Ralf Krauter: Herr Gerst, seit zehn Tagen hat Mutter Erde sie jetzt wieder, was an Bord der ISS vermissen Sie am meisten und was am wenigsten?
Alexander Gerst: Wenn man ein halbes Jahr im Weltraum vorbringt und quasi den ganzen Tag schwebt, dann gewöhnt man sich natürlich schon daran. Das ist schon eine tolle Art sich fortzubewegen und der Körper passt sich da auch komplett an, das Gehirn auch, mental. Das wirkt plötzlich völlig normal, man bewegt sich ohne darüber nachzudenken fort, die Beine finden automatisch Fußläufe oder Handläufe, wo sie sich dann festhalten, und das wird schon zur zweiten Natur dann. Das ist tatsächlich etwas, was ich hier unten vermisse, es fällt alles ein bisschen schwerer, wenn man plötzlich selbst wieder gehen muss. Und natürlich den Blick aus dem Fenster, diese einzigartigen Perspektive, die wir von dort oben haben auf unseren Planeten. Das hat mich schon gefreut, das zu sehen von oben, das vermisse ich jetzt schon so ein bisschen. Was natürlich da oben nach einer Weile nicht mehr ganz so gut ist, sind so Dinge wie Essen zum Beispiel, dass man eingeschränkt ist in seiner körperlichen Trainingsmöglichkeit. Laufen im Wald geht da oben natürlich nicht, und das habe ich schon da oben vermisst. Das heißt, das genieße ich jetzt, hier wieder zurück in Köln zu sein. Um das europäische Astronautenzentrum herum gibt es viel Natur, da kann man laufen gehen. Das Essen ist natürlich auf der Erde auch viel besser, das muss man einfach so sagen.
Krauter: Sprechen wir ein bisschen über die wissenschaftlichen Experimente, die Sie gemacht haben, Herr Gerst. Erklärtes Ziel der Mission Blue Dot war ja Dinge zu erforschen, die helfen das Leben auf der Erde zu bessern. Daher der Name "Blue Dot" für den blauen Punkt oder unseren Planeten. Sie selbst haben während ihrer Zeit im All rund 100 Experiment durchgeführt. Was waren die drei spannendsten aus Ihrer Sicht?
Metallschmelzen erforscht
Gerst: Das ist wirklich eine schwierige Frage, weil die natürlich... Also, in jeder Kategorie könnte ich jetzt über drei reden, die mir besonders gefallen haben. Wir hatten ja unterschiedlichen Wissenschaftsarten an Bord, da geht es von der Materialforschung über die Humanmedizin, Biologie, wirklich alles was man sich so vorstellen kann. Und da gibt es in jeder Kategorie wirklich viele Experimente, die uns konkret hier unten auf der Erde weiterhelfen. Eines meiner beliebtesten Beispiele ist der elektromagnetische Levitator, weil wir darin Legierungen, Metalllegierungen, in geschmolzener Form erforschen. Da ist so ein geschmolzener Flüssigkeit-Metalltropfen, der schwebt in diesem Gerät, und wir können den dann physikalisch untersuchen und so Löcher in Computermodellen stopfen, die wir unten auf der Erde haben. Mit diesen Daten können wir in der Zukunft Metalllegierungen zum Beispiel aus Titan und Aluminium extra erzeugen, die uns dann ganz konkret weiterhelfen, um, ja, neue Flugzeugturbinen zu bauen, Treibstoff zu sparen. Das ist ein Beispiel aus dieser Kategorie. Dann gibt es noch vieles weitere, natürlich aus der Humanwissenschaft. Wir untersuchten unseren eigenen Körper, benutzen die Möglichkeit, die wir haben in der Schwerelosigkeit, die Änderungen im Knochenbau zu beobachten. Es ist so etwas wie eine beschleunigte Osteoporose, Knochenschwund, die man da hat. Der ist zum Glück revidierbar, aber der ist sehr ähnlich sowie das, was Leute auf der Erde haben, wenn sie die Krankheit Osteoporose haben. Und da hat es tatsächlich in der Vergangenheit schon solche Fortschritte gegeben, dass wir aus diesen Forschungen, die wir in der Schwerelosigkeit gemacht haben, neue Medikamente gegen Osteoporose entwickeln konnten. Sie helfen jetzt ganz konkret auf der Erde Menschen. Und das sind so Dinge, da gibt es jede Menge aus den unterschiedlichen Wissenschaftsbereichen, das kriegt man eigentlich auf der Erde so gar nicht mit, wenn man nicht von diesen Sachen betroffen wird. Wenn Sie keinen Herzkatheter oder einen Stent in ihrem Herzen brauchen, wissen Sie vielleicht gar nicht, dass das ein Weltraummaterial ist. Das ist ja nicht schlimm, Hauptsache, dass wir diese Möglichkeiten haben. Deutschland als Hochtechnologieland ist natürlich besonders wichtig, dass sie die Technologie dort abschöpfen können und nutzen können und somit das Leben auf der Erde ein bisschen besser machen können.
Fingerspitzengefühl für Experimente gefragt
Krauter: Dieser Hightech-Schmelzofen, den sie gerade eingangs erwähnten. Ihre Aufgabe war es, den zusammen zu bauen und auch im Betrieb zu nehmen. Da war letztlich Handarbeit erforderlich, aber wie war es mit den anderen Experimenten? Reicht es dann nicht oft, einfach einen Knopf zu drücken und los geht es? Das waren doch verkapselte Versuche, die da größtenteils mit hochgeschickt wurden, oder?
Gerst: Ja, da haben Sie vollkommen recht. Es gibt solche und solche, das heißt, es gibt Experimente, wo ich wirklich Hand anlegen muss, wo ich in der Handschuhbox Dinge durchführe, Verbrennungsexperimente. Da muss man selbst viel mit der eigenen Hand durchführen und auch so ein bisschen Intuition mitbringen, wissenschaftliche Beobachtungsgabe. Dann gibt es andere Experimente, die wir tatsächlich dort oben nur aktivieren müssen, dass wir von Zeit zu Zeit einmal nachschauen, ob alles gut ist und das kontrollieren. Und dann laufen die im Prinzip von selbst, ohne dass ich da eingreifen muss, das läuft bei der Bodenkontrolle. Und dann gibt es aber auch viele, wo wir immer mal wieder, wenn die Wissenschaftler am Boden sagen: Oh, da haben wir vielleicht ein Problem! Das müssen wir mal austauschen oder vielleicht neue Proben einlegen! Wo wir dann schon wirklich Hand anlegen müssen.
Zebrafische wohlbehalten zurück
Krauter: Was war mit den Zebrafischen, die mit ihnen rauf- und wieder runtergeflogen sind?
Gertz: Ja, dass es ein sehr interessantes Experiment zum Muskel- und Knochenwachstum. Zebrafische haben ja ein viel kürzeren Lebenszyklus als Menschen. Das heißt, wenn man die anschaut, kann man viel mehr drüber lernen, wie Krankheiten wie Osteoporose oder Muskelschwund sich langfristig verhalten und was man dagegen tun kann. Aus diesem Grund haben wir junge Zebrafische mit hochgenommen, die dann in einem Aquarium an Bord versorgt, und die habe ich tatsächlich dann auch wieder mit mir zurückgenommen, sie waren 20 Zentimeter von meinem Kopf entfernt mit mir in der Sojus Kapsel in einem kleinen Aquarium. Und soweit ich gehört habe, geht es denen sehr gut.
Krauter: Haben Sie denn mit der Auswertung der Daten aller Experimente, die Sie da betreut haben, irgendetwas noch am Hut, oder ist das jetzt allein Sache der Forscher, die diese Experimente ersonnen haben?
Gertz: Ja, das könnte ich ja gar nicht. Das sind ja Tausende Forscher, die sich da um diese Experimente auf der Raumstation beworben haben. Sie ist vielfach überzeichnet, das heißt, da sind nur die besten Wissenschaftler dran, die mit ihren Gruppen Experimente entwickeln für die Raumstation. Und wenn ich versuchen würde, das alles zu verstehen oder bei der Auswertung dabeizusein, würde ich mich komplett überfordern. Das kann kein einzelner Mensch tun. Deswegen bin ich eher so am nachschauen, was denn da herauskommt. Das interessiert mich natürlich trotzdem sehr. Das dauert eine Zeit, es ist ja in der Wissenschaft immer so, dass es Monate dauern, da sind Heerscharen von Doktoranden und Wissenschaftlern dran, die das jetzt auswerten. Ich bin immer noch Datenquelle von manchen Experimenten. Das heißt, gerade heute hatte ich ein weiteres Experiment zur Hautalterung, wo meine Haut untersucht wird, genau gescannt wird, Ultraschall-und Laser Scan. Das heißt, man erfasst Daten natürlich, für die humanphysiologischen Experimente vor dem Flug, dann in dem Flug und noch mal nach dem Flug, damit man Vergleichsdaten hat, damit man sehen kann, was jetzt wirklich durch die Schwerelosigkeit verändert wurde und das geht immer noch voran. Das heißt, es werden immer noch Daten erzeugt, bis das alles ausgewertet ist, da werden schon noch ein paar Monate ins Land gehen.
Krauter: Nun gibt es aber, das wissen Sie auch, durchaus Kritiker, die sagen: Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Arbeiten auf der internationalen Raumstation, die sind dürftig und stehen vor allem in keinem Verhältnis zu den 100 Milliarden, die Betrieb und Unterhalt dieser Raumstation kosten. Haben diese Leute nicht insofern recht, als dass man viele Versuche besser mit unbemannten Mission hätte machen können, ohne all den Lärm und die Vibrationen, die Menschen im All so mitbringen?
Unverzichtbare Plattform
Gerst: Nein, auf gar keinen Fall. Es ist ja so, dass wir bei der ESA eine ganze Reihe von Plattformen haben, auf denen wir Experimente durchführen. Das heißt, das Ellipse Programm der ESA umfasst genau solche Plattformen, die unbemannt sind für solch Versuche und die man unbemannt durchführen kann. Dann gibt es aber jede Menge anderer Versuche, wo das einfach nicht geht, weil wir Grundlagenforschung machen, weil wir noch nicht genau wissen, was dabei rauskommt. Wo wir intuitiv reagieren müssen auf Situationen, die sich dabei erst entwickeln. Und das können nur Menschen. Und da die Raumstation als Plattform schon da ist, kann man also relativ schnell Versuche entwickeln. Wir haben Versuche, die sind innerhalb von einem Jahr entwickelt worden und sind dann auf die Raumstation geflogen, wo wir schneller reagieren können. Dass sehen Sie am Beispiel des elektromagnetischen Liquidators, da hat ein Bolzen geklemmt, letztlich beim Zusammenbau, der das Experiment stark sichern sollte...
Krauter: Da sind Sie mit Rasierschaum rangegangen!
Gerst: Genau. Und das ist eine Sache, wenn das auf einem unbemannten Satelliten passiert, dann ist das Experiment komplett verloren. Und dann haben wir den Vorteil der Raumstation gerade für solche Versuche, kreativ und intuitiv zu reagieren und das Experiment zu retten.