Die CSU und Teile der CDU stellten permanent den Kurs der Bundeskanzlerin in der Flüchtlingspolitik infrage, kritisierte der hessische SPD-Chef. Es handle sich dabei um den Versuch, sich an einem "Schäbigkeitswettbewerb" zu beteiligen. Den Flüchtlingen werde pauschal unterstellt, sie wollten sich eigentlich gar nicht integrieren.
Im Grunde sei die Debatte der sichtbare Ausdruck davon, dass viele in der Union immer noch nicht ihren Frieden mit der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin gemacht hätten, meinte der SPD-Politiker. Um Integration gehe es dabei nicht. Wenn man die Eingliederung stärken wolle, müsse man dafür sorgen, dass überhaupt ausreichend entsprechende Angebote vorhanden seien. Daran mangele es - auch in Bayern.
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Jetzt ist Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender und SPD-Chef in Hessen, am Telefon. Schönen guten Morgen!
Thielko Grieß: Jetzt ist Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender und SPD-Chef in Hessen, am Telefon. Schönen guten Morgen!
Thorsten Schäfer-Gümbel: Schönen guten Morgen, Herr Grieß!
Grieß: Ist es der SPD egal, ob Integration nachlesbar funktioniert?
Schäfer-Gümbel: Nein, überhaupt nicht. Jeder, der hier in Deutschland lebt, muss sich zu dem verhalten, was im Grundgesetz steht, was in Gesetzen steht, was die Grundwerte, insbesondere der Artikel 1 bis 20 sind, von der Gleichberechtigung von Mann und Frau, über die Trennung von Kirche und Staat, das ist überhaupt nicht strittig – der entscheidende Punkt ist nur, wie wir das am Ende hinkriegen.
In einer Phase, wo wir nicht einmal genügend Sprachangebote haben oder auch Angebote der politischen Bildung, ist es völlig absurd, jetzt über die Frage von Integrationsvereinbarungen zu reden. Mein Gefühl ist schon, dass da nichts anderes gemacht wird als am Ende den Versuch, sich in diesem Schäbigkeitswettbewerb, den wir schon teilweise vor Weihnachten hatten, auf der einen Seite zu erklären, Flüchtlinge sind willkommen, aber am anderen Ende alles dafür zu tun, zu sagen, dass sie eigentlich nicht willkommen sind, und das Spiel beherrscht die Union doch intensiv in den letzten Wochen, weiterzutreiben.
"CSU stellt Flüchtlingspolitik der Bundesregierung infrage"
Grieß: Herr Schäfer, wer nimmt an diesem Schäbigkeitswettbewerb teil, und was ist der Preis?
Schäfer-Gümbel: Insbesondere CSU macht das seit Wochen, dass sie das permanent infrage stellt, was auch durch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und die Bundeskanzlerin vorgegeben wurde, da ändert auch nichts daran, dass in Karlsruhe auf dem CDU-Bundesparteitag ein Burgfrieden zwischen den unterschiedlichen Teilfraktionen in der Union geschlossen wurde.
Sie sehen mit Frau Klöckner eine Repräsentantin, die permanent den Kurs der Kanzlerin infrage stellt, die mit subtilen Ressentiments arbeitet und im Übrigen – jetzt habe ich Wolfgang Schäuble wirklich verstanden, als er am Wochenende davor warnte, in einen Wettbewerb mit den Dumpfbacken der AfD zu gehen.
Grieß: Die Union, die CDU hat auf ihrem Bundesparteitag natürlich in der Tat mehr Burgfrieden gezeigt als die SPD.
Schäfer-Gümbel: Show kann die Union immer besser als wir, aber es bleibt am Ende Show.
"Integration ist kein formaler bürokratischer Akt"
Grieß: Ist es denn nicht von Bedeutung, ob es am Ende möglicherweise ein Dokument gibt, auf das sich beide Seiten berufen können, ein Flüchtling, der hier leben will, einen Aufenthaltsstatus hat und die Gesellschaft, die ihn aufnimmt? Was ist so schlecht daran?
Schäfer-Gümbel: Weil es am Ende ein formeller Akt wird, ohne, dass irgendein wirklicher Bewusstseinsstand dadurch abrufbar ist. Erklärungen zu unterzeichnen bringt erst einmal gar nichts auf dem Weg, Menschen unsere Grundwerte nahezubringen, übrigens, Grundwerte, nach denen die meisten von denen, die geflohen sind, erst einmal suchen, weil sie genau von der Unfreiheit geflohen sind, weil sie vor der Missachtung ihrer Menschenrechte, weil sie vor der Missachtung von Versammlungsrecht, Pressefreiheit, Meinungsäußerung geflohen sind.
Und jetzt an dieser Stelle diesen Versuch zu machen, damit zu spielen, eigentlich wollen sie es gar nicht, das ist etwas, dagegen wehren wir uns, weil es eine pauschale Unterstellung ist gegenüber denjenigen, die genau vor solchen Zuständen fliehen. Noch einmal: Am Ende ist notwendig, dass die Angebote gemacht werden, und gerade auch in Bayern gibt es dort erheblich Defizite, und deswegen muss daran gearbeitet werden. Am Ende ist Integration kein formaler bürokratischer Akt, sondern eine Frage von Einstellungen, und an der Stelle bin ich sehr altmodisch. Da glaube ich an die Macht der Aufklärung, und das ist eine der zentralen Errungenschaften Europas.
Grieß: Man könnte diesen Vorschlag, der von beiden Unionsparteien inzwischen kommt, auch so lesen unter der Überschrift "Fordern und Fördern", aber das kommt Ihnen als Sozialdemokrat doch bekannt vor, Stichwort Hartz-Gesetze.
Schäfer-Gümbel: Das schreiben sie aber nicht, sondern sie sagen, nach dem Motto, das ist ja die Kernbotschaft, und da hilft auch nix, wenn sie vor Wildbad Kreuth dann nicht schreiben, wer betrügt, fliegt, und da müsste die Union sich da sehr intensiv mal selbst mit beschäftigen, wer da von ihnen unter diesen Maßstäben überhaupt noch agieren kann.
Der subtile Text dessen, was die Union im Moment wieder macht, insbesondere CSU, ist zu sagen, eigentlich wollen die alle nicht, und es ist der sichtbare Ausdruck davon, dass Teile der Union ihren Frieden nicht damit gemacht haben, dass die Bundeskanzlerin Mitte des Jahres die Bundesregierung auch dazu angeführt hat, zu sagen, wir gehen in der Flüchtlingspolitik in eine andere Politik und lassen zu, dass syrische Flüchtlinge, die in Ungarn in unerträglichen Zuständen gelebt und auch gehaust haben, eine Chance auf Asyl haben.
"Angebote der politischen Bildung und Sprachförderung sind nicht da"
Grieß: Andersrum könnte man es auch noch mal drehen, und dann könnte ein interessanter Gedanke daraus werden, Herr Schäfer-Gümbel, so eine Vereinbarung könnte ja auch ein Instrument sein gegen Missverständnisse und vor allem dagegen, zu viel zu verlangen von Flüchtlingen, gegen jene, die am Populismus nagen oder Populismus betreiben und Flüchtlingen am liebsten ihre ganze Ausländischkeit ganz absprechen und sie möglichst unsichtbar machen wollen.
Schäfer-Gümbel: Interessanter Gedanke, der Punkt ist nur, auch da bin ich altmodisch: Ich bin für evidenzbasierte Politik, das heißt, man muss sich die Empirie anschauen, und der Erfahrungswert mit der Union, insbesondere CSU, ist, dass es denen an der Stelle nicht darum geht, sondern der CSU geht es darum, dass sie ihren Frieden mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht gemacht hat und dass der Burgfrieden, der in Karlsruhe geschlossen wurde innerhalb der CDU, aber insbesondere derjenige, der zwischen CDU, CSU ausgerufen ist, in irgendeiner Form weiter zugedeckt werden muss.
Deswegen ist die Initiative nicht darauf gerichtet, Integration zu stärken, sondern subtil zu sagen, eigentlich wollen die nicht, die hierher kommen, eigentlich wollen auch wir nicht, und das ist der Punkt, an den man auch die Union stellen muss, das funktioniert nicht, was sie vorgestellt haben, insbesondere auch, weil die Angebote der politischen Bildung und der Sprachförderung nicht da sind. Da müssen wir ansetzen, weil, wie gesagt, unstrittig ist, dass diejenigen, die hier leben wollen, sich auch zu den Grundwerten in den Gesetzen verhalten müssen – wie jeder andere Staatsbürger im Übrigen auch, der in diesem Land lebt.
"Wir waren immer für ein Einwanderungsgesetz"
Grieß: Dann haben wir jetzt verschiedene Forderungen, verschiedene Prinzipien von den verschiedenen Seiten gehört, von der Union, von Ihnen auch gehört. Das alles kommt auf den Tisch, wenn es darum geht, ein Einwanderungsgesetz zu formulieren, gegen das sich ja die Union, zumindest die CDU nicht mehr sperrt?
Schäfer-Gümbel: Ich bin mal gespannt, was am Ende mit der CDU überhaupt verhandelbar ist. Klar ist, dass die Unionsparteien sich bisher geweigert haben, über diese Frage ernsthaft zu reden, aber klar ist, nach dem Helfen muss das Steuern und Lenken kommen, deswegen waren wir immer für ein Einwanderungsgesetz, sind es auch weiterhin, um diese Lenkung und Steuerung ordentlich zu machen. Dazu gehört auch die Frage, wie kann man den integrationspolitischen Fehler der 60er- und 70er-Jahre verhindern. Dazu gehört Sprachförderung, dazu gehört auch die politische Bildung.
Grieß: Ist das denn noch ein Projekt dieser Legislaturperiode oder haben Sie es innerlich schon vertagt?
Schäfer-Gümbel: Wir würden uns das sehr wünschen, aber bisher, sage ich mal, ist die Bereitschaft von unserem Koalitionspartner sehr übersichtlich.
Grieß: Und nebenher läuft eine Flüchtlingsbewegung, die Sie zum Handeln zwingt, alle zusammen.
Schäfer-Gümbel: Ja, aber das muss man leider gelegentlich Horst Seehofer und anderen noch einmal erklären, die nach wie vor glauben, dass man mit dem Fördern von Ressentiments und subtilen Vorurteilen mehr erreicht, als mit wirklicher Politik, das ist grundfalsch. Da gibt es einen Dissens in der Bundesregierung und insbesondere auch zwischen den Koalitionsparteien. Ob der sich jetzt kurzfristig aufheben lässt, insbesondere auf dem Weg hin zu Wildbad Kreuth, da bin ich, wie gesagt, skeptisch, aber auch da bin ich Anhänger der Aufklärung, die Hoffnung sollte man nicht aufgeben.
Grieß: Ein aufklärerisches Gespräch heute Morgen mit Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Herr Schäfer-Gümbel, danke für das Gespräch!
Schäfer-Gümbel: Herzlichen Dank, und Ihnen allen einen guten Rutsch!
Grieß: Danke, Ihnen auch einen guten Start ins neue Jahr! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.