"All rise! Veuillez-vous lever! The international criminal court… est ouverte."
Die Richter am ICC, wie der internationale Strafgerichtshof in Den Haag kurz genannt wird, verkünden das Strafmass im Prozess gegen Dominic Ongwen, Kommandeur der berüchtigten ugandischen Miliz Lord’s Resistance Army.
"Good morning, Mr. President…"
Bis zu seinem Urteil im Mai 2021 stand er wegen Mordes, Verstümmelungen, sexueller Gewalt und des Einsatzes von Kindersoldaten vor Gericht. Ongwen war selbst mit neun Jahren entführt und als Kindersoldat missbraucht worden. Er ist ein Opfer, das zum Täter wurde. Aber, so befand der Vorsitzende Richter, der Deutsche Bertram Schmitt: Ongwen sei dennoch voll schuldfähig.
"Dominic Ongwen has been found guilty beyond reasonable doubt…."
In insgesamt 61 Anklagepunkten wurde er zweifelsfrei für schuldig befunden und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Das Verfahren gegen Ongwen gehört zu den letzten der scheidenden Chefanklägerin Fatou Bensouda - und zu den wenigen Erfolgen, die sie verbuchen konnte. Vor neun Jahren, im Juni 2012, hatte die aus Gambia stammende Juristin den Posten von Luis Moreno Ocampo übernommen: Der Argentinier war vor knapp 20 Jahren als erster Chefankläger des ICC angetreten. Zwölf Verfahren konnten seit Bestehen des Strafgerichtshofs abgeschlossen werden. Doch von diesen zwölf wurden vier aus Mangel an Beweisen eingestellt. In fünf Prozessen wurden die Angeklagten für schuldig befunden, in drei freigesprochen. So wie zuletzt im März 2021 der frühere Präsident der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo. Die Beweislage, so die Richter, sei außergewöhnlich dünn gewesen. In allen zwölf Verfahren handelte es sich um afrikanische Angeklagte. Das brachte dem ICC den Vorwurf ein, ein Afrika-Tribunal zu sein – auch wenn Bensouda immer wieder bestreitet:
"Ich bin selbst Afrikanerin und darauf bin ich stolz. Wir ermitteln, wo wir ermitteln müssen, das ist unsere Pflicht. Und dabei lassen wir uns nie – nie - von geografischen Erwägungen leiten!"
Die Richter am ICC, wie der internationale Strafgerichtshof in Den Haag kurz genannt wird, verkünden das Strafmass im Prozess gegen Dominic Ongwen, Kommandeur der berüchtigten ugandischen Miliz Lord’s Resistance Army.
"Good morning, Mr. President…"
Bis zu seinem Urteil im Mai 2021 stand er wegen Mordes, Verstümmelungen, sexueller Gewalt und des Einsatzes von Kindersoldaten vor Gericht. Ongwen war selbst mit neun Jahren entführt und als Kindersoldat missbraucht worden. Er ist ein Opfer, das zum Täter wurde. Aber, so befand der Vorsitzende Richter, der Deutsche Bertram Schmitt: Ongwen sei dennoch voll schuldfähig.
"Dominic Ongwen has been found guilty beyond reasonable doubt…."
In insgesamt 61 Anklagepunkten wurde er zweifelsfrei für schuldig befunden und zu 25 Jahren Haft verurteilt. Das Verfahren gegen Ongwen gehört zu den letzten der scheidenden Chefanklägerin Fatou Bensouda - und zu den wenigen Erfolgen, die sie verbuchen konnte. Vor neun Jahren, im Juni 2012, hatte die aus Gambia stammende Juristin den Posten von Luis Moreno Ocampo übernommen: Der Argentinier war vor knapp 20 Jahren als erster Chefankläger des ICC angetreten. Zwölf Verfahren konnten seit Bestehen des Strafgerichtshofs abgeschlossen werden. Doch von diesen zwölf wurden vier aus Mangel an Beweisen eingestellt. In fünf Prozessen wurden die Angeklagten für schuldig befunden, in drei freigesprochen. So wie zuletzt im März 2021 der frühere Präsident der Elfenbeinküste Laurent Gbagbo. Die Beweislage, so die Richter, sei außergewöhnlich dünn gewesen. In allen zwölf Verfahren handelte es sich um afrikanische Angeklagte. Das brachte dem ICC den Vorwurf ein, ein Afrika-Tribunal zu sein – auch wenn Bensouda immer wieder bestreitet:
"Ich bin selbst Afrikanerin und darauf bin ich stolz. Wir ermitteln, wo wir ermitteln müssen, das ist unsere Pflicht. Und dabei lassen wir uns nie – nie - von geografischen Erwägungen leiten!"
Nun übergibt die Chefanklägerin ihr Amt an den Briten Karim Khan; am 16. Juni wird er Bensoudas Nachfolge antreten. Der 50-jährige Anwalt leitete zuletzt im Auftrag der UN die Untersuchung von Kriegsverbrechen der Terrormiliz "Islamischer Staat". Khan gilt als erfahren und selbstsicher, er hat bereits für mehrere internationale Tribunale gearbeitet - sowohl als Rechtsbeistand der Opfer wie auch als Ankläger und Verteidiger: "Ja, ik denk dat Karim Khan een ontzettend goede keuze is…."
Eine ausgezeichnete Wahl, findet Marieke de Hoon, Assistenz-Professorin für internationales Strafrecht an der Freien Universität Amsterdam: "Khan kennt sich aus im internationalen Strafrecht, juristisch ist er sehr stark und routiniert. Dass er obendrein nicht nur Ankläger war, sondern auch Verteidiger und Vertreter der Opfer, kann nur von Vorteil sein – dadurch hat er alle Rollen und Aspekte kennengelernt."
Die Euphorie der Anfangsjahre – verflogen
Seine Erfahrung und sein Wissen wird der Brite gut gebrauchen können. Denn das Erbe, das er antritt, ist schwer: Am Internationalen Strafgerichtshof wird seltener Recht gesprochen als zunächst erhofft und erwartet. Die internationale Justiz stehe stark unter Druck, konstatiert der belgische Jurist Serge Brammertz. Er war zunächst unter Ocampo Ankläger und wurde 2008 Chefankläger des Jugoslawientribunals, das seinen Sitz ebenfalls in Den Haag hatte: "Wenn wir uns die Konflikte in der Welt anschauen – Syrien, Jemen, Myanmar - ist es leider Gottes so, dass die Straffreiheit eher die Regel ist und die Strafverfolgung die Ausnahme. Und das ist natürlich sehr enttäuschend."
Haager Jugoslawientribunal als Wegbereiter
Verflogen ist die Euphorie, die herrschte, als der ICC im Juli 2002 seine Arbeit aufnahm. Mit ihm schien ein mehr als 100 Jahre alter Menschheitstraum wahrzuwerden: weltweit der Straflosigkeit ein Ende zu setzen. Ein Meilenstein in der Geschichte des internationalen Rechts, so William Pace: Der amerikanische Jurist war damals Leiter der Vorbereitungskommission: "Fast alle Experten sagten: ‘Das ist ein wichtiges Projekt, aber seine Realisierung werden wir nicht mehr erleben, auch unsere Kinder und Enkelkinder nicht mehr.’ Tausende von Jahren konnten Generäle, Diktatoren und Rebellenführer straffrei Kriegsverbrechen begehen. Damit ist es jetzt vorbei."
Die Idee eines solchen Weltgerichts entstand spätestens nach dem deutsch-französischen Krieg 1871. Doch es blieb lange Zeit bei einer Idee, der man nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Tribunalen Tokio und Nürnberg nur vorübergehend näher gekommen war. Erst 50 Jahre später wurden erneut mutmaßliche Kriegsverbrecher vor einem internationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen: Das war in den 1990er-Jahren, als mehrere ad hoc-Sondertribunale der Vereinten Nationen entstanden, darunter das Haager Jugoslawientribunal. Es gilt als Wegbereiter des ICC, obwohl der Gerichtshof im Gegensatz zum Jugoslawientribunal kein UN-Gericht ist, sondern ein Vertragsstaatengericht. Seine Grundlage ist das sogenannte Rom-Statut: 1998 hatten sich in Rom 120 Staaten darauf geeinigt, dieses Weltgericht zu schaffen. Es wurde wie eine Sensation gefeiert. Der deutsche Richter am ICC, Bertram Schmitt, spricht von einem historischen Glücksfall:
"Niemand hat damit gerechnet. Dann gab es aber nach dem Fall der Mauer ein Zeitfenster bis zu 9/11, also zum 11.9. 2001, den Anschlägen in New York, wo eine Zusammenarbeit auch der Großmächte des UN-Sicherheitsrats möglich war, und im Prinzip dann auch genug Staaten zusammengefunden haben, um das Römische Statut zu verabschieden, 1998. Ich glaube, dass das zehn Jahre früher wie auch einige Jahre später schon nicht mehr möglich gewesen wäre. Ein absoluter Glücksfall, natürlich dann verbunden mit ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen."
Nachdem 60 dieser 120 Staaten das Rom-Statut ratifiziert hatten, konnte das Gericht seine Arbeit aufnehmen, am 1. Juli 2002. Der erste Chefankläger Moreno Ocampo bezeichnete das als ein Wunder: "Wir machen die Welt weniger primitiv, wir haben für neue Regeln gesorgt: Wer Kriegsverbrechen begeht, wird bestraft - so lautet die wichtigste Regel. Und es funktioniert. Wir verändern die Welt. Schritt für Schritt. Von Den Haag aus."
"Niemand hat damit gerechnet. Dann gab es aber nach dem Fall der Mauer ein Zeitfenster bis zu 9/11, also zum 11.9. 2001, den Anschlägen in New York, wo eine Zusammenarbeit auch der Großmächte des UN-Sicherheitsrats möglich war, und im Prinzip dann auch genug Staaten zusammengefunden haben, um das Römische Statut zu verabschieden, 1998. Ich glaube, dass das zehn Jahre früher wie auch einige Jahre später schon nicht mehr möglich gewesen wäre. Ein absoluter Glücksfall, natürlich dann verbunden mit ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen."
Nachdem 60 dieser 120 Staaten das Rom-Statut ratifiziert hatten, konnte das Gericht seine Arbeit aufnehmen, am 1. Juli 2002. Der erste Chefankläger Moreno Ocampo bezeichnete das als ein Wunder: "Wir machen die Welt weniger primitiv, wir haben für neue Regeln gesorgt: Wer Kriegsverbrechen begeht, wird bestraft - so lautet die wichtigste Regel. Und es funktioniert. Wir verändern die Welt. Schritt für Schritt. Von Den Haag aus."
Doch diesem Anspruch kann das neue Gericht gar nicht gerecht werden. Es mag international wirken, aber es hat keine universelle Jurisdiktion. Großmächte wie China, Russland und die USA haben das Romstatut nicht ratifiziert. Sie wollen verhindern, dass sich ihre Staatsbürger jemals vor diesem Gericht verantworten müssen. Denn der ICC kann im wesentlichen nur ermitteln, wenn die Angeklagten aus einem der inzwischen 123 Vertragsstaaten kommen oder die Verbrechen auf dem Gebiet dieser Länder verübt wurden. Bei schweren Verbrechen in Ländern, die nicht zu den Vertragsstaaten gehören, kann der UN-Sicherheitsrat den ICC-Chefankläger immerhin auffordern, Ermittlungen aufzunehmen. Das ist bisher zweimal der Fall gewesen: in Libyen und im Sudan, wegen Völkermords in Darfur.
Aber eine solche Entscheidung kann durch ein Veto blockiert werden. Deshalb hat der ICC in Syrien bislang keine Ermittlungen aufnehmen können, China und Russland haben dagegen gestimmt. Das Veto im UN-Sicherheitsrat sei eines der größten Handicaps des ICC, so Strafrechtsexpertin Marieke de Hoon: "Die Erwartungen waren viel zu hoch. Die Welt ist nach wie vor voller Verbrechen, es sind viel zu wenig Länder Mitglied des ICC, vom Ende der Straflosigkeit kann keine Rede sein."
Der ICC hat keine eigene Polizeimacht
Und noch dazu gilt das sogenannte "Komplementaritätsprinzip". Demnach wird das Gericht erst dann aktiv, wenn es die Vertragsstaaten versäumen oder nicht dazu im Stande sind, einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher selbst den Prozess zu machen, erklärt Serge Brammertz. Die nationale Justiz hat also Vorrang: "Es ist schon so, dass die Idee immer gewesen ist, dass Justiz am besten dort stattfinden soll, wo die Straftaten begangen wurden, wo die Opfer leben, wo auch die Täter zu Hause sind. In einem Rechtssystem und in einer Sprache, die man versteht."
Ein weiteres Handicap: Der ICC hat keine eigene Polizeimacht und ist bei Verhaftungen und Auslieferungen auf die Mitarbeit der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen. Und die lässt zu wünschen übrig. Viele mutmaßliche Kriegsverbrecher sind trotz internationaler Haftbefehle seit Jahren auf freiem Fuß. Richter Bertram Schmitt: "Wir sind im Grunde nur so stark, wie man uns lässt."
Der ICC ist das erste internationale Strafgericht, das bei noch laufenden Konflikten aktiv wird. Dementsprechend schwer hat es die Anklagebehörde mit dem Sammeln von Beweisen: Die Gebiete sind oft unzugänglich, die Verbrechen komplex, die Zeugen häufig traumatisiert. Es braucht Dolmetscher, denn mit Englisch und Französisch kommt man nicht weit. Kein Wunder eigentlich, dass Verfahren eingestellt und Angeklagte frei gesprochen werden müssen, findet Marieke de Hoon: "Vielleicht sollte die Anklagebehörde in Zukunft pragmatischer und strategischer vorgehen: Verfahren, die aussichtslos sind, gar nicht mehr aufnehmen und sich stattdessen auf Verbrechen konzentrieren, die beweisbar sind!"
Diesen Kurs versuchte Fatou Bensouda bereits einzuschlagen. Ein Beispiel ist der Prozess gegen den malischen Islamisten Ahmad Al Faqi al-Mahdi 2016. Innerhalb von nur einem Jahr nach seiner Überstellung, wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt – wegen der Zerstörung von mehreren Grabstätten und einer Moschee in Timbuktu. Erstmals wurde das Zerstören von kulturellem Erbe als Kriegsverbrechen geahndet – zu einem Zeitpunkt, als auch in Syrien und Afghanistan bedeutsame Bauten zerstört wurden. Damit gab Bensouda ein wichtiges Signal ab: "Es geht hier nicht nur um Steine und Mauern. Es geht um Gebäude, die sowohl historisch als auch religiös bedeutend sind und darüber hinaus die Identität eines Volkes bestimmen. Es geht um Verbrechen mit dem Ziel, die Wurzeln eines Volkes zu vernichten und mit ihnen soziale Strukturen und Traditionen. Mit der Moschee und den Grabstätten wurde auch die Würde der Menschen in Nord-Mali zerstört. Sie verdienen Gerechtigkeit. Solche Verbrechen dürfen nicht länger ungestraft bleiben."
Aber solche Prozesse sind die Ausnahme. Die weitaus meisten ziehen sich über Jahre hin. Der Amsterdamer Anwalt und Professor für internationales Recht Geert Jan Knoops, der am ICC bereits als Verteidiger aufgetreten ist, plädiert deshalb dafür, die Verfahren durch das Streichen bestimmter Zwischenschritte zu straffen:
"Damit ließe sich enorm viel Zeit einsparen, das ICC könnte produktiver werden. Es würde auch helfen, wenn sich die Anklage nach dem Vorbild des Jugoslawientribunals nur auf die allerwichtigsten Anklagepunkte konzentriert und die Zahl der Zeugen, die aufgerufen werden, beschränkt."
Darüber hinaus müsse der Gerichtshof zugänglicher und transparenter werden, so Knoops, das hätte ihm den unberechtigten Vorwurf erspart, ein Afrika-Tribunal zu sein. In den weitaus meisten Fällen waren es die afrikanischen Länder selbst, die den ICC darum gebeten hatten, die Ermittlungen einzuleiten. Und in zwei weiteren Fällen – Darfur und Libyen – hatte der UN-Sicherheitsrat die Anklagebehörde dazu aufgerufen. Trotzdem konnte dieser Eindruck entstehen. Er führte dazu, dass mehrere afrikanische Staaten ihren Austritt aus dem Rom-Statut angedroht haben, bisher hat nur Burundi diesen Schritt auch vollzogen. Strafrechtsexperte Knoops: "Nach 20 Jahren ist der ICC für die Welt immer noch zum größten Teil unsichtbar. Er sollte der Öffentlichkeit klarmachen, weshalb er zum Beispiel in einem Teil der Welt in einen Konflikt eingreift und in einem anderen nicht."
Der ICC ist das erste internationale Strafgericht, das bei noch laufenden Konflikten aktiv wird. Dementsprechend schwer hat es die Anklagebehörde mit dem Sammeln von Beweisen: Die Gebiete sind oft unzugänglich, die Verbrechen komplex, die Zeugen häufig traumatisiert. Es braucht Dolmetscher, denn mit Englisch und Französisch kommt man nicht weit. Kein Wunder eigentlich, dass Verfahren eingestellt und Angeklagte frei gesprochen werden müssen, findet Marieke de Hoon: "Vielleicht sollte die Anklagebehörde in Zukunft pragmatischer und strategischer vorgehen: Verfahren, die aussichtslos sind, gar nicht mehr aufnehmen und sich stattdessen auf Verbrechen konzentrieren, die beweisbar sind!"
Diesen Kurs versuchte Fatou Bensouda bereits einzuschlagen. Ein Beispiel ist der Prozess gegen den malischen Islamisten Ahmad Al Faqi al-Mahdi 2016. Innerhalb von nur einem Jahr nach seiner Überstellung, wurde er zu neun Jahren Haft verurteilt – wegen der Zerstörung von mehreren Grabstätten und einer Moschee in Timbuktu. Erstmals wurde das Zerstören von kulturellem Erbe als Kriegsverbrechen geahndet – zu einem Zeitpunkt, als auch in Syrien und Afghanistan bedeutsame Bauten zerstört wurden. Damit gab Bensouda ein wichtiges Signal ab: "Es geht hier nicht nur um Steine und Mauern. Es geht um Gebäude, die sowohl historisch als auch religiös bedeutend sind und darüber hinaus die Identität eines Volkes bestimmen. Es geht um Verbrechen mit dem Ziel, die Wurzeln eines Volkes zu vernichten und mit ihnen soziale Strukturen und Traditionen. Mit der Moschee und den Grabstätten wurde auch die Würde der Menschen in Nord-Mali zerstört. Sie verdienen Gerechtigkeit. Solche Verbrechen dürfen nicht länger ungestraft bleiben."
Aber solche Prozesse sind die Ausnahme. Die weitaus meisten ziehen sich über Jahre hin. Der Amsterdamer Anwalt und Professor für internationales Recht Geert Jan Knoops, der am ICC bereits als Verteidiger aufgetreten ist, plädiert deshalb dafür, die Verfahren durch das Streichen bestimmter Zwischenschritte zu straffen:
"Damit ließe sich enorm viel Zeit einsparen, das ICC könnte produktiver werden. Es würde auch helfen, wenn sich die Anklage nach dem Vorbild des Jugoslawientribunals nur auf die allerwichtigsten Anklagepunkte konzentriert und die Zahl der Zeugen, die aufgerufen werden, beschränkt."
Darüber hinaus müsse der Gerichtshof zugänglicher und transparenter werden, so Knoops, das hätte ihm den unberechtigten Vorwurf erspart, ein Afrika-Tribunal zu sein. In den weitaus meisten Fällen waren es die afrikanischen Länder selbst, die den ICC darum gebeten hatten, die Ermittlungen einzuleiten. Und in zwei weiteren Fällen – Darfur und Libyen – hatte der UN-Sicherheitsrat die Anklagebehörde dazu aufgerufen. Trotzdem konnte dieser Eindruck entstehen. Er führte dazu, dass mehrere afrikanische Staaten ihren Austritt aus dem Rom-Statut angedroht haben, bisher hat nur Burundi diesen Schritt auch vollzogen. Strafrechtsexperte Knoops: "Nach 20 Jahren ist der ICC für die Welt immer noch zum größten Teil unsichtbar. Er sollte der Öffentlichkeit klarmachen, weshalb er zum Beispiel in einem Teil der Welt in einen Konflikt eingreift und in einem anderen nicht."
Ermittlungen auch außerhalb Afrikas
Inzwischen ist die Anklagebehörde auch auf anderen Kontinenten aktiv geworden: Vorermittlungen laufen in der Ukraine, in Kolumbien oder auf den Philippinen, wegen der gnadenlosen Anti-Drogen-Politik von Präsident Duerte, die bereits Tausende Menschen das Leben gekostet haben soll. Ermittlungen wurden bereits im März 2020 in Afghanistan aufgenommen und ein Jahr später in den Palästinensergebieten. Dort geht es um mutmaßliche Verbrechen während des Gazakriegs 2014. Die betroffenen Regierungen haben empört und entrüstet reagiert: Israel will die Zuständigkeit des ICC im Gazastreifen nicht anerkennen. Die USA verhängten unter dem ehemaligen Präsidenten Trump sogar Sanktionen und erließen eine Einreisesperre für ICC-Ermittler. Von einer möglichen Strafverfolgung könnten neben afghanischen Militärs und Taliban-Milizen auch US-Soldaten und CIA-Agenten betroffen sein. Trumps Nachfolger Biden hat die Sanktionen inzwischen wieder aufgehoben. Und Präsident Duterte versucht, mit dem Austritt der Philippinen aus dem Rom-Statut zu verhindern, dass gegen ihn ermittelt wird. Die Zahl der Vertragsstaaten liegt derzeit bei 123 – immerhin doppelt so viele wie bei der Ratifizierung des Rom-Statuts 1998. Gleichwohl sollte der Gerichtshof aktiver um künftige Vertragsstaaten werben, findet Richter Bertram Schmitt. Mit der Vergrößerung seines Zuständigkeitsgebietes könnte er den Universalitätsanspruch mehr und mehr durchsetzen.
"Und man muss es ja offen sagen: Wir müssen auch besser werden. Wir versuchen das ja auch. Aber der ICC hat jedenfalls aus meiner Sicht gerade in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen, was die Verfahren angeht. Also, das ist ständig im Fluss."
Sein Vorgänger am ICC, der im Sommer 2014 verstorbene deutsche Richter Hans Peter Kaul, pflegte das Gericht als "Baustelle" zu bezeichnen – als Baustelle für Gerechtigkeit. Wer an diese Institution glaube, brauche die Mentalität eines Langstreckenläufers. Bertram Schmitt kann ihm da nur beipflichten: "Es ist nicht alles gut. Es ist aber einiges gut. Und vor allen Dingen nicht alles schlecht."
Für die Opfer von Verbrechen ist der ICC weltweit die einzige Anlaufstelle, wenn ihre Heimatländer ihrer Pflicht nicht nachkommen, schwere Verbrechen selbst zu ahnden. Außerdem, so Strafverteidiger Knoops, habe der Hof wesentlich zur Entwicklung des internationalen Rechts an Forschungsinstituten und Universitäten beitragen und die nationale Justiz in vielen Ländern stärken können: "Der ICC hat eine wichtige edukative Funktion und kann eine Art von juridischer Entwicklungshilfe leisten. Außerdem hat er einen Bewusstwerdungsprozess über die bisherige Straflosigkeit in Gang gesetzt. Wann tragen Militärs und Politiker strafrechtliche Verantwortung? Das hat neue Normen und Werte geschaffen. Und das ist ein großer Gewinn."
"Und man muss es ja offen sagen: Wir müssen auch besser werden. Wir versuchen das ja auch. Aber der ICC hat jedenfalls aus meiner Sicht gerade in den letzten Jahren enorm an Fahrt aufgenommen, was die Verfahren angeht. Also, das ist ständig im Fluss."
Sein Vorgänger am ICC, der im Sommer 2014 verstorbene deutsche Richter Hans Peter Kaul, pflegte das Gericht als "Baustelle" zu bezeichnen – als Baustelle für Gerechtigkeit. Wer an diese Institution glaube, brauche die Mentalität eines Langstreckenläufers. Bertram Schmitt kann ihm da nur beipflichten: "Es ist nicht alles gut. Es ist aber einiges gut. Und vor allen Dingen nicht alles schlecht."
Für die Opfer von Verbrechen ist der ICC weltweit die einzige Anlaufstelle, wenn ihre Heimatländer ihrer Pflicht nicht nachkommen, schwere Verbrechen selbst zu ahnden. Außerdem, so Strafverteidiger Knoops, habe der Hof wesentlich zur Entwicklung des internationalen Rechts an Forschungsinstituten und Universitäten beitragen und die nationale Justiz in vielen Ländern stärken können: "Der ICC hat eine wichtige edukative Funktion und kann eine Art von juridischer Entwicklungshilfe leisten. Außerdem hat er einen Bewusstwerdungsprozess über die bisherige Straflosigkeit in Gang gesetzt. Wann tragen Militärs und Politiker strafrechtliche Verantwortung? Das hat neue Normen und Werte geschaffen. Und das ist ein großer Gewinn."
Frieden und Versöhnung kann der ICC nicht bringen
Einige Staaten haben die Idee des so genannten Weltrechtsprinzips übernommen, ihre Gerichte können auf dieser juristischen Basis besonders schwere Verbrechen oder Völkerstraftaten, wie sie auch heißen, ahnden. So wie der Prozess gegen mutmaßliche Folterer aus Syrien, der derzeit in Deutschland verhandelt wird. In Zukunft werde sich die internationale Justiz sehr stark auf nationaler Ebene entwickeln, prophezeit Chefankläger Brammertz. Darin sieht er keinen Irrweg: "Mein Punkt ist vielmehr, dass die Realpolitik uns eigentlich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat, und man jetzt anerkennen muss, dass es einige Jahre dauern wird, für einige Länder viele Jahre dauern wird, bevor sie dem Rom-Statut beitreten. Und das darf natürlich nicht zur Straflosigkeit führen. Also muss man weitere andere Wege suchen auf nationaler Ebene, da wo möglich. Auf regionaler oder internationaler Ebene, wenn nötig."
Frieden und Versöhnung kann der ICC nicht bringen; auch diese Erwartung ist zu hoch gegriffen. Dazu reicht ein Blick auf das ehemalige Jugoslawien-Tribunal. Aber, so Serge Brammertz: Der ICC könne mit seinen Urteilen zumindest eine wichtige Voraussetzung schaffen: "Strafverfolgung alleine kann niemals zur Versöhnung führen. Die Versöhnung muss innerhalb einer Gemeinschaft, innerhalb der Bevölkerung wachsen, und da müssen Politiker eine verantwortungsvolle Rolle spielen."
Auch was die abschreckende Wirkung von Urteilen betrifft, dürfen die Erwartungen nicht zu hoch sein.
Es gibt zwar Berichte, wonach Rebellenführer und Militärs ihren Untergegebenen einschärfen, keine Kriegsverbrechen zu verüben. Doch das lasse sich nicht messen, sagt Strafrechtsexpertin Marieke de Hoon: "Da können wir nur spekulieren. Aber ganz unzweifelhaft dürfte die jetzige Generation von Politikern und Militärs von der Existenz des ICC gehört haben und das bei Konflikten im Hinterkopf behalten. Denn anders als früher gehen sie nun das Risiko ein, für ihre Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das ist neu. Sie wissen zwar nicht, wie groß dieses Risiko ist. Aber sie wissen, dass es da im fernen Den Haag etwas gibt. Allein schon das ist ein Riesenfortschritt."
Frieden und Versöhnung kann der ICC nicht bringen; auch diese Erwartung ist zu hoch gegriffen. Dazu reicht ein Blick auf das ehemalige Jugoslawien-Tribunal. Aber, so Serge Brammertz: Der ICC könne mit seinen Urteilen zumindest eine wichtige Voraussetzung schaffen: "Strafverfolgung alleine kann niemals zur Versöhnung führen. Die Versöhnung muss innerhalb einer Gemeinschaft, innerhalb der Bevölkerung wachsen, und da müssen Politiker eine verantwortungsvolle Rolle spielen."
Auch was die abschreckende Wirkung von Urteilen betrifft, dürfen die Erwartungen nicht zu hoch sein.
Es gibt zwar Berichte, wonach Rebellenführer und Militärs ihren Untergegebenen einschärfen, keine Kriegsverbrechen zu verüben. Doch das lasse sich nicht messen, sagt Strafrechtsexpertin Marieke de Hoon: "Da können wir nur spekulieren. Aber ganz unzweifelhaft dürfte die jetzige Generation von Politikern und Militärs von der Existenz des ICC gehört haben und das bei Konflikten im Hinterkopf behalten. Denn anders als früher gehen sie nun das Risiko ein, für ihre Straftaten zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das ist neu. Sie wissen zwar nicht, wie groß dieses Risiko ist. Aber sie wissen, dass es da im fernen Den Haag etwas gibt. Allein schon das ist ein Riesenfortschritt."