"The power of new technologies means that there are fewer and fewer technical constraints on what we can do."
Dass ein US-Präsident eine Rede quasi an die ganze Welt hält, kommt selten vor. Wenn Barack Obama dies im Falle des NSA-Skandals für nötig hielt, dann deutet dies an, welche große Bedeutung das Politikfeld Internet mittlerweile hat. Und wie wichtig es ist, Netzpolitik zu erklären.
"That places a special obligation on us to ask tough questions about what we should do."
"Ein Grundthema, das ist der Wunsch nach Freiheit im Internet auf der einen Seite, der Staat soll gar nichts beschränken, und Meinungsfreiheit ist ein ganz hohes Gut in diesem Kontext, und auf der anderen Seite aber auch Akteure, die denken, unsere Kinder sind bedroht, da gibt es ganz viel Schmutz und Gefahr und Terroristen, die da rumlaufen, und wir müssen jetzt hier mal Ordnung reinbringen."
Jeanette Hofmann leitet am Wissenschaftszentrum Berlin WZB ein neues Forschungsprojekt, das das Feld zwischen diesen Positionen ausleuchten soll. Sie selbst hat schon vor 20 Jahren begonnen, sich sozialwissenschaftlich mit dem Internet zu beschäftigen.
"Als wir hier angefangen haben, war das Internet noch schwarz-weiß. Man musste seine Textverarbeitung schließen und seine E-Mail-Software dann starten, es ging nicht gleichzeitig."
Damals war Jeanette Hofmann noch ziemlich allein mit der Vermutung, dass dieses Medium einmal ein Thema für die Politik werden könnte.
"Es ist ja auch nicht so, dass das, was ein Politikfeld abbildet, eine objektive Widerspiegelung von gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Problemen ist, sondern das sind Aufmerksamkeitszyklen."
Professionelle, nicht-staatliche Akteure
Aufmerksamkeitszyklen hat das Internet inzwischen einige durchlaufen. Zuerst ging es um die Datenautobahnen, die nicht schnell genug gebaut werden konnten. Später begeisterten sich Millionen daran, sich mithilfe von Suchmaschinen die Welt quasi ins Haus zu holen. Während des Arabischen Frühlings setzte eine junge Generation soziale Netzwerke erstmals als politische Waffe ein. In Deutschland zogen die Piraten in mehrere Landtage ein. Seit dem NSA-Skandal ist unübersehbar, wie hoch brisant dieses Thema ist, auch wenn die Piraten schon wieder an Bedeutung verlieren. Das heißt aber nicht, dass die Aufmerksamkeit für das Internet generell bereits wieder schwindet, betont Julia Krüger, Politologin am WZB.
"Die Piraten sind ja nicht der einzige Akteur. Wenn man sich das soziologisch anguckt, dann gab es seit den 80ern mit dem CCC, dem Chaos Computer Club, viele gesellschaftliche Akteure, die sich vernetzt haben, die neue Plattformen und Newslisten genutzt haben. Die Piraten kamen nicht aus einem luftleeren Raum heraus. Es gibt neben den Piraten die Digitale Gesellschaft, netzpolitik.org, das sind alles relativ professionelle Akteure."
Wo professionelle Akteure auftreten, etabliert sich ein Politikfeld. Sie halten das Thema im Gespräch. Manchmal spielen Ministerien diese Rolle, etwa in den Bereichen Umwelt oder Soziales. Auf dem Politikfeld Internet agiert eine unüberschaubare Anzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen.
"Was ja ganz interessant ist, als Beispiel für Expertise und Institutionalisierung, dass Mitglieder des Chaos Communication Clubs auch bei Bundesverfassungsgerichtsurteilen mitwirken, also dass das auch institutionalisierte Beziehungen sind, die weit über Blogs, Foren hinausgehen."
Debatten im Internet verlaufen oft regellos
Solche Beziehungen zeigen, dass sich im Politikfeld langsam Strukturen herausbilden. Aber noch fehlen eingespielte Verfahren, um Interessen auszugleichen - etwa so wie im Bereich Lohnpolitik, wo die Tarifgespräche zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften schon weitgehend ritualisiert sind. Debatten im Internet verlaufen oft regellos, wie etwa der Streit ums Urheberrecht. Anfangs schienen sich Verfechter einer Gratiskultur durchzusetzen, einfach weil so viele Leute sich Musik oder Filme kostenlos herunterladen. Die Wende kam, als Autoren und Musiker begannen, sich dagegen zu wehren und einen schlagkräftigen Kampfbegriff fanden.
"Raubkopie oder Raubkopierer ist eine Metapher für eine bestimmte Sichtweise auf ein politisches Thema. Es ist ein Begriff, der sehr stark forciert wurde und gegen den keine Gegenbegriffe so richtig etabliert werden konnten. Daran sieht man auch, dass durch Sprache, Begriffsbildung Politik gemacht wird und das Problem durch die Sprache auch definiert wird."
Maximilian Hösl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am WZB, will mit seinen beiden Kolleginnen der Frage nachgehen, welche Themen langfristig das Politikfeld Internet bestimmen werden. Antworten wollen sie im Netz selbst finden, mit Unterstützung von Computer-Linguisten. Die sollen die riesigen Textmengen, die in netzpolitischen Blogs und Foren publiziert werden, auf wiederkehrende Schlüsselbegriffe durchforsten. Für Maximilian Hösl und Jeanette Hofmann ist aber jetzt schon klar, dass etwa der Schutz der Privatsphäre immer weit oben auf der Agenda stehen wird.
"Ich denke, dass durch die Snowden-Debatte eben gerade jetzt die Leute erkennen, dass das ein relevantes Gut ist. Weil gerade dieses Thema so greifbar dadurch geworden ist. Es ist mit einer Person verknüpft worden, und gerade dadurch kommt es nahe an die Individuen heran. So machen sie sich vermehrt Gedanken über ihre Privatsphäre. Wie kann ich wieder Souveränität über meine Daten, die ich produziere, erlangen?"
"Früher war es so, dass die Privatsphäre gegeben schien und man sich gegen deren Verletzung wehren musste. Was wir jetzt erleben, ist dass Privatsphäre hergestellt werden muss, und ein Teil von Netzpolitik darin bestehen wird, die technischen, politischen und sozialen und kompetenzbezogenen Voraussetzungen dafür schaffen muss, dass wir individuell und kollektiv, je nachdem, erst in der Lage sind, sie zu bauen."
Gerade weil etwas so Selbstverständliches zerbrochen ist, sind viele Leute verunsichert. Einfach im Umgang mit Google oder Facebook ein bisschen vorsichtiger zu sein, wird nicht reichen. Sich ganz vom Netz fernzuhalten, ist fast unmöglich."
"Ich glaube, dass die Unterscheidungen, man ist im Internet oder begibt sich ins Internet oder man ist außerhalb, dass die über kurz oder lang keine mehr Rolle spielen wird, weil das Internet so wie das Stromnetz auch immer da sein wird und wir mit irgendeinem Gerät immer online sein werden, ob wir das jetzt bewusst wahrnehmen oder nicht. Generell geht der Trend dahin, was wir auch beim Stromnetz haben, wo der Strom als solcher nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht, sondern die Anwendung. Ich föhne mir die Haare, ich öffne den Kühlschrank, ich schalte den Fernseher ein, aber ich sage nicht, ich benutze Strom."
Das Netz verändert die gesamte Lebenswelt
Das Bild vom Internet wandelt sich. Es ist nicht mehr einfach nur eine neue Technologie, mit der man schnell Informationen austauschen kann. Es ist auch nicht nur eine Plattform für neue Geschäftsmodelle oder ein neuer Ort für Spiele und Vergnügen. Das Netz verändert die gesamte Lebenswelt.
"Das Internet ist keine Datenautobahn. Das ist nicht nur etwas, das man überquert, um irgendwo anzukommen, sondern wie auf der Ponte Vecchio, da haben ja auch Häuser gestanden, da haben die Leute selbst auf dieser Brücke gelebt."
Auf der berühmten Brücke in Florenz haben die Menschen im Mittelalter Häuser gebaut und damit nicht nur einen Übergang über den Arno, sondern einen kleinen Stadtteil geschaffen. Dass sie, ganz ähnlich wie damals die Florentiner, ebenfalls einen neuen sozialen Raum eröffnen würden, das war den frühen Nutzern des Internets in den 1990er-Jahren durchaus bewusst, erzählt Jeanette Hofmann.
"Es gab eine "Netiquette", was man da tun darf und was nicht, ganz viel Moral, dass man mindestens so viel rein geben soll ins Internet, wie man raus nimmt usw. Das wirkt heute verschroben, aber in den frühen 90erJahren war das sehr wichtig.
Nach einer Phase scheinbar grenzenloser Freiheiten genießen Verhaltensnormen wieder mehr Wertschätzung. Wie einst in der realen Welt müssen jetzt in der virtuellen Sphäre rechtsstaatliche Verhältnisse, Demokratie und regulierte Märkte etabliert werden. In der analogen Welt hat das Jahrhunderte gedauert, im digitalen Zeitalter geht alles schneller. Die Auseinandersetzungen um Umgangsformen im Internet könnten sich aber auch über einige Jahrzehnte hinziehen, meint Julia Krüger.
"Das beobachten wir, wie die Kämpfe darum sind, um bestimmte Werte, um bestimmte Güter, um bestimmte Ideen, um bestimmte Normen, um Visionen, wie Gesellschaft aussehen kann."
Bestimmte Themen bleiben außen vor
Auch im Internet gibt es einige wenige staatliche und wirtschaftliche Akteure, die die Szenerie beherrschen. Und es gibt Hunderte Millionen Bürger, die im Netz User heißen und sich nur dann durchsetzen können, wenn sie sich zusammenschließen. Aber es gibt auch viele, die gar keine Chance auf Mitsprache haben, mahnt Julia Krüger, etwa Flüchtlinge, die Zuflucht in den entwickelten Ländern auf der Nordhalbkugel suchen.
"Was ich zum Beispiel interessant finde, ist die ganze Problematik um die Entstehung von Überwachungssystemen oder Datenaustauschsystem im Zuge der Migrationspolitik, der europäischen. Ein interessantes Thema, was die Netzpolitik nur wenig auf dem Schirm hat."
Die Machtverhältnisse beginnen sich zu verfestigen. Wenn Amerikas Präsident verspricht, dass sich Geheimdienste und Konzerne seines Landes, die im Netz mehr Einfluss haben als irgendjemand sonst, in Zukunft ein bisschen mehr zurückhalten, mag das schön klingen.
"In some cases I ordered changes in how we did business."
Die große Mehrheit der Internetnutzer wird sich damit nicht zufriedengeben. Auch Barack Obama erwartet, dass es im Politikfeld Internet noch viele Konflikte geben wird.
"Our liberty cannot depend on the good intentions of those in power; it depends upon the law to constrain those in power."