Schon in wenigen Jahren - das ist Howards Prämisse - werden die Geräte, die uns umgeben, mehr über uns wissen als unsere besten Freunde. Alle Autos, Thermostate, Toaster und Herzschrittmacher werden Sensoren und eine IP-Adresse haben. Sie alle können Daten aufzeichnen und aussenden. Das gilt auch für Lebewesen: In Holland sind bereits 2500 Kühe gechipt worden. Die Bandbreite des Internets wird bald nur noch zu einem Bruchteil mit Inhalten gefüllt sein, die Menschen willentlich veröffentlicht haben. Das werde, prognostiziert der Autor, auch unsere Gesellschaft komplett umkrempeln.
"Die Regierung hat in gewisser Weise nicht mehr die Deutungshoheit darüber, wer Bürger ist und wie derjenige seinen Bürgerstatus mit Leben erfüllt. [...] Der Einfluss der Bürger nimmt zunehmend den Weg über das, was ich ihren 'Datenschatten' nenne - die Silhouette der Präferenzen, die Dinge wie Kreditkartenunterlagen und Internetnutzung hinterlassen."
Mit anderen Worten: Unsere Online-Kundendaten, unser demnächst selbstfahrendes Auto, unser Kühlschrank, Toaster und Herzschrittmacher verraten ohnehin schon so viel darüber, was wir vom Leben wollen, dass es vollkommen überflüssig wird, unsere Bedürfnisse noch einmal bei einer Wahl kundzutun. Hört sich ziemlich bedrohlich und entmündigend an - aber Howard ist da anderer Meinung.
"Von nun an ist Politik das, was geschieht, wenn Ihre Geräte Sie repräsentieren – in der Pax Technica. [...] Die Pax ist ein technischer Frieden in dem Sinne, dass die großen Schlachten heute vielleicht nicht mehr von Armeen geschlagen werden, sondern von Konzernen mit konkurrierenden technischen Standards."
Staaten und Wirtschaft werden zur Sozio-Technokratie
Schon hier klingt an, dass die großen Technologiekonzerne in dieser "schönen neuen Welt" mindestens ebenso viel zu melden haben werden wie Staaten. "Eine Pax bezeichnet einen historischen Moment der Übereinstimmung zwischen Regierung und Wirtschaft über ein gemeinsames Projekt und eine Sichtweise der Welt." An Stelle der alten Kategorien von Herrschaft träten flächendeckend so genannte Sozio-Technokratien.
"In den letzten Jahren haben das US-Außenministerium und Silicon Valley immer neue kreative Möglichkeiten der Zusammenarbeit entdeckt. [...] Sie vertreten zusammen die Theorie, dass Technologiediffusion und demokratische Werte sich gegenseitig verstärken und gemeinsam ausbreiten. [...] Technologie und technisches Fachwissen gehen mehr als je zuvor mit politischer Macht einher."
Die These ist plausibel. Aber die Begründung und die Schlussfolgerung sind es nicht. Es fehlt dem gut informierten Autor gewiss nicht an Einsicht darin, wie sehr die nahezu unregulierte Macht der Datenkraken uns schaden kann. Deshalb bleibt schleierhaft, wie er trotz allem zu dem Ergebnis kommt, dass die Freiheit, sich mit allem und jedem zu vernetzen, eine win-win-Situation für alle sein wird - damit folgt er exakt dem einlullenden Narrativ der großen US-Technologiekonzerne.
Autor beschränkt sich oft auf Soziale Netzwerke
Dass der Autor so überaus optimistisch wirkt, könnte daran liegen, dass er bei der Begründung der Thesen bis auf wenige Seiten an seinem angekündigten Thema vorbei schreibt - der Vernetzung der Geräte. Stattdessen beschreibt Howard ausgiebig die Rolle sozialer Medien bei der Ermächtigung von Oppositionsbewegungen in Syrien und im Arabischen Frühling. Aber warum der Autor glaubt, dass mein Daten-sammelnder Smoothie-Mixer und mein GPS in Zukunft unsere Demokratie stabilisieren könnten, darauf bleibt er uns die Antwort schuldig.
Auf die Frage, wie datensammelnde Firmen kontrolliert werden sollten, fällt Howard auch keine Antwort ein - er spielt den Ball an uns als Kunden und Verbraucher zurück. Wir sollten bei Kaufentscheidungen die Firmen belohnen, die verantwortungsvoll mit unseren Daten umgehen, und die mit Missachtung strafen, die es nicht tun. Eine nette Idee. Aber nahezu unmöglich, weil die eher verantwortungslosen Firmen wie Google oder Facebook Quasi-Monopolisten im Liefern wichtiger Dienstleistungen sind.
Howard hält politische Cyberkrieg für unwahrscheinlich
Und was, wenn ausgerechnet unsere Regierung mit solchen Daten unverantwortlich umgeht? Howard schafft es, das weitgehend auszublenden. Er bleibt immer grundoptimistisch. Cyberkriege zwischen Staaten? Unwahrscheinlich.
"Dies mag nicht wie ein Fortschritt aussehen, doch wenn wir politische Führer haben, die die Folgen eines großen Cyberangriffs fürchten, dürfte ein stabiles Machtgleichgewicht entstehen - aufrechterhalten und überwacht durch das Internet der Dinge. Statt sich in einem Rüstungswettlauf zu verlieren, werden sich die politischen Akteure bemühen, immer bessere Bots zu entwickeln."
Was aber, wenn ausgerechnet autoritäre Regimes, Diktatoren und Unterdrücker der Meinungsfreiheit am stärksten darin sind, solche Bots zu entwickeln - also computergenerierte Programme, die selbständig tweeten oder Nachrichten versenden, um die Stimmen der Opposition zu übertönen und Diskussionen innerhalb von Sekunden abzuwürgen? Beispiele dafür gibt es zuhauf, aus China, aus Russland, aus der Türkei, und Howard kann sie seitenweise aufzählen - ohne offenkundig allzu beeindruckt davon zu sein.
Kategorien "demokratisch" und "autoritär" nicht mehr zeitgemäß?
Die Annahme, dass auch Demokraten Bots gegeneinander einsetzen werden, verleitet Howard zu einer fragwürdigen Schlussfolgerung: dass, wenn es alle tun, in der "Pax technica", dem stillen Arrangement zwischen Regierungen und Technologiekonzernen, auch Kategorisierungen wie Demokratie und Diktatur überflüssig würden. "Das Denken in den Kategorien 'demokratisch' und 'autoritär' ist wenig sinnvoll in einer Welt, in der autoritäre Regierungen digitale Medien nutzen, um die öffentliche Meinung zu messen und entsprechend darauf zu reagieren."
Mit dem Internet der Dinge hat das nicht allzu viel zu tun - der Autor schreibt auch hier letztlich wieder über den Segen sozialer Medien: Autoritäre Herrscher erführen mehr darüber, was ihre Bürger wollen, und gäben dann oft nach, um sie ruhig zu halten. Big Data als Heilsbringer – Howard verteidigt diese Version hartnäckig. Das kommt vermutlich daher, dass er eine Menge Zeit und Rechercheenergie mit Menschen verbracht hat, die sich dank sozialer Medien politisiert und zivilgesellschaftlich vernetzt haben. Das ist beeindruckend, liefert aber noch lange keine nachhaltigen Indizien dafür, dass das Leben in einer total vernetzten Welt ein selbstbestimmtes sein wird.
Dennoch ist das Buch ein sinnvoller Debattenbeitrag; denn es zeigt, wie wenig unser bisheriges Rüstzeug dazu taugt, unser zukünftiges Leben einzuschätzen. Die, die das "Internet der Dinge" technisch verstehen, sind vielfach nicht an seinen gesellschaftlichen Auswirkungen interessiert. Und Geistes- und Sozialwissenschaftler tun sich schwer damit, die technische Komplexität zu erfassen. Das mag erklären, warum auch Experten offenbar damit überfordert sind, die Wirkungsmacht des "Internets der Dinge" einzuschätzen.
Philip N. Howard: "Finale Vernetzung. Wie das Internet der Dinge unser Leben verändern wird"
Quadriga Verlag, 333 Seiten, 24 Euro.
Quadriga Verlag, 333 Seiten, 24 Euro.