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Intensiv und mit großer sprachlicher Kraft

Es sind Briefe aus dem Exil, mit denen ihre Korrespondenz beginnt: Hannah Arendt, 1933 über Prag nach Paris geflohen, schreibt an Gershom Scholem, der seit 1923 in Jerusalem den Aufbau der Hebräischen Universität vorantreibt. Der Zionist und die Weltbürgerin kamen beide aus demselben assimiliert-bürgerlichen deutsch-jüdischen Milieu.

Von Alexandra Kemmerer |
    Doch in ihrem Blick auf das Jüdische, auf politische Form und Perspektive eines jüdischen Gemeinwesens, blieben sie grundverschieden: Scholem, als Zionist der Idee des Nationalen verpflichtet, hielt stets an Israel als Heimstatt des jüdischen Volkes fest. Arendt hingegen, die den von Scholem energisch vertretenen Nationalstaat für tot hielt, sah die Zukunft des Judentums in der kulturellen und politischen Existenz des gesamten jüdischen Volkes, in Israel wie in der Diaspora. Die Katastrophe der Schoah rückt die fernen Freunde einander näher. Und die Sorge um den Nachlass des gemeinsamen Freundes Walter Benjamin hält sie zusammen. Dabei will Arendt die Schriften Benjamins nicht den Köpfen des Instituts für Sozialforschung überlassen, sie ist forsch in Urteilen und Unterstellungen, während Scholem sich gelassen zurückhält. Der Briefwechsel dokumentiert außerdem ein anderes gemeinsames Unterfangen, an dem Arendt und Scholem ab 1947 beteiligt sind: die lange fast vergessene Organisation "Jewish Cultural Reconstruction" (JCR), deren Ziel die Rettung der von den Nationalsozialisten in ganz Europa zusammen geraubten jüdischen Kulturgüter war. Bücher und Archive, Kultgegenstände und Zeremonialobjekte sollten in die neuen Zentren jüdischen Lebens gebracht werden, vor allem nach Israel, aber auch in die Vereinigten Staaten. Im Auftrag von JCR reisten Scholem und Arendt in den frühen Nachkriegsjahren erst mals wieder nach Deutschland. Über die Briefe hinaus dokumentieren die in diesem Band erst mals veröffentlichten "Field Reports", die Arbeitsberichte über ihre Deutschlandreise, die Arendt im Winter 1949/1950 an die JCR-Zentrale nach New York schickte, die Dramatik dieser ungewöhnlichen Rettungsmission. Ihr Ton bleibt sachlich, kühl sind auch die Schilderungen des Erlebten im Briefwechsel. Nur an wenigen Stellen bricht die Erschütterung über die Auslöschung jüdischen Lebens in Europa durch, mit der diese Reisen beide konfrontieren.

    "Meine Erfahrungen in Europa sind sehr trübselig und niederdrückend und ich bin sehr bedrückt nach Haus gekommen. Ich habe zwar alles das gesehen, wozu ich ausgeschickt war, aber ich fürchte, dass diese Reise mir das Herz gebrochen hat, wenn es so etwas gibt (wie ich vermute). Jedenfalls habe ich meine Hoffnungen in Europa zurückgelassen. Wo ich sie wiederfinde, möchte ich auch gern wissen."

    In der Korrespondenz spiegelt sich nicht nur die von Scholem beklagte "Distanz zwischen den verschiedenen Judentümern in Europa und Amerika". Sie sind auch Zeugnisse einer Distanz zwischen den Briefpartnern, die sich immer wieder als unüberbrückbar erweist.

    "In einem gewissen Sinne bin ich natürlich erleichtert, weil ich sehe, dass Sie auch wissen, dass dies die Sintflut ist, nachdem die Welt untergegangen ist. Nun sitzen wir also, die paar Überlebenden, wie Noah in seiner Arche, in die wir noch nicht einmal das Nötigste haben retten können; schlimmer ist, dass wir paar Noahs auch noch mit dem zusätzlichen Ungeschick behaftet scheinen, unsere Archen genau aneinander vorbei und ins Nichttreffbare zu steuern."

    Der Dialog geht weiter, aber die Spannungen bleiben. Bis es im Sommer 1963 zum endgültigen Zerwürfnis kommt. Da war Arendts Buch über den Jerusalemer Eichmann-Prozess erschienen, und zwischen den Briefpartnern entzündet sich ein Streit um zwei Kernfragen: Lässt sich im Falle Adolf Eichmanns, eines Hauptorganisators der Judenvernichtung, von der "Banalität des Bösen" sprechen, wie dies Hannah Arendt getan hatte? Und darf man die Haltung der "Judenräte", die unter Zwang den Organisatoren der Vernichtung zur Hand gegangen waren, als Kollaboration interpretieren? Scholem gesteht zu, dass das weitgehende Ausbleiben jüdischen Widerstands angesichts der Vernichtung Fragen aufwirft. Dennoch könne er Arendts Darstellung nicht hinnehmen:

    "Es ist der herzlose, ja oft geradezu hämische Ton, in dem diese, uns im wirklichen Herzen unseres Lebens angehende Sache, bei ihnen abgehandelt wird. Es gibt in der jüdischen Sprache etwas, was die Juden Ahabath Israel nennen, Liebe zu den Juden. Davon ist bei ihnen, liebe Hannah, wie bei so manchen Intellektuellen, die aus der deutschen Linken hervorgegangen sind, nichts zu merken."

    Eine Liebe zu einem Volk oder Kollektiv sei ihr in der Tat fremd, antwortet Hannah Arendt, sie liebe nur ihre Freunde und sei zu aller anderen Liebe völlig unfähig. Die Freundschaft mit Scholem allerdings vermag das nicht zu retten. Der Briefwechsel verstummt.

    Es bleibt ein historisches Zeugnis von bewegender Intensität und großer sprachlicher Kraft Diese Briefe dokumentieren einen leidenschaftlichen Dialog zweier Intellektueller, in dem sich die Brüche und Verwerfungen des zwanzigsten Jahrhunderts spiegeln - die verzweifelte Trauer über das unwiderrufliche Ende einer Zivilisation, die Hoffnung auf die Möglichkeit neuer Anfänge.

    Hannah Arendt/ Gershom Scholem: Der Briefwechsel.
    Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 695 Seiten, 39,90 Euro. ISBN 978-3633542345