Tobias Armbrüster: Wir sind bei einem Thema, das seit dem Wochenende deutschlandweit für Schlagzeilen und Debatten sorgt. Die Fotos im Internet haben das alles ausgelöst, Fotos, auf denen die beiden Nationalspieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan zu sehen sind gemeinsam mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Die beiden Fußballer überreichen dem Präsidenten ihre Trikots, Gündogan hat den Satz dazu geschrieben: "Mit großem Respekt für meinen Präsidenten". Das Ganze hat wie gesagt zu einer groß angelegten Diskussion darüber geführt, ob das wirklich geht: Für die deutsche Nationalmannschaft spielen und sich gleichzeitig mit Erdogan quasi verbrüdern. Wir können das jetzt ausführlich besprechen, am Telefon ist Annette Widmann-Mauz von der CDU, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Schönen guten Morgen!
Annette Widmann-Mauz: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
"Keine Glanzleistung auf dem politischen Parkett"
Armbrüster: Frau Widmann-Mauz, brauchen diese beiden Fußballer Nachhilfe in Integration?
Widmann-Mauz: Ich finde, es war keine Glanzleistung auf dem politischen Parkett, die wir von beiden Nationalspielern gesehen haben. Sie haben eine Vorbildfunktion, und deshalb ist es sicherlich nicht gut gewesen, dass sie sich von Erdogan hier für Wahlkampfzwecke hergegeben haben. Denn viele Kritiker von Herrn Erdogan stecken in türkischen Gefängnissen, und das passt nicht zu dem, was das Leitbild auch der Kampagnen des DFB ist, aber es passt natürlich dann auch nicht zu den Werten, die unsere Nationalmannschaft auch nach außen verkörpert.
"Es geht um die Werte, die unser Land auszeichnen"
Armbrüster: Wer entscheidet das denn eigentlich, welcher Person ein Nationalspieler die Hand geben darf oder nicht?
Widmann-Mauz: Nein. Wir leben in einem freien Land, und deshalb können die Bürgerinnen und Bürger auch Menschen begegnen, auch Staatspräsidenten. Aber wir haben es hier nicht mit unserem Nachbarn zu tun, sondern es geht um Nationalspieler, und wir sind kurz vor einer Weltmeisterschaft. In der Türkei finden Wahlen statt. Und deshalb erfordert es ein größeres Maß an Sensibilität im Umgang mit solchen Situationen. Ich finde es gut, dass sich beide Spieler ja auch mittlerweile erklärt haben, dass ihnen die Brisanz dieser Situation mittlerweile auch bewusst ist. Und die Debatte darüber ist wichtig und notwendig, denn es geht um die Werte, die unser Land auszeichnen. Aber wie gesagt, wir leben in einem freien Land, und auch unterschiedliche politische Meinungen gehören dazu. Die akzeptieren wir. Aber die Auseinandersetzung darüber findet bei uns dann auch nach entsprechenden Spielregeln statt.
Sensibler Umgang gefordert
Armbrüster: Und diese politischen Kenntnisse, die erwarten Sie von Fußballern?
Widmann-Mauz: Ich erwarte nicht, dass ein Fußballer von heute auf morgen ein Diplomat wird, aber ich erwarte von einem Fußballnationalspieler, dass er sich seiner Vorbildfunktion bewusst ist, und dass auch, wenn er in schwierige Situationen kommt, nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch außerhalb des Spielfelds, dass er damit sensibel umgeht. Und wie gesagt, die beiden haben sich erklärt, und das finde ich jetzt auch gut so.
"Eine Frage der politischen Haltung"
Armbrüster: Mal angenommen, es wären amerikanische Fußballer oder Fußballer mit amerikanischem Migrationshintergrund, und sie hätten in diesen Tagen Donald Trump die Hand geschüttelt, da könnte man ja auch sagen, das ist ein Mann, der jetzt nicht gerade unbedingt für deutsche Werte, für deutsche Politik und für Einigkeit zwischen den beiden Ländern eintritt. Hätte man das auch verurteilen müssen?
Widmann-Mauz: Wir hätten sicherlich auch Diskussionen dann, wenn sich gerade der amerikanische Präsident im Wahlkampf befinden würde. Und deshalb, wir reden ja jetzt hier über eine Frage der politischen Haltung und der Haltung von Fußballnationalspielern, aber durchaus auch einem Präsidenten gegenüber, in dessen Gefängnissen deutsche Journalisten sitzen mit zum Teil sehr fragwürdigen Verfahren. Und vor dem Hintergrund ist es berechtigt, eine Diskussion darüber zu führen. Und das gehört auch zu unserem Land, dass diese Auseinandersetzung auch mit Fußballnationalspielern stattfinden darf.
"Es gibt Situationen, in denen Politik eine Rolle spielt"
Armbrüster: Es gibt jetzt in Deutschland Millionen von Menschen, die familiäre Verbindungen in ein anderes Land haben, Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund, mit Vater oder Mutter, die aus einem anderen Land kommen. Kann man das wirklich verurteilen, wenn solche Menschen dann Verbindungen in diese zweite Heimat pflegen und vor allen Dingen, wie es in diesem Fall ja auch gesagt wurde, wenn man dann aus Höflichkeit eben auch mal einem Politiker aus diesem Land die Hand gibt. Ist das nicht eigentlich etwas völlig Natürliches?
Widmann-Mauz: Nein. Wir müssen natürlich respektieren, dass Menschen, die familiäre Wurzeln in einem anderen Land haben, auch dazu eine Emotion entwickeln und diese auch leben. Ich finde, das ist normal, und damit müssen wir auch entspannt umgehen. Aber dennoch gibt es Situationen, in denen Politik eine Rolle spielt und in denen ein Fußballnationalspieler, der die Bundesrepublik Deutschland in einem internationalen Turnier repräsentiert, an den andere Maßstäbe angelegt werden als wie gesagt an viele Hunderttausende von Menschen, die natürlich auch Loyalitäten, auch Verbindungen zu ihren Wurzeln pflegen und dies auch ausdrücken wollen. Und es ist immer eine Gratwanderung, deshalb nennt man es ja auch politisches Parkett, auf dem man durchaus auch mal ausrutschen kann. Und deshalb ist das keine Verurteilung, sondern es ist eine Debatte darüber, wo die Grenzen sind und wo wir auch mehr Sensibilität einfordern. Und deshalb, finde ich, dürfen wir auch mit einer solchen Situation durchaus etwas entspannter umgehen. Aber wir müssen auch zum Ausdruck bringen, wo wir dann auch unsere Beschwerden mit haben. Und der Bundespräsident von Herrn Gündogan heißt auch Frank-Walter Steinmeier, und das darf dann in dieser Situation auch zum Ausdruck kommen.
"Werte würdigen, die in unserem Land gelebt werden"
Armbrüster: Dann ist die Botschaft jetzt an junge Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund, bitte kappt diese Verbindungen in die zweite Heimat, kümmert euch um die Institutionen und um eure Vertreter hier in Deutschland, alles andere bitte streichen, bitte vergessen.
Widmann-Mauz: Nein, das habe ich ja auch nicht gesagt, sondern ich hab zum Ausdruck gebracht, dass Menschen, die ihre Wurzeln in anderen Ländern haben, auch diese familiären Wurzeln, auch die kulturellen und traditionellen Wurzeln nicht verleugnen müssen. Darum geht es nicht. Aber es geht darum, dass, wenn wir Repräsentanten, die unseren Staat auch in sportlichen Veranstaltungen dann vertreten, dass wir ihnen gegenüber auch zum Ausdruck bringen dürfen, dass wir von ihnen erwarten, dass sie die Werte, die in unserem Land gelebt werden, Respekt, Toleranz, Meinungsfreiheit, dann auch, wenn sie in dieser Rolle unterwegs sind, auch entsprechend würdigen.
"Wir legen da auch entsprechende Maßstäbe an"
Armbrüster: Wie finden Sie es dann, dass die beiden jetzt tatsächlich nominiert sind für den WM-Kader?
Widmann-Mauz: Das finde ich richtig. Wie gesagt, sie haben sich beide erklärt. Ich glaube, auch die Debatte jetzt um diese Fotos hat noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig uns unsere Nationalmannschaft ist, wie stolz wir auf die sportlichen Leistungen sind. Aber es sind auch Repräsentanten für unser Land, für unsere Werte, und da wollen wir auch stolz drauf sein. Und deshalb legen wir da auch entsprechende Maßstäbe an.
"Wir sollten uns auch nicht instrumentalisieren lassen"
Armbrüster: Und jetzt mit der Distanz von 48 Stunden, kann man vielleicht sagen, so einige Kommentare, die direkt danach kamen, waren etwas vorschnell, vielleicht etwas zu harsch?
Widmann-Mauz: Sie drücken auch Empfindungen und Emotionen aus. Aber es ist gut, dass wir sachlich darüber reden, und wir sollten uns auch nicht instrumentalisieren lassen von denjenigen, die schlichtweg etwas gegen Ausländer in unserem Land haben oder gegen andere Nationalitäten und Menschen mit Migrationshintergrund in unserer Fußballnationalmannschaft. Die Mesuts, die Özils, die Gündogans gehören zu unserem Land, sie gehören zu unserer Nationalmannschaft. Wir wollen sportlich auf sie stolz sein, und wir wollen auch, dass sie sich auf dem politischen Parkett dann, wenn sie sich auf dieses Parkett begeben, Sensibilität für unsere Empfindungen an den Tag legen. Um nicht mehr, aber auch um nicht weniger geht es.
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