Man dürfe nicht den Fehler machen so zu tun, als gebe es Misstände wie Sexismus und Antisemitismus nicht in Deutschland und dass die neu hinzugekommen Menschen diese mitgebracht hätten. Das sei leider aber der Ton in der Debatte. Gümüşay sprach von einer "herablassenden Art". Dahinter verberge sich immer auch ein gewisser Rassismus.
Besonders problematisch sieht die Publizistin, dass Beispielsweise Sexismus nicht mehr nur mit der Herkunft begründet werde, sondern auch durch die Religion. Dadurch habe sich auch das Rollenbild der muslimischen Männer hierzulande verändert. "Wenn Menschen mit bestimmten Stereotypen konfrontiert sind, dann haben Sie immer wieder das Phänomen beobachtet, das diese Menschen nach und nach anfangen, diesen Stereotypen zu entsprechen."
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Wir müssen den Flüchtenden beibringen, was Gleichberechtigung ist. Das ist eine immer wieder geäußerte Forderung vieler deutscher Politiker und Politikerinnen. Julia Klöckner zum Beispiel. Anfang Dezember da hat sie vorgeschlagen, Flüchtlinge per Vertrag zur Integration zu verpflichten, und damit sollten sie dann auch die Gleichberechtigung anerkennen. Was für ein Bild zeichnen solche Forderungen von Flüchtenden und können wir in Deutschland tatsächlich die Gleichberechtigungsflagge so hochhalten, wie wir es in dieser Diskussion immer wieder vorgeben zu tun? Darüber möchte ich sprechen mit Kübra Gümüşay, Feministin, Muslima, Publizistin. Guten Tag, Frau Gümüşay.
Kübra Gümüşay: Guten Tag, Frau Büüsker.
Büüsker: Muslimische Männer, die als Flüchtlinge zu uns kommen, müssen Integration lernen. Wie stehen Sie zu dieser These?
Gümüşay: Was wir auf jeden Fall tun müssen ist, tatsächlich einander Werte beibringen. Deshalb finde ich grundsätzlich es nicht schlimm, dass wir jetzt diese Frage diskutieren, wie können wir Menschen, die neu in unsere Gesellschaft dazukommen, unsere Werte beibringen. Was ich aber schwierig dabei finde und das ist genau das Problem: Wir tun das mit einer gewissen Arroganz, so als hätten wir selber unsere Werte bereits erreicht, was de facto einfach nicht stimmt. Wenn wir uns die Vergewaltigungszahlen anschauen, die vielen Sexismus-Debatten, die wir in den vergangenen Jahren geführt haben, da gibt es sehr große Probleme, die wir auch in unserer Gesellschaft haben.
Der Fehler, den wir nicht machen dürfen, ist zu tun, als wären Probleme wie Antisemitismus, Sexismus, Rassismus und Co. importiert worden, als sei Deutschland sozusagen frei von diesen Problemen und Missständen und die neu hinzugekommenen Menschen hätten diese Probleme sozusagen importiert. Das ist leider auch der Ton in der Debatte, wenn wir über die Integration von Geflüchteten sprechen, diese herablassende Art nach dem Motto, wir haben die Aufklärung erlebt, wir sind gefeit vor diesen Problemen, wir sind weiter und die Menschen, die neu hinzukommen, müssen das noch erlernen, wir müssen es ihnen beibringen.
Da haben wir eine Art Machtgefälle, was die Werte angeht, und damit verhindern wir einerseits, dass die Geflüchteten, wenn sie hier herkommen, einen Neuanfang starten können, weil sie anfangen mit der Prämisse, dass sie unsere Werte nicht teilen können aufgrund der Länder, von denen sie geflüchtet sind, und aufgrund ihrer Religion zum Beispiel, und damit müssen sie erst mal sich von bestimmten Stereotypen befreien. Wir haben ja diese Erfahrungen auch in der Vergangenheit gemacht: Wenn Menschen mit bestimmten Stereotypen konfrontiert sind, dann haben wir immer wieder das Phänomen beobachtet, dass diese Menschen nach und nach anfangen, diesen Stereotypen zu entsprechen, weil es viel einfacher ist, ihnen zu entsprechen, als sich gegen sie aufzubegehren. Und nicht alle haben die Kraft und Energie, um diese Arbeit zu leisten.
"Es gibt ja durchaus sexistische muslimische Männer"
Büüsker: Verbirgt sich hinter so einer Forderung danach, dass die muslimischen Männer beispielsweise Gleichberechtigung lernen müssen, auch immer ein gewisser Rassismus?
Gümüşay: Ja, auf jeden Fall. Wir haben ja in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder dieses Bild gehabt von den italienischen Gastarbeitern, dann später den türkischen Gastarbeitern, immer dieses Bild des fremdländischen Mannes mit hoher Potenz, Machos, sexistisch, herablassend zu Frauen, eine Gefahr für die deutsche Frau. Diese Bilder haben wir immer wieder reproduziert und in den vergangenen zehn Jahren hat sich dieses Bild vor allem fokussiert auf den muslimischen Mann. Das Spannende und das Traurige auch hier war, dass bei dem muslimischen Mann das nicht nur durch die Herkunft begründet worden ist, sondern auch durch die Religion. Man hat angefangen, theologische Argumente anzuführen, weshalb sie qua Religion verpflichtet seien oder die Religion darin als Ursache zu sehen sei, dass diese Männer sexistisch sind, weshalb auch eine gewisse Rechtfertigung stattgefunden hat dieser Diskriminierung.
Das hat dazu geführt, dass sich dieses Bild noch mehr verfestigt hat und es noch schwieriger ist, diese Debatte darum zu führen. Vor allem hat das dazu geführt: Es gibt ja durchaus sexistische muslimische Männer. Es hat dazu geführt, dass der Missbrauch der Religion für sexistische Argumente vereinfacht worden ist. Das macht die Arbeit für muslimische Frauen, muslimische Feministinnen besonders schwer, denn wenn wir in die theologischen Debatten gucken: die Religion gibt so etwas nicht vor. Ganz im Gegenteil!
Wenn man sich zum Beispiel das Leben des Propheten anschaut, des Propheten Mohammed: Er war ein Mann, der im Haushalt nicht nur geholfen hat; er hat im Haushalt gearbeitet. Ihm war es auch eine Verpflichtung. Er hat seine Kleidung selber geflickt. Die Rollenbilder, die wir von diesem muslimischen Mann haben, sind sehr geprägt davon, wie wir im Westen den muslimischen Mann sehen, und nicht so sehr basierend auf den Quellen und auf die theologischen Debatten in den vergangenen Jahrtausenden. Damit hat sich auch das Selbstbild leider verändert.
"Für mich ist Feminismus die freie Entscheidung für den jeweiligen Lebensstil"
Büüsker: Ein Punkt, der hier in Deutschland ja die Gemüter immer wieder zum Kochen bringt, ist das Kopftuch. Julia Klöckner beispielsweise, die fordert vehement ein sogenanntes Burka-Verbot. Sie tragen ein Kopftuch, bezeichnen sich als Feministin. Wie passt das zusammen?
Gümüşay: Es hängt davon ab, wie man den Feminismus begreift. Für mich ist Feminismus die freie Entscheidung für den jeweiligen Lebensstil und auch die Möglichkeit, diese freie Entscheidung für verschiedenste Frauen zu gewährleisten, für alle Frauen zu gewährleisten. Es gibt immer wieder sehr veraltete, finde ich, feministische Forderungen nach dem Motto, dass nur eine Art von Leben, nur eine Art von Leben der Frau, nur eine Art von Lebensstil und Kleidung befreiend sei und alle anderen nicht, und damit haben sie dieses veraltete Modell von damals der Hausfrau ersetzt durch ein neues Frauenbild, ein neues Frauenideal.
Da darf eine Frau nicht Kopftuch tragen, sie darf nicht so leben, wie ich es zum Beispiel tue, und damit haben sie eigentlich nicht die Frau befreit, sondern einfach nur ein neues Rollenbild, ein neues Ideal geschaffen und damit wiederum diskriminiert. Aber das ist natürlich nur der ältere Feminismus, von dem ich spreche. Die neueren, jüngeren Feministinnen, die intersektional leben, die sich mit verschiedenen Diskriminierungsformen beschäftigen, sind da durchaus offener und wir sind da auch durchaus viel, viel weiter.
Da ist es zum Beispiel überhaupt kein Problem, wenn eine Frau ein Kopftuch trägt oder auch andere Minderheiten, schwarze Frauen, jüdische Frauen und Co. fühlen sich durchaus willkommen in diesen Debatten, in diesen Kreisen. Deshalb dieser Widerspruch, von dem häufig viele sprechen, der besteht eher bei denen, die sich mit dem alten feministischen Diskurs auseinandersetzen. Die Jüngeren, Neueren, vor allem Netzfeministinnen sind da durchaus weiter.
Büüsker: Die Publizistin Kübra Gümüşay live hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.
Gümüşay: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.