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Integration von Flüchtlings-Kindern
Große Herausforderung für Schulen

Sie kommen aus dem Kosovo, Albanien, Afghanistan und Syrien und gehen auf deutsche Schulen: Auch Flüchtlinge haben das Recht auf einen Schulbesuch. Eine Studie zeigt jedoch, dass es bei der Schulpflicht für Kinder von Zuwanderern und Flüchtlingen erhebliche Lücken und Unterschiede in den Bundesländern gibt.

Von Christiane Habermalz |
    Eine Schülerin einer zweiten Klasse schreibt am 19.10.2012 in einer Schule in Hamburg das ABC an die Tafel.
    Wichtig sei, dass Kinder so früh wie möglich beschult würden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, empfiehlt Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator Instituts. (pa/dpa/Reinhardt)
    Dienstagmorgen in einer sogenannten Willkommensklasse in Berlin. Zehn Schülerinnen und Schüler zwischen 12 und 17 Jahren sitzen in einem kleinen Raum des Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasiums, um Deutsch zu lernen, fünf Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Sie kommen aus unterschiedlichen Herkunftsländern: Israel, dem Kosovo, Albanien, Afghanistan, der Türkei. Nur drei von ihnen haben Asylanträge gestellt, andere Schüler sind hier, weil ihre Eltern hier Arbeit gefunden haben. Gemeinsam ist allen nur: Sie kamen ohne Deutschkenntnisse nach Deutschland, und sie sind noch nicht länger als ein Jahr hier. Die Motivation, zu lernen, sei in der Regel zunächst groß, sagt Deutschlehrerin Gabi Spatt.
    "Es ist sehr verschieden. Wenn Sie Schüler haben, wo die Eltern auch stark drauf achten, dass Wissenserwerb wirklich ihnen eine bessere Zukunft bringen kann, ist die Motivation vielleicht nicht immer so groß, aber zumindest der Wille sehr groß, aber Sie haben manchmal Schüler, die möglicherweise hier allein sind, oder denen es doch sehr schwerfällt, weil die Lernvoraussetzungen, die sie aus ihrer Heimat mitbringen, häufig nicht so groß sind."
    Die Heterogenität der Gruppe wird sich noch verstärken, denn die Flüchtlinge, die jüngst nach Deutschland gekommen sind, sind zum großen Teil noch nicht an den Schulen angekommen.
    "Sie sollten schon vor etlichen Wochen kommen, aber ich würde annehmen, dass nach den Herbstferien die ersten hier bei uns eintreffen", erklärt Spatts Kollegin Susann Brachmann.
    Kontakte zu den anderen Schülern sind begrenzt
    Zwischen sechs und 12 Monaten bleiben die Kinder hier, je nach Lerngeschwindigkeit, dann sollen sie entweder in Regelschulen oder in Berufsschulen integriert werden. Auf das Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium werden sie danach kaum gehen. Und auch jetzt sind die Kontakte zu den anderen Schülern sehr begrenzt.
    "Mögliche Verknüpfungen je nach Vorkenntnissen der Schüler ist mal ein Unterricht in siebter, achter, neunter Klasse, kann stattfinden, dass sie schnuppern, dass sie einen Eindruck haben, wie ist regulärer Unterricht. Macht aber nur Sinne, wenn die Kinder entsprechend wirklich auch wollen. Viele haben auch Angst, erst mal Berührungsängste."
    Paralleles beziehungsweise teilintegriertes Unterrichtsmodell heißt das im Fachjargon. Es wird meistens in der weiterführenden Schule angewandt, in den Grundschulen werden die Kinder vorzugsweise gleich in die Regelklassen eingeschult – mit einem begleitenden Sprachunterricht. Welches Modell besser ist – darüber streiten die Pädagogen. Auch Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator Instituts für Sprachförderung, wollte dazu heute keine Bewertung abgeben.
    "Bevor man so was evaluieren kann, braucht man eine politische Verständigung darüber: Was ist uns am wichtigsten? Ist uns am wichtigsten, dass die schnell Deutsch lernen? Ist uns am wichtigsten, dass die schnell integriert werden? Ist uns am wichtigsten, dass die möglichst schnell zum Schulabschluss kommen? Das sind Ziele, die man auch bildungspolitisch definieren muss."
    Ohne Sprachförderung geht es nicht
    Klar nicht zu empfehlen sei allein die langjährige Praxis, Kinder ganz ohne Sprachförderung einfach in den Regelklassen unterzubringen. Das Mercator-Institut stellte heute eine erste Bestandsaufnahme der Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen vor. Ergebnis: Im Jahr 2014 sind knapp 100.000 Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen nach Deutschland gekommen – vier mal mehr als noch 2006. Dennoch machen sie erst ein Prozent unter den Gleichaltrigen aus. Die Zahlen für 2015 sind noch unvollständig, doch klar ist bereits: Im ersten Halbjahr dieses Jahres sind schon so viele Asylanträge in dieser Altersstufe gestellt worden, wie im ganzen Jahr 2014 zusammen. Besondere Herausforderungen kommen auf die weiterführenden Schulen zu, denn sie werden die meisten Kinder aufnehmen müssen. Wichtig sei, dass Kinder so früh wie möglich beschult würden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, empfiehlt Michael Becker-Mrotzek, Direktor des Mercator Instituts.
    "Wenn man sich vorstellt, dass ein Kind mit seinen Eltern vielleicht ein halbes Jahr auf der Flucht war, und dann hier noch einmal ein halbes Jahr wartet, bis es hier in die Schule gehen kann, dann ist ein Jahr Lernzeit verloren, und bei einem Zehnjährigen ist das schon ein erheblicher Anteil."
    Genau das wird aber in den Bundesländern bislang sehr unterschiedlich gehandhabt. In vielen Ländern beginnt die Schulpflicht erst nach dem Zuzug der zugewanderten Kinder in eine Gemeinde, in anderen spätestens nach drei oder sechs Monaten des Aufenthalts in Deutschland.