Archiv

Interview der Woche
Königshaus: Bundeswehr muss für Familien attraktiv bleiben

Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus, sieht die Ernennung von Ursula von der Leyen zur Verteidigungsministerin positiv. Dringend erforderlich sei, in die Grundausstattung der Bundeswehr im Inland sowie in die Vereinbarkeit von Dienst und Familie zu investieren, sagte er im Deutschlandfunk.

Hellmut Königshaus im Gespräch mit Rolf Clement |
    Rolf Clement: Herr Königshaus, es war für alle überraschend, dass bei der Kabinettsbildung eine Frau Bundesministerin der Verteidigung geworden ist. Wenn man in die Truppe reinhört, ist die Tatsache, dass sie eine Frau ist, dort eigentlich kaum noch groß ein Gegenstand der Diskussionen. Aber die Frage: Braucht das Verteidigungsministerium schon wieder einen neuen Minister, wo doch gerade der vorherige die Reform in Gang gebracht hat, die er dann auch zu Ende führen sollte und wollte?
    Hellmut Königshaus: Ja, Herr Clement, ich bin mir da nicht sicher, was die Gründe dafür waren. Das ist natürlich eine Frage, die könnte auch möglicherweise ihre Antwort finden bei der Frage: Brauchte das Innenministerium vielleicht eine Veränderung? Das sind Dinge, die kann ich nicht beurteilen. Aber richtig ist, dass Kontinuität, gerade in einem so komplizierten und komplexen Prozess, wie die Neuausrichtung, natürlich auch ein Wert an sich schon gewesen wäre. Aber umgekehrt ist es natürlich schon so, dass die Ministerin natürlich ja auf einen bestehenden Apparat aufbaut. Und insofern ist diejenige an der Spitze ja nicht das Problem, wenn dort ein Wechsel stattfindet. Entscheidend ist, dass sie eben auch die Fäden aufnimmt und sortiert, und zwar in der Richtung, die dann ihr auch politisch dann vernünftig erscheint und wichtig erscheint.
    Und die Akzente, die sie dort jetzt in ihren ersten Erklärungen gesetzt hat, dass also die Bundeswehr demografiefest werden muss, dass sie attraktiv werden muss, auch für Familien, weil andernfalls eben unter dem Gesichtspunkt der demografischen Entwicklung die Bundeswehr keinen Nachwuchs fände und dem zufolge auch gar keine Zukunft hätte, das sind ja die richtigen Ansätze. Das hat der Vorgänger auch so formuliert und die Ministerin nimmt das jetzt so auf. Und deshalb sehe ich da jetzt nicht das entscheidende Problem.
    Clement: Nun ist in der Koalitionsvereinbarung der Begriff des Nachsteuerns drin, wo man sagt: In ein paar Bereichen muss man nachsteuern. Ist das nicht ein Einfallstor, dass ein neuer Minister vielleicht mit neuen Ideen wieder Reformunruhe in die Bundeswehr bringt?
    Königshaus: Das kann gut sein, dass das so jedenfalls kommen könnte. Die Ministerin hat aber deutlich gemacht, dass sie ja genau diese Kontinuität wahren will. Das sollte sie aber natürlich nicht davon abhalten, an den einzelnen Stellschrauben, an denen wirklich doch Nachsteuerungsbedarf ist und gesehen wird – und nicht nur von mir, nicht nur von den Soldatinnen und Soldaten, wahrscheinlich auch von der politischen und militärischen Spitze –, dass man dort also auch entschlossen rangehen sollte. Es gibt Dinge, die habe ich kritisiert. Dazu gehört also die Standortpolitik. Die habe ich nicht für glücklich gehalten, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass damit eben die Notwendigkeiten der Pendelei nicht eingeschränkt, sondern eher erweitert wurden. Aber daran jetzt noch mal neu zu drehen und noch mal Entscheidungen, auch Lebensentscheidungen für Soldatinnen und Soldaten und vor allem ihre Familien wieder infrage zu stellen, das hielte ich für falsch.
    Bundesverteidigungsministerin, Ursula von der Leyen (CDU) spricht am 22.12.2013 in Masar-i-Scharif bei einem Frühstück mit Bundeswehrsoldaten.
    Bundesverteidigungsministerin, Ursula von der Leyen (CDU) spricht am 22.12.2013 in Masar-i-Scharif bei einem Frühstück mit Bundeswehrsoldaten. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Deshalb sollten wir eben sehen, dass wir das, was jetzt auch tatsächlich schon umgesetzt ist, auch tatsächlich fortgeführt wird. Dass daraus dann natürlich an bestimmten Stellen noch mal Überlegungen angestellt werden könnten, wo noch nichts sozusagen in Beton gegossen ist und wo man erkennt, man sollte hier vielleicht doch noch mal drüber nachdenken – also beispielsweise über die Frage, ob die Luftlandeschule tatsächlich verlegt werden soll –, darüber kann man reden. Natürlich ist das dann ein politisches Thema, weil natürlich auch die Politik sich darauf eingestellt hat und dann möglicherweise Kompensationsüberlegungen ins Spiel kommen. Aber prinzipiell – das sind ja kleinere Dinge – könnte man das sicherlich noch mal ins Auge fassen.
    Königshaus: Größter Nachsteuerungsbedarf bei der Einsatzausrüstung
    Clement: Wo sehen Sie denn größeren Nachsteuerungsbedarf?
    Königshaus: Der größte Nachsteuerungsbedarf nach wie vor – das hat aber der Minister de Maizière schon so gesehen –, liegt natürlich darin, dass wir jetzt, nachdem wir die Einsatzausrüstung und -ausstattung so verbessert haben, wie wir es für die konkreten Einsätze gebraucht haben und auch für die Vorausbildung. Wir sind da ja gut vorangekommen. Gott sei Dank, endlich! Aber wir müssen nun sehen, dass wir die Grundausstattung für den Regelbetrieb hier in der Heimat wieder auf einen neueren Stand bringen.
    Wir haben eine erhebliche Überalterung bei den verschiedenen Ausrüstungsgegenständen, in der Infrastruktur, ein großer Nachholbedarf in der Erneuerung ist vorhanden. Und wir müssen da sehen, dass das jetzt vorangebracht wird. Ich denke dabei insbesondere natürlich an die Unterbringung der Pendler. Natürlich müssen wir auch versuchen, organisatorisch die Pendelei einzuschränken, nachdem wir es eben jetzt durch eine Neuordnung der Standorte und der Dislozierung der einzelnen Truppenteile nicht geschafft haben, dort eine Verbesserung zu bringen. Aber zum Beispiel, dass die häufige Versetzungsnotwendigkeit, die wir im Moment in dem jetzigen System haben, eingeschränkt werden muss, ist, glaube ich, unbestritten, dass wir auch versuchen müssen natürlich, möglichst lange von den einmal erworbenen Fähigkeiten eines Soldaten oder einer Soldatin Gebrauch zu machen und nicht immer wieder sie in neue Verwendungen zu schicken und die gewonnenen Erfahrungen über Bord zu werfen und neue zu erarbeiten. Da kann man sicher Vieles tun – das wird auch erforderlich sein, bei einer sich verkleinernden Truppe. Wir haben heute eine Situation, dass etwa ein Drittel der Bundeswehr permanent in Ausbildung ist. Entweder als Ausbilder oder als auszubildende Lehrgangsteilnehmer, Schüler und so weiter. Das ist eine Situation, die ist natürlich auf Dauer nicht verträglich und da muss was passieren. Ich glaube, da können wir auch viel Synergien dann schöpfen.
    Clement: Kommen wir noch einmal kurz auf die neue Ministerin. Sie hat von den vier Staatssekretären, die es in dem Haus gibt, drei ausgewechselt, und der eine, der geblieben ist, ist – sage ich mal jetzt salopp – auch erst seit drei Jahren da. Geht da nicht viel Erfahrungsverlust mit einher?
    Königshaus: Das ist sicher der Fall. Aber das ist natürlich eine Entscheidung, die wahrscheinlich – gehe ich jedenfalls davon aus – gut überlegt war. Ich hoffe, dass die Konsequenzen auch allen Beteiligten dort vor Augen geführt wurden. Es ist ja aber so: Das Ministerium ist ein ziemlich großes Haus. Das heißt, Erfahrung bleibt ja erhalten. Es ist nur die Frage, wie man davon Gebrauch macht, wie man also auf die Erfahrungswerte im Einzelnen dann auch zugreifen kann. Das Ministerium selbst wird ja manchmal als Moloch beschrieben, als ein undurchschaubares Gewirr von unterschiedlichen Interessen der Teilstreitkräfte, der Organisationseinheiten und so weiter. Und ich glaube, da ist auch ein bisschen was dran. Das heißt, die Ministerin wird sicherlich, wie jeder andere Minister auch – aber sie jetzt eben in der konkreten Situation – zunächst einmal sagen müssen, wo sie hin will, wo ihre konkreten Ziele sind und wird sich dann sicherlich über das, was bisher geschehen ist, über das, was bisher an Überlegung da war berichten lassen, um dann zu sortieren, was muss möglicherweise verändert werden oder was kann beibehalten oder weiterentwickelt werden. Aber es gibt ja eine Reihe von Themen, an denen, ich glaube, wird auch noch tatsächlich eine Verstärkung in den Aktivitäten erforderlich sein. Und gerade das Thema Vereinbarkeit von Dienst und Familie, das ist etwas, was nicht einfach nur plakativ ist, wo eine emotionale Aufwallung nötig ist, sondern wo wir tatsächlich auch mit Investitionsmitteln ran gehen müssen. Wo wir ganz konkret sagen müssen: Wir wollen also zum Beispiel sicherstellen, dass immer dann, wenn jemand auf eine Schule geschickt wird oder eine Soldatin mit Kleinkind möglicherweise in den Einsatz gehen soll, da müssen wir uns mal überlegen: Was bedeutet das ganz konkret, was bieten wir ihr an? Da können wir nicht sagen, sie soll doch selber gucken. Denn vielfach ist es eben so, sie hat dann gar keine Zeit oder auch der Vater, der Elternzeit nehmen will, er hat gar keine Zeit, sich dort lange darüber Gedanken zu machen, jedenfalls nicht so viel, wie sich die Bundeswehr manchmal nimmt, um solche Fürsorgeaspekte zu betrachten. Die Dinge müssen vorgehalten werden. Es genügt nicht, eine Bedarfsermittlung zu machen und dann zu planen für die nächsten fünf Jahre. Sondern wir müssen – wie bei der Feuerwehr auch – damit rechnen, dass ein solcher Fall eintritt und müssen dafür eben den Kindergartenplatz, den Betreuungsplatz vorhalten und anbieten können.
    Königshaus: Investitionsprogramm für Kinderbetreuung notwendig
    Clement: Es ist, als hätten Sie auf meinen Stichwortzettel geguckt, da steht "Familie und Dienst" als nächster Punkt drauf. Sie haben gerade schon gesagt: Da braucht man Geld. Was konkret muss man denn machen, um das, was Sie gerade beschrieben haben, als Problem zu lösen?
    Königshaus: Also zunächst mal muss man bereit sein – und das war bisher so nicht der Fall –, auch tatsächlich dies zu einem Schwerpunkt zu machen, der auch finanziell ausgestattet wird. Einfach nur zu sagen: Die Standortältesten sollen sich darum kümmern und sollen Privatinitiative anregen, das führt auf Dauer zu nichts, insbesondere, wenn die Betroffenen selbst ja nicht lange an dem jeweiligen Standort sind. Das ist ja das Problem. Sie kennen das auch: Wenn Sie eine private Kita machen und sie streichen die Wände und dann anschließend müssen sie aber schon wieder gehen und umziehen oder sonst irgendwie und dann fangen Sie wieder an.
    Das machen Sie nicht gerne und das bringt auch nichts, weil das zu viel Improvisation ist. Sondern wir brauchen ein Investitionsprogramm, das genau beschreibt, nach Schlüsselzahlen, nach ganz konkreten Schlüsselzahlen: Wir haben hier eine Schule, dort kommen im Jahr so und so viel tausend Schüler hin, Soldatinnen darunter, mit Kinderbetreuungsnotwendigkeiten, und dafür brauchen wir so und so viele Plätze, die halten wir vor. Die müssen ja nicht selber gebaut werden, aber wir müssen dann eben auch sicherstellen, dass die Plätze, die möglicherweise von anderen Trägern dann sozusagen akquiriert werden, dass die eben auch die militärischen Bedürfnisse abdecken. Das heißt, die militärische Wirklichkeit im täglichen Betrieb ist doch die, dass Sie sich eben nicht an feste Arbeitszeiten dort orientieren können, sondern Sie haben Schichtdienst, Sie haben Einsatznotwendigkeiten, Sie haben Kommandierungen. Und das deckt eine städtische Kindertagesstätte in der Regel nicht vollumfänglich ab. Also muss man dafür sorgen, dass auch diese Überlappungszeiten in irgendeiner Weise abgedeckt werden.
    Clement: Also braucht die Bundeswehr eigene Kitas?
    Königshaus: Oder aber sie braucht Kita-Plätze, bei denen sie sicherstellt, dass eben diese Randzeiten mit abgedeckt werden, und zwar sicher und verlässlich abgedeckt werden.
    Clement: Können Sie sich vorstellen, dass die Bundeswehr Kindergärtnerinnen zu diesem Zweck selber einstellt, die sie dann zum Beispiel in den Überlappungszeiten in diese Kindertagesstätten schickt?
    Königshaus: Das kann ich mir nicht nur vorstellen, sondern sie ist ja gerade dabei, auch eigene Kindertagesstätten zu schaffen, und dort wird sie es ja wohl tun müssen. Also das ist vollkommen klar, dass eine Kindertagesstätte ohne Personal natürlich nicht funktioniert. Möglicherweise bietet es sich dort an, auf erfahrene Träger, die mehrere dieser Einrichtungen schon betreiben, sozusagen zurückzugreifen, mit den Vereinbarungen aber eben, dann auch über die konkreten Betreuungszeiten dann zu sprechen und Vereinbarungen zu treffen.
    Clement: Nun haben wir über die eine Seite gesprochen. Sie sprachen gerade Demografiefestigkeit der Bundeswehr an. Dazu gehört auch, dass viele Soldaten natürlich auch Eltern betreuen müssen. In dem Bereich, was muss da geschehen?
    Königshaus: Also, das ist ja ein Thema, das auf das Land insgesamt zukommt. Das haben wir alle. Und für die Soldatinnen und Soldaten bedeutet das natürlich, dass sie insbesondere am Standort nicht unbedingt verharren können, wenn sie anderswo Betreuungsnotwendigkeiten haben. Umgekehrt muss man allerdings nun wirklich auch einräumen, dass die Bundeswehr nicht überall dort eine Dienststelle einrichten kann, wo sie zurzeit nicht präsent ist, nur weil der Soldat möglicherweise dort eine Betreuungsnotwendigkeit sieht. Sondern dort ist es eben tatsächlich wie bei jedem anderen so, dass er natürlich Anspruch hat auf Fürsorge. Das heißt, dass der Dienstherr sich bemüht, ihn möglichst dort einzusetzen, wenn es irgend geht, wo er persönlich eben diese Notwendigkeit hat, möglichst nah bei den zu betreuenden Eltern oder sonstigen Verwandten.
    Aber das ist natürlich nicht ganz so einfach. Wir können natürlich nicht erwarten, dass die Bundeswehr Pflegeeinrichtungen für die Eltern von Soldaten einrichtet. Das wäre sicherlich zu weit gegriffen. Die Fälle kommen – Gott sein Dank – auch nicht so häufig vor. Die Betreuungsmöglichkeiten auch für ältere Menschen sind ja auch wesentlich besser und ausgeprägter. Dort haben wir auch nicht das Problem, dass wir eine Besonderheit haben. Die Eltern, die pflegebedürftig sind, eines Soldaten oder einer Soldatin, werden natürlich in einem Pflegeheim genauso rund um die Uhr betreut, wie andere. Das Problem haben wir bei den Kindertagesstätten, dass die eben feste Zeiten haben, die nicht voll den Bedarf abdecken für Soldatinnen und Soldaten.
    Königshaus: "Ich habe das Amt immer als überparteilich verstanden"
    Clement: Im Interview der Woche an diesem letzten Sonntag 2013 der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut Königshaus. Herr Königshaus, Sie gehören der FDP an, Sie sind noch im Amt. Hat sich Ihr inneres Verhältnis zu der Regierung, zum Verteidigungsministerium, zur Bundeswehr dadurch verändert, dass Ihre Partei zurzeit nicht mehr mitregiert, gar nicht mehr im Bundestag ist?
    Königshaus: Also ich habe ja das Amt immer als überparteilich verstanden und auch ausgeführt. Manche haben ja sogar gesagt, ich sei dort eher in Konflikt mit den eigenen Leuten gekommen, wenn ich bestimmt Dinge angesprochen habe, als mit der Opposition. Also ich bin Beauftragter des Parlaments in seiner jeweiligen Zusammensetzung, die der Wähler gefunden hat, und deshalb ändert sich für mich, jedenfalls was mein Amtsverständnis, was mein Amtsverhalten angeht, überhaupt nichts. Natürlich bleibt es nicht aus – ich hatte mit vielen derer, die jetzt ausgeschieden sind, natürlich ein sehr enges Verhältnis, ich habe ja selbst der Fraktion über viele Jahre angehört –, das schmerzt, das ist gar keine Frage. Aber es berührt mein Amtsverständnis, mein Amtsverhältnis nicht. Ich diene dem Bundestag in jeder Form und in jeder Zusammensetzung.
    Clement: In einem Jahr wird die Bundeswehr ihre Kampfverbände aus Afghanistan abgezogen haben, vielleicht sogar ganz abgezogen sein, das wissen wir noch nicht genau. Wenn Sie jetzt in der beginnenden Diskussion über eine Bilanz dieses Einsatzes mal Ihre Einschätzung abgeben würde, wie sieht die aus?
    In Afghanistan ist "vieles besser, als es früher war"
    Königshaus: Also ich glaube, es ist noch ein bisschen zu früh, jetzt eine abschließende Bilanz zu ziehen. Ich glaube, wir können eines mal festhalten, der lakonische Ausspruch: "Nichts ist gut in Afghanistan", ist falsch. Es ist vieles besser, als es früher war. Wir haben eine ganze Reihe von Fortschritten erzielt, insbesondere was den Aufbau angeht. Und ich glaube, wir sollten uns immer daran erinnern, dass die Bundeswehr in Afghanistan war und ist, um den Aufbau zu sichern, um den Aufbau auch demokratischer Strukturen zu sichern. Und dort haben wir große Fortschritte gemacht. Der zweite Punkt, was die Frage der Gewährung von Sicherheit auch für die Bevölkerung angeht, haben wir ja jetzt also eine Übergabe in den weitesten Bereichen auf die afghanischen Sicherheitskräfte ja gesehen und auch erreicht. Und wir sehen natürlich, dass dort in vielen Bereichen die Sicherheitslage nicht unbedingt stabil ist im Moment. Und wir müssen aber mal abwarten, wie sich das weiter entwickelt. Die afghanischen Kräfte sind ja zunehmend auch besser trainiert, besser auch ausgestattet und gewinnen immer mehr Erfahrungen. Und es ist auch vollkommen klar, dass im Moment die rückwärtsgewandten Kräfte natürlich austesten: Was können die eigentlich? Dass also deswegen auch natürlich eine größere Aktivität auch dieser gegnerischen Kräfte da ist. Wie sich das dann jetzt im Ergebnis schüttelt, müssen wir sehen. Das wäre zu früh, glaube ich, das jetzt beurteilen zu wollen. Entscheidend ist eben: Die Afghanen haben einen großen Fortschritt gemacht, auch, was die Sicherheitskräfte angeht. Die Frage wird eben sein: Wie nachhaltig ist das, wenn eben die ISAF-Truppen eben insgesamt oder möglicherweise zum Teil nur noch dann da sind? Aber ich denke mal, wir werden das sehr bald wissen. Die Frage Aufbau demokratischer Strukturen wird sich ja auch ganz entscheidend dann bei der Durchführung der Wahlen und bei der Neuaufstellung dann letzten Endes der politischen Kräfte zeigen. Und dann werden wir sehen, wie die Ergebnisse sind.
    Das Camp Marmal in Afghanistan.
    Das Camp Marmal in Afghanistan. (Deutschlandradio / Axel Rahmlow )
    Clement: Aber die Bundeswehr kommt damit in eine neue Phase, in eine Phase ohne einen größeren Einsatz. Sie muss dann sozusagen sich wieder selbst motivieren, selbst beschäftigen. Liegt da ein Risiko für die Motivation der Soldaten?
    Königshaus: DIe letzten Jahre waren für die Bundeswehr sehr belastend
    Königshaus: Also ich glaube, die Bundeswehr war in den letzten Jahren durch Einsätze dermaßen gefordert und angespannt, dass ich nicht glaube, dass dort also jemand sich danach sehnt, weiter diese Anspannung und Belastung zu behalten. Sondern ich glaube, das Gegenteil wird der Fall sein. Man wird jetzt erst einmal wirklich eine Atempause auch herbeiführen wollen und sich herbeiwünschen. Es ist ja auch nicht so, dass wir keine Einsätze mehr haben. Wir erleben das ja gerade, dass auch ganz überraschend manchmal neue Einsätze hinzukommen. Wir sind aktuell ja in vielen Ländern dieser Erde nach wie vor aktiv. Gerade jetzt spielt ja auch die Frage Südsudan wieder eine neue Rolle, kommt ins Bewusstsein. Das sind Themen, die werden uns immer weiter beschäftigen. Aber der entscheidende Punkt ist: Es werden insgesamt natürlich, so hoffe ich auch, weniger Kräfte dort benötigt werden, als das bisher der Fall ist.
    Deshalb müssen wir aber unseren Blick richten auch auf die Spezialkräfte, die wir haben, und die spezialisierten Kräfte. Das sind nämlich die Bereiche, die besonders belastet waren in der Vergangenheit und die auch genau diejenigen sind, die dann diese kleineren Einsätze wahrscheinlich wieder mit abdecken müssen – also Spezialpioniere und viele andere. Und da müssen wir schauen, ob wir dort uns das wirklich leisten können, wie es bisher ja vorgesehen ist, dass wir diese Flaschenhälse noch weiter verengen in der neuen Struktur oder ob wir dort nicht doch noch mal gegensteuern, nachsteuern und eine Ausweitung dieser Flaschenhälse dann vornehmen.
    Aber der zweite Punkt ist, wir müssen diese Atempause natürlich nutzen, dass wir die Infrastruktur, dass wir die Ausstattung der Bundeswehr im Inland nun endlich auch auf den neuesten Stand bringen. Wir haben in den letzten Jahren – richtigerweise natürlich – sehr, sehr viel getan für die Neuausstattung, für die bessere Ausstattung der Truppe im Einsatz. Aber das ging zulasten der Struktur hier zu Hause. Wir haben in weiten Bereichen eine völlig überalterte Gebäudeinfrastruktur. Wir haben die Situation, dass inzwischen im Einsatz die Möglichkeiten der Soldaten, mit ihren Angehören zu kommunizieren, besser ist, als im Inland. Wir haben Kasernen, in denen ist eigentlich kaum Handyempfang möglich, geschweige denn, dass ein Soldat, der dort untergebracht ist, in der Kaserne die Möglichkeit hätte, mit seinen Angehörigen ins Internet zu gehen oder gar zu skypen. Das ist natürlich in heutiger Zeit nicht das, was attraktiv ist, um es mal vorsichtig zu sagen. Es entspricht aber eben auch nicht dem Leitbild einer Bundeswehr, die attraktiv ist, auch unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Dienst und Familie. Und deshalb glaube ich: Dort müssen wir investieren. Das wird Geld kosten. Das ist im Moment so nicht vorgesehen. Und deshalb, glaube ich, werden wir schon auch noch einmal schauen müssen, ob wir innerhalb des Verteidigungshaushaltes in der heutigen Dimension dort durch Umschichten dem entsprechen können. Oder aber, ob wir hier auch möglicherweise dem Parlament auch sagen müssen: Liebes Parlament, wir müssen die von dir ja auch mitgetragenen Ziele verfolgen, aber das bedeutet eben auch, dass wir dafür mehr Mittel als bisher vorgesehen langfristig in den Haushalt einstellen müssen.
    Clement: Wir haben jetzt schon zwei Bereiche in dem Gespräch identifiziert: die Familie und den eben von Ihnen beschriebenen Bereich, wo man sagt: Wir brauchen eigentlich mehr Geld für die Bundeswehr. Nun ist die Neigung, wenn solche Einsätze zu Ende gehen, natürlich da zu sagen: Moment, Moment, jetzt seid ihr nicht mehr im Einsatz, jetzt wird das ja alles billiger. Sehen Sie da nicht eher den Versuch, da nun mehr einzusparen als bisher?
    Königshaus: Also ich bin ja sehr froh, dass der Fraktionsvorsitzende der Union, Kauder, gesagt hat, also er zieht nach unten dort auch einen festen Boden ein. Das ist ja schon mal was, damit also diese impulsive Betrachtung: Wir können ja jetzt noch weiter runter gehen, nicht zum Tragen kommt. Tatsache ist aber eben, wir haben einen Investitionsstau in enormer Größenordnung. Wir haben verteidigungspolitische Richtlinien, die ja darauf ausgerichtet sind, dass es möglich ist, dass wir wieder solche Einsätze haben. Das ist wie bei der Feuerwehr. Ich kann nicht sagen: Der Brand ist gelöscht, jetzt können wir die Feuerwehr abschaffen, ich muss ja damit rechnen, dass es morgen wieder brennt – und dass wir wieder in Einsätze gehen. Und wir wissen, wie lange solche Beschaffungsvorgänge dauern. Das heißt, ich muss natürlich jetzt ein bestimmtes Ausstattungsniveau halten und teilweise sogar erneuern, weil natürlich Afghanistan und die derzeitigen Einsätze nicht zwingend die Blaupause für die nächsten Einsätze sind. Wir müssen also dort auch ein gewisses Spektrum an Möglichkeiten und an Ausstattungsmöglichkeiten vorhalten. Und das kostet Geld. Und das haben wir im Moment natürlich nur in dem von Ihnen beschriebenen Umfang, der ausgerichtet war eben auf die Ausstattung im Einsatz. Die ist auch – Gott sei Dank – in vollem Umfang heute als zufriedenstellend zu bezeichnen, mit Ausnahme von Route Clearance, das aber auch nun inzwischen vorangekommen ist.
    Clement: Wenn man das als Zäsur bezeichnet, das Ende des Kampfeinsatzes in Afghanistan, wäre das nicht ein Zeitpunkt, wo man ein neues Weißbuch schreiben müsste?
    Königshaus: Das ist eine Entscheidung, die natürlich die Administration selbst treffen muss. In welcher Form sie diese Neubesinnung, die erforderlich ist, vornimmt und in welcher Form sie das insbesondere der Öffentlichkeit und dem Parlament dann vorträgt, das würde ich schon gerne auch der Exekutive, also der neuen Ministerin überlassen. Aber so etwas wie ein Weißbuch, also Überlegungen, die in diese Richtungen dann hineinfließen und dann eine zusammenfassende Darstellung geben: Wie stellen wir uns eigentlich die Bundeswehr der Zukunft vor? Was soll ihre Aufgabe sein? Worauf wollen wir sie vorbereiten? Wofür soll sie vorbereitet sein? Und wie wollen wir das dann auch konkret hier am Boden sozusagen umsetzen?
    Hellmut KönigshausGeboren 1950 in Berlin. Hellmut Königshaus begann 1970 seine berufliche Laufbahn als Zeitsoldat, leistete danach während seines Studiums bei mehreren Wehrübungen Dienst als Personaloffizier.
    Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg und Berlin legte er 1980 sein zweites Staatsexamen ab und war anschließend als Richter tätig. Von 2004 bis 2010 war er für die FDP Mitglied im Deutschen Bundestag.
    Seit 2010 ist er Wehrbeauftragter für den Deutschen Bundestag.
    Hellmut Königshaus, stellvertretendes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses (FDP)
    Das ist in der Tat ein Problem, das gelöst werden muss. Das kann nicht mit dem bisherigen Szenario einfach weitergeführt werden – das glaube ich auch. Aber das muss die Ministerin wissen. Nur sie muss eben sich dann auf die Engpässe auch ein bisschen konzentrieren. Also einfach nur beschreiben, wie das in den verteidigungspolitischen Richtlinien bisher ist, was man will und auf der anderen Seite aber offenbar völlig losgelöst davon – ist mein Eindruck – dann die konkrete Ausstattung festzuschreiben, die Personalstruktur festzulegen, ich glaube nicht, dass – ich sage das ganz offen – die verteidigungspolitischen Richtlinien und die dort festgelegten Ziele mit der derzeit festgelegten Personalstruktur 1:1 umzusetzen sind. Ich denke, da muss man noch mal drüber nachdenken, ob wir entweder unsere Ambitionen reduzieren oder ob wir eben dann doch noch mal bei der Personalstruktur, bei der Ausstattungsstruktur noch mal etwas verändern.
    Königshaus: "Die Stimmung, die war zuletzt nicht gut"
    Clement: Wir schreiben den letzten Sonntag 2013. Wir haben eine neue Ministerin. Und wir haben beschrieben, an welcher Zäsur die Bundeswehr ist. Vor dem Hintergrund, wie beurteilen Sie jetzt die Stimmung in der Bundeswehr?
    Königshaus: Also, ich weiß nicht, ob die Stimmung nun schon in irgendeiner Weise beeinflusst ist durch den Wechsel an der Spitze. Ich glaube jedenfalls, die Stimmung, die war zuletzt nicht gut – das muss man einfach sagen. Einfach deshalb, weil die meisten Soldatinnen und Soldaten sich nicht wirklich mitgenommen fühlten bei der Umsetzung der Neuausrichtung. Es ist vollkommen klar für alle Beteiligten, dass wir eine Neuausrichtung brauchten, dass es so nicht weitergehen konnte, insbesondere vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Aber die Art, wie das angegangen wurde, hat viele verstört.
    Wenn also beispielsweise gesagt wird, dass wir in Zukunft noch weniger als bisher Berufssoldaten haben wollen und noch mehr auf Zeitsoldaten setzen wollen, dann muss man einfach mal daran erinnern, dass wir ja sonst im Zivilleben, im normalen Arbeitsleben beklagen, dass wir keine festen, langfristigen Perspektiven haben – gerade für die jungen Leute. Und wenn junge Leute, die sich für einen Dienst in den Streitkräften entscheiden, von vorneherein erst mal immer nur sehr kurzfristige Zeiten angeboten bekommen, bedeutet das für die auch bei der Lebensplanung, bei der Familiengründung zum Beispiel, dass sie keine Verlässlichkeit haben. Wir haben auch bei vielen kurzzeitigen Zeitsoldaten – also vier Jahre – das Problem, dass die ja danach, nach diesen vier Jahren, wenn sie nicht verlängert werden, eigentlich wieder da stehen, wo sie ja zu Beginn standen. Was nimmt ein Infanterist nach vier Jahren mit? Deshalb müssen wir schon sehen, dass wir denen eine Perspektive mitgeben.