Eine Impfpflicht für Über-50-Jährige möchte Andrew Ullmann erst dann vorschlagen, wenn die Gesellschaft zuvor – in verpflichtendem Rahmen – professionell über die Impfung aufgeklärt worden sei. Es kursierten leider viele Falschnachrichten zu Neben- und Langzeitwirkungen der Impfstoffe. Diesem Unwissen müsse mit Aufklärung entgegengewirkt werden, erläuterte Ullmann, der für die FDP Mitglied im Gesundheitsausschuss ist sowie Facharzt für innere Medizin.
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Ullmann: „Sollten nach dieser verpflichtenden Aufklärung (...) die Krankheitszahlen – nicht die Infektionszahlen – ansteigen und unser Gesundheitssystem gefährdet sein, dann bin ich durchaus offen für eine Impfpflicht. Aber das auch dann gezielt an Menschen, die besonders gefährdet sind. Das sind halt die Älteren unserer Gesellschaft.“
Kein Impfzwang, bloß Impfnachweispflicht
Es müsse zudem klar definiert werden, welche Ziele mit den Impfungen verfolgt werden sollen, sagte Ullmann. „Die Impfstoffe, die bisher auf dem Markt sind, schützen zwar gegenüber einer Infektion – in meinen Augen aber nicht ausreichend. Sie schützen aber hervorragend vor schweren Krankheitsverläufen.“
Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen betonte Ullmann, dass es an letzter Position im von ihm bevorzugten mehrstufigen Verfahren keinesfalls um Impfzwang gehe, sondern lediglich um eine Impfnachweispflicht. „Am Ende des Tages wird natürlich kein Polizist oder irgendjemand durch die Häuser gehen und die Leute zwangsimpfen.“
Das Interview in voller Länge:
Silvia Engels: Wir haben es gerade schon gehört, keine generelle Impfpflicht, aber für gefährdete Gruppen, zum Beispiel die ab 50 Jahre, eine Impflicht – also hier nach Risiko abgewogen. Was haben Sie genau im Sinn?
Andrew Ullmann:Was ich genauer im Sinn habe – und das bin ich ja nicht alleine, das sind ja mehrere Kolleginnen und Kollegen –, ist, dass wir erst einmal eine verpflichtende professionelle Aufklärung durchführen, weil mein Eindruck ist, dass viele Falschnachrichten kursieren, Unwissen, was eigentlich die Impfung bewirken kann, auch Sorge vor Nebenwirkungen oder Langzeitwirkungen von diesen Impfstoffen. Und da bedarf es erst mal einer verpflichtenden Aufklärung. Sollten nach dieser verpflichtenden Aufklärung beispielsweise, und das ist alles noch in der Diskussion, es ist noch nichts festgelegt, die Krankheitszahlen, explizit die Krankheitszahlen, nicht die Infektionszahlen, ansteigen und unser Gesundheitssystem gefährdet sein, dann bin ich durchaus offen für eine Impfpflicht. Aber das auch gezielt für Menschen, die besonders gefährdet sind – und das sind halt die Älteren in unserer Gesellschaft.
Viele Parameter hinter der Impfung seien noch unklar
Engels: Wie sehen Sie da die Gegenargumentation beispielsweise von Karl Lauterbach, der ja für eine generelle Impfpflicht ist und sagt, wenn wir uns hier nicht vorbereiten auch mit einer generellen Impfpflicht, dann stehen wir im kommenden Herbst wieder da bei einer möglichen Variante und sind schlecht vorbereitet. Lassen Sie das nicht mehr gelten?
Ullmann: Herr Lauterbach und ich sind ja gar nicht so weit auseinander, er plädiert ja für eine allgemeine Impfpflicht, so habe ich es zumindest wahrgenommen, für alle über 18 Jahren. Das ist auch keine generelle Impfpflicht, sondern ab 18 Jahren, denn die generelle Impfpflicht würde ja bedeuten, dass auch Kinder geimpft sein sollten. Das ist ein differenzierteres Vorgehen, ist vielleicht auch einfacher durchzuführen, das ist keine Frage, denn viele Parameter sind ja noch unklar. Wir wissen nicht, wie lange ein Impfschutz wirklich aufrecht erhalten werden kann, wir wissen nicht, wie dieser Impfschutz ausreichend lange hält, auch vor einer Variante zu schützen. Das sind alles Punkte, die natürlich auch mit Experten noch diskutiert werden müssen.
Aber wir müssen uns vorbereiten. Deswegen bin ich auch froh, dass wir auch in diesem Monat das in Angriff nehmen. Wir haben ja den ersten Schritt gemacht, ab März gilt ja eine einrichtungsbezogene Impfpflicht, gerade dort, wo vulnerable Menschen leben und behandelt werden. Danach müssen wir auch sehen, wie die Infektionszahlen sich entwickeln, es gibt ja unterschiedliche Beispiele wie aus den USA oder England, wo die Zahlen momentan hoch explodieren, aber umgekehrt in Südafrika wieder die Fallzahlen gefallen sind. All das muss in die Waagschale gelegt werden, und ich finde das auch sehr gut, dass wir diese Debatte fraktionsfrei auch diskutieren werden.
Maßnahmen müssten „rechtlich verhältnismäßig“ bleiben
Engels: Sie haben es angesprochen, in der Tat, viele Kritiker einer allgemeinen Impfpflicht verweisen auch darauf, keiner wisse, wie lange die Impfstoffe schützen. Aber spricht das wirklich gegen eine generelle Impfpflicht? Denn wenn man feststellt, dass wieder eine neue Variante kommt und vielleicht die Impfstoffe schlechter schützen, aber immerhin ein bisschen, wäre es dann ja zu spät, über eine generelle Impfpflicht nachzudenken.
Ullmann: Ja, natürlich müssen wir vor jede Welle kommen, das ist keine Frage, aber wir müssen auch die Ziele klar definieren, welche Ziele verfolgen wir? Die Impfstoffe, die bisher auf dem Markt sind, schützen zwar gegenüber einer Infektion, aber in meinen Augen nicht ausreichend, schützen aber hervorragend vor schweren Krankheitsverläufen. Das ist der erste Parameter, den wir berücksichtigen müssen, aber der zweite Parameter ist: Was ist das Ziel? Das Ziel kann nicht die Maßnahme sein, sondern ein Ziel muss so definiert sein, dass wir das Gesundheitssystem aufrecht erhalten, damit auch diese Diskussion auch rechtlich verhältnismäßig bleibt, denn nur zu sagen, wir impfen, damit wir die Infektionszahlen unten halten, wird meines Erachtens auf jeden Fall scheitern. Wir müssen natürlich die Ziele hier klar definiert haben.
Engels: Aber vor die Welle zu kommen, ist ja in der Tat auch ein Ziel der Impfbefürworter. Sagen Sie das auch Ihrem Parteifreund Wolfgang Kubicki, der ja derzeit den Antrag in den Bundestag einbringen will, der sich gegen eine generelle Impfpflicht richtet.
Ullmann: Ich glaube, Wolfgang Kubicki kennt meine Einstellung, wir haben häufig genug darüber diskutiert, aber das ist es ja gerade, was wir sagen: Auch die Argumente gegen eine generelle Impfpflicht sind durchaus valide Argumente, das darf man auch nicht so ganz von der Hand weisen. Aber ich bin für mich persönlich überzeugt, dass meine Argumente die besseren sind, wo wir sagen, wenn das Gesundheitssystem gefährdet ist und die Freiwilligkeit tatsächlich nicht funktioniert, müssen wir über eine Impfpflicht auf jeden Fall diskutieren. Und an dieser Stelle möchte ich explizit die Verwechslung vorwegnehmen: Es geht nicht um Impfzwang, sondern Impfnachweispflicht am Ende des Tages. Das sind wichtige Unterscheidungen, denn am Ende des Tages wird natürlich kein Polizist oder irgendjemand durch die Häuser gehen und die Leute zwangsimpfen, das passiert natürlich nicht.
Unterschiedliche Auffassungen zur Frage einer Impfpflicht gebe es in jeder Partei
Engels: Wie gespalten ist denn die FDP-Fraktion in dieser Frage?
Ullmann: Ich glaube, dass Spaltung hier das falsche Wort ist. Wir haben durchaus sehr unterschiedliche Vorstellungen und auch eine Vorstellung, wie eine Impfpflicht gestaltet wird, kann ja sehr unterschiedlich auch dargestellt werden. Und diese unterschiedliche Auffassung gibt es in allen Parteien. Ob Sie bei der SPD sind oder bei den Grünen oder auch bei der Union, es gibt Kollegen, auch ärztliche Kollegen, die sich auch für eine gezielte Impfpflicht ausgesprochen haben, andere von der Union, die auch gegen eine Impfpflicht sich ausgesprochen haben. Da geht es tatsächlich durch alle Parteien kreuz und quer, wie da die Meinungen aussehen.
Engels: Nun war ja vom Zeitplan her eigentlich von der Ampel-Koalition Anfang Dezember geplant worden, schon im Januar Anträge zur Impfpflicht im Bundestag zu debattieren, eben Gruppen-Anträge. Außer dem der FDP liegt derzeit aber noch keiner vor, warum dauert das so lange?
Ullmann: Ich würde es gerne leicht korrigieren, es ist nicht ein Antrag der FDP, sondern ein Gruppen-Antrag von Wolfgang Kubicki …
Engels: … aus den Reihen der FDP.
Ullmann: … der aus den Reihen der FDP ist. Und es sind auch andere Gruppen-Anträge ebenfalls in Vorbereitung, da bedarf es natürlich des Austauschs zwischen den Kolleginnen und Kollegen, die da die Anträge auch vorbereiten. Und Sie haben es ja auch in der Presse schon wahrgenommen, eine Debatte soll auf jeden Fall im Januar stattfinden. Die Situation einer Impfpflicht, egal welcher Couleur oder ob sie gar nicht stattfindet, dauert seine Zeit mit der Umsetzung. Es gibt ja auch einige praktische Umsetzungsherausforderungen, die da noch stattfinden, die müssen natürlich auch geklärt sein. Wenn wir so etwas durchführen würden, ist mein Eindruck, dass es sicherlich April, Mai sein wird, bis diese Impfpflicht dann auch soweit durchgeführt werden kann. Aber das ist nur eine erste Einschätzung von meiner Seite, da müssen wir halt sehen, wie schnell wir da agieren können. Wir können schnell agieren, aber das sind sehr viele Herausforderungen, wenn wir über diese Impfpflicht debattieren und diese auch durchführen wollen.
Engels: Die Union hat ja mehrfach die Ampel-Koalition aufgefordert entweder aus Reihen der Regierung oder der Regierungsfraktionen einen quasi führenden Antrag einzubringen. Warum tun Sie das nicht?
Ullmann: Weil wir gesagt haben, bei so einer wichtigen Fragestellung bedarf es nicht einer Fraktion oder einer Regierung, die einen Vorschlag unterbreitet, sondern vielmehr ist es eine medizinisch-ethische und eine Gewissensfrage, die jedem Abgeordneten freigestellt werden sollte, wie er sich da entscheidet. Hier sollte sich eigentlich die Union an die Nase packen und nicht beleidigt in der Oppositionsrolle sich verstecken, sondern da aus dieser Oppositionsrolle mal über ihren eigenen Schatten springen und sagen, ja, wir machen jetzt mit bei den Gruppen-Anträgen. Das war auch in der Vergangenheit so, ich erinnere an die Organspende-Debatte, da hat die Opposition auch mitgemacht bei den Gruppen-Anträgen. An diesem Beispiel sollte sich die Union orientieren.
„Jede Maßnahme einzeln betrachtet wird nie ausreichend sein, sondern nur zusammen“
Engels:Praktische Probleme bei der Umsetzung einer Impfpflicht werden ja auch angeführt. Ulrich Silberbach, Chef des Deutschen Beamtenbundes, sagt heute Mittag, Zitat, es wird Bußgeldbescheide, Widersprüche, Gerichtsverfahren geben, am Ende werde sich der Staat nicht durchsetzen können. Ist das auch ein Argument, was Sie bedenken müssen?
Ullmann: Sicherlich ist das ein Argument, was wir bedenken müssen, aber alles gleich schwarz zu malen und zu sagen, das lässt sich nicht durchführen, das wäre der falsche Weg in der Politik, dann brauchen wir überhaupt keine politische Entscheidung mehr zu treffen, wenn wir immer nur die Nachteile sehen, die daraus erwachsen oder die Nichtdurchführbarkeit. Das ist ja unsere Aufgabe als Politikerinnen und Politiker, dass wir Gesetze verabschieden, die auch durchzuführen sind.
Engels: Noch kurz zum Schluss der Blick auf die gestrigen Beschlüsse der Bund-Länder-Runde: Quarantäne wird verkürzt, 2G-plus soll auch in der Gastronomie gelten. Reicht das aus angesichts der in Wochenfrist verdoppelten Infektionszahlen?
Ullmann: Wir müssen sehen, dass alle Maßnahmen, die getroffen worden sind, zusammen betrachtet werden müssen, denn jede Maßnahme einzeln betrachtet wird nie ausreichend sein, sondern nur zusammen. Das heißt, Maskenpflicht ist etwas ganz Wichtiges, um die Verbreitung zu verhindern oder auch das Risiko einer Infektionsübertragung zu reduzieren. Und die 2G-plus-Regelungen reduzieren das Risiko noch weiter, denn eine Sache muss klar sein: Wenn wir in der Gastronomie sind oder im Restaurant, dann legen wir unsere Masken ab. Da sind wir durchaus Rücken an Rücken mit anderen Gästen, da ist es natürlich gut, wenn wir wissen, dass die Personen, die auch geimpft sind, negativ getestet sind, dass die Wahrscheinlichkeit einer Infektion sehr gering ist. Und bei den Leuten, die geboostert sind, ist es fast ausgeschlossen, dass die jetzt eine Infektion haben. Ich betone jetzt „fast“ – weil eine hundertprozentige Sicherheit wird es nicht geben, ein Restrisiko gibt es immer, aber wir versuchen ja, mit diesen Maßnahmen das Risiko zu minimieren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.