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Internationales Atomabkommen
"Es wird sehr, sehr schwierig, dieses Abkommen noch zu retten"

Der Iran hat mit der Inbetriebnahme von 40 modernen Zentrifugen zur Urananreicherung weitere Schritte zur Abkehr vom internationalen Atomabkommen eingeleitet. Damit wolle das Mullah-Regime gegenüber den Abkommenspartnern Druck aufbauen, sagte Nahost-Experte Daniel Gerlach im Deutschlandfunk.

Daniel Gerlach im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Irans Präsident Hassan Rohani mit dem Chef der Atombehörde, Ali Akbar Salehi, am 9.4.2019
Die Iraner bauten zwar gegenüber den Abkommenspartnern zwar Druck auf, hielten sich die Rückkehr an den Verhandlungstisch jedoch offen, so Orientalist Daniel Gerlach im Dlf (Iranian Presidency)
Seit die USA das Atomabkommen mit dem Iran vor über einem Jahr verlassen haben, kämpft die EU um den Erhalt des Deals. Klar ist, sie kann die Vereinbarung mit Teheran, die sie selbst maßgeblich mit ausgehandelt hatte, nur retten, wenn das Mullah-Regime weiterhin wirtschaftliche Vorteile daraus zieht, doch das scheint angesichts der wieder in Kraft gesetzten US-Sanktionen so gut wie unmöglich. Konsequenz: Stück für Stück zieht sich auch der Iran aus seinen Verpflichtungen zurück. Heute endet eine weitere 60-Tage-Frist, die Teheran gesetzt hat .
Am Telefon begrüße ich Daniel Gerlach, er ist Orientalist und Nahostexperte, leitet das Magazin "zenith: Zeitschrift für den Orient".
Dossier: Atomwaffen
Gerlach: Amerikaner haben die Verantwortung auf Europäer abgeladen
Mario Dobovisek: Eine weitere Frist läuft aus, und der Iran nimmt wieder schnelle Uranzentrifugen in Betrieb. Müssen wir das Atomabkommen jetzt endgültig abschreiben?
Daniel Gerlach: Da wird natürlich heiß drüber diskutiert, ob dieses Atomabkommen überhaupt noch besteht. Natürlich juristisch besteht es schon noch, denn ansonsten würde es jetzt im UN-Sicherheitsrat die nächste Sitzung geben, und dann würden automatisch Sanktionen in Kraft treten, nicht nur von Seiten der USA, sondern von Seiten aller Unterzeichner und Garantoren.
Es wird sehr, sehr schwierig, dieses Abkommen noch zu retten. Was die Iraner jetzt, meinem Eindruck nach versuchen, sie wollen Verhandlungsmasse kreieren, das heißt, sie wollen Druckmittel aufbauen und wollen etwas haben, von dem sie nachher wieder Abstand nehmen können, aber sie achten dabei, meiner Ansicht nach, immer ziemlich darauf, dass sie zumindest juristisch noch einen Weg nach draußen haben und auch zurück an den Verhandlungstisch kommen können.
Sie haben auch heute wieder gesagt, wir haben diesen Schritt eingeleitet, das heißt, wir können höher anreichern, aber wir erlauben der internationalen Atomenergiebehörde alle Kontrollen, die können jederzeit, so wie vereinbart, kommen und sich von den Zuständen überzeugen. Also zumindest besteht man drauf, dass man hier nichts heimlich machen möchte.
Dobovisek: Ist das eine geschickte Strategie Teherans?
Gerlach: Ich weiß nicht, ob das eine geschickte Strategie ist. Es ist auf jeden Fall nicht so geschickt gewesen, die ganze Verantwortung auf die Europäer abzuladen, denn das haben die Iraner in den letzten Monaten gemacht. Sie haben gesagt, na gut, ihr habt dieses Abkommen verhandelt, ihr habt es unterzeichnet, die Europäische Union, kann man sagen, ist einer der wenigen großen, wirklich internationalen Verhandlungserfolge, jetzt machen die Amerikaner alles zunichte, jetzt steht ihr in der Verantwortung, das zu retten. Die Europäer haben gesagt, na gut, wir wollen uns darum vielleicht bemühen, aber wir sehen jetzt auch nicht ein, warum wir diejenigen sein sollen, die den Karren jetzt aus dem Dreck ziehen müssen, denn das ist immerhin ein internationales Abkommen, das von den Vereinten Nationen befürwortet und mit ausgehandelt wurde und unterstützt wird vor allem. Insofern gibt es hier auch andere Mächte wie China, Russland und andere Staaten der Welt, die hier mithelfen müssen, und die Iraner müssen dafür ihrer Verantwortung weiterhin gerecht werden.
"Die Iraner wollen Druck aufbauen"
Dobovisek: Wie würde das aussehen, die Verantwortung der Iraner in dem Fall?
Gerlach: Die Iraner könnten natürlich sagen, wir interessieren uns gar nicht für das, was die Amerikaner da tun, sondern wir halten uns einfach ganz stringent an unseren Teil des Abkommens. Man diskutiert ja durchaus auch im Iran darüber, bringt das eigentlich was, jetzt die Eskalationsstufe zu erhöhen beziehungsweise bringt es überhaupt was, hier nuklear anzureichern, denn letztendlich wird es uns keine wirtschaftlichen Vorteile bringen.
Die Iraner wollen Druck aufbauen, sie wollen Verhandlungsmasse kreieren und müssen sich gegenüber der eigenen Bevölkerung und gegenüber den eigenen Anhängern auch irgendwie noch dafür noch rechtfertigen, dass sie nicht tatenlos herumstehen.
Dobovisek: Wenn ich da Ihr Argument noch mal ein bisschen zuspitzen darf, Herr Gerlach, ist das also eine unnötige Provokation, die Teheran da heute ankündigt oder umsetzt vielmehr.
Gerlach: Eine unnötige Provokation ist es vielleicht nicht, es ist ein Versuch, mehr Druck aufzubauen und die anderen Mächte zu Zugeständnissen zu verpflichten. Das hatte ja zwischenzeitlich auch Erfolg. Diese Taktik, Druck aufzubauen, hat immerhin dazu geführt, dass die Europäer gesagt haben – in vergangener Woche in Biarritz gab es den G7-Gipfel –, und da haben sie gesagt, wir bieten den Iranern zum Beispiel eine Kreditlinie an von 15 Milliarden.
Das kann nur nichts bringen, wenn die Amerikaner gleichzeitig den Kauf von Öl verhindern dadurch, dass sie allen Staaten und Firmen auf der Welt nicht erlauben, iranisches Öl zu kaufen, dann bringen auch Kredite nichts. Aber es gab schon den Versuch der Europäer, auf diesen Druck zu reagieren, das ernst zu nehmen, und sie haben auch versucht, die Amerikaner davon zu überzeugen, die sogenannten waiver, das heißt, die Ausnahmegenehmigung für den Kauf von Öl zu verlängern, aber die Amerikaner wollen ihrerseits anscheinend zwar keinen Krieg und keine militärische Eskalation, aber sie wollen die Situation auf diesem Konfliktlevel weiterkochen lassen während des Präsidentschaftswahlkampfs. Sie wollen keinen militärischen Konflikt, aber sie wollen diesen maximalen Druck, und da kommt ihnen noch einiges bei in die Quere.
"Instex ist eine symbolische Sache"
Dobovisek: Jetzt hatten die Europäer ja probiert, mit einer Art Tauschbörse die US-Sanktionen zu umgehen. Das ist ja Kern und für viele Beobachter auch Schlüssel für die Wirtschaft im Iran und dementsprechend ein Einlenken auch mit Blick auf den Atomdeal mit Instex, einer Zweckgesellschaft, wie die Europäer das genannt hatten, doch die funktioniert nicht, jedenfalls nicht so wie gewünscht. Warum nicht?
Gerlach: Dieses Instex hat bisher kein einziges Geschäft abgewickelt. Das ist übrigens auch oft missverständlich berichtet worden. Instex hat mit dem Ölhandel nichts zu tun. Also das, woraus Iran 40 Prozent seiner Einkünfte, insbesondere der Regierung 40 Prozent ihrer Einkünfte bezieht, hat mit Instex eigentlich nichts zu tun. Das Problem bei diesem Instex-Mechanismus – ich möchte jetzt nicht zu technisch werden, aber – ist, man muss natürlich erst mal Unternehmen und Banken finden, die da irgendwie mitmachen, denn die Unternehmen gehen natürlich nicht in eine solche Tauschbörse rein, um ihrer patriotischen Pflicht gerecht zu werden und die Souveränität Europas oder des Nukleardeals zu retten, sondern die haben natürlich eigene wirtschaftliche Interessen, und die überlegen sich natürlich, ob sie das machen. Es gab verschiedene, auch bürokratische Hindernisse, aber ich denke, man muss jetzt auf einen anderen Punkt schauen. Instex ist eine symbolische Sache. Andere Staaten wie die Chinesen kommen jetzt rein, und die verändern die Gleichung. Die Chinesen haben sich bisher nicht so wirklich an die Sanktionen der Amerikaner, Sanktionsbestimmungen der Amerikaner gehalten, aber im Laufe dieses eskalierenden Wirtschaftskriegs zwischen den USA und China sagen die Chinesen auf einmal, na gut, dann werden wir die Iraner jetzt mal etwas unterstützen. Die Chinesen haben gestern angekündigt, da ist eine Zahl von 280 Milliarden Dollar im Äther unterwegs, haben angekündigt, dass sie massiv in den iranischen Ölexport und die iranische Wirtschaft investieren wollen. Das gibt natürlich den Iranern wieder etwas breitere Schultern gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung, aber auch in den Verhandlungen mit den Europäern und den Amerikanern, wenn es dazu mal kommen sollte, denn die Iraner sagen ganz klar, wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir hier zusammenarbeiten, und wenn die Chinesen uns unterstützen, dann soll uns das durchaus recht sein.
"Amerikaner kennen das Spiel ganz gut"
Dobovisek: Das birgt aber gleich ganz neues altes Konfliktpotenzial, weil – Sie haben es angesprochen – die USA und China sowieso im Clinch liegen mit dem Handelskonflikt. Wie gefährlich ist dieses, ich sage mal, Dreieck, das wir da gerade beschrieben haben?
Gerlach: Also ich denke, dass alle Seiten hier wissen, was sie tun und sehr, sehr langfristige Überlebensstrategien im Kopf haben. Das gilt übrigens, nach meinem Eindruck, sogar für die Amerikaner. Natürlich wird Trump vorgeworfen, dass er nicht ganz dicht ist, und die Amerikaner werden auch oft als ignorant und unwissend dargestellt, was die Region im Nahen Osten anbelangt. Die Amerikaner kennen das Spiel ganz gut, selbst solche Leute wie Sicherheitsberater John Bolten, die wissen natürlich schon, wie die Kräfteverhältnisse im Nahen Osten aussehen, wie die sich verändern können, dass Israel möglicherweise in Mitleidenschaft gezogen wird. In Israel gibt es in zwei Wochen Wahlen. Also das heißt, alle Seiten wissen zwar, was sie tun und wissen auch die Folgen ihres Handelns, nach meinem Eindruck, zu berechnen, nur das kann natürlich trotzdem dazu kommen, dass irgendjemand irgendeine unüberlegte Tat tut und dann eine Eskalation, ein Dominoeffekt eintritt, der dann auch militärische Folgen haben kann.
"Europäer sollten selbstbewusster nach vorne gehen"
Dobovisek: Genug Kriegsschiffe im persischen Golf beobachten wir ja bereits, um zum Beispiel auch die Öltanker zu beschützen, diese Militärmission, die dort angelaufen ist. Gleichzeitig – Sie haben es vorhin auch schon angesprochen – am Rande des G7-Gipfels gab es entspannende Signale, ein mögliches Treffen der Staatschefs der USA und auch Irans war in Aussicht gestellt. Was überwiegt Ihrer Meinung nach, dieser zaghafte Versuch einer Annäherung oder die Konfrontation, die Sie beschrieben haben?
Gerlach: Das ist sehr schwer zu sagen und auch ein bisschen von der Tagespolitik abhängig. Wie ich ja eben schon sagte, alle verfolgen hier langfristige Interessen. Nach meinem Eindruck, die einzigen, die das nicht so wirklich tun, sind die Europäer. Die sagen zwar, wir wollen internationale Abkommen wieder salonfähig machen, wir wollen dafür sorgen, dass internationale Abkommen als Lösungsmechanismus funktionieren, und dafür sind wir auch bereit, uns wirklich hier einzusetzen, aber ich denke, die Europäer sollten hier etwas selbstbewusster noch nach vorne gehen und sagen, gut, wenn niemand die Sache in die Hand nimmt, dann tun wir das. Das, was bisher läuft zwischen Macron und Merkel, ist zwar vielleicht ein erster Versuch, aber ich denke, das genügt noch nicht. Es wäre auch hier eine Chance, die Briten wieder stärker mit ins Boot zu holen und zu sagen, na gut, auch wenn wir in europäischen Fragen und so gerade über Kreuz sind, aber in dieser Frage, da geht es wirklich um unsere langfristigen Machtinteressen und unsere nationalen Sicherheitsinteressen, und deswegen halten wir hier zusammen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.