule, das ist ein Mikromodell für die
Gesellschaft im Allgemeinen."
Und diese Gesellschaft ist selber im Wandel. Deutschland ist ein Einwanderungsland
geworden, wo Migration immer mehr zum Normalfall wird. Was man für deutsche
Identität hält, lässt sich in der globalisierten Welt nicht mehr nach dem Muster des alten Nationalstaats fassen, ist selber nichts endgültig Festgeschriebenes.
"Dann passen, vorsichtig gesagt, bestimmte Begriffe, die wir bisher verwendet haben, nicht mehr richtig, z. B. der Begriff Integration. Wohin soll sich jemand integrieren, wenn die Gesellschaft, in die er sich integrieren soll, so vielschichtig ist und in sich verschränkt ist, dass wir nicht mehr sagen können, schließ dich bitte dieser Leitkultur an, dann bist Du integriert, sondern wie müssen nachsehen: Wie ist diese pluralistische Gesellschaft? Wie löst sie das Integrationsproblem?"
Wie soll Deutschland seine Identität definieren? Das ist offensichtlich umstritten, wenn der ehemalige Bundespräsident erklärte, der Islam gehört heute zu Deutschland – und der Fraktionsvorsitzende derselben Partei anderthalb Jahre später behauptet, der Islam gehört nicht zu Deutschland.
Die Kulturwissenschaftlerin Thea Boldt rät in der Frage des Zusammenlebens nicht nach hinten, nicht auf die Herkunft zu schauen, sondern den Blick nach vorn zu richten, auf das konstruktive Miteinander in Gegenwart und Zukunft. Thea Boldt stammt aus Polen, hat in verschiedenen europäischen Städten gelebt und gearbeitet, in Prag, Amsterdam, London, und auch in Deutschland an ganz verschiedenen Orten.
"Ich glaube, man kann innerhalb der Interkultur viel mehr machen, wenn man Kommunikationsprozesse untersucht, die sich auf handlungspraktischer Ebene entfalten. Also: Wie löst man ein bestimmtes Problem in einem Arbeitsfeld? Wie arbeiten Ärzte
zusammen in einem Krankenhaus? Wo man sich eher damit beschäftigt, wie man eine
bestimmte Krankheit jetzt heilt und nicht dass einer aus der Türkei stammt und der andere aus Australien. Ich glaube, das sind viel spannendere Prozesse als das, was in der deutschen Öffentlichkeit so zentral und immer wieder aufs Neue diskutiert wird, wie: 'Wer ist deutsch?" und "Wer ist nicht deutsch?"
Der Kabarettist Fatih Çevikkollu, in Köln geboren, hat türkische Eltern.
"Es gibt neue Bundesausländer und alte Bundesausländer. Eine neue Bundesaus-länderin regiert schon seit geraumer Zeit. Überleg mal! Wie lange ist die Merkel schon in Deutschland? Ich bin länger da."
Fatih Çevikkollu ist nicht der einzige Kabarettist mit Migrationshintergrund, der sich abendfüllend über die Beziehungen zwischen Deutschen und ausländischen Mitbürgern lustig macht, mal bissig und böse, mal ironisch und mit nachdenklichem Unterton. Ethno-Comedy boomt in Deutschland, und dabei bekommen alle Seiten, Mehrheit wie Minder-heiten, ihr Fett weg.
Es gebe gerade vonseiten der Migranten ein großes Bedürfnis sich zu äußern, meint die Sprach-und Sozialwissenschaftlerin Halyna Leontiy. Sie selber hat ukrainische Wurzeln. Leontiy untersucht in einem Forschungsprojekt am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen wie sich im Spiegel von Komik und Satire die interkulturellen Beziehungen zwischen einheimischen Deutschen und Zugewanderten darstellen. Komik, so ihre These, hat eine wichtige soziale Wirkung.
"Zum Beispiel kann man durch Humor, Satire und Komik Vorurteile abbauen oder Wissen vermitteln, man kann Gespräche dadurch steuern, weil man z. B. in der
postmodernen Gesellschaft nicht direkt moralisieren darf, das wird nonverbal, aber auch durch scherzhafte Äußerungen, auch durch Sticheleien gemacht, und das ist in Migranten-kreisen oft der Fall, dass z. B. Deutsch-Türken in Deutschland mit Deutsch-Russen nicht kommunizieren, aber darüber wird gelacht, das ist eher eine exkludierende Wirkung der Komik, um jemanden auszugrenzen, herabzustufen. Aber die Komik kann auch positiv wirken, die Beziehungen stärken, Solidarität stiften – das ist die inkludierende Wirkung."
Komik kann Vorurteile bekräftigen und Gräben vertiefen. Der rassistische Witz macht Stimmung gegen Minderheiten, ätzt gegen die Schwächsten, vor allem jene Gruppen, die zuletzt zugewandert sind. Aber es gibt auch eine andere, eine positive und integrative Art von Komik: Satire und Witz können, gerade indem sie hemmungslos übertreiben,
Vorurteile untergraben, vielleicht sogar kippen. Denn Lachen lockert die innere Blockade, erschüttert zumindest für einen Moment die eigenen Vorbehalte. Komik entwaffnet und lädt dazu ein, künftig unvoreingenommener hinzuschauen.
Fragt ein ortsunkundiger Deutscher einen Ausländer: 'Wie komme ich denn hier nach dem Aldi? – 'Zu Aldi‘, antwortet der Ausländer. – Guckt der Deutsche auf seine Uhr: 'Was, der Aldi hat schon zu?‘
In Sachen Integration klaffen Anspruch und Wirklichkeit auseinander. Was die Politik nicht anpackt und die Gesellschaft gern verdrängt, das bringt die Satire auf die Bühne. Sie zeigt die Stolperfallen und Widersprüche des Integrationsalltags, so Halyna Leontiy:
"Von den Migranten wird erwartet, dass sie sich selbst integrieren, aber wie das im
Alltag geht, weiß niemand. Dass die deutschen Nachbarn die Türen zumachen und die Migranten nicht einladen, dass Migranten keine Wohnung vermietet wird, vor allem wenn sie äußerlich als solche zu erkennen sind, das sind ernste Themen, von denen viele Deutsche nichts wissen wollen. Und das kann man durch Komik so gut darstellen, dass es niemand verletzt, dass es nicht moralisierend wirkt. Das ist die subtile Wirkung der Komik, dass die eigenen Vorurteile dann vielleicht irritiert und abgebaut werden, dass man etwas im neuen Lichte sieht, und das ist eben die Wissen vermittelnde und Vorurteile abbauende Wirkung der Komik."
Halyna Leontiys Untersuchung von Migration und Komik gehört zusammen mit anderen Projekten zum Arbeitskreis Interkultur, einem Forschungsschwerpunkt des Kulturwissen-schaftlichen Instituts in Essen. Dabei geht es auch um eine überfällige Korrektur unserer Grundannahme. Immer noch, so die Kritik des Soziologen Hans-Georg Soeffner, versteht man Integration und kulturelle Vielfalt nach dem Bild fester, einander gegenüber stehender Blöcke: hier die eigene, dort die fremde Kultur; hier die Deutschen, dort die Ausländer. Dabei befinden wir uns, erklärt Hans-Georg Soeffner, längst in einer Situation, wo die sich Kulturen miteinander verschränken.
"In Gesellschaften, wo sich Kulturen verschränken, wie das früher im Mittelmeerraum der Fall war, in der Antike oder jetzt bei uns im Zuge der Globalisierung, kommen wir mit den klassischen Methoden nicht mehr hin. Wir können nicht mehr zwei Ethnien
miteinander vergleichen und deren unterschiedliches Brauchtum mehr oder weniger
erheben und dann sagen, die einen machen es so, die anderen machen es so. In kulturell verschränkten Gesellschaften geht das nicht mehr. Das schiebt sich ineinander, und das schiebt sich nicht nur innerhalb von Gruppierungen ineinander, sondern auch in einer Person möglicherweise."
Was gemeint ist, kennt jeder aus seinem Alltag. In der Straßenbahn zum Beispiel sitzt gegenüber eine junge Frau mit streng gebundenem Kopftuch, gleichzeitig stark
geschminkt. Unter dem Rock eine lange Hose, aber die Jeansjacke eng und körperbetont. Als das Handy klingelt, mischen sich ins perfekte Deutsch vereinzelte türkische Wörter. Wenn man die junge Muslima fragen würde, ob sie sich zu Deutschland zugehörig fühlt, so würde sie den Grund dieser Frage vermutlich gar nicht verstehen, wo sie doch in Deutschland geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist.
"Ich habe einige Interviews mit Frauen, die Kopftuch tragen, gemacht, und für diese Frauen ist auch die Frage nach ihrer Zugehörigkeit als Muslime zur deutschen Gesellschaft etwas merkwürdig. Wieso sollen sie nicht hierhin gehören, wieso werden ihnen bestimmte Charakteristika zugeschrieben, mit denen sie sich selber gar nicht beschreiben. Dass wird aber gemacht, dass man ihnen unterstellt, dass bestimmte Gruppen von Menschen nur anhand ihrer äußeren Merkmale, weil sie z. B. Kopftuch tragen, bestimmte Sichtweisen auf die Familie, auf Politik, auf Schulsystem, auf Bildung usw. haben, das ist viel differenzierter zu sehen, wenn man die Menschen selber fragt."
Die Kulturwissenschaftlerin Thea Boldt hat im Rahmen des EU-Projektes "Identities and Modernities in Europe" die öffentliche Debatte der letzten zehn Jahre in Deutschland zum Thema Integration, Einbürgerung und Migration untersucht. Und dabei festgestellt, dass die Frage von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit bestimmter Gruppen zu Deutschland oder zu Europa den politischen Diskurs beherrscht, ganz im Gegensatz zu Betroffenen, die sich selbst und ihre Situation anders beschreiben. Sie sprechen nicht primär über ethnisch-kulturelle Unterschiede, sondern über soziale Probleme, sorgen sich um ihre Ausbildungs- und Arbeitschancen in Deutschland.
Während die Kulturwissenschaftlerin Thea Boldt das Bild der Migranten in öffentlichen Debatten mit dem vergleicht, was sie selbst über sich denken, widmet sich der Soziologe Hans-Georg Soeffner zusammen mit anderen Wissenschaftlern der Analyse des
interkulturellen Handelns. In Fallstudien nehmen sie ausgewählte Berufsgruppen unter die Lupe, wo regelmäßig und geschult ethnisch gemischte Teams zusammenarbeiten.
"Also haben wir ausgesucht die Sozialarbeit .Das liegt nahe. Wir untersuchen
Asylantenheime, die von Sozialarbeitern betreut werden, die Sozialarbeiter gehen ihrerseits fast immer auf eine Hochschule, wo der Umgang mit Migranten gelehrt wird. Das zweite Feld ist eine Klinik, in der das Personal, also Ärzteschaft aber auch Pfleger und
Krankenschwestern, in der Regel auch schon sehr unterschiedlich zusammengesetzt sind, auch die Ärzte an den Universitätskliniken sind häufig keine deutschen mehr oder wenn sie deutsche sind, haben sie oft andere Herkünfte. Das Gleiche gilt für das Pflegepersonal, wiederum haben wir Laien, die Patienten unterschiedlicher Herkunft, die müssen betreut werden und dann muss man sehen, wie geht man mit denen um, wie geht man z. B. mit einer Muslima um, die von einem deutschen Arzt oder deutschen Pfleger behandelt wird."
Da gibt es nicht nur sprachliche Verständigungshürden, sondern auch kulturelle Tabus, weil eine Muslima in ihrem Land nur von anderen Frauen oder Familienangehörigen unter-sucht und behandelt wird. Schon das diagnostische Gespräch ist ein sensibler Punkt. Arztpraxen und Apotheken haben sich längst darauf eingestellt und beschäftigen eine Sprechstundenhilfe mit Migrationshintergrund. Interkulturelle Verständigung geschieht hier auf klassischem Weg, über einen vermittelnden Dritten, der die Unterschiede über-brücken hilft. Krankenhäuser können dieses Mittel nicht institutionalisieren, weil Ambulanz und Stationen im Schichtbetrieb und mit wechselnder Besetzung arbeiten.
Ein ganz anderes Feld, wo ethnische gemischte Teams unmittelbar zusammenarbeiten, erforscht die aus Indien stammende Germanistin Anandita Sharma.
"Wir untersuchen ganz einfach Prozesse interkultureller Verständigung in gemischtkulturellen Arbeitsteams am Beispiel von deutsch-indischen Flugbegleiterteams bei einer großen deutschen Fluggesellschaft."
Auf der Indienroute setzt die Fluggesellschaft indische Flugbegleiterinnen ein, die einen - wie es heißt - kulturnahen Service garantieren sollen. Auf den ersten Blick scheint es zwischen den deutschen und indischen Kolleginnen keine interkulturellen Konflikte zu geben, schon deshalb nicht, weil der ganze Ablauf an Bord von der Organisation durch-reglementiert ist. Im Interview erfährt Anandita Sharma dann aber von einer indischen Flugbegleiterin eine interessante Episode.
"Für Indienflüge gibt es bestimmte Besonderheiten im Service, z. B. die servieren Marsala Chai, das ist eine indische Spezialität, und der Purser entscheidet, wie der Service gemacht wird. Und diese Purserette – es war eine Frau, hat ihr gesagt: ‚Okay, Essen wird jetzt serviert und wir nehmen die Marsala-Chai-Kanne mit und dann meint die Inderin, kein Inder würde Marsala Chai zum Essen trinken, wir sollten das nach dem Essen servieren. Da meint die Purserette, nein so steht es im Buch … und hat darauf bestanden, dass das so gemacht wird, - und als Trost erzählt die indische Flugbegleiterin, am Ende sind sie zu-rückgekommen mit vollen Kannen; keiner hat den Tee genommen."
Für Ergebnisse sei es noch zu früh, so Anandita Sharma. Allerdings zeigt das Beispiel, so viel lässt sich wohl auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen, dass interkulturelle Kommunikation meist nicht unter Gleichgestellten stattfindet, sondern von einer
Machtasymmetrie geprägt ist. Die indischen Flugbegleiterinnen haben keinerlei
Aufstiegschancen, und im Gegensatz zu ihren deutschen Kolleginnen dürfen sie sich auch kein Teilzeitmodell aussuchen. An Bord machen sie denselben Job, doch mit einem fundamental anderen Selbstverständnis. Während eine deutsche Flugbegleiterin sich darüber beklagt, dass sie als Kellnerin in der Luft abqualifiziert, gar als Saftschubse
beschimpft werde, beschert der Job der indischen Kollegin in der Heimat ihr ein hohes Prestige: Unter 14.000 Bewerberinnen, erzählt sie stolz, sei sie zusammen mit 44 anderen ausgewählt worden.
"Aus der deutschen Perspektive sind die Inder die billigeren Arbeitskräfte, und für die Inder gehören sie zu den Besserverdienenden in Indien, und gehören zu einer upper middle class, die selber Bedienstete haben zu Hause in Indien."
Die neuen Forschungsprojekte des Arbeitskreises Interkultur schließen an eine Unter-suchung an, die vor anderthalb Jahren an Schulen des Ruhrgebiets durchgeführt wurde. Denn nirgendwo sonst in der Gesellschaft ist das Zusammentreffen von Menschen
unterschiedlicher ethnischer Herkunft, religiöser und kultureller Prägung so direkt und unumgänglich wie im Alltag der Schule, erklärt der Sozialwissenschaftler Ronald Kurt, der die Studie durchgeführt und ausgewertet hat.
Tatsächlich haben die Schüler, ohne dies eigens zu reflektieren, bestimmte konstruktive Formen des Miteinanders entwickelt. Zum Beispiel, dass sie während des Ramadan nicht ihre Schulbrote vor den Augen der islamischen Klassenkameraden auspacken und hinein-beißen, sondern auf dem Schulhof ein wenig abseits gehen und dort essen. Ronald Kurt:
"Eine Bemerkung habe ich noch von einer Schülerin im Ohr, die hat gesagt, ich weiß ja, wo es denen wehtut. Sehr interessant, das heißt, ich weiß, wie ich den anderen verletzen kann, und umgekehrt ausgedrückt, ich weiß auch, wie ich ihn schonen kann oder wie ich gut für ihn sein kann. Und mit diesem differenzsensiblen Wissen kann man seinen
Schulalltag bestreiten. Das gilt nicht nur für die Schule, das ist ein Mikromodell für die
Gesellschaft im Allgemeinen."
Und diese Gesellschaft ist selber im Wandel. Deutschland ist ein Einwanderungsland
geworden, wo Migration immer mehr zum Normalfall wird. Was man für deutsche
Identität hält, lässt sich in der globalisierten Welt nicht mehr nach dem Muster des alten Nationalstaats fassen, ist selber nichts endgültig Festgeschriebenes.
"Dann passen, vorsichtig gesagt, bestimmte Begriffe, die wir bisher verwendet haben, nicht mehr richtig, z. B. der Begriff Integration. Wohin soll sich jemand integrieren, wenn die Gesellschaft, in die er sich integrieren soll, so vielschichtig ist und in sich verschränkt ist, dass wir nicht mehr sagen können, schließ dich bitte dieser Leitkultur an, dann bist Du integriert, sondern wie müssen nachsehen: Wie ist diese pluralistische Gesellschaft? Wie löst sie das Integrationsproblem?"
Wie soll Deutschland seine Identität definieren? Das ist offensichtlich umstritten, wenn der ehemalige Bundespräsident erklärte, der Islam gehört heute zu Deutschland – und der Fraktionsvorsitzende derselben Partei anderthalb Jahre später behauptet, der Islam gehört nicht zu Deutschland.
Die Kulturwissenschaftlerin Thea Boldt rät in der Frage des Zusammenlebens nicht nach hinten, nicht auf die Herkunft zu schauen, sondern den Blick nach vorn zu richten, auf das konstruktive Miteinander in Gegenwart und Zukunft. Thea Boldt stammt aus Polen, hat in verschiedenen europäischen Städten gelebt und gearbeitet, in Prag, Amsterdam, London, und auch in Deutschland an ganz verschiedenen Orten.
"Ich glaube, man kann innerhalb der Interkultur viel mehr machen, wenn man Kommunikationsprozesse untersucht, die sich auf handlungspraktischer Ebene entfalten. Also: Wie löst man ein bestimmtes Problem in einem Arbeitsfeld? Wie arbeiten Ärzte
zusammen in einem Krankenhaus? Wo man sich eher damit beschäftigt, wie man eine
bestimmte Krankheit jetzt heilt und nicht dass einer aus der Türkei stammt und der andere aus Australien. Ich glaube, das sind viel spannendere Prozesse als das, was in der deutschen Öffentlichkeit so zentral und immer wieder aufs Neue diskutiert wird, wie: 'Wer ist deutsch?" und "Wer ist nicht deutsch?"