Nahost-Krieg
Internationaler Gerichtshof befasst sich mit Vorwurf des Völkermords gegen Israel

Israel muss sich von heute an vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des Vorwurfs des Völkermords verantworten. Südafrika hat vor dem höchsten UNO-Gericht Klage wegen des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen eingereicht. Ein Überblick.

    Den Haag: Palästinensische Sympathisanten bei Demonstrationen gleichzeitig bei der Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu einer Völkermordbeschwerde Südafrikas gegen Israel.
    Demonstrationen während des Völkermordverfahrens gegen Israel in Den Haag (picture alliance/ANP/Robin Utrecht)
    Zu Beginn der Verhandlungen sagte die Präsidentin des IGH, Donoghue, Südafrika argumentiere, die israelischen Reaktionen nach den Angriffen der militant-islamistischen Hamas vom 7. Oktober hätten einen Völkermord-ähnlichen Charakter. Südafrika führe außerdem an, dass Israel andere grundlegende Verpflichtungen unter der UNO-Völkermordkonvention von 1951 verletze. Insgesamt geht es vor allen um den Vorwurf, Israel wolle die Palästinenser im Gazastreifen vernichten.
    Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza, das von der Hamas kontrolliert wird, sind bei den israelischen Militäreinsätzen bislang mehr als 23.000 Menschen getötet worden. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig prüfen. Die Vereinten Nationen weisen aber darauf hin, dass sich die Zahlen der Behörde in der Vergangenheit insgesamt als glaubwürdig herausgestellt haben.

    "Vorsätzliche Verweigerung von Medizin und Lebensmitteln"

    Südafrikas Präsident Ramaphosa hatte Israel schon im November Kriegsverbrechen und "Völkermord" im Gazastreifen vorgeworfen. Er verwies dabei vor allem auf eine "vorsätzliche Verweigerung von Medizin, Treibstoff, Lebensmitteln und Wasser für die Bewohner" des Palästinensergebiets.
    Die Klageschrift des Landes umfasst mehr als 80 Seiten. Der Gerichtshof muss sich zunächst mit einem Eilantrag Südafrikas befassen, in dem die sofortige Einstellung des israelischen Militäreinsatzes gefordert wird. Das Hauptverfahren könnte sich über Jahre hinziehen.
    Vor dem Sitz des Gerichts in Den Haag demonstrierten zum Verhandlungsbeginn Gruppen von Befürwortern und Gegnern der Klage.

    Israel pocht auf Recht auf Selbstverteidigung

    Israel hat die Vorwürfe mehrfach zurückgewiesen und pocht auf sein Recht auf Selbstverteidigung. Zuletzt sagte Ministerpräsident Netanjahu, sein Land kämpfe nicht gegen die palästinensische Bevölkerung, sondern gegen Hamas-Terroristen - und das stehe auch im Einklang mit internationalem Recht.
    Israel hat ein großes Anwaltsteam nach Den Haag entsandt, um die Völkermord-Vorwürfe zu entkräften. Schon nach der Ankündigung der Klage erklärte das israelische Außenministerium, Südafrika arbeite mit der Hamas und damit mit einer Terrororganisation zusammen, die zur Zerstörung des Staates Israel aufrufe.

    Auch Äußerungen von Kabinettsmitgliedern spielen eine Rolle

    Vor Gericht werden aber auch Äußerungen von Mitgliedern der in Teilen rechtsextremen Regierung eine Rolle spielen. ARD-Hörfunkkorrespondent Kitzler verweist etwa auf Landwirtschaftsminister Dichter, nach dessen Worten Israel die "Nakba von Gaza" veranstalte. Mit Nakba ist die massenhafte Flucht und Vertreibung von Palästinensern nach der Staatsgründung Israels gemeint. Israels Finanzminister Smotrich wiederum habe vorgeschlagen, Israel solle die "freiwillige Ausreise von Palästinensern aus dem Gazastreifen" unterstützen.

    Eine Frage der israelischen Identität

    Kitzler erläutert ganz grundsätzlich, eigentlich sei die Bereitschaft Israels, mit internationalen Organisationen zu kooperieren, eher gering. Israel stehe seit vielen Jahren auf Kriegsfuß mit der UNO und ihren Unterorganisationen. Bei der UNO-Völkermordkonvention aber - der Rechtsgrundlage für das aktuelle Verfahren - gehe es um Israels Identität. Schließlich sei die Konvention kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verabschiedet worden - unter dem Eindruck der Verbrechen des Holocaust. Israel hat, ebenso wie Südafrika, die Konvention unterzeichnet.

    Baerbock sieht keine Absicht zum Völkermord

    Bundesaußenministerin Baerbock sagte während ihrer Nahost-Reise, es sei Fakt, dass Völkermord per Definition die Absicht voraussetze, Angehörige einer nationalen, ethnischen, rassischen oder religiösen Gruppe wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten. Zitat: "Diese Absicht kann ich bei Israels Selbstverteidigung gegen eine bewaffnete Terrororganisation der Hamas nicht erkennen."

    Keine Instrumente, um Urteile auch durchzusetzen

    Israel ist nach Jugoslawien, Myanmar und Russland das vierte Land, das sich wegen Völkermordes vor dem IGH verantworten muss. Der Internationale Gerichtshof ist das zentrale Rechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen und entscheidet über Streitigkeiten zwischen Ländern. Seine Urteile sind bindend. Allerdings stehen dem IGH keine wirklichen Instrumente zur Verfügung, um eine Einhaltung seiner Urteile durchzusetzen.

    Mehr zum Thema

    Klage gegen Israel - Internationaler Gerichtshof verhandelt Völkermord-Vorwurf
    Nahost-Krieg - Israel zum Völkermord-Vorwurf und die Lage im Gaza-Streifen
    Themenseite zu Nahost - Meldungen, Hintergründe und Kommentare zum Nahost-Krieg
    Diese Nachricht wurde am 11.01.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.