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Internationale Presseschau
"Wer sich Extremisten beugt, wird bald ihr nächstes Opfer"

Auch in der Auslandspresse gibt es nur ein Thema: Die Anschläge von Paris. "Wenn die Attentäter posthum zu Legenden würden, wäre dies ihr Sieg", schreibt eine polnische Zeitung. Andere Blätter warnen davor, den Islam unter Generalverdacht zu stellen und fragen sich, wo die Grenzen der Pressefreiheit erreicht sind.

    Internationale Zeitungen am Tag nach dem Ende der Geiselnahmen von Paris
    Internationale Zeitungen am Tag nach dem Ende der Geiselnahmen von Paris (Deutschlandradio / Jörg-Christian Schillmöller)
    LE MONDE aus Paris verwahrt sich gegen reflexhafte und einfache Antworten:
    "Auch wenn wir nach dem Angriff auf 'Charlie Hebdo' noch unter Schock stehen, so müssen wir uns doch mit einigen unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen. Eine dieser Wahrheiten hat Premierminister Valls benannt: Im Angesicht des Terrorismus gibt es keine hundertprozentige Sicherheit. All jene, die jetzt aus wahltaktischen Beweggründen behaupten, sie hätten das Rezept, um mit dem islamistischen Terrorismus fertig zu werden, gaukeln den Menschen etwas vor, und zwar in der übelsten Weise. Der Dschihadismus entspringt den Qualen, die der Nahe Osten derzeit durchlebt, in denen Schlüsselstaaten wie Syrien und der Irak versinken. Der Kampf gegen den islamistischen Extremismus ist deshalb ein langwieriges und komplexes Unterfangen. Jetzt plakative Lösungen vorzuschlagen, ist gefährlicher Betrug.",
    warnt die französische Zeitung LE MONDE.
    Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG blickt auf die Reaktion der extremen Rechten in Frankreich:
    "Gefühle von Misstrauen und Angst stachelt Marine Le Pen mit ihrem Front National sehr gezielt an. Zunächst verspricht sie mehr Polizei, um 'Ordnung' zu schaffen in den Vorstädten. Außerdem will sie die Todesstrafe wieder einführen. - Die in einer Gesellschaft vorherrschende Stimmung wird durch die Bürger selbst geschaffen, in alltäglichen Begegnungen und in der öffentlichen Debatte. In Frankreich geht es jetzt darum, ob die Freiheit erhalten bleibt oder ein autoritäres Modell siegt",
    unterstreicht die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz.
    Die JAKARTA POST aus Indonesien setzt sich mit der angegriffenen Satire-Zeitschrift auseinander:
    "'Charlie Hebdo' bedachte alle Autoritäten mit schärfster Ironie und Spott. Ein solcher, pamphlet-artiger Stil dürfte vielen Indonesiern sehr fremd sein. Was das Magazin veröffentlichte, erschien vielen Muslimen geschmacklos, aber es war sicherlich nicht anti-islamisch oder ein Angriff auf den Islam. Im Kern handelt es sich bei dem Anschlag auf 'Charlie Hebdo' um den Versuch, Individualismus, freie Gedanken und Kreativität zu unterdrücken. Dennoch ist es noch nicht zu spät. Wir können die These vom 'Kampf der Kulturen' noch widerlegen. Kulturen sind nicht unveränderlich. Sie entwickeln sich mit den Menschen, die ihre Gegenwart definieren",
    betont THE JAKARTA POST.
    "Es gibt keinen Grund, Millionen Muslime zu verdächtigen"
    Die französische LIBERATION empört sich darüber, dass Muslime in Frankreich aufgefordert wurden, sich von den Taten zu distanzieren:
    "Damit steckt man sie in eine religiöse Schublade. Man fantasiert über eine so genannte 'muslimische Gemeinschaft', anstatt die Individualität dieser Bürger zu respektieren. Damit hilft man den Terroristen, gewaltsam durchzusetzen, dass die Geschehnisse als 'Kampf der Kulturen' gedeutet werden. Die Millionen Muslime in Frankreich sind ganz normale Leute. Es gibt keinen Grund, sie zu verdächtigen, sie müssen sich für nichts entschuldigen und sie müssen sich auch nicht rechtfertigen",
    hält LIBERATION aus Paris fest.
    Auch die Zeitung EBTEKAR aus dem Iran sorgt sich, dass in Europa jetzt der Islam und die Muslime an den Pranger gestellt werden könnten:
    "Die Geschehnisse der letzten Zeit haben eine gefährliche Stufe erreicht. In Schweden werden Moscheen angegriffen, in Deutschland Demonstrationen gegen den Islam veranstaltet. Der ganze Westen steht unter Schock - fast könnte man meinen, das Attentat von Paris wäre eine gut geplante Aktion, um Angst vor dem Islam zu verbreiten. Die islamischen Länder und ihre Intellektuellen müssen schnellstens einen Ausweg aus diesem heiklen Zustand finden. Um die Zwietracht zu stoppen, ist der Dialog der Religionen notwendiger denn je",
    unterstreicht die Teheraner Zeitung EBTEKAR.
    Die GAZETA WYBORCZA aus Polen warnt davor, den Tätern von Paris zu viel Öffentlichkeit zu verschaffen.
    "Wenn die Attentäter posthum zu Legenden würden, wäre dies ihr Sieg. Einige Medien vermitteln den Eindruck der Wertschätzung: Dort heißt es zum Beispiel, die Mörder seien 'gut ausgebildet' gewesen und hätten ihre Aktion 'perfekt vorbereitet'. Es liegt durchaus im Interesse vieler Sicherheitsdienste dieser Welt, die Attentäter zu dämonisieren, da dies von der eigenen Unbeholfenheit ablenken kann. Dabei handelte es sich in Wirklichkeit um fanatische Idioten, die viele Fehler machten: Sie verwechselten Adressen und ließen in einem Fahrzeug einen Personalausweis zurück",
    erinnert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
    Hass auf westliche Werte
    Die dänische Zeitung JYLLANDS-POSTEN sieht in den Ereignissen von Paris einen Weckruf:
    "Niemand kann noch die Augen davor verschließen, wie groß der Hass auf die westlichen Werte ist und welche Bedrohung der islamistische Fundamentalismus darstellt. Wir dürfen uns nicht wieder von Multikulti-Gesängen in einen Dornröschenschlaf versetzen lassen. Vielmehr muss eine europäische Öffentlichkeit auf ihren Werten beharren",
    fordert JYLLANDS-POSTEN aus Århus.
    Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO ist anderer Ansicht:
    "Der Westen hält Pressefreiheit für einen universellen Wert. Aber wie jede Freiheit hat auch diese ihre Grenzen. Extreme Ausdrucksweisen, die den Respekt vor dem anderen außer acht lassen, können Spannungen zwischen den Kulturen provozieren. Wir wissen, dass Terroristen oft ethnische und religiöse Konflikte als Vorwand benutzen, um ihre Taten zu rechtfertigen. Vielleicht soll man aus diesen schrecklichen Ereignissen nun eine Lehre ziehen und lernen, in Zukunft mit der Presse- und Meinungsfreiheit besser umzugehen."
    Das war ein Auszug aus der Pekinger Zeitung HUANQIU SHIBAO.
    Die arabische Zeitung AL SHARQ AL AWSAT geht davon aus, dass die europäischen Staaten wachsamer werden müssen:
    "Europa hat bereits in früheren Tagen einen Fehler begangen, als es den Terroristen gegenüber schwieg und die Augen vor solchen Gruppen verschloss, die ihren Willen mit terroristischen Mitteln durchsetzen wollen. Es sind Menschen, die im Westen leben wollen – aber nicht in der Kultur des Westens. Dabei scheint es fast ironisch, dass die Opfer des Terrorismus oft mit Minderheiten sympathisieren. So waren die Opfer von Paris Antifaschisten und Gegner der extremen französischen Rechten. Die bisherige Erfahrung hat gezeigt: Wer sich den Extremisten beugt, wird bald ihr nächstes Opfer sein",
    bemerkt AL SHARQ AL AWSAT, die in London herausgegeben wird.
    Bewusstsein für Bedrohungen erhöhen
    Auch das schwedische HELSINGBORGS DAGBLADET ruft zu erhöhter Wachsamkeit auf:
    "Das Krisenbewusstsein unter Politikern und in der Öffentlichkeit ist noch nicht allzu stark ausgeprägt. Terror wird nach wie vor als etwas betrachtet, das sich nur anderswo abspielt und andere betrifft. Es muss nicht gleich die Alarmstufe angehoben werden, denn eine übertriebene Sicherheitspolitik wird leicht zu einem teuren Ballast. Aber das Bewusstsein für die realen Bedrohungen muss erhöht werden",
    meint HELSINGBORGS DAGBLADET aus Schweden.
    Die libanesische Zeitung L'ORIENT LE JOUR lobt die Reaktion der Öffentlichkeit:
    "Franzosen verschiedenster Herkunft haben sich diesem Sturm des Terrors, der drei Tage anhielt, in bewundernswerter Weise entgegengestellt. Dennoch steht zu befürchten, dass die verrückten Taten noch schlimmere Stürme nach sich ziehen. Das erste Ziel des Terrorismus ist es immer, Angst und Schrecken zu verbreiten. Aber darüber hinaus arbeitet der islamistische Terrorismus besonders in Europa noch auf etwas anderes hin: Er verstärkt ganz bewusst die Islamfeindlichkeit. Denn sie hofft, auf diese Weise die muslimische Bevölkerung zu radikalisieren. Beide Phänomene verstärken sich gegenseitig. Auch deshalb ist es eine unermessliche Dummheit, dass das französische Establishment den Front National außen vor lassen will, wenn morgen im ganzen Land für die Einigkeit der Republik demonstriert wird."
    Das war ein Kommentar der Zeitung L'ORIENT LE JOUR aus Beirut.