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"Zeitenwende für die Demokratie"

FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher begrüßt die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Internetpionier Jaron Lanier. Dessen Kritik am Zustand des Internets würden Gesellschaft und Politik signalisieren, dass sie an einem Wendepunkt stünden.

Frank Schirrmacher im Gespräch mit Kathrin Hondl | 05.06.2014
    Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, spricht am 31.05.2014 bei der Verleihung des Medienpreises für Sprachkultur der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) im Kurhaus in Wiesbaden (Hessen). Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat ihren mit 5000 Euro dotierten Medienpreis für Sprachkultur im Wiesbadener Kurhaus verliehen.
    Der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Kathrin Hondl: Kritik an durchschnittlicher Schwarmintelligenz, an digitaler Überwachung und Barbarei - dafür bekommt der amerikanische Informatiker, Autor und Künstler Jaron Lanier dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Verliehen wird der Preis wie immer im Herbst in Frankfurt im Main. Heute aber hat die Jury ihre Entscheidung bekannt gemacht, wahrscheinlich nicht zufällig auf den Tag, genau ein Jahr, nachdem ein anderer Amerikaner, nämlich Edward Snowden, die digitale Datensammelwut der Geheimdienste öffentlich machte. Und um noch einen größeren Schritt zurückzugehen: Vor mehr als 14 Jahren, im Mai 2000, erschien in Deutschland einer der ersten Artikel über Jaron Lanier. In der FAZ war das und geschrieben hatte ihn Frank Schirrmacher, damals wie heute Mitherausgeber der FAZ. Und damals, Herr Schirrmacher, war Jaron Lanier so eine Art Cyber-Guru, der Erfinder des Begriffs "Virtuelle Realität", ein intellektueller, aber auch sehr enthusiastischer Vordenker digitaler Möglichkeiten. Heute aber ist gerade er einer der schärfsten Kritiker der Netzwelt. Gab es da eigentlich einen bestimmten Auslöser der Desillusion, einen Wendepunkt, ab dem die Internet-Welt für Lanier keine schöne neue Welt mehr war?
    Frank Schirrmacher: Es gibt sozusagen eine unschuldige Phase des Internets. Da hatte ich ihn so am Knackpunkt getroffen. Das sind die 90er-Jahre, seit 1993/94 vielleicht, als es so langsam begann. Und dann begann etwas, was wir heute halt alle kennen, das hat mit Snowden noch gar nichts zu tun: die Kommerzialisierung des Internets. Das heißt, es wurde plötzlich klar, damit kann man echt viel Geld verdienen, und man kann es vor allem damit verdienen - das war ja damals schon im Gespräch, und zwar auch evident; das Stichwort hieß immer, Du musst Deinen Kunden kennen -, wenn es einem gelingt, möglichst viel über ihn herauszufinden. Und man darf nie vergessen: Diese Urkraft, die in diese digitalen Systeme floss, war die Hippie-Bewegung. Steve Jobs war ja auch so einer. Aus dieser Welt kam er und nun war er ziemlich schockiert, wie sich das entwickelte zu so einem Machtmittel, sowohl im Kommerz und dann nach Snowden natürlich auch des Überwachungsstaates, wobei man immer dazu sagen muss: Der hat nie gesagt und sagt nie, wie es ja auch kein vernünftiger Mensch tut, das ist jetzt eine existenzielle Bedrohung und muss abgeschaltet werden, sondern was er sozusagen sagt, ist, wir müssen das wieder zu etwas machen, was den Menschen dient, und nicht, was sie kontrolliert.
    "Technik hat gute und schwarze Seiten"
    Hondl: Aber er geht ja schon sehr weit in seiner Analyse. Er zieht ja auch Parallelen zwischen den Diktaturen im 20. Jahrhundert und der, wie er sagt, digitalen Barbarei von heute, und das ist ja schon eine sehr düstere Vision, eine sehr düstere Analyse. Finden Sie diesen Vergleich eigentlich überzeugend?
    Jaron Lanier
    Jaron Lanier (Jonathan Spraque)
    Schirrmacher: Ich finde ihn sehr überzeugend, nicht als Beschreibung des Status quo, aber als eine Dystopie, als eine negative Utopie ist das natürlich darin angelegt. Es ist ganz klar, das ist immer bei Technik so: Sie hat gute und schwarze Seiten, beides immer gleichzeitig. Es kommt immer nur darauf an, wie Menschen sie benutzen oder Mächte sie benutzen. Es kann überhaupt keine Frage bestehen, dass die Systeme genauso sich dazu eignen, einen neuen Totalitarismus hervorzubringen. Es ist immer die Frage, wie benutzt man es, und darum ist Lanier nur zu verstehen und diese ganze Debatte nur zu verstehen als eine Debatte nicht über Technologie, sondern über die politische und gesellschaftliche Anwendung dieser Technologie. Das ist eher eine gesellschaftliche Debatte - was wollen wir mit ihr machen!
    Hondl: Inwiefern oder wo sieht er denn jetzt auch Ansätze für Problemlösungen?
    Schirrmacher: Die Antwort, die Lanier sieht, ist eigentlich wieder die Antwort der 90er-Jahre, und das ist nicht retrospektiv, sondern eigentlich sehr, sehr zukunftsgewandt, und es ist auch ganz naheliegend. Er sagt, es kann doch nicht sein, dass wir alle durchsichtig und transparent werden - das werden wir ja -, aber die, die sozusagen all diese Daten sammeln, ob es der Staat ist oder ob es private Firmen sind, ihre wichtigsten Dinge geheim halten, nämlich die Algorithmen oder sozusagen die Maschinen, die Roboter, wie immer man das nennen will, die über uns dann urteilen.
    Und das Zweite, was er sagt, ist dieser berühmte Begriff "open source". Wir müssen die Codes, die dem zugrunde liegen, wie wir zu neuen Käufen verführt werden, warum wir keinen Kredit bekommen, warum der Computer der Krankenkasse dem Arzt verbietet, eine bestimmte Therapie zu machen, wir müssen wissen, warum das so entschieden wird.
    "Welches Eigentumsrecht haben wir an unseren eigenen Daten?"
    Hondl: In seinem letzten Buch, "Wem gehört die Zukunft?", hat er vorgeschlagen, dass die Konzerne für unsere Daten bezahlen sollten. "Humanistische Informationsökonomie" nennt er das, glaube ich. Ist das nicht sehr utopisch?
    Schirrmacher: Schauen Sie sich nur eine Firma an wie Instagram. Die begann 2010 mit 13 Angestellten und ohne Geschäftsmodell. Zwei Jahre später, nur aufgrund der Daten, die sie dann hatten von ihren Kunden, ist sie für eine Milliarde Dollar an Facebook verkauft worden. Das ist der Wert von Daten, so etwas gibt es in keiner anderen Industrie. Er will sagen: Das was Du hier hast - denk jetzt nicht einfach bei Daten an Deine Adresse und Deine Postleitzahl -, das bist Du. Ich glaube, dass das nur ein Steinwurf ins Wasser ist. Es ist eher die Debatte, die sich hier anschließt, welches Eigentumsrecht haben wir an unseren eigenen Daten. Gehören die uns eigentlich, oder gehören die uns nicht und kann da jeder mit machen, was er will.
    "Zeitenwende für die Demokratie"
    Hondl: Jetzt bekommt Jaron Lanier also den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, eine wie früher ja auch oft schon sehr politische Entscheidung. Ist es denn Ihrer Ansicht nach eine gute Entscheidung?
    Schirrmacher: Ich stehe da total dahinter. Natürlich hätte man sich auch andere vorstellen können. Ich übrigens hätte sofort - das wäre natürlich dann eine Revolution gewesen - auch jemand wie Sascha Lobo vorgeschlagen, wenn Sie an Deutschland denken, der sich sehr verdient gemacht hat um die Aufklärung dieser neuen Welt, in die wir da hineingehen. Das ist jetzt kein Preis - Sie haben das schon gesagt - dafür, dass der tolle Prosa schreibt oder Romane schreibt, sondern hier geht es darum, wie übrigens oft in der Geschichte des Friedenspreises, der Gesellschaft klar zu machen, dass sie an einem Wendepunkt steht. Ich hoffe dann auch, dass die Politik etwas aufwacht und uns nicht immer nur abspeist mit solchen PR-speakhaften Erklärungen, entweder alles ist super oder alles ist nicht super, sondern endlich erkennt, dass wir hier an einer Zeitenwende stehen, auch für die Demokratie.
    Hondl: Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, war das über Jaron Lanier, der dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.