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Internetsteuer in Ungarn
"Ein zu heißes Eisen für die Regierung"

Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit habe die Menschen in Ungarn nicht auf die Straße getrieben, sagte der ungarische Politologe Zoltan Kiszely im Deutschlandfunk. Es sei eher die Furcht der Jugend gewesen, dass ihr Lieblingsspielzeug, das Internet, beschnitten werde.

Zoltan Kiszely im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Menschen in Budapest protestieren mit ihren Smartphones gegen die geplante Internet-Steuer.
    Menschen in Budapest protestieren mit ihren Smartphones gegen die geplante Internet-Steuer. (Archiv-Bild) (dpa / picture alliance / Laszlo Beliczay)
    Christiane Kaess: Mehrmals sind in dieser Woche in Ungarn die Menschen auf die Straße gegangen. Der Auslöser: Die Regierung unter Premierminister Viktor Orbán wollte die Nutzung des Internets besteuern und regulieren. Zehntausende protestierten gegen dieses Vorhaben, es waren so viele wie noch nie, seitdem Ministerpräsident Viktor Orbán sein Amt im Jahr 2010 angetreten hat. Über eine eigens dafür eingerichtete Facebook-Seite ließen sich die Proteste schnell organisieren. Auch das erste Entgegenkommen der Regierung, indem sie die Deckelung der Gebühr für einen privaten Nutzer zum Beispiel auf 2,30 Euro pro Monat vorsah, auch das konnte die Proteste nicht entschärfen. Und gestern schließlich gab Regierungschef Orbán nach und zog die geplante Internetsteuer zurück – vorerst zumindest. Nachgebessert hat Orbán nicht zum ersten Mal, vor allem nach Kritik der EU-Kommission oder des von ihm in seinen Kompetenzen beschnittenen Verfassungsgerichts hat er mehrfach schon fragwürdige Gesetze ändern müssen.
    Am Telefon ist jetzt Zoltan Kiszely, er ist Politikwissenschaftler an der Janos-Kodolanyi-Hochschule in Budapest – guten Morgen!
    Zoltan Kiszely: Guten Morgen!
    Kaess: Herr Kiszely, war jetzt der Druck der Straße stärker als die Regierung?
    Kiszely: Auf jeden Fall, so eine große Demonstration gab es in Budapest noch nicht seitens der Opposition. Das ist eine spontane Empörung, und natürlich gab es auch Demonstrationen in ungefähr zwölf Provinzstädten, das hat den Druck schon deutlich erhöht.
    "Ich glaube, das Thema ist vom Tisch"
    Kaess: Nun ist es ja so, dass diese Internetsteuer vorerst nicht eingeführt werden soll, und Kritiker befürchten jetzt, sie soll doch kommen durch eine Hintertür. Glauben Sie das auch?
    Kiszely: Ich glaube, das Protestpotenzial ist so hoch, dass dieses Thema ein zu heißes Eisen für die Regierung ist. Es ist Politik der Regierung, Sondersteuern einzuführen auf große Unternehmen, zum Beispiel Energieversorger, Telekomunternehmen, Banken, welche diese Sondersteuer wegen des Wettbewerbs schwer auf die Verbraucher umwälzen können oder nur zu einem Teil. Das war auch der Gedanke bei den Internetanbietern. Ich glaube, die Regierung will sich andere Themen suchen, wo das nicht so plakativ und nicht so prägnant ist, also für den Durchschnittsmenschen nicht so nachvollziehbar.
    Kaess: Aber obwohl es heißt, ab Januar will die Regierung noch einmal neu darüber beraten – Sie glauben, das ist vom Tisch.
    Kiszely: Ich glaube, das Thema ist vom Tisch, denn die Proteste könnten sich im Falle einer erneuten Einführung oder eines neuen Planes zur Internetsteuer wieder entfalten. Deswegen denke ich, dass die Regierung nach neuen Themen suchen wird.
    Kaess: Jetzt könnte man fragen, warum ist die Aufregung eigentlich so groß gewesen, denn ich hab's gerade schon gesagt, für private Nutzer hätte die Gebühr ja gedeckelt werden sollt, und der Betrag von 2,30 Euro, der scheint zumindest jetzt aus deutscher Sicht nicht so hoch zu sein.
    Kiszely: Ja, aber aus ungarischer Sicht muss man sich vor Augen führen, dass ein Durchschnittsverdienst vielleicht 400 bis 800 Euro beträgt, also wir haben niedrigere Durchschnittsverdienste als in Westeuropa, deswegen ist der Betrag auch relativ größer. Ich glaube, es gab ... Die Fidesz-Partei, die Regierungspartei hat drei Wahlen haushoch gewonnen, die Linksopposition und die Rechtsextremen waren schwach bei allen drei Wahlen dieses Jahr in Ungarn. Und die Bevölkerung hatte das Gefühl, dass diese neue Steuer nur ein Anfang ist, dass vielleicht noch andere Steuern auf uns zukommen. Also das war vielleicht eine grundlegende Empörung. Zweitens, die Jugend fühlte sich dadurch beschnitten. Ursprünglich war geplant, 49 Cent pro Gigabyte einzuführen – wenn man sich einen Film vom Internet herunterlädt, dann müsste man vielleicht 200 Euro Steuern bezahlen für einen ganzen Film. Und das war vielleicht der Auslöser des Protestes, und es war eine spontane Erzürnung von vielen Jugendlichen, insbesondere von Jugendlichen und Mittelschichtlern. Die Regierung hat sie daran gewöhnt, dass man Kosten senkt, Nebenkosten wurden gesenkt, und deswegen haben viele Leute gedacht, wenn die Regierung bisher die Nebenkosten gesenkt hat, warum erhöhen sie jetzt "digitale", in Anführungszeichen, Nebenkosten.
    "Internet spielt eine sehr große Rolle in Ungarn"
    Kaess: Und es heißt auch, dass viele Demonstranten befürchtet haben, es könnte zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit kommen. Sehen Sie das auch so?
    Kiszely: Es gab solche Töne auf jeden Fall, aber ich glaube, die Meisten, die auf die Straße gegangen sind, haben nicht das befürchtet. Das ist ein langes Thema seit dem Mediengesetz 2011. Es gibt oppositionelle Internetseiten, es gibt Oppositionspresse, es gibt Fernsehsender und Rundfunkstationen, die sehr kritisch mit der Regierung sind. Es war eher, glaube ich, die Furcht der Jugend, dass ihr Lieblingsspielzeug, das Internet, beschnitten wird, dass sie einen begrenzten, finanziell begrenzten Zugang haben. Es war nur geplant, Finanzlasten auf die Leute zu legen, es war natürlich nicht geplant, wie in China oder in anderen Staaten, das Internet technisch zu begrenzen. Es handelte sich einfach nur um eine Steuer, und die überwiegende Mehrheit der Demonstranten wollte diese Steuer nicht, sie wollte nicht, dass der Internetzugang finanziell beschnitten wird.
    Kaess: Welche Bedeutung hat denn das Internet für die Ungarn im Vergleich zu anderen Medien?
    Kiszely: Ich glaube ein ähnliches. Wie überall in Westeuropa, auch in Deutschland, ist das insbesondere die Jugend, die im Internet tätig ist, insbesondere auf den sozialen Seiten, in sozialen Netzwerken, aber wie überall in Europa kommen jetzt auch die Älteren dazu. Das heißt, die Großelterngeneration ist jetzt auch im Internet auch in Ungarn vertreten. Es arbeiten circa 400.000 Ungarn im Ausland, und zum Beispiel der Kontakt zu im Ausland lebenden Verwandten wird auch übers Internet gehalten, zum Beispiel über Kommunikationssysteme im Internet, wo man nicht telefoniert – was teuer ist – sondern im Internet dann zum Beispiel kommuniziert. Also deswegen hat Internet eine sehr große Rolle auch in Ungarn, und natürlich insbesondere die Jugendlichen sind die, die das vielfältig nutzen, auch Anwendungen oder zum Filme schauen oder zum Filme herunterladen, Musik herunterladen.
    Kaess: Herr Kiszely, glauben Sie, dass das jetzt Proteste tatsächlich nur gegen diese Internetsteuer waren, oder richtet sich das auch ein bisschen allgemein gegen die Regierung Orbán?
    Kiszely: Es ist jetzt ein bisschen zu viel geworden für die Regierung. Es gab Kritik aus den USA, aus Brüssel wird eine neue Kritikwelle in Form von Vertragsverletzungsverfahren erwartet. Das heißt, es hat sich sehr vieles zusammengebraut, aber ich denke, die Masse der Demonstranten war wegen der Internetsteuer auf der Straße. Es gab gestern eine Demonstration, es waren die gleichen Veranstalter, dieselben, die die großen Demonstrationen schon organisiert haben, und es kamen circa 4.000 Menschen, das heißt es waren deutlich weniger als bei den großen Demonstrationen, aber die Glut ist noch da. Das heißt, ich glaube, mit diesem Thema Internetsteuer kann die Opposition viele Leute auf die Straße bringen. Sind das politische Themen – Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Verfassungsgericht –, sind es viel weniger Menschen. Also am 23. Oktober gab es eine politische Demonstration gegen die Regierung mit vielleicht 2.000 bis 3.000 Teilnehmern, an der Demo gegen die Internetsteuer nahmen mindestens zehnmal so viele teil. Das heißt, es gibt jede Menge politische Demonstrationen mit beschränkter Teilnehmerzahl, es sind immer die Gleichen – Linksparteien, Liberale –, die auf die Straße gehen, aber es sind Themen, die wirklich ziehen wie Internet, dann gehen auch spontane Leute, also Nichtwähler oder Wechselwähler auch zur Demo.
    "Für die meisten Ungarn zählt die persönliche Freiheit"
    Kaess: Aber genau das fragt man sich so ein bisschen, warum gehen die jetzt auf die Straße, auch wenn es davor schon diesen autoritären Kurs, der ja gerade von Brüssel aus öfter mal kritisiert wurde, dieser autoritäre Kurs von Orbáns Regierung, warum gab es dagegen nicht schon viel mehr Proteste?
    Kiszely: Na ja, wir haben eine unterschiedliche Erfahrung östlich der Elbe wie die Leute in Westeuropa. In Ungarn ist die öffentliche Demokratie, das heißt das Gemeinwohl – Verfassungsgericht, Medienfreiheit –, nicht so interessant. Für den Durchschnittsmenschen spielt das keine wichtige Rolle, wie die Befugnisse dieser Instanzen sind. Für die meisten Ungarn zählt die persönliche Freiheit, die Privatsphäre. Und die Internetsteuer war ein Eingriff in diese Privatsphäre, deswegen haben sich so viele darüber aufgeregt. Die öffentliche Demokratie, das heißt, wir haben eine Demokratie ohne Wohlstand, und ...
    Kaess: Ich muss Sie hier unterbrechen, Herr Kiszely, denn wir laufen auf die Nachrichten zu. Zoltan Kiszely war das, Politikwissenschaftler in Budapest. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
    Kiszely: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.