Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages hat die Bürger angesichts der hohen Energiepreise und einer drohenden Gasmangellage auf harte Zeiten eingestimmt. Im Interview der Woche des Deutschlandfunks sagte Helmut Dedy, die Lage sei sehr ernst.
Die Städte und Gemeinden bereiten sich auf den Fall vor, dass im Winter nicht mehr genügend Gas zur Verfügung steht und versuchten jetzt schon, alles zu tun, um ihren Gasverbrauch zu senken. Ansetzen könne man beispielsweise im Sport- und Kulturbereich. Man wisse um die Bedeutung dieser Bereiche, betonte Dedy. Derzeit gebe es aber wenige Tabus.
Dedy führte aus, die Krisenstäbe der Städte arbeiteten bereits an einem Stufenverfahren für den Zeitpunkt, zu dem man wisse, wie es um die Gas-Versorgung stehe. Dabei gehe es beispielsweise um die Frage, wie es mit der Trinkwasserversorgung oder digitalen Systemen weitergehe, wenn dafür nicht mehr ausreichend Strom zur Verfügung stehen sollte. Es gehe nicht darum, Panik und Ängste zu schüren, sondern darum, Vorsorge zu treffen.
Kein Sparpotenzial bei vielen Haushalten in Deutschland
Der Deutsche Städtetag vertritt die Interessen von rund 3.200 Städten und Gemeinden in Deutschland. Sie rechnen aufgrund der steigenden Energiepreise mit Mehrkosten von rund 500 Millionen Euro und wünschten sich mehr Unterstützung des Bundes und der Länder. Zudem könnten viele Bürger die steigenden Nebenkostenabrechnungen nicht alleine tragen. Dedy wörtlich: „40 Prozent der Haushalte sind nicht in der Lage zu sparen (…). Ich glaube, dass eine Verdreifachung der Energiepreise für viele Haushalte das wirtschaftliche Aus wäre. Und das kann für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland nicht richtig sein“. Hier müsse die Bundesregierung einspringen, denn Sozialpolitik sei Aufgabe des Bundes.
Für einen attraktiven Nachfolger des aktuellen bundesweiten Neun-Euro-Tickets für den ÖPNV, etwa für ein aktuell diskutiertes 69-Euro-Ticket, müsse Deutschland „investieren, investieren, investieren“, meint Dedy. „Drei Monate in knallvollen Zügen, das geht. Auf Dauer ist das nicht attraktiv, und dann werden wir neue Finanzierungssysteme schaffen müssen.“ Beispiel könnte etwa das Wiener Modell mit einer „Arbeitgeberabgabe für den öffentlichen Verkehr“ oder eine „City-Maut“ zur Einfahrt in Städte sein.
Dedy fordert neues Infektionsschutzgesetz
Mit Blick auf erwartete Corona-Infektionswellen im Herbst mahnte Dedy eine klarere Strategie und Kommunikation der Ampelregierung an. Es helfe den Kommunen nicht, „wenn zwei, drei Minister sich gegenseitig bekämpfen“. Dedy forderte konkret ein neues Infektionsschutzgesetz. Das bisherige Bundesgesetz läuft am 23. September aus. Länder und Gesundheitsämter müssten aber entsprechende Regelungen treffen können, wenn die Lage sich wieder zuspitze - etwa Maskenpflicht in Innenräumen oder Zugangsregeln je nach Impf- oder Genesenenstatus anzuordnen.
Das Interview im Wortlaut:
Jörg Münchenberg: Herr Dedy, die Nervosität hierzulande ist groß. Viele schauen ja voller Sorge auf den 21. Juli. Dann entscheidet sich wahrscheinlich, ob nach der Wartung der Pipeline Nord Stream 1 wieder russisches Gas nach Deutschland fließen wird oder nicht. Falls der Gashahn zubleiben sollte, dann könnte Deutschland im Winter in einen Gasnotstand rutschen. Wie schätzt der Deutsche Städtetag die Lage ein?
Helmut Dedy: Wir schätzen die Lage sehr ernst ein. Wir wissen natürlich auch nicht, wie das mit Russland weitergeht. Ich kann mir gut vorstellen, dass da auch zynische Spiele gespielt werden. Also mal gibt es wieder ein bisschen Gas, und dann gibt es mal wieder kein Gas. Wir stellen uns so darauf ein, dass wir einmal sagen, was können wir selbst als Städte dazu beitragen, Energie zu sparen. Und zum anderen aber auch, wie gehen wir mit einer Gasmangellage dann später um, wenn wir sie tatsächlich haben.
Münchenberg: Sie haben es angesprochen, viele Kommunen haben ja schon reagiert. Teilweise gibt es jetzt nicht mehr den ganzen Tag warme Duschen in öffentlichen Gebäuden. Manche Schwimmbäder, da wurden die Temperaturen, die Wassertemperaturen abgesenkt. Teilweise hat man auch schon die nächtliche Beleuchtung in den Kommunen eingeschränkt. Ist das erst der Anfang oder anders gefragt, was könnte da auf Deutschland zukommen jetzt im Herbst und Winter?
Dedy: Also, im Moment sind wir so da unterwegs, dass wir sagen, was jetzt schon geht, was wir selbst machen können, das versuchen wir zu tun. Das sind die berühmten Freibäder. Das ist der Kulturbereich, das ist der Sportbereich, und wenn man da unterwegs ist, dann kriegt man sehr schnell sehr viel Kritik. Dann kommen die Sportverbände und sagen, Sport ist ganz wichtig, ihr habt das nicht verstanden. Dann kommt die Kultur und sagt, Kultur ist ganz wichtig, ihr habt das nicht verstanden. Doch, wir haben das verstanden. Wir wissen um die besondere Bedeutung von Sport, von Kultur. Wir wissen aber auch, dass es wenig Tabus gibt. Also natürlich wird niemand im Krankenhaus einsparen wollen, aber darüber hinaus gibt es wenig Tabus, und man muss sagen, es gibt keinen Grund für Panik, aber es gibt Grund für Vorsorge, und daran wollen wir uns beteiligen.
"Es geht nicht um Panik, es geht darum, Vorsorge zu treffen"
Münchenberg: Sie sagen jetzt, Herr Dedy, es gibt keine Tabus. Da ist ja schon die Frage, wie viel Spielraum ist denn da überhaupt vorhanden? Also, wie gesagt, jetzt haben wir eben so die ersten Anfänge mit den Schwimmbädern, mit der Beleuchtung nachts, aber was ist denn da überhaupt noch aus Ihrer Sicht denkbar? Wenn wirklich jetzt der Gasnotstand ausbrechen sollte, und, so wie Sie es formuliert haben, sozusagen die Tabus dann eben auch alle wegfallen?
Dedy: Ja, wir müssen ja unterscheiden zwischen der jetzigen Situation und zwischen der Situation in der Heizperiode. Da wird natürlich die Frage von Raumtemperaturen noch mal eine ganz andere Rolle spielen, als sie das heute spielt im warmen Sommer. Mir ist wichtig, dass wir sagen, wir schauen uns Schritt für Schritt alles an, was geht. Ich sage mal ein Beispiel. Um in Arbeitsstätten die Raumtemperatur zu verändern, brauche ich eine Veränderung der Arbeitsstättenverordnung. Das können wir nicht selbst, das muss der Bund oder das Land machen, also müssen das andere tun, müssen den Rahmen dafür schaffen. Das Gleiche gilt bei der Frage der Heizperiode. Man wird darüber nachdenken können und ich glaube auch müssen, ob man sie so beginnen lässt, wie sie üblicherweise beginnt, oder ob man sie so ein bisschen verschiebt.
Was ich sagen will, ist, wir unterscheiden zwischen den kurzfristigen Maßnahmen, die jetzt schon gehen, und den Maßnahmen, die wir dann Schritt für Schritt, wenn wir wissen, wie die Gassituation weitergeht, ergreifen können. Und da, in diesem Stufenverfahren, da sind wir dran, und dann kommen natürlich auch bei uns die Krisenstäbe auf den Plan. Das heißt, jede Stadt hat einen Krisenstab schon durch die Corona-Zeit intensiv genutzt, und diese Krisenstäbe sind jetzt auch dabei und sagen, wie geht das eigentlich perspektivisch mit Notunterkünften, wie geht das eigentlich weiter mit der Trinkwasserversorgung, wie geht das weiter, wenn die digitalen Systeme ausfallen sollten, weil wir den Strom für die digitalen Systeme nicht mehr haben. Es geht nicht um Panik, es geht nicht darum, Ängste zu schüren, sondern es geht darum, dass wir gut aufgestellt sind. Es geht darum, Vorsorge zu treffen.
Münchenberg: Wäre für Sie auch vorstellbar, dass man so weit geht und sagt zum Beispiel, die Beleuchtung in den Städten macht man einfach aus, also dass wir wirklich dunkle Städte haben dann im Winter?
Dedy: Ich würde das nicht ausschließen heute. Das ist nicht das, was wir uns vorstellen. Wir müssen immer auch gucken, was sparen wir wodurch ein. Also, wir konzentrieren uns natürlich auf die Einsparmöglichkeiten, die unmittelbar was mit Wärme zu tun haben, weil Gas und Wärme sehr eng zusammenhängt. Das Beispiel mit der Stadtbeleuchtung aber wird es geben können, klar. Wir sind jetzt schon dabei, dass wir die historischen Gebäude nicht mehr anstrahlen. Wir sind jetzt schon dabei, zu gucken, was geht noch, ohne Verkehrssicherungspflichten zu verletzen. Also, ich würde sehr dafür plädieren, da wirklich mit offenem Blick dranzugehen und zu sagen, wir wissen nicht, wie schlimm es wird, aber es kann durchaus schwierig werden, und dann wird auch die Frage auftauchen, was ist uns eigentlich an Verzicht vorstellbar. Also gesellschaftspolitisch ist das Thema ja viel, viel größer, und diese Frage Verzicht, das darf nicht so laufen, dass man sagt, ein Grad Raumtemperatur Unterschied, das ist schon der elementare Verzicht, den wir üben. Das glaube ich nicht. Ich glaube, dass es schwerer wird. Ich glaube, dass es intensiver wird, und ich glaube, dass wir uns auf eine schwierige Zeit werden einstellen müssen.
"Wir hören erst einmal sehr viel Widerspruch"
Münchenberg: Sie haben vorhin auch, Herr Dedy, die Sportvereine angesprochen. Da muss man ja auch sagen, die haben sich jetzt gerade nach Corona wieder berappelt, weil viele eben weggeblieben sind, keinen Sport mehr gemacht haben. Jetzt kämpfen sie teilweise erneut ums Überleben, weil sie sich auch einfach teilweise die hohen Energiekosten nicht mehr leisten können. Was hören Sie da aus den Städten und Gemeinden? Droht da jetzt das große Vereinssterben?
Dedy: Also, wir hören erst einmal sehr viel Widerspruch. Das habe ich eben schon mal darzustellen versucht. Alle Bereiche, die wir erwähnt haben, von denen wir sagen, da kann eingespart werden, alle Bereiche haben ihre Argumentation, aber bei uns darf das nicht passieren. Ich glaube, dass das nicht tragen wird. Sie können davon ausgehen, dass in den Städten sehr genau geguckt wird, welche Überlebensmöglichkeiten für Vereine gibt es, welche Möglichkeiten, sie zu stabilisieren, habe ich noch. Man wird darüber nachdenken müssen, ob das Duschwasser nach dem Sport tatsächlich noch die Temperatur hat, die es derzeit hat. Also, nicht alles muss aufhören. Es ist nicht so, dass wir sagen, macht alle Bäder zu, macht alle Sporthallen zu, macht alle Kultureinrichtungen zu, gar nicht.
Münchenberg: Aber die Frage wäre ja zum Beispiel, Flutlicht kostet natürlich auch viel Strom, und wenn man da dann sagt im Winter, na ja, da wird dann drauf verzichtet. Da geht es ja nicht nur darum, dass die sparen müssen, sondern da wird ja vielleicht eben auch die Vereinsarbeit infrage gestellt.
Dedy: Ja, aber es ist vielleicht im Sommer bei Sonnenuntergang, 21 Uhr, auch jetzt nicht so ein Beispiel, was einen sofort packt. Natürlich wird sich da etwas verändern, aber wir sind in einer Extremsituation, oder falsch, wir drohen in eine Extremsituation zu geraten. Und dafür möchte ich werben, dass wir sagen, ja, wir sind auf einem ganz schmalen Grat zwischen Panik und Fahrlässigkeit. Wir sind auf einem schmalen Grat, was machen wir kaputt und was schaffen wir dadurch an Gasvorrat, und diesen schmalen Grat, den müssen wir gemeinsam bewältigen, und da wird dann eben die Frage, was kann ich im Fußball noch tun, weiß ich nicht. Dann muss ich eben um 18.30 Uhr spielen, und ich weiß, was jetzt an Einwand kommt, nein, das geht nicht, weil dann sind ja die Leute noch auf dem Job und so. Alles richtig, aber ich glaube da an die Klugheit in den Städten. Die werden nicht sagen, alles weg, da kommt kein Rasenmäher, sondern die werden sagen, wir schließen vielleicht zwei Freibäder und zwei andere bleiben offen, und da gibt es andere Eintrittszeiten oder so etwas. Also, ich glaube daran, dass wir in der Lage sind, Vorsorge zu treffen für eine eventuelle Gas-Mangellage. Und dass wir trotzdem in der Lage sind, nicht überall kommunales Leben zu zerstören, denn das ist die Grundlage, auf der wir arbeiten. Da sind wir nicht verrückt.
"Die Krisenstäbe lernen auch voneinander"
Münchenberg: Sie haben vorhin die Krisenstäbe schon erwähnt, die jetzt eben viele Städte und Kommunen eingerichtet haben. Wie ist das eigentlich so untereinander? Werden da auch gemeinsam Strategien entwickelt, jetzt vom Deutschen Städtetag aus, oder macht am Ende doch jeder Bürgermeister, jede Bürgermeisterin das, was man für richtig hält? Oder ich spitze es mal ein bisschen zu: Droht da ein neuer Flickenteppich, wie wir ihn dann eben auch bei Corona erlebt haben, bei möglichen Einsparmaßnahmen in Deutschland?
Dedy: Also das, was wir im Moment erleben im Deutschen Städtetag, ist: Abgucken macht Spaß. Wir haben Krisenpläne, die sind sehr professionell ausgearbeitet, die wandern. Da gibt es Austausch, dieses Austauschen, das organisieren wir auch, und das heißt, dass die Krisenstäbe auch voneinander lernen. Es wird immer mal wieder unterschiedliche Situationen geben vor Ort. Das ist aber einfach der Tatsache geschuldet, dass Köln anders aufgestellt ist als vielleicht München und München anders als Hildesheim.
Münchenberg: Herr Dedy, wir haben ja schon über die Not und die Bedenken bei den Sportvereinen zum Beispiel geredet, bei der Kultur. Nun ist es ja so, auch auf die Bürger kommen ja enorme Belastungen zu. Klaus Müller, der Chef der Bundesnetzagentur hat jetzt gesagt, man kann von einer Verdreifachung der Energiekosten ausgehen. Dann ist eben nicht mehr von 1.500 Euro die Rede, sondern von 4.500 Euro pro Jahr. Was rollt da auf Deutschland zu, und was heißt das am Ende vielleicht auch für die Städte und Kommunen, wenn sich die Energienebenkostenrechnung wirklich drastisch erhöhen wird?
Dedy: Das sind ganz verschiedene Aspekte, die da eine Rolle spielen. Einmal ist die Preisentwicklung ein Riesenproblem für die Stadtwerke. Wenn die Stadtwerke die Preise weitergeben würden, könnten viele Haushalte den Alltag nicht mehr bezahlen. Wenn die Stadtwerke die Preise nicht weitergeben, drohen sie, selbst in Schieflage zu kommen. Dafür braucht es Lösungen, die braucht es da von Bund und von Ländern. Dann sind wir unmittelbar betroffen über die Kosten der Unterkunft. Alle Menschen, die in dem sind, was wir Grundsicherung nennen, die bekommen die Heizkosten von der öffentlichen Hand übernommen. Das ist relativ viel Geld. Das teilen sich der Bund und die Städte.
Das heißt, da sind wir unmittelbar finanziell betroffen, lässt sich noch nicht so richtig abschätzen, aber wir rechnen mit einer halben Milliarde, ein höherer Millionenbetrag, 400, 500, 600 Millionen, das ist so die Größenordnung, die das ausmachen könnte. Dann gibt es aber eine Gruppe, die, finde ich, wird im Moment so ein bisschen vergessen. Wir wissen aus den Gesprächen mit den Sparkassen bei uns, dass 40 Prozent der Haushalte nicht sparfähig sind. Das ist ein schreckliches Wort, aber das heißt, 40 Prozent der Haushalte sind nicht in der Lage, zu sparen, und das heißt, sie sind am Ersten des Monats so unterwegs wie am Letzten des Monats, und da ist kein Cent Rücklage da. So und diese Haushalte, die nicht in der Grundsicherung sind, die aber trotzdem mit einem ganz knapp bemessenen Budget im Monat unterwegs sind, für die ist das eine Herausforderung, die können sie nicht schaffen.
"Sozialpolitik ist Aufgabe des Bundes"
Münchenberg: Das heißt aber im Klartext dann, Entlastungspaket, mehr Geld vom Bund, oder was fordern Sie da?
Dedy: Es wird gar nicht anders gehen, ob Sie das jetzt über Einmalzahlungen machen oder wie auch immer, das ist vielleicht nachrangig. Wenn Sie sich an Corona erinnern, da gab es Kinderbonus und Einzelzuschläge. Das waren aber Dimensionen, die treffen bei Weitem nicht das, was jetzt bei der Gaspreis- oder Energiepreissteigerung auf die Menschen zukommt. Und ich glaube, es ist immer einfach, nach dem Bund zu rufen, das weiß ich auch. Man kommt dann immer sehr schnell in so eine Lage, man wolle sich da einen schlanken Fuß machen.
Aber ich glaube, Sozialpolitik ist Aufgabe des Bundes. Ich glaube, dass das gar nicht anders geht. Das Problem, was dann auftaucht, das ist das, was Herr Habeck im Moment auch immer deutlich macht, ein bisschen Preissteigerung wäre ja vielleicht gar nicht schlecht, um auch Anreize zu setzen. Aber da muss man eben aufpassen, dass man da nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. Ich glaube, dass eine Verdreifachung der Energiepreise für viele Haushalte das wirtschaftliche Aus wäre, und das kann für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland nicht richtig sein.
Münchenberg: Aber da sprechen wir natürlich von Milliardenbeträgen, um dann so was aufzufangen, und wir reden hier ja nicht mal über einen Gasnotstand mit den ganzen Folgen, die das haben könnte. Sondern wir reden darüber, dass diese Preissteigerungen ja in jedem Fall kommen werden, weil einfach mit dem neuen Gasvertrag wird es eben deutlich teurer, weil sich an der Börse die Gaspreise ja um das Siebenfache erhöht haben.
Dedy: Es wird teurer, und das ist richtig, wir sprechen da nicht über die Gasmangellage, sondern wir sprechen über eine Entwicklung, von der wir auch nicht wissen, wie lange sie anhält. Also, ich gehe schon davon aus, dass es nicht in 2023 wieder Energiepreise gibt, wie wir sie im letzten Jahr hatten. Und dann taucht tatsächlich die Frage auf, alles auszahlen, alles ausgleichen, das wird die öffentliche Hand nur schwer können, und da einen richtigen Mix zu finden, das, finde ich, ist eine große Herausforderung.
Neun-Euro-Ticket "erfolgreicher, als wir uns das vorgestellt haben"
Münchenberg: Ich will einmal eine Einzelmaßnahmen jetzt herausgreifen, weil die ja doch sehr populär gewesen ist, das Neun-Euro-Ticket im öffentlichen Nahverkehr. Das läuft ja dann auch Ende August aus. Herr Dedy, es gibt Forderungen, dass das bleiben soll oder dass es eben ein bisschen erhöht wird, 69-Euro-Ticket hat der Verband der Verkehrsunternehmen vorgeschlagen. Wie sehen Sie das? Wir erfolgreich war dieses 9-Euro-Ticket auch aus Sicht der Städte und Kommunen, die ja eben vielerorts den öffentlichen Nahverkehr organisieren?
Dedy: Es war, offen gesagt, erfolgreicher, als wir uns das vorgestellt haben. Die Wirkung war ja schon so, wie die Urheber es erwartet hatten. Also, es gibt auf einmal die Möglichkeit, zwischen Verkehrsverbünden zu wechseln. Es gibt die Möglichkeit, deutschlandweit zu reisen. Ich glaube, dass ein großer Charme in diesem Neun-Euro-Ticket liegt. Auf der anderen Seite wissen wir, dass wir das so, wie es jetzt läuft, nicht würden finanzieren können. Herr [Bundesverkehrsminister, d.Red.] Wissing sagt, er kann das nicht finanzieren oder der Bund kann das nicht. Unsere Verkehrsunternehmen können das auch nicht. Sie sind ja ohnehin defizitär. Das heißt, wenn man das macht, dann muss man sich gut überlegen, welche Finanzierungsmöglichkeiten man vielleicht neu schaffen will, und da kann man ja vielleicht auch mal ins Ausland gucken. Also, das Paradebeispiel ist immer gerne Wien. Da gibt es diese Arbeitgeberabgabe für den öffentlichen Verkehr. Das heißt, jeder, der Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer einstellt, der zahlt einen Obulus auch für das Verkehrssystem in der Stadt Wien. Also, ich glaube, wenn wir das machen, dass ein Nachfolger zu kreieren, der auch so attraktiv ist wie das jetzige Ticket, dann müssen wir investieren, investieren, investieren. Weil drei Monate mit knallvollen Zügen, das geht. Auf Dauer ist das nicht attraktiv, und dann werden wir neue Finanzierungssysteme schaffen müssen. Vielleicht darf ich auch noch eins erwähnen, wir spielen immer mal wieder mit dem Gedanken von City-Maut oder Ähnlichem, also das, was so negativ konnotiert dann Eintrittsgeld in die Großstädte oder so heißt. Aber die Frage ist eben auch, ob man nicht auch da noch Möglichkeiten schafft, andere Finanzquellen aufzutun.
"Ich glaube, dass es richtig ist, Uniper zu stützen"
Münchenberg: Jetzt haben wir über die Entlastung der Bürger gesprochen und das, was vielleicht eben auch noch alles auf uns zukommt. Sie haben aber vorhin auch schon mal die Stadtwerke erwähnt, die ja auch derzeit mit den hohen Preisen klarkommen müssen. Der Gasimporteur Uniper, der ja eben auch über 100 Stadtwerke beliefert, hat Staatshilfe beantragt. Uniper hat erhebliche Finanzierungsprobleme, weil man eben teuer Gas zukaufen muss, aber das nicht weitergeben kann im Augenblick an die Kunden. Es gibt jetzt noch keinen Durchbruch bei den Gesprächen. Da ist ja auch der finnische Eigentümer von Uniper, Fortum, im Hintergrund. Was würde eine Insolvenz von Uniper für die Stadtwerke bedeuten oder anders ausgedrückt, wie sehen Sie im Augenblick diese Hängepartie, die ja offenkundig da ist?
Dedy: Uniper hat ja jetzt kürzlich auch mitgeteilt, dass sie an Gasspeicher herangehen, also aus Speichern wieder entnehmen, und das zeigt, dass die Lage sehr schwierig ist. Ich glaube, dass es richtig ist, Uniper zu stützen, weil wir ansonsten in der Kette, in der Lieferkette der Energie ein Riesenproblem hätten. Das müsste dann anderweitig gestützt werden, übernommen werden vom Bund oder wie auch immer. Das will ich mir gar nicht ausmalen. Ich glaube, dass der Weg, den der Bund da geht, richtig ist. Und er ist für uns auch in den Stadtwerken der richtige Weg, weil es für uns darauf ankommt, dass die Belieferung weiter stattfindet, denn es geht ja einmal um die Preise, um die Preisentwicklung. Aber es geht ja zum anderen auch darum, dass wir überhaupt eine Versorgungssicherheit haben, und für diese Versorgungssicherheit in Deutschland sind Stadtwerke ganz zentral. Es gibt da fast nur Stadtwerke als Grundversorger, und in der letzten oder vorletzten Woche hat der Bundesrat einen Entschließungsantrag ja gefasst, und hat gesagt, wir müssen was tun für die Grundversorger, sprich für die Stadtwerke. Ich finde das gut, dass die Länder da zusammengekommen sind und diese Position haben, und ich finde es ein bisschen schade, dass der Bundeswirtschaftsminister fast zeitgleich gesagt hat, der Bund hat damit nichts zu tun. Das ist vielleicht so formal auf dem ersten Blick richtig, nur Herr Habeck muss dann auch die Frage beantworten, wie will er denn Klimaschutz ohne Stadtwerke erreichen oder wie will er denn die Wärmewende ohne Stadtwerke erreichen, wie will er denn den ÖPNV ohne Stadtwerke perspektivisch finanzieren. Also, der Bund sollte da nicht nur wirtschaftspolitisch draufgucken und sagen, das ist eine Sache der Städte oder der Länder, sondern der Bund sollte sich auch fragen, wie kann er ohne dezentrale Unternehmen im Energiebereich überhaupt seine klimapolitischen Ziele durchsetzen. Das sehe ich im Moment überhaupt nicht.
"Ich möchte die Möglichkeit haben, dass Maskenpflicht in Innenräumen angeordnet werden kann"
Münchenberg: Herr Dedy, wir müssen noch, obwohl wir schon ziemlich nahe am Schluss sind, auf eine andere Großkrise zu sprechen kommen, auch wenn die derzeit ein bisschen in den Hintergrund gerückt ist, Corona. Da muss man sagen, selbst im Sommer jetzt liegt ja die Sieben-Tages-Inzidenz konstant bei über 700. Die Pandemie macht also nicht Pause. Trotzdem sind ja inzwischen viele Auflagen ausgelaufen. Wie ist da Ihr Eindruck, wird die Pandemie inzwischen unterschätzt oder einfach auch von vielen verdrängt?
Dedy: Ich glaube, dass wir sie alle gemeinschaftlich unterschätzen. Wenn Sie sich heute anschauen, wenn Sie einkaufen gehen und im Supermarkt treffen Sie noch zwei, drei Leute mit Maske, der Rest macht das nicht mehr. Die Politik unterschätzt Corona vielleicht auch. Da bin ich mir nicht so ganz sicher. Jedenfalls ist für uns ganz wichtig, dass wir für den Herbst eine Corona-Strategie brauchen. Und da hilft es mir nichts, wenn zwei, drei Minister sich gegenseitig bekämpfen, sondern da hilft es für uns nur, wenn wir sagen, das ist unser Ziel, das wollen wir tun, und das wollen wir euch in den Städten auch an die Hand geben. Also konkret, ich möchte ein neues Infektionsschutzgesetz haben. Das alte läuft aus, und in diesem Infektionsschutzgesetz möchte ich die Möglichkeit haben, dass Maskenpflicht in Innenräumen angeordnet werden kann. Ich möchte die Möglichkeit haben, dass zum Beispiel 2G-, 3G-Regelungen wieder getroffen werden.
Münchenberg: Was die FDP ja bislang alles sehr skeptisch sieht, muss man ja auch sagen.
Dedy: Was die FDP skeptisch sieht, was aber deshalb nicht unbedingt falsch sein muss. Wir wissen nicht, worauf wir hinauslaufen im Herbst. Wir wissen nicht, was Corona macht, und dann heute zu sagen, ich will gar nicht die Möglichkeit schaffen, dass für den Fall, dass eine Maskenpflicht sinnvoll wäre, sie auch getroffen werden kann. Oder ich will gar nicht die Möglichkeit schaffen, dass für den Fall, dass es sinnvoll wäre, 2G, 3G angeordnet werden kann - das finde ich, offen gesagt, fahrlässig. Ich will keine Maske heute. Ich brauche keine Maske im Sommer, ich möchte aber, dass die Gesundheitsbehörden und die Länder die Möglichkeit haben, wenn es sich wieder zuspitzt, entsprechende Regelungen zu treffen, und das ist mir wichtig, und da finde ich die Kommunikation innerhalb der Ampel im Moment etwas schwer nachzuvollziehen.
Münchenberg: Sie weisen da mit dem Finger nach Berlin. Auf der anderen Seite, die Gesundheitsämter sind auch nach zwei Jahren Pandemie sehr schnell überfordert mit der Nachverfolgung. Da stellt sich ja schon die Frage auch, haben da eben vielleicht auch die Städte einfach ihre Hausaufgaben nicht gemacht?
Dedy: Also, wir haben sicherlich Fehler gemacht in der Vergangenheit, was die Digitalisierung zum Beispiel der Gesundheitsbehörden angeht. Und wir haben in Teilen vielleicht auch Fehler gemacht, was die Personalausstattung von vor zwei oder drei Jahren angeht. Das haben wir behoben, die Personalausstattung ist deutlich verbessert worden, auch mithilfe des Bundes, muss man dazu sagen. Bei der Digitalisierung hakt es immer noch, aber ich glaube schon, dass in den Gesundheitsämtern im Moment ein ganz passabler Job gemacht wird. Und ich würde, was die Kontaktnachverfolgung angeht, einen ganz anderen Weg gehen und würde sagen, schmeißt das doch über Bord. Also, wer hat denn noch Interesse an Kontaktnachverfolgung? Wir gestalten da Datenfriedhöfe. Wir sammeln, sammeln und sammeln, aber mit den Daten passiert doch nichts mehr. Also ob wir das noch tun müssen, das weiß ich nicht. Da würde ich eher die andere Schlussfolgerung ziehen und sagen, das, was da im Moment klappt, ist die Kontaktnachverfolgung, aber die bindet endlos Personal. Ich sehe nicht, wofür wir das noch brauchen.
"Über unseren Freiheitbegriff noch einmal ein bisschen nachdenken"
Münchenberg: Wie ist denn, zum Abschluss, Herr Dedy, Ihre Prognose jetzt für den Herbst? Wird das auch wieder so ein politischer Krisenherbst werden, verbunden mit viel Improvisation, aber eben auch viel Streit, was wie getan werden sollte, oder sind Sie da halbwegs optimistisch, dass man vielleicht doch was gelernt hat, aus den mehr als zwei Jahren Pandemie jetzt?
Dedy: Also, ich bin immer gerne optimistisch, ob das Zusammentreffen der Energiekrise und der Coronawelle oder einer neuen Coronawelle etwas Schönes beschert, das weiß ich nicht, da bin ich eher zurückhaltend. Also wenn Sie sich einmal vorstellen, Corona und Luftfilter. In ganz vielen Schulen stehen Luftfilter, und die Luftfilter waren dafür da, dass die Raumluft gefiltert wurde, damit Corona nicht noch mehr Unwesen trieb. So, und jetzt stellen wir die Luftfilter mit unter unser Stromvorhaben und sagen, können die denn noch weiterlaufen, wenn sie Strom fressen und damit letztlich dafür sorgen, dass die Gasspeicher leerlaufen? Also, die beiden Sachen, die können sich durchaus beißen. Für mich kommt es entscheidend darauf an, ob wir mit einer nötigen Gelassenheit, aber auch mit einem gesellschaftlichen Zusammenhalt da unterwegs sind. Ob wir sagen, ja, wir wollen das gemeinsam schaffen, und wir nehmen dafür auch Entbehrungen in Kauf, wir nehmen dafür auch in Kauf, dass wir an der einen oder anderen Stelle Verzicht üben müssen. Und wir nehmen dann auch in Kauf, dass wir vielleicht über unseren Freiheitsbegriff vor dem Hintergrund der Gasmangellage oder einer eventuellen Gasmangellage und vor dem Hintergrund der Klimaschutzanforderung noch einmal ein bisschen nachdenken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.