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International Piano Competition
Lu gewinnt Leeds

Für Pianisten ist die Leeds International Piano Competition ein Karriere-Katapult. Eric Lu, der jüngste Finalist, hat in diesem Jahr den ersten Platz gemacht. Er wird sich jetzt vor Konzert-Verpflichtungen kaum retten können.

Von Johannes Jansen |
    Der US-Pianist Eric Lu am Flügel während der 17. International Fryderyk Chopin Piano Competition in Warschau m 4. Oktober 2015
    Der Pianist Eric Lu spielte in Leeds Beethovens 4. Klavierkonzert (picture-alliance / dpa / Radek Pietruszka)
    Das verbindende äußere Merkmal der beiden Hauptgewinner ist die Fliege zum Konzertanzug beziehungsweise Frack. Leger war gestern. Klassisch auch die Stücke, die sie im Finale spielten, mit dem Ergebnis: Beethoven 4 schlägt Beethoven 1. Wenn auch knapp.
    Samstagabend in der Town Hall von Leeds. Wie kein anderes Gebäude bewahrt dieses Konzerthaus im Gepräge einer viktorianischen Tempelanlage die Erinnerung an jene Zeit, in der England noch die halbe Welt beherrschte und Leeds ein blühendes Zentrum des Tuch- und Getreidehandels war. Aber die Stadt und ihre vom industriellen Niedergang gebeutelten Bewohner haben sich ihren Stolz bewahrt. Heute gründet er vor allem auf dem exzellenten Ruf der Universität, eine der größten und besten im gesamten Königreich.
    Lang Lang händigte die Preise aus
    Seit Samstag schmückt sie eine neue Koryphäe: Piano-Superstar Lang Lang. Eingerahmt von akademischen Würdenträgern im bunten Talar, wurde er in der Town Hall zum Doctor of Music honoris causa promoviert. Ungewöhnlich für ihn war, nur ein Teil des Vorprogramms zu sein. Sicher, die Zeremonie samt Orgelgebraus und der Gelehrtenhut mit Goldtroddeln machten schon etwas her. Aber in der Hauptsache ging es dann doch um jene Nachwuchspianisten im Finale des Klavierwettbewerbs, die nun darauf warteten zu erfahren, wer gewonnen hatte.
    Paul Lewis, Vorsitzender der Jury und Co-Direktor neben Adam Gatehouse, verkündete die Namen. Lang Lang, dem Wettbewerb seit sechs Jahren als sogenannter Weltbotschafter verbunden, händigte die Preise aus.
    Die Siegermedaille samt Urkunde und Scheck über 25.000 Pfund ging an Eric Lu, den mit zwanzig Jahren jüngsten Finalisten. Einen als besondere Anerkennung des Hallé-Orchesters gestifteten Preis gab es obendrein. Je zweimal ausgezeichnet wurden auch Mario Häring und Xinyuan Wang: Häring als Zweiplatzierter erhielt zusätzlich den Yaltah Menuhin Award für besondere Leistungen im Kammermusik-Halbfinale, und Wang als Dritter den per Online-Abstimmung ermittelten Publikumspreis, vergeben von jenen Zuschauern, die den Wettbewerb im Internet verfolgen konnten. Einige Hunderttausend sollen es gewesen sein. Diese Resonanz auf das Streaming-Angebot übertraf alle Erwartungen.
    "Within nine days the competition has reached a huge global audience. And that is very, very important to us. In the long term it will attract people to come and invest in us as well."
    "The Leeds", wie es nun kurz und griffig heißt, als Marke international zu etablieren, diesem Ziel dienen auch die dem eigentlichen Wettbewerb vorgeschalteten Auswahlrunden auf drei Kontinenten. Sie sind die wichtigste Neuerung, seit die inzwischen 98-jährige, aber noch immer präsente Gründerin, Dame Fanny Waterman, die Wettbewerbsleitung Gatehouse und Lewis übertragen hat.
    Kreative Werbeaktionen in der Stadt
    Aber auch in den Nahbereich stärker als bisher hineinzuwirken, gehört zum Konzept: Ein Piano-Trail mit künstlerisch gestalteten Klavieren, die jedem, der mag, zur Verfügung stehen, führt durch die Stadt. Auch ein Container auf dem Bürgersteig – 'World’s Smallest Concert Hall' genannt – wird zur Spielstation. Wettbewerbsteilnehmer und Meisterpianisten wie Paul Lewis und Lars Vogt präsentieren sich da dem Straßenpublikum und liefern den Beweis, dass es für große Klavierkunst nicht immer einen großen Steinway braucht. Ein E-Piano tut es manchmal auch.
    Für Lars Vogt, der 1990 hier den zweiten Preis und in Simon Rattle, der damals der Jury angehörte, einen wichtigen Freund und Förderer gewann, wurde Leeds zum Karriere-Katapult. Genauso könnte es Mario Häring nun ergehen, seinem Schüler. Direkten Einfluss konnte Vogt, obwohl Mitglied der neunköpfigen Jury, in Leeds nicht nehmen. Denn bei allen Häring betreffenden Wertungen war er nicht stimmberechtigt. Er durfte nur mit ihm zittern. Welche Erleichterung und Freude dann aber am Samstagabend nach Beethovens 1. Klavierkonzert!
    "Also ich kann es alles noch gar nicht glauben." – "Unglaublich stolz, ich musste mir die eine oder andere Träne verkneifen."
    So haben nun beide ihren Leeds-Moment, der das Leben verändert. Erst recht aber für Eric Lu wird bald nichts mehr so sein wie zuvor. Denn als Dreingabe zum Hauptgewinn erhält er nicht nur die Zusage einer CD-Veröffentlichung bei einem Major-Plattenlabel, sondern auch einen Kontrakt mit einer weltweit tätigen Künstleragentur. Das bedeutet Konzertverpflichtungen zuhauf, die ihm kaum Zeit lassen werden, sein Studium am Curtis Institute in Philadelphia in nächster Zeit noch zu beenden.
    Beethoven als Herzens-Entscheidung
    Unter den zur Auswahl stehenden Konzerten eines von Beethoven zu wählen, war für Lu – wie für Häring – keine Entscheidung aus Kalkül, sondern aus dem Herzen. In jeder Note war’s zu spüren.
    "Beethoven No. 4 is my favourite of the five Beethoven concertos. It is really a miraculous piece in every sense, so lyrical and beautiful. I adore this piece."
    Es war ein Beethoven für Klang-Sensualisten, der ahnen ließ, dass auch ein wunderbarer Chopin-Interpret in diesem hageren jungen Mann – Kind chinesisch-taiwanesischer Einwanderer aus Massachusetts – steckt. Wer den Chopin-Wettbewerb in Warschau verfolgt hat, wusste es freilich schon. Dort gewann Eric Lu vor drei Jahren – mit siebzehn – sensationell den vierten Preis. So jung und schon so weit oben. Da wird die Luft dünn – vor allem für die Konkurrenz, falls Lu noch einmal Lust auf einen Wettbewerb verspüren sollte. Aber welcher könnte es nach Leeds noch sein?