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Internetschule in Bochum
Lernen per Video-Chat

Statt morgens in die Schule zu gehen, klappen sie im Kinderzimmer ihren Laptop auf: An der bundesweit einzigen Internetschule in Bochum werden Schüler betreut, die im Regelschulsystem aus unterschiedlichsten Gründen nicht zurechtkommen. Hier können chronisch kranke Jugendliche neben Jungschauspielern oder Autisten einen Schulabschluss machen.

Von Stephanie Kowalewski |
    Eine Schülerin arbeitet an ihrem Laptop, auf der die Afrika-Karte zu sehen ist.
    Für Schüler der Internetschule in Bochum kommt der Unterricht ins Kinderzimmer - per Videotelefonie und Email. (picture-alliance / dpa / Marc Tirl)
    "Hallo Feli. Hi. Alles klar bei dir? Ja. Sehr gut. Als Nächstes würde jetzt Deutsch anstehen. Ist das in Ordnung? Ja. Gerne."
    Feli – die ihren vollen Namen lieber nicht im Radio hören möchte – ist eine von 150 Schülerinnen und Schülern der Web-Individualschule in Bochum. Die 14-Jährige ist an Händen und Beinen körperlich beeinträchtigt:
    "Und ich wurde jahrelang massiv gemobbt und habe auch die Schule mal gewechselt. Aber das hat alles nichts gebracht und ich konnte mich auch aufs Lernen nicht mehr konzentrieren."
    Schüler und Lehrer sprechen per Video-Chat miteinander
    Als sie es nicht mehr ertragen konnte und auch ihre Noten immer schlechter wurden, verließ sie das Gymnasium und bekam einen der äußerst begehrten Plätze an der Onlineschule in Bochum. Statt morgens aus dem Haus und zur Schule zu gehen, klappt sie jetzt in ihrem Zimmer - irgendwo in Bayern - den Laptop auf und spricht per Video-Chat mit ihrem Lehrer.
    "Also ich find's wirklich super. Ich kann wieder lernen, ich kann mich darauf konzentrieren, ohne dass ich von anderen Mitschülern blöd angemacht werde. Jetzt geht's mir wirklich gut."
    Ihr Lehrer Robin Schade sitzt hunderte von Kilometern entfernt in Bochum in selbst gestrickten dicken Socken ohne Schuhe in einem hellen Büro. Auch vor dem Laptop:
    "Ab 8:30 Uhr meldet sich der erste Schüler und bis zehn Uhr trudeln die anderen Schüler nach. Ich habe dann verschiedene Livesequenzen, muss während der Livesequenzen auch mal Fragen per Chat beantworten. Und das ist auch ein bisschen so das Spannende an dem Alltag, dass man - naja - mehrere Fächer gleichzeitig unterrichtet und ein bisschen flexibel im Kopf bleiben muss."
    Für viele ist der Onlineunterricht die letzte Chance auf einen Schulabschluss
    An der bundesweit einzigen Internetschule werden Schüler aus ganz Deutschland betreut, die aus unterschiedlichsten Gründen im Regelschulsystem nicht klar kommen. Wer hier lernt, bringt oft ein ganzes Bündel an Problemen und Schulfrust mit, sagt Schulleiterin Sarah Lichtenberger:
    "Also der Fantasie, warum die Schüler hier sind, sei wirklich keine Grenze gesetzt: von körperlich krank bis psychisch krank, Mobbingopfer, Schüler, die bei einem Amoklauf an der Schule dabei waren und dann nicht mehr in der Lage waren, die Schule zu betreten. Da müssen wir uns schon sehr behutsam nähern."
    Für viele dieser Schüler ist der Onlineunterricht die letzte Chance auf einen Schulabschluss. Auch für Leon Raab aus Xanten am Niederrhein ist das so. Der 15-Jährige hat das Asperger-Syndrom, eine spezielle Form des Autismus. Nach kläglich gescheiterten Inklusionsversuchen an Grund- und Gesamtschule, wird er seit vier Jahren per Videotelefonie, Mail und Chat beschult. Rund zwei Stunden pro Tag – viel weniger also, als an einer Regelschule:
    "Ja, es ist deutlich weniger, aber ich lerne viel besser. Und ich kann den Lehrer halt auch immer fragen. Und dann kann ich mir das auch besser einprägen. Das ist halt das Tolle. Englisch und Deutsch, die ich so gar nicht konnte, also das hat sich wirklich, wirklich verbessert."
    Passgenaue Eins-zu-eins-Betreuung für jeden Schülern
    Das liegt auch an der Eins-zu-eins-Betreuung, denn in der Web-Schule wird jeder Schüler in der Regel nur von einem Lehrer unterrichtet. In allen Fächern. Obendrein werden die Unterrichtsinhalte und Lernmaterialien möglichst passgenau für jeden Schüler zusammengestellt. Leon sei, seitdem er die Webschule besucht, regelrecht aufgeblüht, sagt seine Mutter Odine Raab:
    "Wir haben ein ganz anderes Kind. Er stabilisierte sich zusehends. Heute können wir nur sagen, es ist ein Kind mit einem extrem hohen Selbstwertgefühl. Und durch diese individuelle Betreuung hat er auch immer das Gefühl, dass er wahrgenommen wird. Und das ist so wichtig."
    Jeder der zwölf Lehrer an der Bochumer Onlineschule betreut maximal 15 Schüler bis zum Haupt- oder Realschulabschluss. Das will auch Leon Raab schaffen:
    "Weil ich hab ein Ziel. Und zwar Informatiktechniker. Da kannst du nicht mit einem Hauptschulabschluss ankommen."
    Online-Schule hat keine staatliche Anerkennung
    Um das zu erreichen, sind jeden Monat 787 Euro fällig – soviel kostet die private Web-Schule. Fast immer übernimmt das Jugendamt die Kosten, denn die meisten Schüler sind dauerhaft krankgeschrieben oder ihnen wurde per Gutachten bestätigt, dass sie an keiner Regelschule unterrichtet werden können. Dadurch sind sie von der Schulpflicht befreit – ein Muss für die Internetschule. Denn die Privatschule hat keine staatliche Anerkennung, erfüllt also die Schulpflicht nicht. Die Abschlussprüfung wird Leon deshalb auch an einer staatlich anerkannten Kooperationsschule ablegen. Bis dahin lernt er fleißig – online versteht sich:
    "Und wie immer, wenn du zwischendurch Fragen hast, schreib ruhig in den Chat. - Alles klar. Danke - Tschüss Leon, bis morgen. - Tschüss bis morgen."