Es sei sehr enttäuschend, dass einige Länder - wie etwa Polen und Tschechien - keine Kontingente übernähmen. Da sei Hilfe möglich, aber diese Länder würden es einfach nicht machen. Özoguz forderte zudem, dass Flüchtlinge aus Marokko oder Algerien, die nicht bleiben könnten, in ihre Heimat zurückgingen.
Nötig seien Kontingente bei der Aufnahme von Flüchtlingen, meinte Özoguz. Allerdings wolle sie keine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr, wie sie CSU-Chef Horst Seehofer gefordert hatte. Diese Zahl sei sehr willkürlich. Deutschland könne auch keine Mauer um sich bauen. Es gelte, einen kühlen Kopf zu bewahren, betonte die Integrationsbeauftragte.
Das Interview in voller Länge:
Mario Dobovisek: Es rumort in der Union im Streit um die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Da werden Unterschriften gesammelt und Briefe geschrieben. Am Ende lassen sich viele der Kritiker aber offensichtlich von ihrer Fraktions- und Parteiführung wieder zurückpfeifen. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Bosbach zeichnet bei uns gestern in den Informationen am Mittag ein gespaltenes Bild seiner Fraktion im Bundestag:
Wolfgang Bosbach: Grob gezeichnet, ein Drittel der Fraktion unterstützt den Kurs der Bundeskanzlerin aus voller Überzeugung. Ein Drittel ist eher skeptisch und erwartet eine Kurskorrektur. Und dann gibt es noch ein Drittel – es gibt viele Kolleginnen und Kollegen, die sagen, ja, ich teile eure Sorgen, aber da jeder Antrag mit der Aufforderung einer Kurskorrektur als Misstrauenserklärung gegenüber der Bundeskanzlerin interpretiert werden würde, ist es für uns wichtig, dass wir zusammenbleiben, und deshalb unterstützen sie diesen Kurs, auch wenn viele Zweifel haben.
Dobovisek: Zu Deutsch: Nur noch ein Drittel alle Unionsabgeordneten steht uneingeschränkt hinter dem Kurs der Kanzlerin. Umso wichtiger ist für sie der Rückhalt beim Koalitionspartner, der SPD, doch auch dort scheint die Zahl der Unterstützer abzunehmen.
Und am Telefon begrüße ich Aydan Özoguz. Sie ist stellvertretende SPD-Chefin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Guten Morgen, Frau Özoguz!
Aydan Özoguz: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
"Wir müssen weniger Flüchtlinge haben"
Dobovisek: Fraktionschef Oppermann meint, Merkel müsse zügig die versprochene europäische Lösung herbeiführen, und Ihr Parteichef Sigmar Gabriel setzt sogar eine Frist. Wenn die Maßnahmen im Frühling keine Wirkung zeigten, würden die Zahlen schwierig, sagt er. Steht die SPD noch hinter dem Flüchtlingskurs der Kanzlerin?
Özoguz: Ja, eines ist doch klar: Alle sind sich ja einig, und da sehe ich überhaupt gar keinen Widerspruch, dass tatsächlich die Zuzugszahlen begrenzt werden müssen. Wir müssen weniger Flüchtlinge haben, die allein nach Deutschland kommen. Und gleichzeitig wollen wir humanitäre Hilfe leisten. Das heißt, diese europäische Lösung ist wichtiger denn je. Was ich ein bisschen eigenartig finde, ist, dass europäische Länder nicht so sehr bemerken wollen, wie sehr letztes Jahr der Druck eigentlich aus dem Kessel genommen wurde, als Deutschland irgendwann gesagt hat, okay, jetzt gehen wir mal ein bisschen was vor, wir helfen. Und anstatt dann zu sagen, jetzt machen wir alle mit und übernehmen eben Kontingente, haben sich ja manche total abgeschottet, und das darf natürlich nicht so weiter gehen.
Dobovisek: Zuzug begrenzen, Frau Özoguz, ist das genau das, was Ihr Kollege Weil fordert?
Özoguz: Nein. Herr Weil spricht natürlich direkt aus der Kommune und aus dem Land heraus und sagt, wir merken hier die Stimmung, wir sehen, dass wir so, in diesem Zuzugsrahmen nicht weitermachen können. Das eine ist ja, faktisch Menschen unterzubringen, zu versorgen et cetera. Da hat Deutschland natürlich durchaus viele Kapazitäten, und wir haben das auch genutzt. Aber in dieser Geschwindigkeit, das hat man ja gemerkt, haben die Menschen schon irgendwann das Gefühl gehabt, wie soll das jetzt eigentlich weitergehen? Und deshalb haben wir sehr rechtzeitig ja auch gesagt, man muss diese Kontingente haben, man muss sich in Europa einigen. Es gibt ja auf dem Papier eigentlich eine gemeinsame europäische Asylpolitik, und davon merkt man eben nichts. Und dass das auch Menschen bei uns nicht in Ordnung finden, ist ja völlig nachvollziehbar.
Dobovisek: Kontingente mit einer Obergröße von 200.000?
Özoguz: Ich will jetzt nicht an die Zahlen von Herrn Seehofer irgendwie anschließen, die sehr willkürlich in meinen Augen gewählt sind.
"Ich würde eben nicht von Obergrenzen sprechen"
Dobovisek: Aber wie wäre denn Ihre Zahl?
Özoguz: Ich würde eben nicht von Obergrenzen sprechen, sondern ich würde sagen, wir müssen endlich zu diesen Kontingenten kommen - und da gibt es ja noch keine Zahlen, weil wir ja erst mal alle europäischen Länder dabei haben müssen. Es ist ja etwas anderes, ob sie auf 80 Millionen Menschen in Deutschland Menschen verteilen oder auf eine halbe Milliarde in Europa. Und da kommt es eben jetzt wirklich drauf an, zu sehen, wer hat welche Möglichkeiten, welche Kapazitäten. Es soll ja auch gar keiner wirklich überfordert werden, aber Sie sehen doch selbst, wie manche Länder agieren. Ich finde zum Beispiel sehr enttäuschend, was in Polen zurzeit los ist, aber auch in Tschechien und anderen Ländern. Da ist wirklich humanitäre Hilfe möglich, und sie machen es nicht. Und das dürfen wir einfach so nicht akzeptieren.
Dobovisek: 2015 kamen mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland. Was, wenn diese Zahl, wenn dieses Jahr noch einmal so viele kommen? Das wären dann mehr Menschen als in Deutschlands zweitgrößter Stadt Einwohner leben, nämlich in Hamburg. 60 Prozent der Befragten des ZDF-"Politbarometers" sagen, das schaffen wir nicht. Können Sie diese Skepsis nachvollziehen?
Özoguz: Ja, das kann ich nachvollziehen, weil es mischt sich im Moment natürlich auch wahnsinnig viel Angst unter diese ganze Aufnahmebereitschaft, sage ich mal, die ja wirklich bisher unglaublich spürbar war. Aber jetzt kommt vieles zusammen. Man hat mittlerweile das Gefühl, wer kommt da eigentlich, wird das genau überprüft? Da sind wir, glaube ich, sehr viel besser geworden. Aber was doch in Wahrheit keiner will, ist, dass wir von dieser Freiheit von Schengen komplett weg kommen. Das würde aber eben nach sich ziehen –
Dobovisek: Stefan Weil will das schon. Der regt die Binnengrenzen wieder an.
Özoguz: Nein. Er hat gesagt, das wäre ganz furchtbar, wenn wir eben da wieder zurück müssten. Sondern er sagt, wir müssen die europäischen Grenzen, also Außengrenzen, wieder ein Stück mehr unter Kontrolle bringen. Und das heißt ja, mit der Türkei stärker zusammenarbeiten, das heißt, Kontingente haben. Und das heißt natürlich auch, europäische Lösungen zu finden. Das wäre im Grunde jetzt der Weg, der sehr, sehr stringent jetzt vorankommen muss.
"Hier gilt es doch jetzt wirklich den kühlen Kopf zu behalten"
Dobovisek: Ich versuche es noch einmal in Richtung Kontingente, die Sie schon mehrmals angesprochen haben. Sie wollen keine Obergrenze haben. Aber wie groß darf denn ein Kontingent für Deutschland sein im Jahr 2016?
Özoguz: Das Problem der Obergrenzen, das sage ich jetzt gern noch mal, ist, dass sie einfach eine Illusion sind. Jetzt überlegen Sie sich mal, Sie machen das, was der Seehofer gesagt hat, wir legen irgendeine Zahl fest. Und dann sagen Sie, ab jetzt machen wir eine Mauer um Deutschland rum, und es ist uns egal, was in Europa passiert. Das ist auch für Deutschland nicht gut, denn dann wäre eine Abschottung jedes Landes - die würden die Flüchtlinge in andere Länder weiterschicken, die, die fliehen müssen, werden ja fliehen. Hier gilt es doch jetzt wirklich den kühlen Kopf zu behalten und noch mal deutlich zu machen, im Westbalkan ist es beispielsweise sehr gut gelungen, mit Abmachungen dafür zu sorgen, dass fast keiner mehr kommt im Moment.
Wir brauchen endlich weitere Abmachungen dahingehend, dass die Menschen, die hier nicht bleiben können, auch in ihre Länder zurückkehren. Das ist beispielsweise ja bei manchen Leuten aus Marokko der Fall, aus Algerien und aus anderen Ländern. Da würde ich mir mehr Druck wünschen. Und dann muss es eben so sein, dass jedes europäische Land sich auf ein bestimmtes Kontingent einigt - da gibt es ja auch von der Europäischen Kommission schon Vorschläge, wie das aussehen könnte. Aber eben so, dass man den Eindruck hat, alle haben sich fair daran beteiligt. Und dann wären die Zahlen ja auch deutlich geringer.
Dobovisek: Wie lange wird es noch Passkontrollen zum Beispiel an der deutsch-österreichischen Grenze geben?
Özoguz: Das vermag ich nun nicht vorauszusehen, nur wir müssen die Augen jetzt ja sehr offen halten. Das Frühjahr kommt. Wir wissen, dass sehr wahrscheinlich doch manche Zahlen zurückgegangen sind aufgrund des Winters. Aber das sieht man nicht erst an der deutsch-österreichischen Grenze, sondern das sieht man ja schon am Anfang der Fluchtwege. Das heißt, hier müssen wir jetzt tatsächlich darauf achten, dass alle mitmachen und dass wir eben auch Europa zusammenhalten. Das ist wirklich schon mehr als eine Bewährungsprobe Europas, sondern hier muss Europa zeigen, ob es eine Union sein will oder nicht. Und das heißt letztendlich, jeder macht mit. Und wir werden darauf achten müssen, dass wir humanitäre Verpflichtungen nicht von vornherein für jeden auf der Welt, der vor Krieg flieht, ausschließen.
"Das setzt voraus, dass die Zuzugszahlen begrenzt werden"
Dobovisek: Die AfD legt in den Umfragen zu und liegt inzwischen im zweistelligen Bereich. Wir stehen kurz vor den Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. Muss die SPD jetzt ihren Ton verschärfen, um gegenzuhalten?
Özoguz: Nein. Wir haben, glaube ich, sehr kontinuierlich immer wieder im Gleichklang gesagt, wir werden unseren humanitären Verpflichtungen gerecht. Und das haben wir ja nun mehr als auch erfüllt, muss man mal sagen, in Deutschland. Gleichzeitig muss man aber dafür sorgen, dass jeder das Gefühl hat, es geht gerecht zu - das habe ich jetzt oft genug gesagt, auch mit der europäischen Lösung. Und drittens muss man auch das Gefühl haben, dass man sich um die Menschen, die hier bei uns sind, auch kümmern kann. Dass man beispielsweise, weil es jetzt gerade immer wieder das Thema war, Straftäter herausfindet und auch zum Beispiel dann ausweisen kann, dass man aber der anderen großen Mehrheit auch gerecht wird, indem man sie wirklich in unsere Gesellschaft integrieren lässt, indem man ihnen auch näher kommt und ihnen Chancen gibt. Das hat ja kaum begonnen bisher aufgrund des Krisenmodus, wenn man so will. Und jetzt müssen wir aber zu einer sehr guten Struktur übergehen können. Das setzt voraus, dass die Zuzugszahlen begrenzt werden.
Dobovisek: Schauen wir uns die Integration an: In Bornheim bei Bonn dürfen männliche Flüchtlinge nicht mehr schwimmen gehen, weil es zu viele Beschwerden gegeben habe. Auch die Silvesternacht von Köln wird vermutlich noch lange nachhallen. Was sagt uns all das über das Integrationsvermögen Deutschlands?
Özoguz: Na ja, das sind ja Menschen, die gerade wahrscheinlich da sind. Da kann man wirklich noch nicht von großer Integration sprechen. Aber ich kann verstehen, wenn da eine große Verunsicherung da ist. Das Schwimmbad öffnet ja auch jetzt wieder für alle, und da war einfach eine Sache sehr fatal daran: Dass nämlich alle Flüchtlinge unter so einen Generalverdacht gestellt werden. Und das ist ja immer wieder das große Problem. Einige machen Unsinn oder machen auch ganz schlimme Dinge wie jetzt zum Beispiel in Köln, und dann geraten alle unter Verdacht.
Und das müssen wir eben ausschließen, indem wir sehr deutlich machen - und das ist jetzt Gott sei Dank ja auch tatsächlich schon in einigen Fällen gelungen, dass Menschen festgenommen worden sind, dass man ihnen das auch zuweisen kann, dass sie Taten begangen haben in der Silvesternacht, und dass wir diese Menschen eben auch wirklich dann, wenn es möglich sein sollte, ausweisen. Das, glaube ich, sind wichtige Signale, damit nicht so das Gefühl entsteht, irgendwo mischen die sich da alle drunter, und ich weiß gar nicht, wem ich hier gegenüberstehe. Die große Mehrheit der Flüchtlinge, und das sagen sie selber ja immer wieder, bittet wirklich darum, nicht unter so einen Verdacht gestellt zu werden und auch nicht immer wieder so misstrauisch beäugt zu werden. Sie wollen einfach Integrationsmöglichkeiten haben und sich selbst auch einbringen. Und ich glaube, das müssen wir ihnen auch ermöglichen.
"Nicht über weitere Steuern nachdenken"
Dobovisek: Integration kostet Geld. Ihr Kollege aus dem Kabinett, der Finanzminister Wolfgang Schäuble, schlägt eine europaweite Benzinsteuer zur Finanzierung der Flüchtlingshilfe vor. Ist das ein möglicher Weg?
Özoguz: Ich wurde ja nun immer wieder gejagt mit einer falschen Meldung, ich hätte eine Integrationssteuer gefordert, was absolut falsch war, ich habe das nie getan. Ich glaube ehrlich gesagt, dass man hier nicht an zusätzliche Steuern denken sollte, sondern darüber nachdenken sollte, wie wir zwischen Bund und Ländern wirklich zu guten Lösungen kommen. Wir haben ja zurzeit auch eine sehr gute Wirtschaft. Und man muss sagen, wir haben trotz dieses ja wirklich riesigen Engagements unseres Landes, unserer Gesellschaft, unserer Kommunen, es doch geschafft, auch unseren Haushalt halbwegs beisammenzuhalten. Das muss man einfach erst mal schaffen. Das kann eben auch nicht jedes andere Land.
Ich würde an dieser Stelle davor warnen, über weitere Steuern nachzudenken, sondern eher daran denken, wie kann man denn klug wirklich die Systeme so schaffen, auch die Verwaltung, die teilweise sehr gut funktionieren, manche eben eher weniger, dass man am Ende sagen kann, wir haben sehr stringent daran gearbeitet, dass wir schnell Entscheidungen fällen darüber, ob Menschen hier bleiben können oder auch nicht, dass wir sie dann aber auch sehr schnell in die ganz normalen Maßnahmen hineinbringen, damit sie zu guten Nachbarn werden können, wenn sie bleiben, und wenn sie nicht bleiben dürfen, natürlich auch schnell dafür sorgen, dass sie dann in ihre Länder zurückgehen.
Dobovisek: Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen, Frau Özoguz!
Özoguz: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.