Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir: "Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt, wer sie verbirgt, wird nicht geheilt. Wir gedenken dem zukünftig Verstorbenen, der vieles leisten wollte, kaum, dass er schon wieder weg war. Ein Mensch wie wir, wie du, wie ich: wir alle und damit auch besonders. Er war der, der er war, mehr nicht. Aber immerhin: Wer kann das schon von sich sagen!"
In seinem "Fluxus-Oratorium" "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" inszenierte Christoph Schlingensief schon 2008 seinen eigenen Nachruf: der "zukünftig Verstorbene, der vieles leisten wollte". Wie viel er leisten wollte, lässt sich jetzt im Archiv der Berliner Akademie der Künste nachvollziehen. 56 Regalmeter umfasst, was Christoph Schlingensief, der zwischen Kunst und Leben nicht unterscheiden mochte, zusammentrug an "Material" für zukünftige Arbeiten: Fotos, Filme, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zu "seinen" Themen: die NS-Zeit, die deutsch-deutsche Geschichte, die Arbeitslosen, die er "sichtbar" machen wollte, die Bedeutung der "Dunkelphase", die immer wieder über ihn hereinbricht. Eine Unmenge Disketten sammelte sich an, stapelweise gebrannte CDs, DVDs mit Tausenden von Fotos, Videokassetten im Beta- und VHS-Format, auf denen er – sehr zum Leidwesen der Archivarin Julia Glänzel...
"zwar irgendwas drauf geschrieben hat auf die Kassette, da muss aber nicht unbedingt der Inhalt dem Etikett entsprechen. Also er selber, glaube ich, so vermittelt er mir zumindest den Eindruck, dass er jetzt nicht der große Beschrifter und Sortierer und Klassifizierer war, aber mit Sicherheit ein sehr großer Sammler."
Filme, Aktionen, Inszenierungen: Bis in die Jahre 2006/2007 hinein hat Schlingensief seine Arbeiten dokumentiert. Prospekte, Programmhefte, Kritiken. Seiner Projektkorrespondenz, den Regiebüchern, den Mitschnitten von Theaterproben merkt man an, wie gut organisiert er war.
"Er war schon sehr strukturiert. Er wusste genau, wie irgendwas abläuft. Das war nicht alles so frei und "da kucken wir mal alle irgendwie" – sicherlich auch ein Charakteristikum, wenn man vom Film kommt, das ist ja ganz klar - "das muss gemacht werden, dann ist die Aufnahme, da ist die Sequenz". Solche Drehpläne zum Beispiel gibt es von ihm."
Und eine bezeichnende Anekdote:
"Ganz witzig zum Beispiel war eine Tonbandaufnahme. Am Anfang wusste ich gar nicht, was das sein sollte. War wieder eine der nicht beschrifteten, die wir vorfinden – und desto länger ich zuhörte, desto mehr war mir klar, dass es sich um einen Tonmitschnitt von den Filmaufnahmen zu "Mensch Mami, wir drehen einen Film!" handelt. Also eine der früheren Produktionen, wo er, Gott , 17, glaub ich, war, noch wirklich ein Teenager. Und da wird auch ganz klar: "Das sind deine Aufgaben, das sind deine Aufgaben, das sind deine Aufgaben". Bei der anschließenden Regiebesprechung. Da sind also erst so Tonaufnahmen am Set und anschließend noch einmal so eine Regiebesprechung. Und das war schon sehr, sehr strukturiert."
Was von den Aktionen übrigblieb: Schlingensief bewahrte es auf.
"Das ist ja von seiner "Aktion 18". Das war damals diese ganze Möllemann-Geschichte. Dann hier diese Sammelbüchse von "Chance 2000" - auch sehr nett. Und dann gibt es von "Chance 2000" solche Buttons, Buttons gibt es auch noch von "Love Pangs", das war damals die "Ausrufung der liebeskranken Gesellschaft"."
Theoretisches, Reflektierendes findet sich nicht: Christoph Schlingensief sprach viel über seine Arbeit. Geschrieben hat er darüber so gut wie nichts, keine Aufzeichnungen, kein Zettelkasten. Was ihn neben seinen "Materialsammlungen" vor allem interessierte, war die Wirkung seines Werks. Da sammelte er, in den Worten der Archivarin Julia Glänzel "nahezu alles".
"Von sich, über sich. Eine umfangreiche Rezensionssammlung, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel. Auch Mitschnitte von Radiointerviews, Mitschnitte von Sendungen, wo er aufgetreten ist in irgendwelchen Talkshows. Das hat er alles gesammelt, akribisch."
Christoph Schlingensief, der Egomane, der Provokateur: Im Archiv der Akademie der Künste begegnet er einem in wohlgeordneten Kästen eindrucksvoll wieder. Er, der im Leben so viel suchte und soviel auch fand: dem das Leben ebenso zur Kunst wurde wie das Sterben. Wovon er ein Jahr vor seinem Tod, zu nächtlicher Stunde beim Berliner Theatertreffen erzählte:
"Ich habe sehr viel im Leben gesucht. Und ich finde das Leben ist eigentlich die größte Provokation. Und das Überleben macht aber deshalb auch besonders viel Freude. Und jetzt, muss ich mal sagen, diese Zumutung hier, so einen Krebs zu kriegen, das ist eine, aber das ist auch genau der Punkt, wo man jetzt ins Gespräch kommt. Eigentlich werde ich belohnt: Jetzt bin ich nicht mehr der Buhmann oder der Provokateur nur, sondern ich bin, glaube ich, auch der, der dann gerne auch merkt: Es ist noch viel zu tun! Was auch sinnvoll ist: Nur Kunst machen oder irgendwie auf der Bühne irgendwas interpretieren, das wäre nicht für mich der richtige Weg. Das geht nicht. Das muss mit dem Leben zu tun haben. Und dann wird es automatisch Kunst und Kunst zum Leben: Das ist eine Sache, ja."
In seinem "Fluxus-Oratorium" "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" inszenierte Christoph Schlingensief schon 2008 seinen eigenen Nachruf: der "zukünftig Verstorbene, der vieles leisten wollte". Wie viel er leisten wollte, lässt sich jetzt im Archiv der Berliner Akademie der Künste nachvollziehen. 56 Regalmeter umfasst, was Christoph Schlingensief, der zwischen Kunst und Leben nicht unterscheiden mochte, zusammentrug an "Material" für zukünftige Arbeiten: Fotos, Filme, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zu "seinen" Themen: die NS-Zeit, die deutsch-deutsche Geschichte, die Arbeitslosen, die er "sichtbar" machen wollte, die Bedeutung der "Dunkelphase", die immer wieder über ihn hereinbricht. Eine Unmenge Disketten sammelte sich an, stapelweise gebrannte CDs, DVDs mit Tausenden von Fotos, Videokassetten im Beta- und VHS-Format, auf denen er – sehr zum Leidwesen der Archivarin Julia Glänzel...
"zwar irgendwas drauf geschrieben hat auf die Kassette, da muss aber nicht unbedingt der Inhalt dem Etikett entsprechen. Also er selber, glaube ich, so vermittelt er mir zumindest den Eindruck, dass er jetzt nicht der große Beschrifter und Sortierer und Klassifizierer war, aber mit Sicherheit ein sehr großer Sammler."
Filme, Aktionen, Inszenierungen: Bis in die Jahre 2006/2007 hinein hat Schlingensief seine Arbeiten dokumentiert. Prospekte, Programmhefte, Kritiken. Seiner Projektkorrespondenz, den Regiebüchern, den Mitschnitten von Theaterproben merkt man an, wie gut organisiert er war.
"Er war schon sehr strukturiert. Er wusste genau, wie irgendwas abläuft. Das war nicht alles so frei und "da kucken wir mal alle irgendwie" – sicherlich auch ein Charakteristikum, wenn man vom Film kommt, das ist ja ganz klar - "das muss gemacht werden, dann ist die Aufnahme, da ist die Sequenz". Solche Drehpläne zum Beispiel gibt es von ihm."
Und eine bezeichnende Anekdote:
"Ganz witzig zum Beispiel war eine Tonbandaufnahme. Am Anfang wusste ich gar nicht, was das sein sollte. War wieder eine der nicht beschrifteten, die wir vorfinden – und desto länger ich zuhörte, desto mehr war mir klar, dass es sich um einen Tonmitschnitt von den Filmaufnahmen zu "Mensch Mami, wir drehen einen Film!" handelt. Also eine der früheren Produktionen, wo er, Gott , 17, glaub ich, war, noch wirklich ein Teenager. Und da wird auch ganz klar: "Das sind deine Aufgaben, das sind deine Aufgaben, das sind deine Aufgaben". Bei der anschließenden Regiebesprechung. Da sind also erst so Tonaufnahmen am Set und anschließend noch einmal so eine Regiebesprechung. Und das war schon sehr, sehr strukturiert."
Was von den Aktionen übrigblieb: Schlingensief bewahrte es auf.
"Das ist ja von seiner "Aktion 18". Das war damals diese ganze Möllemann-Geschichte. Dann hier diese Sammelbüchse von "Chance 2000" - auch sehr nett. Und dann gibt es von "Chance 2000" solche Buttons, Buttons gibt es auch noch von "Love Pangs", das war damals die "Ausrufung der liebeskranken Gesellschaft"."
Theoretisches, Reflektierendes findet sich nicht: Christoph Schlingensief sprach viel über seine Arbeit. Geschrieben hat er darüber so gut wie nichts, keine Aufzeichnungen, kein Zettelkasten. Was ihn neben seinen "Materialsammlungen" vor allem interessierte, war die Wirkung seines Werks. Da sammelte er, in den Worten der Archivarin Julia Glänzel "nahezu alles".
"Von sich, über sich. Eine umfangreiche Rezensionssammlung, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr, sehr viel. Auch Mitschnitte von Radiointerviews, Mitschnitte von Sendungen, wo er aufgetreten ist in irgendwelchen Talkshows. Das hat er alles gesammelt, akribisch."
Christoph Schlingensief, der Egomane, der Provokateur: Im Archiv der Akademie der Künste begegnet er einem in wohlgeordneten Kästen eindrucksvoll wieder. Er, der im Leben so viel suchte und soviel auch fand: dem das Leben ebenso zur Kunst wurde wie das Sterben. Wovon er ein Jahr vor seinem Tod, zu nächtlicher Stunde beim Berliner Theatertreffen erzählte:
"Ich habe sehr viel im Leben gesucht. Und ich finde das Leben ist eigentlich die größte Provokation. Und das Überleben macht aber deshalb auch besonders viel Freude. Und jetzt, muss ich mal sagen, diese Zumutung hier, so einen Krebs zu kriegen, das ist eine, aber das ist auch genau der Punkt, wo man jetzt ins Gespräch kommt. Eigentlich werde ich belohnt: Jetzt bin ich nicht mehr der Buhmann oder der Provokateur nur, sondern ich bin, glaube ich, auch der, der dann gerne auch merkt: Es ist noch viel zu tun! Was auch sinnvoll ist: Nur Kunst machen oder irgendwie auf der Bühne irgendwas interpretieren, das wäre nicht für mich der richtige Weg. Das geht nicht. Das muss mit dem Leben zu tun haben. Und dann wird es automatisch Kunst und Kunst zum Leben: Das ist eine Sache, ja."