Bald jährt sich der Tag, an dem das Magazin "Business Insider" erstmalig über die Vorwürfe gegen die damalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger berichtet hat. Am 23. Juni 2022 war das. Es war der Beginn der RBB-Affäre – einer beispiellosen Krise, am Ende auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt.
Genau eine Woche vor diesem Stichtag, am 16. Juni 2023, will der RBB nun ein neues Kapitel seiner eigenen Geschichte schreiben, einen Neuanfang quasi. In Potsdam soll dann der Rundfunkrat eine neue Intendantin für die Anstalt wählen.
Fest stehen aktuell drei Kandidatinnen, die zur Wahl stehen werden. „Drei hochqualifizierte Bewerberinnen“, wie Oliver Bürgel, Vorsitzender des RBB-Rundfunkrats, bei der Vorstellung per Pressemitteilung betonte, und Ergebnis eines „klaren, demokratischen und transparenten Verfahrens“.
Kritik an dem Verfahren kam von Personalrat und Freienvertretung: Der Vorsitzende des Verwaltungsrats habe vor wenigen Tagen "plötzlich eine absolute Gehaltsobergrenze als Ausschlusskriterium" vorgegeben. In der Konsequenz sei der qualifizierteste Bewerber von der Kandidatenliste verschwunden, da er die Bedingungen nicht habe akzeptieren wollen, hieß es in einer Stellungnahme.
Die Bezahlung von Spitzenpositionen im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk gehöre zwar auf den Prüfstand, es sei jedoch weder Aufgabe noch Auftrag der Findungskommission, über die Höhe der Vergütung zu entscheiden.
Unklarheit um Interims-Intendantin Katrin Vernau
Unterdessen bestätigte die aktuelle Interims-Intendantin Katrin Vernau auf der Digitalkonferenz re:publica gegenüber dem Deutschlandfunk, was sie zuvor bereits mehrfach erklärt hatte: dass sie Intendantin bleiben möchte - und die zuständigen Gremien sie auch ohne formelle Bewerbung nominieren und wählen könnten.
Vernau (vorher Verwaltungsdirektorin beim WDR) war am 7. September 2022 vom Rundfunkrat zur Nachfolgerin von Patricia Schlesinger für maximal ein Jahr gewählt worden.
Damit bleibt unklar, ob sie auch an der Wahl am 16. Juni teilnimmt. Denn am regulären Bewerbungsverfahren hatte sich Vernau nicht beteiligt. Zum weiteren Prozedere wolle sie sich aus "Respekt vor den neuen Kandidatinnen" nun nicht mehr äußern, zitiert sie das Portal DWDL.
Die anderen Kandidatinnen
- Juliane Leopold: Digitalisierungsexpertin der ARD
Juliane Leopold leitet seit 2018 die Redaktion von tagesschau.de, seit 2019 ist sie zusätzlich Chefredakteurin Digital von ARD-aktuell. In ihrer Arbeit sei sie „oft digitale Pionierin gewesen“, schreibt Leopold über sich selbst auf ihrer Webseite. Und verweist auf ihre vor-öffentlich-rechtliche Arbeit als Social-Media-Trainerin bei "NZZ" und „Zeit“ und die beim Portal BuzzFeed Deutschland, das sie bis 2016 aufgebaut und geleitet hat.
Sie gilt als die Digitalisierungsexpertin innerhalb der ARD. Im Magazin „Journalist“ erklärte sie 2021 zehn Ziele ihrer Arbeit bei tagesschau.de, darunter etwa, mehr Frauen und junge Menschen zu erreichen. Außerdem plädiert die in Halle (Saale) geborene 40-Jährige für mehr Hintergrund-Themen abseits der Tagesaktualität und fordert einen Fokus auf konstruktiven Journalismus und Wissenschaft.
Im Deutschlandfunk sprach Leopold in diesem Jahr im Podcast „Nach Redaktionsschluss“ über den Umgang mit Fehlern in Medien. Journalistinnen und Journalisten erlebten aktuell „so viel Druck wie nie zuvor“, stellte sie dort fest. Durch Social-Media erreichten Redaktionen neben Hinweisen auf tatsächliche Fehler noch mehr „geschmäcklerische und Meinungsrückmeldungen“. Und mit diesem „Grundrauschen“ müssten Medien heutzutage auch umgehen.
- Heide Baumann: Strategin aus der Privatwirtschaft
Heide Baumann ist unter den drei Kandidatinnen vordergründig diejenige mit dem kleinsten Bezug zur Welt der klassischen Nachrichtenmedien – insbesondere der der öffentlich-rechtlichen. In der Pressemitteilung des RBB heißt es kurz, Baumann habe unter anderem für Microsoft Deutschland als „Chief Transformation Officer“ gearbeitet. Zuletzt sei sie sie Mitglied der Geschäftsführung von Vodafone Deutschland gewesen.
Und auch ein Blick in ihr LinkedIn-Profil weist die 50-Jährige als Führungskraft und Strategin aus der Privatwirtschaft aus: Nach einem beruflichen Start als „Project Manager Digital“ bei Bertelsmann im ostwestfälischen Gütersloh folgen da auch internationale Stationen, die meiste Zeit in Großbritannien, wo sie auch promoviert hat und zuletzt (vor ihrem Wechsel zu Microsoft) beim Fernseh- und Internetanbieter Liberty Global.
Sie stelle „konventionelle Weisheiten in Frage und bringe Klarheit und entschlossene Umsetzung in komplexe Herausforderungen“, schreibt Baumann über sich selbst. Sie sei davon überzeugt, „dass jede Herausforderung mit Unterstützung, Einfühlungsvermögen und Selbstfürsorge verbunden werden muss, um großartige Geschäftsergebnisse und persönliches Wachstum zu erzielen“. Sätze, wie sie Baumann wohl auch für ein Bewerbungsschreiben an den RBB hätte formulieren können.
- Ulrike Demmer: mit RBB- und Regierungserfahrung
Wer im Internet nach Ulrike Demmer (50) sucht, landet noch immer erstmal auf ihrer Seite der Bundesregierung, die es noch immer gibt. Für die war sie bis 2021 gut fünf Jahre lang Stellvertretende Sprecherin und Leiterin des Presseamts. Demmers erste berufliche Station nach Jurastudium mit abgeschlossenem Erstem Staatsexamen (in Berlin) war beim RBB. Beim Sender Radio Eins war sie zwei Jahre lang Projektmanagerin in der Kommunikations- und Marketingabteilung.
Berliner-Journalisten-Schule, Volontariat beim ZDF – nach dem RBB bildet sich Demmer weiter und arbeitet fortan als Journalistin, mit weiteren Stationen bei „Spiegel“, „Focus“ und „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. 2016 folgt dann der Seitenwechsel zur Bundesregierung unter Angela Merkel.
Demmer dürfte nach vielen Jahren vor Ort die Kandidatin sein, die am besten in der Berliner Medien- und Politikwelt vernetzt ist. Hier könnte aber auch ein Problem liegen: Seitenwechsel werden in Deutschland grundsätzlich kritisch beäugt, das war auch 2011 so, als der damalige Merkel-Sprecher Ulrich Wilhelm Intendant des Bayerischen Rundfunks wurde. Und nun – im Fall des RBB – dürfte das öffentliche Brennglas noch schärfer auf die bevorstehende Wahl am 16. Juni gerichtet sein.