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Internationale Zeitungen zu Mecklenburg-Vorpommern
"Niederlage könnte Anfang vom Ende der deutschen Bundeskanzlerin sein"

Bundeskanzlerin Merkel hat bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern die Quittung für ihre Politik der offenen Grenzen erhalten, meint die ungarische Zeitung "Népszabadság". Nach Ansicht der "Libération" aus Paris ist es keine gute Nachricht für die EU, dass Merkels Thron wackelt.

05.09.2016
    Ein Ständer mit deutschen und internationalen Zeitungen in Köln.
    Ein Ständer mit deutschen und internationalen Zeitungen in Köln. (Imago / Horst Galuschka)
    Die ungarische Zeitung "Népszabadság" aus Budapest findet:
    "Noch vor fünf Jahren wusste kaum jemand von der AfD, und jetzt wurde diese Partei als zweitstärkste Kraft in den Landtag gewählt. Sie ist damit stärker als die CDU der deutschen Bundeskanzlerin. Das ist die Quittung dafür, dass Angela Merkel vor einem Jahr - zum Teil wegen der Flüchtlingskrise in Ungarn - ihre Strategie der offenen Grenzen begonnen hat."
    "Die Niederlage der CDU in Mecklenburg-Vorpommern könnte der Anfang vom Ende der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel sein", prophezeit die kroatische Tageszeitung "Vecernji List":
    "Denn ihre in Berlin führende Partei wurde in Schwerin auf den dritten Platz hinter der SPD und der AfD verbannt. Diese Niederlage wird als Niederlage der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin gesehen, die - und das macht es noch gravierender - selbst aus Mecklenburg-Vorpommern stammt."
    "Das ist ein Desaster"
    Die italienische Zeitung "La Stampa" aus Turin kommentiert:
    "Zum ersten Mal werden die Christdemokraten von den Rechtspopulisten der AfD überholt, die ihr Nein zu Merkels Flüchtlingspolitik zu ihrem Zugpferd gemacht haben. Das ist ein Desaster, das dazu führen wird, dass innerhalb der CDU/CSU eine neue Debatte über die Aufnahme von Flüchtlingen und über die Sicherheit entbrennen wird. Und das alles vor den politisch schwierigsten Monaten für Merkel, die noch nicht über ihre erneute Kandidatur entschieden hat."
    Die französische Zeitung "Libération" aus Paris bemerkt zu Kanzlerin Merkel:
    "Ihr Beliebtheitsgrad ist zuletzt stark gesunken - auch wenn einige europäische Spitzenpolitiker davon träumen, so viel Zustimmung zu haben. Für Merkel stellt sich im kommenden Jahr die Frage einer erneuten Kanzlerkandidatur. Sie, die so souverän war, sieht ihren Thron wackeln. Und das ist für niemanden eine gute Nachricht, schon gar nicht für die Europäische Union. Die Regionalwahl in Mecklenburg-Vorpommern ist symptomatisch für ein Übel, das ganz Europa betrifft."
    "Dieser Kampf ist noch nicht entschieden"
    "Mecklenburg-Vorpommern ist das Bundesland, in dem prozentual am wenigsten Ausländer leben", unterstreicht die polnische "Gazata Wybocza":
    "Paradoxerweise verfängt gerade dort die Anti-Einwanderungs-Propaganda der AfD, die Alarm schlägt, dass die Muslime in Deutschland die Scharia einführen wollten. Es ist schwer zu sagen, ob die AfD nach diesem Erfolg noch mehr Rückenwind bekommt. In der Partei versucht der nationalistische Flügel, die Macht zu übernehmen - und dieser Kampf ist noch nicht entschieden."
    Der britische "Guardian" aus London schreibt:
    "Eine in wachsendem Maße polarisierende Debatte über die Flüchtlingspolitik hat der AfD geholfen, auch wenn dieses Bundesland von der Flüchtlingskrise kaum betroffen war. Obwohl das Wahlergebnis keine unmittelbaren Folgen für die Arbeit der deutschen Regierung hat, ist es doch von großem symbolischen Wert für die Landtagswahl in Berlin am 18. September und für die Bundestagswahl im kommenden Jahr."
    "Misstrauen, Groll und Angst"
    Die niederländische "Volkskrant" aus Amsterdam sieht es so:
    "Es ging bei dieser Wahl weniger um Fakten, als um drei Empfindungen: Misstrauen, Groll und Angst. Das damit verbundene Unbehagen betraf mehr als nur die Vorbehalte gegen Flüchtlinge. Es ging auch um die alte Geschichte von den vergessenen europäischen Flachlandgebieten, wo die Bevölkerung sich vernachlässigt fühlt, um mangelnde Infrastruktur und fehlende Jobs sowie um ein großes Misstrauen gegen jede gefestigte Ordnung. Das ist ein Szenario, das populistischen und rechten Parteien überall in Europa Flügel verleiht. In diesem Sinne ist das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern die Bestätigung eines Trends - und eines gesamteuropäischen Problems."
    Der schweizerische "Tages-Anzeiger" aus Zürich analysiert:
    "Die große staatliche Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge hat gerade im Osten an vielen Orten den Neid derer geweckt, die das Gefühl haben, sie kämen selbst zu kurz. Verschärft die CDU ihre Rhetorik gegen Ausländer und lässt sich von der allgemeinen Anti-Islam-Hysterie mitreißen, hilft das nicht ihr, sondern bestätigt nur die Politik der AfD. Das belegt nun auch der Wahlkampf in Schwerin auf eindrückliche Weise. Politisch weitsichtiger wäre es, wenn sich die CDU wieder mehr für soziale Gerechtigkeit einsetzen würde."
    (adi/jsc)