Kaum noch Platz auf den Gängen des Beratungs- und Betreuungszentrums für junge Flüchtlinge in Berlin-Moabit. Satzfetzen auf Arabisch, Dari, Farsi und Kurdisch schwirren über den Flur. Hier geht es um eine Lehrstelle, dort um einen Asylantrag. Die Telefone klingeln permanent, die Dolmetscher sind hoffnungslos überlastet.
Familie Silo – Vater, Mutter und vier schulpflichtige Kinder – hat an diesem Vormittag einen Beratungstermin. Im Oktober letzten Jahres ist die jesidische Familie aus dem Irak geflohen, seitdem haben Shirivan, Shivan, Sugvan und Shirihan kein Klassenzimmer von innen gesehen.
"Wir sitzen den ganzen Tag im Heim und langweilen uns. Ich lerne ein bisschen mit den Wörterbüchern, aber wenn man keine deutschen Freunde hat, ist das schrecklich. Ich möchte gerne zur Schule gehen", wünscht sich die 16jährige Shirihan, die sich die langen dunklen Haare aus dem Gesicht streicht. Fast acht Monate lang ist Familie Silo jetzt in Berlin, mehr als "Guten Tag" und "Ich komme aus dem Irak" kann keiner von ihnen auf Deutsch sagen. Immer wieder hat Kheder Silo nach Schulplätzen für seine vier Kinder gefragt – vergeblich.
"Er ist gestern zum Heimleiter gegangen, hat gefragt, und die haben gesagt, in dem Wohnheim müssten eigentlich 300 Kinder zur Schule gehen, aber von denen haben nur 140 einen Schulplatz."
Kinder weinen, weil sie nicht in die Schule gehen dürfen
Daniel Jasch beugt sich über die Unterlagen von Familie Silo. Eltern, die ihre Kinder in den Unterricht schicken wollen, aber vom Schulamt abgewiesen werden – der Berater muss sich jeden Tag mit solchen Fällen beschäftigen.
"Für die Kinder gibt es nichts Schlimmeres, als untätig im Heim zu sitzen. In der Beratung haben wir oft, dass die Kinder weinen. Sie sind hoch motiviert und lernwillig, können nicht verstehen, warum sie nicht in die Schule können."
Daniel Jasch hat jetzt dem Schulamt mit juristischen Konsequenzen gedroht. Sollten Shirivan, Shivan, Sugvan und Shirihan nicht in Kürze zur Schule gehen dürfen, wird eine Klage eingereicht.
"Man muss immer hier intervenieren und Druck machen und auch hier den Behörden drohen. Auf guten Wegen, mit guter Kommunikation kommt man hier nicht weiter in Berlin."
Die Schulverwaltung bestreitet das – man habe innerhalb kürzester Zeit Schulplätze für 11.000 Kinder geschaffen und insgesamt tausend Lehrkräfte eingestellt, erläutert Bildungsstaatsekretär Mark Rackles. Anders als in anderen Bundesländern gilt in Berlin eine Schulpflicht für Flüchtlingskinder vom ersten Tag an.
"In dem Moment, wo die auf deutschem Territorium sind und Asyl sagen, ist das Kind hier ab dem 6. Jahr schulpflichtig. Das Kind hat ein Schulrecht hier vom Tag 1 an."
Berlin verspricht Besserung
Ein Schulrecht, von dem aber nur ein Teil der Flüchtlingskinder profitiert. Insgesamt 2.600 Schulplätze fehlten im letzten Monat – so die Antwort der Bildungsverwaltung auf eine Anfrage der Opposition. Damit verstößt das Land Berlin massiv gegen sein eigenes Schulgesetz. Bildungsstaatssekretär Rackles verspricht Besserung.
"Das hat sich letzten Monat aufgebaut, ich glaube, inzwischen läuft das deutlich geordneter. Ich gehe davon aus, dass wir bis zum Sommer den größten Teil der Kinder, die schulpflichtig sind, im System haben."
Doch dann sind Sommerferien, die Schule beginnt erst wieder im September. Und bis dahin sind tausende neue Flüchtlingskinder nach Berlin gekommen, die wieder einen Schulplatz brauchen. Syrische Kinder wie Karam und Muhamad, die seit fast einem Jahr keinen Unterricht haben.
Muhamad Al Haitham stammt aus der syrischen Stadt Qarah. Im letzten Sommer floh er über das Mittelmeer nach Deutschland, seine beiden Neffen Karam und Muhamad nahm er seine Obhut.
"Ich heiße Muhamad, ich 13 Jahre alt. Karam Al Harani. Ich komme aus Syrien."
Die Eltern wollten eine bessere Zukunft für die beiden in Deutschland. Muhamad Al Haitham versprach, sich um die Kinder zu kümmern.
Ein knappes Jahr später ist der 26-jährige Apotheker desillusioniert – kein Integrationskurs für sich, keine Schulplätze für seine beiden Neffen.
"Every time they told me: no place, no place."
"Wir wollen lernen"
Keinen Platz, wir haben keinen Schulplatz für deine Neffen, sagten sie ihm. Den ganzen Tag gammeln die beiden im Wohnheim herum, haben nichts zu tun, lernen nichts, sagt Muhamad Al Haitham. Er wirkt bedrückt. Die beiden Neffen sitzen still und stumm auf ihren Stühlen. Etwas zu trinken? Schokolade? Sie schütteln den Kopf.
"Sie verbringen die Zeit mit wertlosen Dingen, und immer bitten sie mich, bring uns Deutsch bei. Aber ich kann ihnen das nicht beibringen, ich spreche es selber nur auf niedrigem Niveau."
Ja, ich bedanke mich bei Deutschland, dass Ihr uns aufgenommen habt, sagt der syrische Apotheker. Aber: Wir wollen auch weiterkommen, wir wollen lernen.
"In den Medien hören wir immer von Integration, Integration. Wir wollen hier in Deutschland integriert sein, damit wir Menschen sein können, die arbeiten."
Muhamad Al Haitham blickt auf sein Handy, zeigt auf neue Nachrichten aus Syrien. Die Eltern von Karam und Muhamad haben sich gemeldet. Wenn es nicht weitergeht in Deutschland, haben sie geschrieben, dann schick doch unsere Kinder zurück nach Syrien.