Dazu müssten alle Beteiligten an einen Tisch, sagte Erler: Auch die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran müssten einbezogen werden. Momentan erlebe man in Syrien einen Stellvertreterkrieg vor allem zwischen dem Iran, Saudi-Arabien und Katar. "Wenn man den nicht beenden kann, kann es keine politische Lösung geben", sagte Erler.
Wie diese aussehen könnte, bleibe allerdings unklar. Denn während die USA immer wieder betonten, dass es eine Zukunft nur ohne den derzeitigen Machthaber Baschar al-Assad geben könne, halte Russland an dem langjährigen Partner fest. Es sehe nicht so aus, als sei dazu bei den aktuellen Gesprächen ein Ausweg dazu gefunden worden. "Ohne Russland wird es keine Lösung geben", sagte Erler - das bedeute auch, dass eine sofortige Beseitigung Assads ausgeschlossen sei. Nun müsse sich zeigen, wie flexibel die russische Politik in der Zukunft sei - und wie Präsident Wladimir Putin von einer militärischen zu einer politischen Lösung des Konflikts kommen wolle.
Diese müsse schnell kommen, denn: "Das Vorgehen mit militärischen Mitteln führt zur weiteren Auslösung von Flüchtlingsströmen", sagte Erler. Beobachter gingen davon aus, dass allein in den vergangenen Wochen rund 75.000 Menschen allein aus der Region um Aleppo geflohen seien. "Wir wünschen uns daher, dass der Prozess beschleunigt und nicht auf die lange Bank geschoben wird", so der Russland-Beauftragte der Bundesregierung.
Putin hat mehrere Ziele erreicht
Mit dem militärischen Eingreifen in Russland habe Putin mehrere Ziele erreicht: Er bewege sich nun weltpolitisch auf Augenhöhe mit den USA, er habe abgelenkt vom Ukraine-Konflikt und die Weltmacht-Rolle der USA unterstrichen. Der Lohn dafür seien Zustimmungswerte in Russland von fast 90 Prozent.
Die Sanktionen gegen Russland aufgrund des Ukraine-Konflikts sieht Erler von der neuen Situation nicht berührt. "Es sind zwei verschiedene politische Felder", so Erler - das habe auch die Kanzlerin betont. "Die Sanktionen hängen davon ab, ob Russland konstruktiv an der Umsetzung des Minsker Ankommens mit allen 13 Punkten arbeitet."
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Immerhin – sie reden miteinander: Die Russen, die Amerikaner und auch einige andere. Es geht natürlich um Syrien, um die Frage, wie man sich abstimmt, ob man dort zusammenarbeitet. Na ja, ich bin vorsichtig, das jetzt so auszusprechen. Auf der anderen Seite hat es in dieser Woche den Petersburger Dialog gegeben, da reden Deutsche und Russen miteinander. Also die diplomatischen Offensiven sind vielfältig. Vor Ort hat das möglicherweise noch nicht ganz so viel geändert. Wir werden über dieses Thema reden, und dazu begrüße ich Gernot Erler, den Russlandbeauftragten der Bundesregierung. Erst mal guten Morgen, Herr Erler!
Gernot Erler: Guten Morgen, Herr Zurheide!
Zurheide: Herr Erler, ich habe es gerade schon gesagt mit einigem Zögern: Sie reden miteinander. Ist das erst mal eine gute Nachricht? Ja, wahrscheinlich, oder?
Erler: Ja, auf jeden Fall ist das eine gute Nachricht, und sie werden weiter miteinander reden. Sie haben sich verabredet für die nächste Woche erneut. Also wir sprechen hier von dem russischen Außenminister Lawrow und dem amerikanischen Kerry, und das ist eine gute Nachricht, auf jeden Fall, denn anders als über Gespräche, bei denen natürlich noch weitere Partner hinzukommen müssen, lässt sich dieser viereinhalb Jahre währende Bürgerkrieg, der schon so schreckliche Folgen hat, nicht beenden.
Zurheide: Kommen wir noch mal auf das grundsätzliche Verhältnis oder auch die Interessen der Russen im Nahen Osten. Diese Woche hat es ja den Besuch von Assad bei Putin gegeben, der dann erst hinterher öffentlich gemacht wurde. Er wird hier im Westen völlig unterschiedlich interpretiert. Da ist dann alles drin: Die einen sagen, na ja, das war die Vorbereitung auf den Abgesang, die anderen sagen, das war eine Stärkung. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Erler: Ich glaube tatsächlich, dass die russische Politik hier flexibel ist und dass man sich verschiedene Lösungen von diesem Konflikt vorstellen kann. Das Problem im Augenblick sehe ich vor allen Dingen daran, wie man von der Logik des militärischen Eingreifens zur Logik eines politischen Dialogs, um eine politische Lösung für diesen Konflikt zu bekommen, hinkommen kann. Das ist noch völlig ungelöst, und dazu können vielleicht diese Gespräche, die jetzt in Wien stattgefunden haben und die fortgesetzt werden sollen, Hinweise geben beziehungsweise helfen.
Zurheide: Was haben Sie für Informationen aus Wien? Haben Sie da möglicherweise mehr gehört als wir? Ich gebe zu, unsere Nachrichtenlage ist einigermaßen bescheiden, das haben wir heute Morgen auch hier festgestellt. Haben Sie irgendetwas gehört?
Erler: Nein. Das, was man also zusätzlich zu dem, was ich schon gesagt habe, weiß, dass es mal wieder um die Rolle von Assad in der Zukunft gegangen ist, und da wissen wir, dass da die Positionen bisher noch völlig unversöhnlich sind. Die USA betonen wirklich praktisch täglich, dass sie sich eine Zukunft mit Assad nicht vorstellen können. Auf der russischen Seite haben wir ein ganz starkes Motiv, hier Verbündetentreue zu zeigen, also diese lange, lange Freundschaft auch geopolitischer Art mit dem Herrscherhaus in Damaskus aufrechtzuerhalten und sich jetzt als Beschützer gegen ein Regimechange, also gegen ein Ende der Herrschaft von Assad, doch zu profilieren, und diese beiden Positionen sind eben im Moment noch völlig unvereinbar. Da sieht es auch nicht so aus, als ob es hier in Wien bei diesen Gesprächen, zu denen ja zum Teil auch die Außenminister von Saudi-Arabien und der Türkei hinzugezogen worden sind, eine Lösung gefunden hat.
"Putin wollte unbedingt diese Art Rückmeldung in der Weltpolitik"
Zurheide: Schauen wir noch mal auf das eher Schlachtfeld, muss man wohl sagen, wo die unterschiedlichen militärischen Aktionen laufen. Diese Woche gab es dann Hinweise, dass die Amerikaner und die Russen sich mindestens abgestimmt haben, damit sie sich nicht gegenseitig möglicherweise in die Quere kommen. Es gab Hinweise, dass die Russen auch mit Jordanien solche Gespräche führen. Sind das so erste Zeichen, dass man miteinander redet oder ist das, was auf dem Schlachtfeld passiert, eher dann wieder erschreckend, weil man ja doch immer das Gefühl hat, dass die Russen auch weitere Flüchtlingsströme provozieren?
Erler: Nein, ich würde das von dem politischen Prozess abtrennen, das ist einfach dringend nötig, was Sie hier erwähnt haben, was da gemacht worden ist, dieses Memorandum On Air Safety, was am 20. Oktober abgeschlossen worden ist zwischen Washington und Moskau, ist ja eine Schutzmaßnahme dagegen, dass nicht unbeabsichtigt hier irgendwelche Kollisionen stattfinden. Man muss sich auch vorstellen, dass in dieser Region dieses amerikageführte Bündnis von 60 Ländern Luftangriffe durchführt und dass in sehr viel größerer Zahl die russische Seite nun seit Wochen diese Luftangriffe führt, und das kann ja jederzeit zu Kollisionen führen. Im Grunde genommen ist die Frage, ob nicht schon eine Art Flugverbotszone durch das russische Vorgehen entstanden ist. Da war das überfällig, genauso wie mit Jordanien, sich hier abzusprechen, um solche ungewollten Zusammenstöße zu verhindern. Aber trotz allem ist das natürlich wichtig für Putin, dass er schon mal hier ein Partner ist, der zwangsweise von Amerika auf gleicher Augenhöhe behandelt wird. Das ist auch so, dass Putin diese Art Rückmeldung in der Weltpolitik unbedingt wollte, und er kriegt dafür auch seinen Lohn, um es mal so auszudrücken. Wir haben neue Umfragen aus Russland, wonach seine Zustimmungsrate auf 89,9 Prozent, ein Rekordwert auch für Putin, angestiegen ist, und das hängt natürlich damit zusammen, dass hier so ein bisschen fast ein rauschartiger Zustand der Begeisterung über diese Rückmeldung Russlands auf der Weltbühne im eigenen Land stattfindet.
Zurheide: Ein zynisches Spiel.
Erler: Ja, aber dann vielleicht doch wieder mit einer Hoffnung verbunden, wenn es gelingt, jetzt das, wofür schon die deutsche Politik mit Außenminister Steinmeier die ganze Zeit kämpft, aber auch die Vereinten Nationen kämpfen, nämlich dass ein Dialog anfängt, bei dem alle, die hier eine Rolle spielen, am Tisch sitzen müssen, also nicht nur die Vereinigten Staaten und Russland, und ohne Russland geht es da nicht, und natürlich mit der EU, sondern eben auch Saudi-Arabien, der Iran, die Türkei, vielleicht noch andere Staaten der Region. Denn wir haben hier einen Stellvertreterkrieg seit längerer Zeit: Die einen finanzieren die Sorte von Kämpfern, die anderen die andere, vor allen Dingen zwischen Saudi-Arabien, Katar und Iran findet das statt, dieser Stellvertreterkrieg. Wenn man sich da nicht verständigt darauf, die Unterstützung dieser verschiedenen Parteien in diesem Bürgerkrieg, der da stattfindet, zu unterstützen, das zu beenden, dann kann es keine politische Lösung geben.
"Wir haben hier einen Stellvertreterkrieg"
Zurheide: Wie haben Sie denn auf dem Petersburger-Dialog-Forum genau über diese Fragen diskutiert? Russland wieder ein Stück – das haben Sie gerade geschildert – auf Augenhöhe mit den Amerikanern, durch das Eingreifen in Syrien möglicherweise befördert, das haben Sie geschildert. Wie kann es denn da weitergehen, dass wir auch von der Frage wegkommen, die sich im Moment ja meistens darauf konzentriert, Sanktionen ja oder nein?
Erler: Auf dem Petersburger Dialog, bei dem ich teilgenommen habe, von dem ich gestern Nacht wiedergekommen bin, ist mehrfach das Thema Syrien angesprochen worden, auch bei der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft, der ich zusammen mit meinem russischen Kollegen vorgesessen habe. Hier ist auch eins sehr deutlich gemacht worden, dass eben das Vorgehen mit militärischen Mitteln jetzt zu weiterer Auslösung von Flüchtlingsströmen führt. Die Zahlen, die schwanken ein bisschen, aber unabhängige Beobachter gehen davon aus, dass alleine in der Region Aleppo in den letzten Tagen 70.000 Menschen vor dem Inferno dort zusätzlich geflohen sind, insgesamt sollen es 85.000 sein, die sich erneut zur Flucht entschließen mussten. Wir alle wissen ja, was das bedeutet, in welche Richtung das geht, und da sind deutliche Worte gefunden worden, und die russische Seite hat darauf verwiesen, dass man ja jetzt doch bereit sei zu einem Verhandlungsprozess, und das ist auch wirklich das einzig Gute. Das stimmt, also mehrfach hat auch Wladimir Putin diese Bereitschaft jetzt geäußert. Die Praxis jetzt der Gespräche von Lawrow und Kerry zeigt ja, dass tatsächlich hier ein diplomatischer Prozess begonnen hat. Wir würden uns natürlich wünschen, dass der jetzt vor allen Dingen beschleunigt wird und dass das nicht auf die lange Bank gesteckt wird, sondern es schnell zu einem Erfolg führt.
"Eine sofortige Beseitigung von Assad ist ausgeschlossen"
Zurheide: Also ich bin auch wieder geneigt zu sagen, auch das ist zynisch: Erst provoziert man weitere Flüchtlingsströme, die übrigens dann den Westen und auch Deutschland weiter destabilisieren und jetzt redet man. Das ist immer wieder dieses Spiel.
Erler: Ja, aber das ist natürlich Putin gelungen, und das muss man zumindest mal als professionell anerkennen, dass er gleich viel auf einmal erreicht hat mit seiner Verlagerung von militärischen Mitteln, mit seiner Bereitschaft, dann noch in einem viel größeren Ausmaß als Amerika es bisher gemacht hat, militärisch einzugreifen. Er hat die gleiche Augenhöhe mit Amerika erreicht, er hat abgelenkt von dem Ukrainekonflikt, er hat die Weltmachtrolle Russlands unterstrichen, er hat im Grunde genommen ein Entsatz geschaffen, für den in große Bedrängnis, militärisch, geratenen Assad. Und eins ist klar: Ohne Russland wird es also keine Lösung geben, und das zweite ist auch klar: Eine sofortige Beseitigung von Assad ist ausgeschlossen, der steht unter dem Schutz von Russland. Man muss also einen Kompromiss finden, wobei man testen muss, wie weit Russland bereit ist, eben auch zu akzeptieren, dass zumindest mal auf längere Sicht gesehen es ein Syrien geben wird ohne Assad, vielleicht mit einer Rolle der Alevitenfamilie, das ist sicherlich noch offen.
Zurheide: Jetzt will ich zum Schluss das nur noch ganz kurz ansprechen: Ich hatte gerade das Stichwort schon mal genannt – Sanktionen, Russland wegen der Ukraine, das tritt alles in den Hintergrund, weil der Nahe Osten wichtiger ist oder ist das zu zugespitzt formuliert?
Erler: Ich würde es so ausdrücken: Es hat sich nichts geändert. Es sind zwei verschiedene politische Felder. Die Sanktionen hängen nach wie vor, und das hat die Bundeskanzlerin vor Kurzem auch noch mal bekräftigt, die hängen davon ab, ob Russland konstruktiv an der Umsetzung des Minsker Abkommens mit allen seinen 13 Punkten arbeitet.
Zurheide: Da haben Sie auch keinen Dissens?
Erler: Da haben wir keinen Dissens. Das ist gekoppelt worden – dazu steht auch die EU –, die Sanktionen sind gekoppelt an eine Mitwirkung von Russland an dieser politischen Lösung für den Ukrainekonflikt, was die Ostukraine angeht, und da kann sich dann Anfang nächsten Jahres etwas dran ändern. Hier gibt es auch einen Zeitplan, der ist im Verzug, aber das hängt allein von diesem Verhalten von Russland ab.
Zurheide: Gernot Erler war das zu den verschiedenen Konfliktfeldern, die wir in dieser Woche leider wieder haben beobachten müssen. Herr Erler, ich bedanke mich für das Gespräch! Danke schön, auf Wiederhören!
Erler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.