Aufrufen der Website "clip2gether.com". Sie soll weltweit für mehr Toleranz werben.
"Die Methoden der Extremisten sind ja genau die, dass sie diesen negativen Content veröffentlichen. Und ich kann entweder versuchen, den negativen Content im Internet zu eliminieren oder zu bekämpfen. Oder ich kann ihn überfluten mit positiven Nachrichten. Und das ist genau unser Aspekt."
Kim Stebbing studiert an der Hochschule Ravensburg-Weingarten in Oberschwaben. Über die Enthauptungsvideos des sogenannten "Islamischen Staates" im Internet war er ebenso entsetzt wie viele seiner Kommilitonen. Sie beschlossen: Der extremistischen Propaganda im Netz muss etwas entgegengesetzt werden - mit der selbst entwickelten Internetplattform "clip2gether" - und dem Aufruf, dort so genannte "Toleranz-Selfies" einzustellen. Nicole Kik hat das Projekt mit entwickelt:
"Jeder hat in seinem Freundeskreis Menschen aus anderer Kultur, mit anderer Religion und anderen Hintergründen. Und so ist das ganz einfach: Jeder Mensch auf der Welt kann mitmachen bei unserem Projekt, ganz einfach und schnell."
Das Projekt stößt auf große Resonanz
Erst seit kurzer Zeit ist das Portal "clip2gether.com" online. Doch wer die Seite aufruft, entdeckt: Das Projekt stößt auf große Resonanz. Zu sehen: Ein junger Hindu neben einer Christin; ein anderes Bild zeigt, so die Unterschrift "einen Ungläubigen freundschaftlich vereint mit einem Moslem." Damit ist für Professor Thomas Spägele, Rektor der Hochschule Ravensburg-Weingarten, bereits ein wichtiges Ziel erreicht:
"Dieses Zusammenwirken junger Menschen, die eigentlich gegen das Böse in der Welt aufstehen wollen und sagen: Wir sind die Mehrheit. Wir sind diejenigen, die das nicht wollen. Dass die schweigende Mehrheit auch ein Bild bekommt und laut wird - das ist sicherlich das Zentrale an dem Projekt."
Der "schweigenden Mehrheit" ein Bild vermitteln - dieses Ziel verfolgt auch ein Projekt, das sich nicht übers Internet, sondern ganz unmittelbar an das Publikum wendet.
Im "Weißen Lamm", einem Café in der Innenstadt von Augsburg, nippt Cornelia Lanz an ihrem "Latte Macchiatto". Versonnen blickt die Mezzosopranistin, durch’s Fenster, auf den mächtigen Säulenbau des Theaters Augsburg. Mit den Theaterleuten hat sie so einiges vor.
"Wir planen unser nächstes Opernprojekt, 'Saide'. Das soll zum Friedensfest Augsburg stattfinden. Es sind fünf Profisänger aus Deutschland. Und es werden Flüchtlinge aus Augsburg einen großen Teil spielen. Und da sind wir gerade am uns finden."
Flüchtlinge integrieren in eine Opern-Inszenierung: Menschen, die vor Kurzem noch um ihr Leben fürchten mussten, stehen auf der Bühne, singen, gestikulieren, gemeinsam mit Profis aus Deutschland. So ein Projekt haben Cornelia Lanz und ihre Mitstreiter vom Verein "Zuflucht Kultur" bereits im vergangenen Jahr organisiert.
Die Mozart-Oper "Così fan tutte": Die Handlung von Eifersucht, Treue und Krieg spielt in einem Flüchtlingsheim.
Seit Monaten quer durch Deutschland auf Tournee
"Ja, letztes Jahr durften wir in einem ehemaligen Kloster in Oggelsbeuren gemeinsam wohnen mit syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen und mit einem Sängerteam, einem Regie-Team und der musikalischen Leitung. Wir haben dort die Mozart-Oper 'Così fan tutte' indikativ erarbeitet, haben und wirklich dort zurückgezogen und miteinander gelebt, gesungen, getanzt, gegessen."
Dass das Team von "Zuflucht Kultur" für das gemeinsame Flüchtlings-Opernprojekt ausgerechnet Mozarts "Così fan tutte" wählte, kommt nicht von ungefähr:
"Und dann hat Mozart die Oper ein Jahr vor den Türkenkriegen geschrieben. Also Krieg lag damit gewissermaßen in der Luft. Es gibt dort einen Chor, der heißt: Bella Vita Militar - schönes Militärleben. Mozart spielt mit diesem Krieg. Und an der Stelle, wo dieser Chor kommt, kommen unsere syrischen Freunde auf der Bühne als Botschafter für den Frieden aus dem Krieg."
Mit "Così fan tutte" sind die Profis vom Verein "Zuflucht Kultur" seit Monaten quer durch Deutschland auf Tournee. Daraus ergeben sich auch völlig neue Kontakte zwischen den Flüchtlingen und ihren deutschen Gastgebern, freut sich Cornelia Lanz:
"Es entstanden durch das Projekt auch Patenschaften, auch mit Leuten in Biberach. Ehrenamtliche sind auch über das Opernprojekt näher und näher an unsere syrischen Freunde gekommen, als ob man jetzt nur einfach Kaffee getrunken hätte, einfach weil die Arbeit sehr intensiv war."
"Ich glaube, das ist eine Klasse-Idee, was die in Oggelsbeuren jetzt so machen."
Sagt Gul Sherzai, 26 Jahre alt. Er kam 2009 als Flüchtling aus Afghanistan nach Biberach in Oberschwaben, hat mittlerweile Job und eigene Wohnung gefunden - und: Er engagiert sich im "Interkulturellen Forum für Flüchtlingsarbeit". Denn so vorbildlich das Opernprojekt mit Bürgerkriegsflüchtlingen auch sein mag - nach Ansicht von Gul Sherzai gibt es viel zu wenige solcher Initiativen.
"So etwas gibt es nicht für alle Flüchtlinge. Da ist Bereitschaft bei den Flüchtlingen. Und in den Flüchtlingsheimen gibt es so viel Kompetenz. Und das geht verloren."
Viele haben es verlernt, sich kulturell zu engagieren
Das gilt es zu verhindern - und deshalb bindet auch das "Interkulturelle Forum für Flüchtlingsarbeit" Flüchtlinge gezielt in Kulturprojekte ein. Sie gestalten gemeinsam mit ihren deutschen Partnern Ausstellungen, in denen sie ihre Schicksale thematisieren, machen gemeinsam Musik. Für Dagmar Rüdenburg, Vorsitzende des Interkulturellen Forums, ist dabei Eines ganz wichtig:
"Wir wollen diesen Austausch dieser verschiedenen Kulturen. Der ist erstens einmal wichtig für das Verständnis untereinander. Und er bereichert auch. Er kann Deutsche bereichern wie auch die Flüchtlinge bereichern."
Mindestens ebenso wichtig erscheint Dagmar Rüdenburg ein weiterer Aspekt, der vor dem Hintergrund der materiellen Not der Betroffenen gerne vergessen wird: Häufig haben es die Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern schlichtweg verlernt, sich kulturell zu engagieren.
"Viele Flüchtlinge sind ja auch deshalb da, weil sie in ihrem Land ihren Mund nicht mehr aufmachen konnten. Und dann kommen sie hierher und haben wieder keine Möglichkeit, in ihrem Interesse ihre Meinung zu sagen. Und da sehe ich uns als Verein schon eine Möglichkeit, für die das zu tun."