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Corona-Entwicklung
Drosten: Es ist keinesfalls sicher, dass Omikron im abgemilderten Zustand bleiben wird

Es gebe verschiedene Möglichkeiten, wie sich Omikron von einer eher milden Variante in eine stärker krankmachende entwickeln könnte, sagte der Virologe Christian Drosten. Man müsse derzeit befürchten, dass eine Rekombination aus Omikron und Delta passiere, sagte Drosten im Dlf.

Christian Drosten im Gespräch mit Christiane Knoll |
Porträt des Virologen Christian Drosten
Der Virologe Christian Drosten (imago images/IPON/Stefan Boness)
Hauptsächlich aufgrund der Veränderungen am sogenannten Spike-Protein gelingt es der Omikron-Variante derzeit, den zumindest teilweise bestehenden Immunschutz der Bevölkerung zu umgehen. Es sei vorstellbar, dass zukünftig ein Virus entstehe, welches einerseits „das Spike-Protein des Omikron-Virus trägt, um weiterhin diesen Immunvorteil zu genießen, aber den Rest des Genoms des Delta-Virus hat“, sagte der Virologe Christian Drosten. Aus beiden Serotypen, „beiden Welten“, könnten so die stärksten Eigenschaften zusammenkommen. „So etwas gibt es, das ist schon beschrieben worden, das muss man im Moment befürchten, dass so etwas passieren könnte.“

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Der Trugschluss der natürlichen Immunisierung

Die Strategie „Wir infizieren uns alle mit dem milden Omikron und danach sind alle immun“ sei ein Trugschluss, sagte Drosten und erläuterte: „Es könnte sein, dass diejenigen, die noch gar keine Immunität haben, sich zwar mit dem Omikron-Virus, wie es jetzt im Moment ist, infizieren könnten – ohne einen sehr schweren Verlauf zu kriegen. Aber es könnte ebenfalls sein, dass innerhalb von wenigen Wochen plötzlich eine Omikron-Virusvariante da ist, die wieder eine stärker krankmachende Wirkung mitbringt. Gegen diese Wirkung hätten diejenigen, die nicht geimpft sind, dann gar keinen Immunschutz. Dagegen könnte man auch nicht so schnell animpfen.“

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Drosten geht davon aus, dass auf längere Sicht, wenn alle Menschen eine Grundimmunisierung und darauf aufgesattelt weitere Infektionen durchlaufen hätten, es indiskutabel sei, dass wir noch einmal eine schwere Variante bekämen. „Der Krankheit, nicht vom Virus.“  Da müsse man unterscheiden:
„Die Krankheit wird milder werden. Beim Virus ist im Moment noch sehr viel Spiel an evolutionsbiologischem Zufall. Und es gibt Möglichkeiten in beide Richtungen, dass es noch mal wieder schwerer wird oder dass es sich sogar noch weiter abmildert.“

Deutschland hinkt bei synchroner Immunisierung hinterher

Dass ein schneller Aufbau von Bevölkerungsimmunität in einigen Gebieten und ein langsamerer in anderen Gebieten eine gefährliche Situation ist, sei klar. Diese Situation begünstige die Entstehung von neuen Varianten in der Gesamtschau, global.
„Es ist natürlich so, das Virus, das durch eine nicht geimpfte Bevölkerung ungebremst durchläuft, das ist der natürliche Weg, und natürlicherweise wäre diese Pandemie um den Erdball gegangen und hätte alle Bevölkerungen vollkommen betroffen und hätte jeweils mit der altersspezifischen Mortalität auch Todesfälle verursacht und hätte wahrscheinlich bis ungefähr jetzt weltweit eine Bevölkerungsimmunität hervorgerufen, sodass man ungefähr in diesem Halbjahr oder in diesem Jahr sagen könnte, die Pandemie ist beendet.“
Das aber hätten gerade die Industrieländer mit älteren Bevölkerungen nicht machen können wegen der hohen Todesraten. Deshalb, so Drosten, müssten all die Kontaktmaßnahmen, die ein Eingriff waren in ein natürliches Pandemiegeschehen, begleitet sein durch Impfungen.
Dass hierzulande noch immer einige Menschen eine Impfung ablehnten, sei „ein wirkliches Problem“, sagte Drosten. Dadurch würde Deutschland zumindest mit verhindern, dass sich die Weltbevölkerung mehr oder weniger zeitgleich immunisiere.
„Während in Afrika, beispielsweise in Ländern mit glücklicherweise jüngeren Bevölkerungsprofilen (...), jetzt eine Bevölkerungsimmunität schon fast abgeschlossen ist, haben wir in den Industrieländern an einigen Stellen diese Zögerlichkeit.“

Der Preis der Impflücke

Natürlich könne man auch ohne Impfungen eine Bevölkerungsimmunität aufbauen, so Drosten. „Die Frage ist nur, was das kostet – in Form von Todesfällen in Bevölkerungen, die relativ alt sind.“ Er glaube nicht, dass es gelingen werde, bis zum Beginn des nächsten Winters eine komplette Immunisierung durch Impfung zu erlangen – also dass die große Mehrheit auch zusätzlich eine omikron-spezifische Impfung nachgeholt habe. „Wenn wir das hinbekämen, könnte ich mit Überzeugung sagen: Im nächsten Winter ist die Pandemie vorbei.“

Das Interview in voller Länge:

Christiane Knoll: Muss SARS-CoV-2 zwangsläufig harmloser werden? Es gab da in den sozialen Medien etwas Verwirrung in der letzten Woche, weil unterschiedliche Aussagen kursieren. Es gibt keinen Weg zurück zu einem tödlicheren Virus stand da, scheinbar ein Widerspruch zu Warnungen vor gefährlicheren Varianten, die da noch kommen könnten. Was stimmt denn nun?
Drosten: Na ja, es gibt keine Zwangsläufigkeit, dass so ein Virus milder wird, es gibt schon eine Zwangsläufigkeit, dass die Bevölkerungsimmunität sich aufbaut und dadurch die Erkrankung, die durch dieses Virus hervorgerufen wird, milder erscheint.
Knoll: Es könnte tatsächlich noch mal eine tödlichere Mutation auch zurückkommen?
Drosten: Ja, also wir haben auch bei anderen Viren, in denen wir co-zirkulierende Viruslinien haben, nehmen wir mal Influenza zum Beispiel, da ist das ja so. Da haben wir unterschiedlich hohe Virulenz in diesen einzelnen Viren in sich, also das Virus in sich, und auch zum Teil schwankende Funktionen des Bevölkerungsschutzes. Und wir erwarten das im Prinzip auch jetzt bei dem SARS-2-Virus. Da ist ja die Omikron-Variante jetzt aufgetaucht, diese Omikron-Variante scheint sich immunologisch abzugrenzen. Und anhand der quantitativen Messungen von solchen Neutralisationstitern, wie wir das nennen, können wir ahnen, dass das Omikron-Virus einen neuen Serotypen gründet.
Knoll: … und damit das Immunsystem schon ein bisschen wieder austrickst. Ist das der entscheidende Punkt?
Drosten: Ja, das trickst das Immunsystem aus, insofern vor allem, als der Übertragungsschutz umgangen wird in allererster Linie, aber natürlich etwas auch der Krankheitsschutz. Und wir haben dadurch ein Virus, das einen Vorteil genießt gegenüber den bis dato zirkulierenden Viren, gegenüber dem anderen Serotyp. Die Bevölkerungsimmunität ist aufgebaut worden gegen den ersten Serotyp, jetzt kommt ein anderer Serotyp, der kann sich nun in dieser Bevölkerung besser verbreiten, während in einer vollkommen immunologisch naiven Bevölkerung diese Unterschiedlichkeiten für diesen zweiten Serotypen gar nicht bestünden.

Die Gefahr der kombinierten Varianten

Knoll: Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat insbesondere vor einer Rekombination aus Delta und Omikron gewarnt. Ist das wirklich die größte Bedrohung?
Drosten: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie das SARS-2-Virus auch wieder als stärker virulente, stärker krankmachende Variante kommen kann – im Vergleich zu Omikron. Beispielsweise könnte man sich vorstellen, dass eine Rekombination passiert. Also wenn wir uns jetzt vorstellen, wir haben ja bei diesen Viren immer das Spike-Protein, das macht eigentlich so die Hauptimmunität. Und davon abgesehen hat das Virus ja noch viele eigene andere Eigenschaften, also der Rest des Genoms. Und es ist möglich, dass sich Genome zusammentun, man könnte sich vorstellen, dass zum Beispiel ein Virus entsteht, da sprechen wir dann von einer rekombinanten Viruslinie, die zum Beispiel das Spike-Protein vom Omikron-Virus trägt, um weiterhin diesen Immunvorteil zu genießen, aber den Rest des Genoms vom Delta-Virus hat, weil möglicherweise der Rest des Genoms bei Delta eine stärkere Replikationsfähigkeit vermittelt, andere Eigenschaften macht, die dem Virus noch einen Extravorteil bringen, sodass also aus beiden Welten, aus beiden Serotypen dann die stärksten Eigenschaften zusammenkommen. So etwas gibt es, das ist schon beschrieben worden, das muss man im Moment befürchten, dass so etwas passieren könnte.
Es gibt aber auch noch andere Wege, wie beispielsweise aus dem Omikron heraus wieder eine höher krankmachende Wirkung entstehen könnte. Und ich glaube, das ist ja die Argumentation eben für die Impfung, dass man jetzt nicht sich zurücklehnen sollte und sagen sollte, na ja, das Omikron-Virus, das macht ja offenbar mildere Verläufe, dann ist ja jetzt die Pandemie vorbei, jetzt können wir uns ja alle mit dem infizieren, dann sind wir danach ja immun. Das ist ein Trugschluss. Es könnte sein, dass diejenigen, die noch gar keine Immunität haben, sich zwar mit diesem Omikron-Virus, wie es jetzt im Moment ist, infizieren könnten, ohne einen sehr schweren Verlauf zu kriegen, aber es könnte auch sein, dass innerhalb von wenigen Wochen plötzlich eine Omikron-Virusvariante da ist, die wieder eine höhere Virulenz, eine höhere krankmachende Wirkung mitbringt. Und gegen die hätten diejenigen, die gar nicht geimpft sind, dann gar keinen Immunschutz. Da könnte man auch so schnell nicht dagegen animpfen, das braucht ja alles Zeit. Und wir sehen, dieses Omikron-Virus ist ständig in Bewegung genetisch, im Spike-Protein, aber auch an anderen Stellen des Virus ändern sich Dinge. Es gibt einige Eigenschaften im Spike-Protein, von denen wir denken, dass sich die auch noch mal stärker auf den Immune Escape auswirken. Es ist alles andere als sicher, dass das Omikron-Virus so, wie es jetzt ist, in diesem etwas abgemilderten Zustand bleiben wird. Das ist im Moment eine sehr wackelige Situation.
Ich glaube, man kann schon in einer, sagen wir mal, Betrachtung auf höherer Ebene sagen, dass in einiger Zeit – und das ist eben dann, wenn die Bevölkerung wirklich eine Bevölkerungsimmunität aufgebaut hat, idealerweise oder in unserer Bevölkerung zwangsläufigerweise durch zugrunde liegende Impfimmunität und dann darauf gesattelte, mehrfache Infektionen –, dass dann in diesem Zustand es praktisch indiskutabel ist, dass wir noch mal eine sehr schwere Variante bekommen der Krankheit. Da spreche ich aber von der Krankheit, nicht vom Virus. Das muss man unterscheiden. Diese Krankheit wird milder werden, beim Virus ist im Moment noch sehr viel im Spiel an evolutionsbiologischem Zufall. Und es gibt Möglichkeiten in beide Richtungen, dass es noch mal wieder schwerer wird oder dass es sich sogar noch weiter abmildert.

Für Länder mit älterer Bevölkerung ist natürliche Immunisierung zu gefährlich

Knoll: Welchen Einfluss haben wir denn darauf, was jetzt noch passiert? Spielt es zum Beispiel eine Rolle, wie schnell die Weltbevölkerung sich jetzt infiziert oder eben impft?
Drosten: Bei der Evolution ist das ganz schwierig, das vorauszusagen. Es ist klar, dass ein schneller Aufbau von Bevölkerungsimmunität in einigen Gebieten und ein langsamerer Aufbau von Bevölkerungsimmunität in anderen Gebieten eine gefährliche Situation ist. Ich glaube, das kann man mit einiger Sicherheit sagen. Wenn wir große Bevölkerungen haben, die zusammenhängend sind, die nicht geimpft werden, und auf der andere Seite große Bevölkerungen, bei denen man das Virus erstens kontrolliert und zweitens vielleicht auch noch weniger Virus eingetragen wurde, also bei denen noch nicht so viele Infektionen gelaufen sind, bei denen es große immunologisch naive Bevölkerungen gibt, wo das Virus dann wieder ganz andere Selektionsbedingungen hat, dann wird es dazu kommen, dass die Entstehung von neuen Varianten begünstigt wird – in der Gesamtschau, global gesehen.
Und es ist natürlich so, das Virus, das durch eine nicht geimpfte Bevölkerung ungebremst durchläuft, das ist der natürliche Weg, und natürlicherweise wäre diese Pandemie um den Erdball gegangen und hätte alle Bevölkerungen vollkommen betroffen und hätte jeweils mit der altersspezifischen Mortalität auch Todesfälle verursacht und hätte wahrscheinlich bis ungefähr jetzt weltweit eine Bevölkerungsimmunität hervorgerufen, sodass man dann ungefähr jetzt sagen könnte, also in diesem Halbjahr oder in diesem Jahr sagen könnte, die Pandemie ist beendet. Das haben aber Länder, gerade in den Industrieländern mit älteren Bevölkerungen nicht machen können wegen der hohen Todesraten. Und da muss man natürlich sagen, die nicht-pharmazeutischen Interventionen, also diese Kontaktmaßnahmen, die waren ein Eingriff in ein natürliches Pandemiegeschehen, in eine Naturkatastrophe. Und dieser Eingriff muss begleitet sein dann mit einem auch gezielten Aufbau von Immunität eben nicht durch das Virus, das muss durch die Impfung passieren.
Knoll: Genau, das hört man auch immer wieder, dass eben die Impfung vermutlich besonders schnell jetzt passieren müsste. Aber wenn genau das nicht passiert, dann gibt es eben die andere Möglichkeit, es eben doch laufen zu lassen.
Drosten: Na ja, also erst mal, um das noch mal zu betrachten, wir brauchen ungefähr synchron einen Aufbau der Bevölkerungsimmunität in allen Ländern der Erde.
Knoll: Ja, aber das macht ja Deutschland gerade nicht mit.
Drosten: Ja, das machen einige Menschen in Deutschland nicht mit, genau. Das ist auch ein wirkliches Problem, das ist ein Problem inzwischen nicht der sozialen Beobachtung, sondern es ist tatsächlich auch ein epidemiologisches Problem. Wir verlieren hier diese Synchronität, während in Afrika beispielsweise in Ländern mit glücklicherweise jüngeren Bevölkerungsprofilen, wo glücklicherweise deswegen weniger Todesfälle auftreten, jetzt eine Bevölkerungsimmunität schon fast abgeschlossen ist, haben wir in den Industrieländern an einigen Stellen diese Zögerlichkeit. In vielen Ländern wird das erreicht, da läuft das sehr gut, in anderen, wenigen Ländern läuft es eben nicht so gut. Und in diesen Ländern, wo es nicht so gut läuft, da kriegt das Virus jetzt noch mal wieder andere Bedingungen, wird anders selektiert. Und um Ihnen mal ein Beispiel zu geben, da ist jetzt auch noch nicht viel Immunität oder ausreichende Immunität gegen das Delta-Virus, gegen das bisher zirkulierende Virus. Und wenn Omikron jetzt dort nicht Delta-Virus verdrängt, das muss es nicht zwangsläufig, dann könnte im nächsten Winter auch das Delta-Virus wieder zurückkommen. Dann hätten wir eben wirklich die Co-Zirkulation von zwei wahrscheinlich bis dahin definierten Serotypen und hätten ein Zusatzproblem zum Beispiel in der Form, dass wir dann aufpassen müssen mit der Impfung, dass wir beide Arten von Serotypen abdecken durch die Impfung in Zukunft.
Natürlich kann man auch ohne Impfungen diese Bevölkerungsimmunität aufbauen, die Frage ist nur, was das kostet in Form von Todesfällen in Bevölkerungen, die relativ alt sind. Schauen Sie zum Beispiel auf die USA, dort ist das Impfprogramm noch schlechter gelaufen, und wir haben dort praktisch jeden Tag im Moment – und das seit langer Zeit – über 500 Tote. Wir haben jetzt seit Monaten 1.000 Tote am Tag. Man fragt sich, wie lange das eigentlich noch so weitergehen soll. Die Erklärung dafür, dass das so viele sind, ist eben, dieses Virus in der natürlichen Infektion vermittelt nicht zuverlässig über lange Zeit eine schützende Immunität. Und wenn dann auch noch ein zweiter Serotyp dazukommt, dann kann man sich irgendwann ausrechnen, dass jeder in der Bevölkerung mehrere Infektionen mit jedem dieser Serotypen durchgemacht haben muss, bis eine stabile Immunität erreicht ist, die auch den Schutz gegen die Übertragung einschließt und den Schutz gegen schwere Krankheit einschließt. Und dann kann es eben wirklich Jahre dauern, bis man aus der Pandemie raus ist.

Auch Infektionen sind notwendig – um Immunität dauerhaft aufrecht zu erhalten

Knoll: Aber welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus diesen Überlegungen? Die Sachlage klingt relativ klar, wir müssen sehr schnell einen Immunschutz aufbauen, Deutschland setzt auf die Impfungen. Gleichzeitig riskieren wir mit dieser Verzögerung andere Risiken. Müssten wir zum jetzigen Zeitpunkt dann nicht sagen, wir geben uns noch drei Monate, bis diese Welle vorbei ist, und nehmen dann die Kontaktbeschränkungen zurück, egal wer sich hat impfen lassen?
Drosten: Ich erwarte, dass wir in drei Monaten sowieso die Kontaktbeschränkungen zurücknehmen können, weil es dann wieder wärmer geworden ist. Da gibt es ja wenig Zweifel. Aber es ist eben so, die jetzt bestehende Impflücke insbesondere bei den Älteren sollte durch Impfungen geschlossen werden. Denn – und das ist vielleicht in der Bevölkerung noch nicht so ganz angekommen als Information – der Weg für Deutschland, für eine Bevölkerung, die so alt ist wie die in Deutschland, ist entweder, sehr viele Todesfälle zu haben, oder die Immunität zunächst durch eine flächendeckende Impfung zu erwerben. Wir brauchen Infektionen durch das Virus, damit diese Immunität auf der Bevölkerungsebene erhalten bleibt. Aber der Aufbau, dass man das einmal aufschichtet, das kann man nicht durch das Virus machen, wenn man nicht sehr viele Todesfälle riskieren möchte. Deswegen muss man das durch eine vollständige Impfimmunität machen. Vollständig bedeutet jetzt eben drei Impfungen, bei dem Omikron-Virus mit dem jetzigen Impfstoff brauchen wir drei Impfungen.
Und wir können natürlich jetzt mit einem neuen Impfstoff, der im zweiten Quartal sicherlich breit verfügbar sein wird, Omikron-spezifisch auch wieder mit einer oder zwei Impfungen nur gegen Omikron impfen, aber diejenigen, die bis dahin nicht gegen Delta geimpft wurden oder die nicht mit dem Delta-Virus infiziert waren, die haben einen geringen Schutz gegen das Delta-Virus. Und hier kommen jetzt eben diese zwei Probleme oder die zwei Folgen dieser Impfunwilligkeit zusammen: Einerseits haben wir wegen der Impfunwilligkeit in Teilen von Deutschland, der deutschen Bevölkerung, und dann, das muss man auch sagen, in großen Teilen in Osteuropa, da ist es auch ein Problem, da haben wir eben Bevölkerungen, die naiv sind, wo Delta auch bleiben könnte. Von da könnte Delta zurückkommen zu denjenigen, die bis dahin eben nur eine Omikron-Infektion oder nur eine Omikron-Impfung erhalten haben.
Grafik zeigt die neutralisierenden Antikörper bei Delta, Omikron und Omikron geboostert
Omikron fliegt unter dem Radar der meisten Antikörper, die durch die Impfung entstanden sind. Nur noch ein Bruchteil der Antikörper kann die Viren erkennen und "neutralisieren"'. Ein Booster kann die Zahl der neutralisierenden Antikörper kurzzeitig wieder signifikant erhöhen. (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)
Wir brauchen also schon, um wirklich nicht nur einen Krankheitsschutz zu haben, da hilft die Impfung in der Breite, auch gegen die Omikron-Infektion, im Moment, so wie das Omikron-Virus jetzt ist, das muss ich immer einschränkend dazu sagen, aber für den Übertragungsschutz, da brauchen wir eben die breitere Immunität gegen beide Sero-Spezifitäten, beide Serotypen. Da müsste man sich dann eben später überlegen, das muss man alles über Studien rausfinden und in der Zulassung behandeln, aber dann müsste man wahrscheinlich mit einer bivalenten Impfung diese Menschen versorgen, dass sie also gleichzeitig gegen beide immunisiert werden, sonst wird das schwieriger.
Knoll: Wen schützen wir denn, wenn wir uns noch eine Weile zurückhalten? Geht es vielleicht auch noch darum, eine gewisse soziale Schieflage noch zu korrigieren? Also wie sieht die Impfquote in unterschiedlich sozial aufgestellten Stadtteilen zum Beispiel aus?
Drosten: Ja, das ist sicherlich ein Teil eines politischen, komplexen Problems und ein Teil eines ethischen, auch vielleicht rechtlichen Problems. Das ist außerhalb meines Kompetenzbereichs, dazu kann ich jetzt wenig sagen, außer so allgemeine Einschätzungen wie: Wenn es denn so ist, dass manche Leute sich nur deswegen noch nicht geimpft haben, weil die Information bei ihnen noch nicht angekommen ist, dann sollte man doch alles daran setzen, aus Humanismus diese Menschen in die Information zu bringen, also denen noch mal zu erklären, dass sie in einem Risiko stehen. Das ist ja auf eine gewisse Art unverschuldet, dass diese Menschen die Information noch nicht bekommen haben. Natürlich sind da Sprach- und Bildungsbarrieren im Spiel. Ich glaube, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, diese Barrieren zu überwinden.
Bei einer bewussten, informierten Entscheidung, da muss ich auch sagen, nicht fehlinformierten Entscheidung, das gibt es ja auch, die aktive Fehlinformation, die man möglicherweise auch noch mal korrigieren kann. Aber wenn es eben eine richtig informierte, bewusste Entscheidung gegen die Impfung ist, dann ist das nicht mehr zu erreichen, dann sind diese Menschen nicht mehr zu erreichen.

„Die Pandemie ist dann vorbei, wenn ...“

Knoll: Viele Menschen sind am Anschlag, über die Kollateralschäden der Pandemie haben wir in dieser Sendung gar nicht gesprochen, aber wir wollten klären, was aus epidemiologischer und virologischer Sicht noch alles passieren kann. Wie schätzen Sie das ein, wann wird die Pandemie für uns vorbei sein?
Drosten: Na ja, die Frage ist einfach, was betrachtet man so als Pandemie, welche Vorstellung hat man. Ich denke nicht, dass wir im kommenden Winter schon komplett wieder so leben können wie im Winter 2019. Das wird, glaube ich, nicht möglich sein. Da werden wir also Restmaßnahmen haben, vielleicht Maske tragen bei Versammlungen in öffentlichen Räumen, vielleicht wird es da auch noch eine Versammlungsobergrenze geben, vielleicht muss man da auch weiter mit Zutrittsbeschränkungen auf der Basis von Impfstatus arbeiten. Das denke ich schon, und zwar einfach deswegen, weil ich nicht glaube, dass es gelingen wird, bis, sagen wir mal, zum Beginn des nächsten Winters eine komplett impfimmunisierte Bevölkerung zu haben. Damit meine ich, dass alle Teile der Bevölkerung relativ frisch mit einer dreifachen Impfung versehen sind, bei denen große Teile auch schon zusätzlich eine Omikron-spezifische Impfung noch mal nachgeholt haben. Wenn wir das hätten, wenn wir das hinbekämen, dann könnte ich mit Überzeugung sagen, im nächsten Winter ist die Pandemie vorbei. Es hängt wirklich daran. Und dann müsste ich aber an dieser Überzeugung, an diese überzeugte Aussage noch mal ein Sternchen machen und müsste sagen, falls nicht eine ganz unvorhergesehene Virusvariante bis dahin kommt. So etwas kann ja, wie wir jetzt gemerkt haben, innerhalb von Wochen passieren, dass so etwas irgendwo auf der Erde bemerkt wird, und nach ein paar Wochen, nach einem Monat oder anderthalb ist das dann schon bei uns und wird auch schon bei uns zu einem ernsthaften Problem. Das kann man alles nicht ausschließen.
Was ich aber auch wieder dazu sagen kann, weil ich ja auch keine düsteren Szenarien an die Wand malen möchte, ist: Eine gut geimpfte Bevölkerung wird auch gegen eine neue Virusvariante, selbst einen neuen Serotypen wieder einen weiter bestehenden Krankheitsschutz genießen. Nur, da kommen wir jetzt, glaube ich, an die essentielle Antwort auf Ihre Frage, wann ist die Pandemie vorbei, die Pandemie ist dann vorbei, wenn wir zusätzlich zu einem Krankheitsschutz in der Bevölkerung – und das müssen wir in unserer alten Bevölkerung über die Impfung erreichen – auch einen Übertragungsschutz haben, damit diese hohen Zahlen aufhören, die spontan entstehen. Deswegen werden eben jetzt auch die Impfstoffe noch mal angepasst, weil mit Ankunft von Omikron eben eine Virusvariante entstanden ist, wo man nicht mehr von einem genau passenden Impfstoff sprechen kann. Also die Passgenauigkeit des Impfstoffes muss da sein, dann können wir das erreichen durch so eine Impfung, wie wir sie jetzt haben, eine Injektion in den Muskel.
Es gibt einen anderen Weg, wie wir das erreichen können auf Dauer und auch halten können, den Übertragungsschutz – und das ist der bessere Weg –, dass wir direkt auf der Schleimhaut die Immunität hervorrufen. Und da gibt es jetzt wieder zwei Wege dafür, der eine Weg ist die Infektion, das ist auch der einzige im Moment mögliche Weg. Das heißt, wir brauchen auf dem Boden einer Impfimmunität, die uns gegen die Krankheit schützt, dann die Infektion mit dem Virus, die uns dann auch noch gesamtgesellschaftlich den Übertragungsschutz vermittelt, sodass die Immunität nicht nur im Blut ist in Form von Antikörpern und Immunzellen, sondern auch auf der Schleimhaut, denn dort gibt es eine eigene Immunität mit eigenen ortsständigen Immunzellen, die noch mal viel besser eine Abwehrschranke machen. Das müssen große Teile der Bevölkerung aufgebaut haben und auch immer wieder aufbauen durch wiederkehrende Infektionen, die aber nicht gleichzeitig stattfinden. Da müssten wir über diesen klassischen Weg hin, also erst impfen und auf dem Boden der Impfimmunität dann ein laufendes Virus, das nicht mehr schwer krank macht, und nach und nach den Übertragungsschutz immer höher aufbaut.
Es gibt einen anderen, moderneren Weg, der so aber noch nicht für ein respiratorisches Virus beschritten wurde, das ist, dass man eine Lebendvakzine entwickelt und benutzt, die sind auch schon in der Zulassung, die werden sicherlich auch kommen. Das sind beispielsweise abgeschwächte SARS-2-Coronaviren im einfachsten Fall oder es sind genetisch, gentechnisch modifizierte Vektorimpfstoffe, die aber nicht in den Muskel injiziert werden, sondern auf der Schleimhaut eine kleine, unbemerkte Infektion setzen und dann diese Schleimhautimmunität herstellen, ohne dass man sich überhaupt infizieren muss. Das wären Impfstoffe, die würde man beispielsweise als Nasenspray geben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.