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Internationales Theater in Dresden
Begraben im Eis

Mit "Der Scheiterhaufen" hat der rumänisch-ungarische Autor Györy Dragomán das Ende der Diktatur Nicolae Ceausescus aufgearbeitet. Es ist eine Geschichte vom Erwachsen werden, vom Schweigen, von Schuld und vom Erbe des Unrechts. Armin Petras hat den Roman in einer internationalen Produktion auf die Bühne gebracht - mit starken Momenten und einigen Längen.

Von Thilo Körting |
    Armin Petras, der Intendant des Schauspiels Stuttgart, steht am 02.06.2016 im Opernhaus in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Foyer an einer Treppe.
    Der Regisseur Armin Petras hat in Dresden eine historische Recherche betrieben. (picture alliance / dpa / Bernd Weißbrod)
    Anfang der 90er-Jahre in Rumänien, kurz nach dem Regimewechsel. In "Der Scheiterhaufen" erzählt die 13-jährige Emma, wie sie von ihrer Großmutter aus dem Waisenhaus geholt wird. In der Geburtsstadt ihrer Mutter soll sie ein neues Leben beginnen, so wie auch im ganzen Land ein neues Leben beginnen soll.
    Emma muss sich den Herausforderungen des Erwachsenwerdens stellen: Wie sich ihr Körper verändert, wie sie versucht, eine so gute Läuferin wie ihre Mutter zu werden, wie sie die Liebe entdeckt. Doch gleichzeitig muss sie mit zahlreichen Anfeindungen umgehen, denn die Wunden des Landes klaffen immer noch: Ihre Klassenkameraden halten Emma für eine Kommunistin, ihre Großmutter für verrückt und ihren verstorbenen Großvater für einen Denunzianten.
    "Ich kenne dich, du kleines Miststück, ich kenne deine Sippe. Hau ab, hast du nicht gehört, was ich gesagt hab. Hau ab, du Judenbalg."
    Petras destilliert einzelne Szenen aus der Romanvorlage
    Die Frau auf dem Marktplatz weint den Opfern des Aufstands nach, von denen sie sich nicht verabschieden konnte. Die Securitate hatte ohne Vorwarnung in die Demonstration geschossen und die Leichen verschwinden lassen. Sie wurden im Eis versteckt. So steht auch das Bühnenbild in der Dresdener Inszenierung für die vergrabene, verschwiegene Vergangenheit. Olaf Altmann hat ein flaches Becken auf der Bühne installiert, das mit seinen breiten, kupferfarbenen Rändern an ein Schwimmbad erinnert. Doch es ist nicht mit Wasser gefüllt, sondern mit Eiswürfeln, durch die zwei Darstellerinnen stapfen, tanzen, graben.
    "Großmutter zeichnet wieder eine Linie ins Mehl – es ist Großvater. So, versuch du es auch einmal."
    Petras destilliert einzelne Szenen aus der gleichnamigen Romanvorlage von György Dragomán und nutzt sie als Spielmöglichkeiten, die die beiden Darstellerinnen Viktoria Miknevich und Lea Ruckpaul mit viel Energie nutzen. Sie rezitieren den Romantext und improvisieren damit, werden zur Ich-Erzählerin, zur Großmutter, zur Sportlehrerin, zur Rivalin. Dabei versucht Petras erst gar keine Illusion der Realität zu erzeugen - das Theater bleibt sichtbar: Die Schauspielerinnen wechseln die Kostüme auf offener Bühne, ebenso wie sie ständig ihre Rollen tauschen. Sie sprechen im Wechsel den Text der Emma, die sich in einen alten Badeanzug zwängt. Mit Mütze und ein wenig schwarzer Schminke wird Lea Ruckpaul im nächsten Moment zu Emmas Freund Peter, eine goldene Rettungsdecke soll seinen Falken darstellen.
    "Dankeschön. Schmeckt ihr. Gerne. Ich muss jetzt los. Ja, aber man sieht sich. Auf dem Weg nach Hause spüre ich, wie etwas über mir schwebt. Ich schaue nach oben und sehe: Ré!"
    Die Inszenierung wurde nicht nur für deutsche Bühnen erarbeitet
    Mit seinem Regieansatz des offensichtlichen Theaterspiels umgeht Petras die Gefahr, die rumänische Historie aus einer deutschen Sicht zu vereinnahmen. Er zeigt die Geschichte stattdessen als Fiktion auf der Bühne. Gerade bei dieser Produktion ist das von besonderer Bedeutung, denn die Inszenierung wurde nicht nur für deutsche Bühnen erarbeitet. Gleichzeitig hat Petras mit jeweils zwei Darstellerinnen aus Ungarn und Rumänien zusammengearbeitet, die das Stück in Sibiu und Budapest zeigen werden. Dabei lässt Petras‘ Regieansatz genug Freiheiten, um den Darstellerinnen zu ermöglichen den Stoff mit ihrem eigenen Stil zu begegnen und die Situationen zu verkörpern.
    "Los, mach einen Mund rein! Jetzt die Nase, mach die Nase rein! Die Augen auch. Und dann stößt Großmutter ein riesiges Stück brennende Glut genau in sein Herz, da wo das Herz sein sollte und sie sagt: Du Miststück!"
    Zum Schluss graben die beiden Darstellerinnen nach einer Art Golem, ihre schwarze Kleidung haben sie abgelegt und ihren Körper mit Schlamm beschmiert. Vielleicht suchen sie auch die jüdische Freundin, die die Großmutter im Schuppen versteckt hatte, oder nach der Wahrheit über den Großvater oder den Lügen des Regimes. So entsteht am Ende des Stückes eine archaische Stimmung, die verdeutlicht, wie sehr die Gegenwart von der Vergangenheit beeinflusst werden kann. Die Beschreibung dieses Umstandes zeichnet den Roman "Der Scheiterhaufen" von György Dragoman aus. Dragoman erzählt zwar vom Erwachsenwerden des Mädchens Emma, doch zwischen den Zeilen liegt eine triste, manchmal sogar bedrohliche Stimmung: Die Verbrechen des kommunistischen Regimes sind immer noch präsent.
    Leider kann diese feine Prosa auf der Bühne nicht die gleiche Wirkung entfalten. Vor allem zu Beginn zeigt sich die Inszenierung schwach, stellt den Roman lediglich nach. Erst im Laufe des Abends entstehen Szenen, die das Publikum in ihren Bann ziehen. So schafft Armin Petras mit "Der Scheiterhaufen" am Dresdener Staatsschauspiel zwar einen gelungenen Theaterabend, der jedoch nicht an die Romanvorlage heranreicht.