Kate Maleike: Kein Kind oder Jugendlicher mit Flüchtlingshintergrund darf zurückgelassen werden. Das ist das Ziel, das die Kultusminister der Länder auf ihrer Herbsttagung in Bremen jetzt in einer gemeinsamen Erklärung formuliert haben. Um dieses Ziel zu gewährleisten, heißt es darin, hätten Länder und Kommunen den enormen zusätzlichen Raum, Ressourcen und Personalbedarf schnell, unkonventionell und unbürokratisch gedeckt, doch die Herausforderung sei groß.
Udo Beckmann ist der Bundesvorsitzende des Verbandes Erziehung und Wissenschaft. Wenn die Kultusministerkonferenz, Herr Beckmann, sagt, die Integration und die Anstrengungen, die die Schulen übernehmen, seien schon zielführend, wir seien da auf einem guten Weg, wie sehen Sie das aus Perspektive der Lehrkräfte?
Udo Beckmann: Was richtig ist, ist, dass Lehrkräfte, Pädagoginnen und Pädagogen sich an den Schulen sehr stark engagiert haben, um die Integration von jungen Geflüchteten im Bildungsbereich zum Gelingen zu bringen, aber es sind noch viele Fragezeichen. Ich freue mich, dass die Kultusministerkonferenz die Arbeit wertschätzt, aber es ist noch viel zu tun. Wir haben in der Regel sehr große Lerngruppen dadurch bekommen, das heißt, die Themen, kleinere Lerngruppen zu schaffen, das Thema Inklusion ist ein Stück weit durch die Diskussion um Integration zurückgetreten, obwohl es nicht gelöst ist.
Ein zweiter Aspekt: Lehrerinnen und Lehrer erwarten, dass sie eine stärkere Unterstützung bekommen durch sogenannte multiprofessionelle Teams, in denen auch andere pädagogische Qualifikationen zur Verfügung stehen, zum Beispiel der Bereich der Sozialpädagogen, der Schulpsychologen - hier bestehen erhebliche Defizite.
Ein weiterer Aspekt, den wir sehen, ist, dass es kaum noch möglich ist, die zur Verfügung gestellten Stellen durch originär ausgebildete Lehrkräfte zu besetzen. Wir haben einen erheblichen Lehrermangel, sodass die ausgeschriebenen Stellen oft besetzt werden mit Personen, die erst pädagogisch qualifiziert werden müssen.
Von einem geordneten Betrieb noch ein Stück weit entfernt
Maleike: Ich nehme jetzt mal ein Echo, ein erstes, was gekommen ist, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die getitelt hat, es sei noch kein Grund, sich selbst zu feiern, und vor allen Dingen auch sagt, dass es immer noch zu lange dauert, bis zum Beispiel geflüchtete Kinder die Chance bekommen, in eine Kita zu gehen oder eine Schule zu besuchen. Das können Sie wahrscheinlich nur unterstreichen, oder?
Beckmann: Da sind wir in der Bewertung nicht auseinander. Ich habe ja gerade an einigen Beispielen deutlich gemacht, wo noch erhebliche Defizite bestehen. Ja, die Schulen haben sich der Herausforderung gestellt, haben das möglich gemacht, was unter den gegebenen Bedingungen möglich war, aber von einem geordneten Betrieb wieder zu reden, der all das, was Schule leisten muss, leisten kann, davon sind wir noch ein Stück weit entfernt.
Mehr Lehrkräfte für Deutsch als Fremdsprache nötig
Maleike: Ganz kurzes Wort noch zur deutschen Sprache und zur Frage, wie man die Kinder sozusagen dadurch auch integriert, dass man ihnen rechtzeitig Deutsch-Unterstützung gibt und ihnen die Möglichkeit gibt, eben die Zweit- oder Fremdsprache zu lernen. Läuft das aus Ihrer Sicht koordiniert genug, haben Sie genug Expertise zum Beispiel mit Lehrkräften, die Deutsch als Fremdsprache auch unterrichten?
Beckmann: Die Expertise ist nicht in genügendem Maße vorhanden. Die Länder haben sich bemüht, Lehrkräfte, die bereits im Dienst sind, durch Fortbildungen nachzuqualifizieren oder neue Kolleginnen und Kollegen einzustellen, die diese Qualifikation mitbringen, aber das ist noch auf dem Weg, das ist bei Weitem noch nicht erreicht, insbesondere nicht vor dem Hintergrund, dass wir wissen, dass Sprache eine Grundvoraussetzung für Integration ist.
Maleike: Denn die Kinder können darauf nicht warten, die Jugendlichen auch nicht. Viele von ihnen haben lange Zeit keine Schule besuchen können. Wenn man sich mit Lehrkräften unterhält, hört man auch immer sehr positiv, dass da ein sehr, sehr großer Wissensdurst ist und Schule ein besonderer Ort ist für diese Kinder. Wird das eigentlich zu wenig in der allgemeinen Diskussion betont?
Beckmann: Das wird sicherlich in der allgemeinen Diskussion zu wenig betont, aber entscheidend ist, dass wir diesen Kindern dann auch die Möglichkeiten bieten, die ihren Talenten entsprechend sind.
"Wir brauchen weiteres zusätzliches Personal"
Maleike: Was ist für Sie jetzt das Wichtigste, wo muss die Politik noch handeln?
Beckmann: Die Politik muss vor allen Dingen handeln, dass sie jetzt nicht sagen kann, wir haben eine Menge getan, und sich zurücklehnen, sondern es ist noch eine Menge zu tun. Wir brauchen weiteres zusätzliches Personal sowohl im Bereich der Lehrkräfte als auch im Bereich der multiprofessionellen Teams, und wir brauchen weiterhin ein umfangreiches Fortbildungsangebot in dem Bereich Umgang mit Heterogenität und kultureller Vielfalt.
Maleike: Udo Beckmann war das, der Bundesvorsitzende der Lehrergewerkschaft VBE zur Einschätzung der Schulsituation für Flüchtlingskinder.
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