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Integrationsbeauftragte Widmann-Mauz
"Wir müssen sensibler dafür werden, wo Rassismus stattfindet"

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, hat einen verstärkten Einsatz gegen Rassismus gefordert. Es gäbe viele Migrantinnen und Migranten, die schlichtweg Angst hätten. Ihnen müsse kurzfristig etwa mit anonymen Anlaufstellen geholfen werden, sagte Widmann-Mauz im Dlf.

Annette Widmann-Mauz im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Annette Widmann-Mauz trägt den Integrationsreport im Dezember 2019 in Berlin vor
Annette Widmann-Mauz ist CDU-Politikerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (AA)
"Wir haben Angst!" Das sagen nach den rechtsextremen Anschlägen der Vergangenheit viele Menschen in Deutschland, die eine sichtbare Migrationsbiographie haben, oder denen man eine solche aufgrund ihres Aussehens zuschreibt – mit anderen Worten, die nicht weiß sind, die von Rassisten als fremd definiert werden, so wie die Opfer von Hanau. Viele dieser Menschen fühlen sich derzeit in Deutschland nicht ausreichend gestützt, fühlen sich von der Politik durchaus im Stich gelassen. Das ist heute auch Thema beim Integrationsgipfel im Kanzleramt. Im Vorfeld hatte es erhebliche Kritik an der Bundesregierung gegeben. Annette Widmann-Mauz sprechen, CDU-Mitglied und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, spricht im Interview über Hilfsmaßnahmen für Opfer rassistischer Angriffe und Horst Seehofers These, Migration sei die Mutter aller Probleme.
Ann-Kathrin Büüsker: Frau Widmann-Mauz, wir haben Solingen, Mölln, Hoyerswerda, die NSU-Morde, den Anschlag auf das Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Das sind alles rassistisch motivierte, rechtsextreme Gewaltverbrechen der Vergangenheit. Warum begreift die Bundesregierung Rassismus erst jetzt als ein Problem?
Annette Widmann-Mauz: Das tut sie nicht. Die Bundesregierung hat einen Aktionsplan Rassismus verabschiedet. Aber im Lichte der Entwicklungen gerade auch der letzten Wochen und Monate müssen wir generell überprüfen, ob unsere Strategien ausreichen. Deshalb kommen wir ja auch heute Vormittag mit den Migranten-Organisationen zusammen. Die Bekämpfung von Rassismus, von grundlegender Menschenfeindlichkeit, muss sich wie ein roter Faden durch unsere Arbeit ziehen und ich bin deshalb sehr froh, dass auch der Nationale Aktionsplan Integration dieses Querschnittsthema bearbeitet und sogar mit einem eigenständigen Forum sich diesen Fragen explizit widmet.
Christoph Möllers ist Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
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"Wir sind eine Einheit"
Büüsker: Es mangelt nun ja nicht an Stimmen, die Rassismus beklagen, und das schon seit Jahren. Liegt das vielleicht auch daran, wie wir das ja im B!eitrag gehört haben, an der mangelnden Selbsterfahrung unter anderem der Bundesregierung? Im Bundeskabinett gibt es drei Saarländer, aber niemanden mit Migrationsgeschichte.
Widmann-Mauz: Politik wird ja von vielen Akteuren gestaltet. Im Deutschen Bundestag haben wir Vertreterinnen und Vertreter mit Migrationsgeschichte, im Übrigen auch in der Bundesregierung. Katarina Barley hat die Bundesregierung nach Europa verlassen. Aber das ist doch keine Entschuldigung. Wir müssen generell sensibler dafür werden, wo Rassismus stattfindet. Früher wurde der Begriff ja peinlichst vermieden. Wir haben von Fremdenfeindlichkeit gesprochen, obwohl es sich längst darum nicht mehr dreht. Wir müssen zunächst einmal erkennen, wir müssen auch benennen, welche Mechanismen hier stattfinden, denn wenn wir nicht wissen, worüber wir sprechen, können die entsprechenden Maßnahmen auch nicht wirksam greifen. Und deshalb: Wir sind eine vielfältige Gesellschaft. Wir dürfen nicht trennen in wir und ihr, sondern wir sind eine Einheit. Und wenn man das, was sich dazu bekennt, wenn man das auch mit Nachdruck ausdrückt, dann, bin ich der festen Überzeugung, werden wir auch die Maßnahmen verstärken können, die jetzt notwendig sind.
Büüsker: Da würde ich gerne ein ganz aktuelles Beispiel bringen von heute Morgen. Da hat Manfred Weber (CSU) hier bei uns im Deutschlandfunk mit Blick auf die Flüchtlinge, die wir derzeit an der griechischen Grenze sehen, von einem kollektiven Angriff gesprochen. Er nimmt ihnen ihre Individualität, reduziert sie auf ihre Gruppenzugehörigkeit und stellt sie als Gefahr dar. Ist das nicht auch Rassismus?
Widmann-Mauz: Ich kenne das Zitat nicht, auch nicht im Zusammenhang, in dem es gesprochen wurde. Die Situation an der türkisch-griechischen Grenze macht uns sehr besorgt und deshalb ist es auch sehr wichtig und notwendig, dass die Gespräche auf diplomatischer Ebene sehr schnell auch effektiv geführt werden. Denn die Menschen dürfen nicht die Leidtragenden sein, die zwischen den Konflikten der Türkei und in Syrien mit Assad ausgetragen werden. Genauso wenig dürfen Menschen zu einer Verhandlungsmasse degradiert werden, denn es geht um individuelles Leid.
"Wir müssen sehr sensibel mit Sprache umgehen"
Büüsker: Okay, Frau Widmann-Mauz. Dann vielleicht ein anderes Beispiel, was wir alle wahrscheinlich noch im Kopf haben. Horst Seehofer 2018, der sagt, Migration ist die Mutter aller Probleme. Ist das rassistisch?
Widmann-Mauz: Das sind Einschätzungen, von denen ich noch nicht im Kern davon ausgehe, dass sie rassistisch sind. Aber sie befördern eine Stimmungslage und wir müssen sehr sensibel mit Sprache umgehen. Wichtig ist, dass wir deutlich machen, dass Vielfalt auch notwendig und wichtig und eine Bereicherung für uns sein kann, dass wir Menschen, die unterschiedlicher Religion, unterschiedlicher Herkunft sind, nicht als Bedrohung, sondern als Mitmenschen wahrnehmen. Wir gehören zusammen! Es gibt viele, viele Menschen, mittlerweile mehr als jeder vierte und jede vierte, die einen Migrationshintergrund, eine Migrationsgeschichte in unserem Land haben. Sie haben große Verdienste für unser Land und das müssen wir auch im Alltag immer wieder zum Ausdruck bringen.
Büüsker: Und wie wollen Sie das den Menschen in Deutschland begreiflich machen?
Widmann-Mauz: Zunächst, indem wir natürlich auch unsere Bildung und unsere interkulturelle Kompetenz stärken. Aber lassen Sie mich in diesen Tagen wirklich sagen: Es gibt viele Migrantinnen und Migranten, die haben schlichtweg Angst. Sie fühlen sich nicht sicher und ihnen müssen wir kurzfristig die Hilfe angedeihen lassen, die notwendig ist. Dazu habe ich den Vorschlag gemacht, ein Hilfetelefon einzurichten, damit Menschen, die Rassismus im Alter erfahren, die bedroht werden, oder Menschen, die sehen, wie andere Menschen rassistisch angegangen werden, kompetent und anonym entsprechend Hilfe bekommen. Ich habe meine Mittel für die Opferberatung, auch mobile Beratung schon zu Beginn des Jahres verdreifacht. Das reicht nicht aus und deshalb müssen wir – und darüber bin ich froh – mit den Migranten-Organisationen über weitere Maßnahmen sprechen.
Büüsker: Da helfen Sie zwar den Opfern, aber die Täter bleiben ja wieder ohne Konsequenzen.
Widmann-Mauz: Nein! Dazu hat die Bundesregierung ja bereits vor zwei Wochen einen Gesetzentwurf im Kabinett verabschiedet, wo wir gegen Hasskriminalität vorgehen. Das gehört zusammen, präventiv arbeiten. Wir müssen in der Strafverfolgung die entsprechenden Grundlagen schaffen, damit wir hier zu Ergebnissen kommen.
Büüsker: Frau Widmann-Mauz, darf ich da ganz kurz einhaken? Viele, die von Rassismus betroffen sind, berichten ja oft von Dingen, die gar nicht strafrechtlich relevant sind, sondern eher von Situationen des Alltags-Rassismus.
Widmann-Mauz: Genau.
"Wir brauchen anonyme Anlaufstellen"
Büüsker: Wo sie ausgegrenzt werden, nur weil sie aussehen wie sie aussehen. Da kommen Sie mit Strafrecht gar nicht dran.
Widmann-Mauz: Nein! Aber da brauche ich zunächst einmal die Sensibilität dafür, dass solche Anfeindungen rassistisch sind. Ich brauche kompetente Hilfe, und zwar für diejenigen, wie gehe ich mit solchen Anfeindungen um, wie kann ich denjenigen den Rücken stärken, die entsprechend sich wehren müssen. Und wir brauchen anonyme Anlaufstellen, wenn Sie so wollen, Ombudspersonen, die dann, wenn solche Angriffe gemeldet werden, wenn auffällig wird, dass es Menschen gibt, die andere herabwürdigen, aufgrund ihrer Herkunft, aufgrund ihres Aussehens oder ihrer Religion, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden können. Dazu haben wir in der Organisation entsprechende Anlaufstellen und dort, wo wir sie noch nicht haben, bin ich der festen Überzeugung, müssen wir sie schaffen, zum Beispiel in der Polizei.
Büüsker: Wenn es aus Ihrer Sicht so wichtig ist, Rassismus auch im Kleinen zu benennen, dann verstehe ich nicht, warum Sie sich heute Morgen so schwergetan haben, die Aussage von Horst Seehofer von 2018, die ich eben zitiert habe, als Rassismus zu kennzeichnen.
Widmann-Mauz: Migration ist notwendig. Sie ist eine Tatsache. Deshalb brauchen wir sie nicht bewerten, sondern wir müssen alles dafür tun, dass sie zu einem guten Zusammenleben führt, und dafür ist der Nationale Aktionsplan Integration das richtige Instrument.
Büüsker: Jetzt haben Sie aber wieder nicht gesagt, ob das von Horst Seehofer rassistisch war oder nicht. Wie ist denn da Ihre Einschätzung?
Widmann-Mauz: Ich halte solche Aussagen für nicht hilfreich, weil sie uns nicht helfen, die wahren Probleme, mit denen wir im Alltag konfrontiert sind, zu lösen. Und deshalb: Wir müssen die Integration in unserem Land stärken. Migration ist eine Tatsache. Sie hat in der Vergangenheit für unser Land in vielfacher Hinsicht sich positiv ausgewirkt. Aber Migration und Vielfalt sind auch anstrengend und deshalb dürfen wir uns auch nicht vor den Problemen herumdrücken, sondern wir müssen sie offen angehen, und dazu ist der Dialog und vor allen Dingen die Zusammenarbeit mit den Migranten-Organisationen sehr, sehr hilfreich und wichtig, und dafür bin ich sehr dankbar.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.