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Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda
Bahnbrechender Schuldspruch auf Völkerrecht-Grundlage

Ein Völkermord, den zunächst niemand stoppte: In Ruanda wurden im Jahr 1994 innerhalb von nur 100 Tagen mindestens 800.000 Menschen getötet. Der UN-Sicherheitsrat beschloss daraufhin die Einrichtung eines "Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda".

Von Monika Köpcke |
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in einer Gedenkstätte in Ruandas Hauptstadt Kigali
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in einer Gedenkstätte in Ruandas Hauptstadt Kigali (picture-alliance/ dpa / Wolfgang Langenstrassen)
    "Ich habe furchtbare Dinge gesehen. In einer Kirche in Gahini war alles voller Blut. Ich habe kleine Kinder gesehen, die an den Brüsten ihrer getöteten Mütter saugten."
    "In meinem Viertel sind fast alle Tutsi ausgerottet worden. Ich habe ein beinahe dreimonatiges Martyrium durchgemacht. Sie fingen an, die Menschen nicht mehr zu erschießen, sondern mit Macheten zu töten."

    Ruanda 1994: Radikalisierte Hutu folterten, vergewaltigten und töteten Angehörige der Tutsi-Minderheit. Es war ein Gewaltexzess. Kühl geplant von der Hutu-Regierung. Nicht nur Soldaten, Milizen und Polizisten, auch viele Zivilisten beteiligten sich an den Gräueltaten.
    "Es geschah am 12. April 1994. Wir waren siebzig Männer. Wir waren einfach Leute, die sich zusammengefunden hatten. Wir sind in die Nachbargemeinde nach Uhinga gegangen. Dort haben wir einen Menschen getötet. Wir kannten ihn nicht. Wir haben nicht einmal gewusst, wo der Mann wohnt. Die Nachbarn sagten uns: Das ist das Haus des Tutsi."
    Das Völkerrecht als Grundlage
    Innerhalb von nur 100 Tagen wurden mindestens 800.000 Menschen getötet. Erst der Einmarsch der Tutsi-Rebellenarmee des heutigen Präsidenten Paul Kagame beendete im Juli 1994 das Morden. Die Weltgemeinschaft, die fassungs- , aber auch tatenlos zugesehen hatte, wollte nun ein Zeichen setzen. Der UN-Sicherheitsrat beschloss die Einrichtung eines "Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda". Wie auch mit dem Jugoslawien-Tribunal, das bereits seit Mai 1993 existierte, wollte man die Verbrechen nach dem Völkerrecht ahnden.
    Anfang 1995 nahm das Gericht im benachbarten Tansania seine Arbeit auf. Die Drahtzieher der Gewaltverbrechen - Militärchefs, Politiker, Journalisten, Bürokraten - mussten sich hier verantworten. Den über hunderttausend Mitläufern sollte in Ruanda der Prozess gemacht werden.
    Am 2. September 1998 fiel das erstes Urteil: Lebenslange Haft für Jean Paul Akayesu, Bürgermeister der Gemeinde Taba. Wegen Anstachelung zur Vergewaltigung wurde Akayesu des Völkermords für schuldig gesprochen.
    "Der Gerichtshof befand, dass die Vergewaltigung der Tutsi-Frauen darauf abzielte, die Bevölkerung der Tutsi als Ganzes zu zerstören und so stellten sie eine Verbindung zwischen der Vergewaltigung der Tutsi-Frauen und der Zerstörung der Tutsi-Bevölkerung her. Und deswegen kann Vergewaltigung Völkermord bedeuten."
    Navanethem Pillay war Präsidentin des Akayesu-Tribunals:
    "Das ist das erste Mal in der Geschichte, dass Vergewaltigung als Völkermord strafrechtlich verfolgt und verurteilt wurde. Und das, obwohl der Angeklagte selber keinen Menschen tötete und keinen Menschen vergewaltigte. Die Tatsache, dass er in der Position war und die Autorität hatte, es anderen zu befehlen oder sie dazu zu ermutigen, machte ihn nach den Statuten des Tribunals gleichermaßen schuldig."
    Neben viel Anerkennung auch Kritik
    Damit wurde zum ersten Mal die UN-Konvention über die Ächtung des Völkermords von 1948 angewandt. Carla del Ponte war die Chefanklägerin im Ruanda- und im Jugoslawien-Tribunal:
    "Das Jugoslawien- und Ruanda-Tribunal sind die ersten internationalen Gerichtshöfe, die sich mit der Durchsetzung des humanitären Völkerrechts befassen. Deshalb ist praktisch jeder Schritt der beiden Tribunale, jedes Urteil, jede Entscheidung auch in prozessualen Fragen im wahrsten Sinn bahnbrechend."
    Am 21. Dezember 2015 beendete das Ruanda-Tribunal seine Arbeit. Nach gut 21 Jahren, 92 Anklagen und 61 Verurteilungen galt die juristische Aufarbeitung des Genozids als abgeschlossen. Neben viel Anerkennung gab es auch Kritik: Zu langsam und zu kostspielig sei das Gericht gewesen. Und vor allem habe es die grausamen Racheakte, die 1994 von Tutsi-Rebellen an den Hutu verübt worden waren, nicht untersucht - obwohl es nach seinem Mandat für alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständig war. Den Auftrag, zur Versöhnung in Ruanda beizutragen, konnte das Tribunal so nicht erfüllen.