Doris Schäfer-Noske: Mit einem Besucherrekord ist gestern Abend in Dessau das Kurt-Weill-Fest zu Ende gegangen. Rund 18.400 Besucher und damit 2.000 mehr als im vergangenen Jahr kamen zu den Veranstaltungen, ein Zuwachs, den sich Festival-Intendant Michael Kaufmann in dieser Höhe nicht hätte träumen lassen. Der Komponist Kurt Weill ist ein Sohn der Stadt Dessau. Am 2. März 1900 wurde er dort geboren, ging nach Berlin, musste dann aber vor den Nazis fliehen und kam über Paris nach New York, wo er auch ein erfolgreicher Komponist am Broadway wurde. Während gestern Abend das Abschlusskonzert lief, da kamen auch die ersten Prognosen und Hochrechnungen zu den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Frage an den Festival-Intendanten Michael Kaufmann: Herr Kaufmann, wie haben Sie denn den gestrigen Abend erlebt?
Michael Kaufmann: Das war dann durchaus zwiespältig. Wir haben ja, wie Sie schon gesagt haben, ein ganz tolles, auch künstlerisch wunderbares Festival erlebt, und wenn man dann in der Konzertpause vom Schlusskonzert so die ersten Hochrechnungen der drei Landtagswahlen, insbesondere Sachsen-Anhalts kriegt, dann ist man natürlich schon mit einem ziemlichen Dämpfer versehen, wobei wir für Sachsen-Anhalt ja schon auch mit einem schwierigen Ergebnis der Landtagswahl gerechnet hatten.
Schäfer-Noske: Wie haben Sie das bei den Zuschauern erlebt?
Kaufmann: Viele Konzertbesucher haben es einfach auch nicht beachtet, muss man sagen, und haben einfach das Konzert genossen. Aber die, die es mitgekriegt haben und die ihre iPhones an hatten, die waren schon ziemlich betroffen, was sicher jetzt nicht nur damit zu tun hat, dass man irgendwie in Konzertstimmung ist, sondern dass natürlich mit dem Kurt Weill von uns und hier jemand gefeiert wird, der ja vor Verfolgung und vor Rechtsradikalismus, vor menschenverachtenden Parolen hat fliehen müssen, und das hat natürlich eine ganz besondere Dimension dann.
"Region ist insgesamt wirtschaftlich schwierig aufgestellt"
Schäfer-Noske: Sie leiten das Kurt-Weill-Festival seit 2009, kennen also das Leben und die Menschen in Dessau, wo ein AfD-Kandidat ja sogar ein Direktmandat geholt hat. Wie erklären Sie sich denn diesen Wahlsieg der AfD in Dessau und in Sachsen-Anhalt insgesamt?
Kaufmann: Ich glaube, es gibt das große historische Problem, dass nach der Nazi-Zeit und der Zerstörung der Stadt, die in ähnlicher Weise war, wie man sich vorstellen kann, wie das in Essen, Ludwigshafen und anderen großen Städten mit großer Industrie war, ja im Prinzip eine weitere Last mit sich herumzuschleppen hat und hatte. Erst haben die russischen Besatzer quasi die Industrie demontiert, dann wurde vom SED-Regime die Stadt auch nicht wirklich gut behandelt, weil das Bauhaus oder die Verankerung des Bauhauses in Dessau für was stand, was das Regime nicht wollte.
Insofern ist die Region insgesamt wirtschaftlich schwierig aufgestellt und es gibt hier sehr viel vererbte Hartz-IV-Empfänger, wo ganze Familien einfach seit Jahren praktisch am sozialen Tropf hängen, und das macht einfach, wenn dann nicht die Wirtschaft irgendwie auf die Füße kommt, das Leben schwer. Und es gibt hier - das kann man heute ja in den Zeitungen lesen und in den Medien sehen - eine grundsätzlich latente ausländerfeindliche Haltung. Die gibt es auch in anderen Ostländern natürlich. Und wenn man der nicht offen begegnet, dann kriegt man hin und wieder solche Wahlergebnisse.
"Mit Parolen allein kann man ja keine Politik machen"
Schäfer-Noske: Es geht schon darum, dass Bürger das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein, und die einzigen, die unter ihnen quasi sozial stehen, sind dann die Flüchtlinge.
Kaufmann: Ja da gibt es natürlich auch ganz viele verquaste Diskussionen, dass womöglich die Flüchtlinge sogar mehr kriegen als der normale Hartz-IV-Empfänger. Da ist womöglich einfach nicht mit offenem Visier genug diskutiert und gekämpft worden. Da hätte man vielleicht von den politischen Kräften in Sachsen-Anhalt einfach die AfD-Leute stärker zur Rede stellen müssen. Ich meine, mit Parolen allein kann man ja keine Politik machen.
Schäfer-Noske: Nun muss man ja aber andererseits sagen, dass die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt deutlich nach oben gegangen ist, um über zehn Prozent gegenüber 2011. Da hat die AfD ja offenbar Bürger an die Wahlurnen zurückgebracht und kann sich jetzt sogar brüsten, zu mehr Demokratie beigetragen zu haben.
Kaufmann: Das, was ich beurteilen kann, oder das was ich selber jetzt auch aus Medienberichten entnehme, ist ja tatsächlich, dass 75 Prozent der AfD-Wähler Protestwähler auch sind. Das heißt, da ist einfach so eine grundsätzliche Verdrossenheit auch gewählt worden. Und was die AfD alles für sich reklamiert, das muss sie dann ja irgendwie unter Beweis stellen in der nächsten Zeit.
"Wir haben hier tolle Beispiele in der Vergangenheit"
Schäfer-Noske: Was können Sie denn als Leiter des Kurt-Weill-Festes tun, um da der AfD Paroli zu bieten? Was können Sie auch tun gegen Fremdenfeindlichkeit?
Kaufmann: Erst mal glaube ich, dass man das nicht allein tun kann, das Kurt-Weill-Fest schon gar nicht. Wir spielen ja nur 17 Tage im Jahr. Ich denke, dass wir mit dem Theater, das eine tolle Arbeit leistet hier, und auch mit den Leuten aus dem Bauhaus, mit anderen Veranstaltern uns hinsetzen müssen und überlegen müssen, was uns dazu einfällt, vielleicht auch noch gradliniger zu formulieren, wie wir glauben, dass Demokratie und eine auf Respekt angelegte Gesellschaft funktionieren sollte.
Wir haben hier tolle Beispiele in der Vergangenheit: der große europäische Aufklärer Moses Mendelssohn, der ein Freund von Lessing ist, hier in Dessau geboren. Das heißt, man kann, glaube ich, über verschiedene Themen der Stadt und der Region einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen vielleicht doch ein bisschen wacher wahrnehmen, wer irgendwas an Häuserwände schmiert und wer wirklich dazu beiträgt, dass gesellschaftliche Verfasstheit so ist, dass Menschen aufrecht durch die Städte gehen können.
Schäfer-Noske: Das war Michael Kaufmann, der Intendant des Kurt-Weill-Fests in Dessau, über den Wahlerfolg der AfD in Sachsen-Anhalt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.