Doris Simon: Am zweiten Tag wie gesagt das Integrationsgesetz. Die Eckpunkte liegen schon länger vor; jetzt haben die Koalitionspartner CDU, SPD und CSU auch die letzten zwei Streitpunkte aus dem Weg geräumt. Wer hinreichende Sprachkenntnisse hat und überwiegend für seinen Lebensunterhalt sorgen kann, der darf bleiben in Deutschland nach einer Frist von fünf Jahren. Und: Der Staat darf Flüchtlingen den Wohnort vorschreiben. Professor Christine Langenfeld ist Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, und sie habe ich gefragt, ob dieser Entwurf denn tatsächlich die Integration von Flüchtlingen unterstützt.
Christine Langenfeld: Ich denke, dass dieser Entwurf in die richtige Richtung geht, und zwar sowohl was die Anforderungen an den dauerhaften Aufenthalt betrifft, als auch was die Verhängung einer sogenannten Wohnsitzauflage betrifft. Und wenn ich mir die Letztere mal anschaue, die Wohnsitzauflage, so steht im Gesetzentwurf drin, dass die Wohnsitzauflage der Integration dienen soll. Das heißt, sie soll den Erwerb von Qualifikationen, den Erwerb von Sprachkenntnissen, den Kontakt mit der sonstigen Bevölkerung fördern. Wenn sie das nicht tut, darf sie nicht verhängt werden. Das heißt, der Gesetzgeber hat in das Gesetz oder wird in das Gesetz solche Anforderungen schreiben, denn eine Wohnsitzauflage ist natürlich ein starker Eingriff in die Freiheitsrechte der Flüchtlinge und muss deswegen auch entsprechend stark begründet werden mit solchen Integrationserfordernissen.
Ich möchte hinzufügen, dass natürlich es ganz verständlich ist, dass Flüchtlinge, die einen langen schweren Weg hinter sich haben, erst mal danach streben, dorthin zu ziehen, wo auch andere Flüchtlinge sind. Das ist etwas zutiefst Menschliches und kann auch am Anfang die Integration befördern. Aber es darf nicht zur Sackgasse werden und deswegen ist die Wohnsitzauflage, wenn sie vernünftig und verhältnismäßig eingesetzt wird, und zwar wirklich nur dann, wenn Menschen noch keine eigene Arbeitsstelle gefunden haben, dann kann das ein vernünftiges Instrument zur Integrationsförderung sein.
"Während des Asylverfahrens besteht ja ohnehin keine freie Wohnsitzwahl"
Simon: Aber ist das denn sinnvoll, was bei Ihnen so anklingt, am Anfang geht man dahin, wo man Menschen aus der eigenen Volksgruppe, aus dem eigenen Land kennt, und wenn das dann nicht funktioniert mit Job und Integration, dann kümmert sich der Staat darum, dass man da rausgerissen und woanders hinkommt?
Langenfeld: Ich denke, es wird so sein, dass die Wohnsitzauflage bereits erteilt wird nach der Anerkennung. Das heißt, wenn der Flüchtlingsstatus feststeht und zuerkannt wird, …
Simon: Das kann ja Monate dauern.
Langenfeld: Das kann Monate dauern. In dieser Zeit während des Asylverfahrens besteht ja ohnehin keine freie Wohnsitzwahl. Das heißt, die Menschen werden zugewiesen in die Länder nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel. Und das Gesetz sieht nun vor, dass die Flüchtlinge grundsätzlich auch in diesem Land bleiben müssen nach der Anerkennung, und die Wohnsitzauflage ist ein Instrument, das erst nachdem der Flüchtlingsstatus zuerkannt ist überhaupt eingreift. Dann muss sie allerdings sehr schnell umgesetzt werden und die Länder müssen sich nun auf ihrer Ebene überlegen, wie sie das gestalten. Insofern bietet das Gesetz flexible Möglichkeiten. Das heißt, es wird Länder geben, die möglicherweise keine Wohnsitzauflage einführen werden, und es wird Länder geben, die sagen, nein, wir haben bestimmte Orte, an denen Flüchtlinge wahrscheinlich zusammenkommen, an denen wir aber keinen Wohnraum haben, an denen wir wenig Arbeitsplätze haben, und das kann in niemandem Interesse sein. Diese Länder werden das möglicherweise einführen, dann aber abgestimmt auf die jeweiligen örtlichen Verhältnisse, und das ist eine gute Sache, dass dieses Instrument so flexibel ist.
"Man muss diese Regelung auch im Gesamtkontext der Regelungen sehen"
Simon: Frau Professor Langenfeld, man hat sich auch in einer anderen Sache geeinigt in der Koalition. Da geht es um die Bedingungen für den langfristigen Aufenthalt in Deutschland für Flüchtlinge. Da war ja sehr umstritten, was für ein Sprachniveau brauchen die Flüchtlinge. Jetzt sagt man, hinreichende Sprachkenntnisse. Im Fachbegriff heißt das Niveau A2. Die Union hatte ja ein höheres Sprachniveau B1 gefordert. Und die zweite Frage in dem Zusammenhang war, muss der Flüchtling seinen Unterhalt selber sichern können, damit er langfristig hier bleiben kann. Jetzt hat man sich geeinigt, er muss ihn überwiegend sichern können. Er muss einen Job nachweisen, aber nicht seinen kompletten Lebensunterhalt damit bestreiten können. Wie groß ist da die Gefahr, dass viele Flüchtlinge diese beiden Bedingungen erfüllen, aber trotzdem dauerhaft in der Grundsicherung landen, weil ihr Deutsch nicht gut genug ist und ihr Job nicht zum Lebensunterhalt reicht?
Langenfeld: Ich denke, wir müssen alles daran setzen, dass Menschen zumindest teilweise in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Natürlich wird es möglicherweise einige geben, die dieses nicht erreichen, aber ich denke, das ist erreichbar. Die überwiegende Sicherung des Lebensunterhaltes ist eine Anforderung, von der man doch annehmen kann, dass die Menschen das in der Regel nach fünf Jahren auch schaffen. Man muss diese Regelung auch im Gesamtkontext der Regelungen sehen. Das deutsche Recht sieht immer für alle Ausländer, die aus Drittstaaten kommen, einen unbefristeten Aufenthalt nur unter bestimmten Bedingungen vor, und zwar sind die Bedingungen für Nichtflüchtlinge härter als die Bedingungen, die jetzt vom Gesetzgeber ins Auge gefasst werden, und das ist auch ein Grundsatz der Gleichbehandlung. Warum sollen Flüchtlinge, die fünf Jahre sich im Land aufhalten und zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen bekommen - das ist natürlich Bedingung -, nicht gewisse Anforderungen erfüllen müssen, um einen unbefristeten Aufenthaltstitel zu bekommen. Die Anforderungen sind etwas herabgesenkt worden, das ist richtig, weil man auf die Lebenssituation der Flüchtlinge Rücksicht nehmen muss, auf ihre Ausgangssituation. Aber dass man das bedingungslos macht, das halten wir für eine Sache, die so nicht geboten ist, und insofern ist diese maßvolle Regelung ein richtiger Weg, der in die Richtung der Gleichbehandlung der Flüchtlinge mit anderen Ausländern weist und damit natürlich auch auf Akzeptanz stößt.
Ausbau der Integrationskurs "eine richtige Entscheidung"
Simon: Die Integrationskurse als Pflicht, die sollen ja ausgebaut werden mit deutlich mehr Stunden für die Vermittlung von Werten. Eine überfällige Entscheidung aus Ihrer Sicht?
Langenfeld: Ich denke, das ist eine richtige Entscheidung, zumal der Ausbau ja relativ moderat sein soll von 60 auf 100 Stunden. Wenn man insgesamt den Umfang der Integrationskurse betrachtet mit 660 Stunden, ist das immer noch ein relativ kleiner Teil. Der Rest dient natürlich der Sprachvermittlung und der Vermittlung von allgemeiner Lebenskunde, bezogen auf Deutschland. Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass die große Zahl der Flüchtlinge unter anderem deswegen nach Deutschland gekommen ist, weil hier bestimmte Werte herrschen, und insofern glaube ich, dass sehr, sehr viele Menschen diese Werte für sich als etwas sehr Positives erleben werden. Trotzdem ist es richtig, dafür natürlich auch einzutreten und dafür zu werben.
Simon: Der Entwurf zum Integrationsgesetz auf der Klausur der Regierungskoalition auf Schloss Meseberg - das war Professor Christine Langenfeld, die Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Vielen Dank!
Langenfeld: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.