Petra Krämer ist Religionslehrerin. Die 43-Jährige, die äußerlich wie eine Frau aussieht, ist intersexuell. Erst in der Pubertät erfuhr sie von ihrer Zwischengeschlechtlichkeit. Für ihre Eltern ein Schock:
"Es wurde über mich gesprochen, aber es wurde nicht mit mir gesprochen, und das ist leider etwas, was ich in Gesprächen mit anderen Betroffenen immer wieder bestätigt bekomme."
Petra Krämer, die sich heute im Bundesverband intersexuelle Menschen engagiert, litt damals unter der "Diagnose: Intersexuell".
"Ich hatte den Eindruck, ich kann damit nicht kommen, ich hatte ein schlechtes Gewissen und dachte, ich würde meine Eltern belasten. Das war ein großes Thema, ich würde meinen Eltern weh tun. Ich wollte keine Belastung darstellen."
Etwa 160.000 intersexuelle Menschen in Deutschland
Diese Schwierigkeit, offen über Intersexualität zu sprechen, ist weitverbreitet. Manchmal hört man auch den Einwand, das sei doch nur ein Problem für eine kleine Minderheit. So zu lesen in einer Stellungnahme des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken zum Thema Intersexualität. Dass es in Deutschland höchstens 160.000 intersexuelle Menschen gibt, ist für Jantine Nierop allerdings kein Grund, deren Probleme zu relativieren. Doch auch theologisch ist Nierop, Theologin im Genderzentrum der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Intersexualität eine Herausforderung, ist doch in vielen Übersetzungen der biblischen Schöpfungsgeschichte zu lesen:
"Und Gott schuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes schuf er ihn; als Mann und Frau schuf er sie."
Jantine Nierop: "Ich habe gelernt, biblische Geschichte narrativ zu lesen, als literarische Geschichten. Für mich sind das keine historischen Berichte, nicht Geschichten darüber, wie die Welt entstanden ist, sondern für mich ist das erzählte Volksgeschichte.
Wechselgesänge zwischen Männern und Frauen
Außerdem laute die korrekte Übersetzung bei Genesis nicht Mann und Frau, sondern: Gott erschuf den Menschen männlich und weiblich. Damit sei keine strikte Zuordnung gemeint, betont Silke Radosh-Hinder, stellvertretende Superintendentin in Berlin-Mitte. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bedeutet für sie, dass sich auch innerhalb der Kirche einiges verändern müsse. Und das betrifft nicht nur neue Toiletten in kirchlichen Gebäuden und Formulare zur Kirchenmitgliedschaft, zur Taufe oder Trauung. Auch solle künftig beispielsweise auch der Wechselgesang in der Liturgie nicht mehr zwischen Männern und Frauen aufgeteilt werden.
"Natürlich müssen wir auch in den Blick nehmen, wie sehr die liturgische Sprache bestimmte Menschen ausschließt. Das wird nicht ohne Widerstände innerhalb der Kirche gehen. Aber ich bin mutig und optimistisch, dass das Verfassungsgerichtsurteil gesagt hat: Es geht da kein Weg dran vorbei."
Auch Jantine Nierop, deren Genderzentrum oft Angriffsfläche für konservative, evangelikale Protestanten ist, rechnet mit intensiven Debatten in ihrer Kirche.
"Ich kann mir gut vorstellen, dass es einen Aufschrei gibt. Ich denke, da ist es wichtig, dass wir gerade mit Konservativen ins Gespräch kommen, wie wir die Bibel auslegen. Da wünsche ich mir viel mehr Diskussionen."
Allerdings seien die Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für die Protestanten gar nicht so groß. So müsse man bei Kasualien wie der Taufe wenig ändern:
"Das Schöne an der Taufe ist, dass die Taufe relativ geschlechtslos abläuft. Für die Taufe braucht man Wasser, den Namen Gottes, Zeugen und die Verpflichtung der Eltern, das Kind christlich zu erziehen, aber ein Geschlecht braucht man eigentlich nicht. Das wichtigste ist die Gotteskindschaft."
"Ist die Fortpflanzungsfähigkeit gegeben?"
Größer dürften da die Probleme in der katholischen Kirche werden. So weist der Berliner Moraltheologe Andreas Lob-Hüdepohl darauf hin, dass für das katholische Sakrament der Ehe bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein müssen:
"Die Zeugungsfähigkeit ist eine zwingende Voraussetzung auch bei heterosexuellen Paaren. Wenn die nicht gegeben ist, gibt es da ein Ehehindernis. Hier würde es darauf ankommen zu prüfen, ob er oder sie oder es oder diese Person für sich sagen kann, ich bin ein Komplementär zu dem, der mich heiraten will: also die Fortpflanzungsfähigkeit ist gegeben.
Ein ähnliches Problem ergebe sich bei der Priesterweihe:
"Hier würde man einer intersexuellen Person sagen: Bist du in dieser Weise sexuell orientiert wie ein Mann? Aber wenn du dich als etwas völlig Anderes siehst, dann wäre die Ordination nicht möglich."
Intersexualität scheint für die katholische Kirche weniger problematisch als Transsexualität. Die Deutsche Bischofskonferenz hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls auffallend schnell begrüßt. Eine positive Zuordnung zu einem dritten Geschlecht sei für Intersexuelle besser, als sich zwangsweise einem Geschlecht zuordnen zu müssen.