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Lars Klingbeil (SPD)
Gaspreisbremse reicht so noch nicht

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hält die derzeit diskutierte Gaspreisbremse für nicht ausreichend. Im Parlament müsse dringend über weitere Entlastungen für die Monate Januar und Februar gesprochen werden, sagte er im Interview der Woche des Dlf.

Lars Klingbeil im Gespräch mit Frank Capellan |
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil während einer Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus in Berlin am 10. Oktober 2022.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. (IMAGO / Emmanuele Contini )
Die von der Gaskommission angeregte Abschlagszahlung im Dezember und die Subventionierung ab März kommenden Jahres greife seiner Ansicht nach zu kurz. "Was machen wir eigentlich in der Phase Januar/Februar?", fragte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil im Interview der Woche des Deutschlandfunks. „Muss man da nicht auch etwas finden, um den Unternehmen und vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern noch mal stärker unter die Arme zu greifen?“

Im Dilemma zwischen Zielgenauigkeit und Schnelligkeit

Darüber müsse der Bundestag jetzt noch einmal sprechen. Einmalzahlungen müssten versteuert werden, um sozial gerecht zu entlasten, betonte Klingbeil. Dass aber grundsätzlich Hausbesitzer wie Mieter kleiner Wohnungen gleichermaßen gestützt würden, lässt sich aus Sicht des SPD-Chefs kaum vermeiden. „Wir sind bei all diesen Fragen gerade in einem Dilemma zwischen Zielgenauigkeit und Schnelligkeit!“

Cosco-Einstieg im Hamburger Hafen: genau hinschauen!

Mit Blick auf die umstrittene Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafen warnte der Parteivorsitzende zu voreiligen Schlüssen: „Es geht um eine Betreibergesellschaft, es geht um eine Minderheitenbeteiligung an einem Terminal, aber es geht nicht darum, dass man die Chinesen in die kritische Infrastruktur einlässt.“ Sollte sich das so bestätigen, könne der Einstieg erfolgen. Allerdings warnte Klingbeil davor, Fehler, die im Umgang mit Russland gemacht wurden, zu wiederholen. Es dürfe gegenüber China nicht zu ähnlichen Abhängigkeiten kommen, etwa im technologischen Bereich.

Frage der Kernkraftnutzung endgültig entschieden

Eindrücklich ermahnte der 44-jährige Niedersachse die Freien Demokraten dazu, das Machtwort des Kanzlers zum Weiterbetrieb der drei Atomkraftwerke zu respektieren. Er könne der FDP nur „in aller Freundschaft raten, eine Diskussion, die über Wochen die Bürgerinnen und Bürger genervt hat, diese Diskussion im Frühjahr nicht wieder zu starten“. Für die künftige Zusammenarbeit in der Koalition wünscht sich Klingbeil einen anderen Modus: „Ich hoffe, dass der Ruck jetzt durch die Reihen durchgeht, was wir in den Koalitionsverhandlungen an Spirit hatten, das muss jetzt zurückkommen!“
Lars Klingbeil (links) und Frank Capellan im Hauptstadtstudio des DLF
Lars Klingbeil (links) und Frank Capellan im Hauptstadtstudio des DLF (Deutschlandradio/Hauptstadtstudio)

Das Interview in voller Länge

Frank Capellan: Herr Klingbeil, eine turbulente Woche liegt hinter uns, hinter der SPD, hinter der Bundesregierung. Olaf Scholz ist nicht einmal ein Jahr im Amt und musste schon von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. Der Kanzler hat per Brief angeordnet, dass alle drei Atomkraftwerke bis April kommenden Jahres am Netz bleiben. Wir müssen darüber reden, was das aussagt über das Klima in der Koalition. Ein nicht unbedeutender Sozialdemokrat, Franz Müntefering, der war auch zweimal Parteivorsitzender, der hat 2005 gesagt, wenn ein Kanzler zu diesem Mittel greifen muss, dann ist die Koalition eigentlich am Ende. Wie sieht es aus mit der Ampel? Wird die nur noch davon zusammengehalten, dass wir in diesen ungeheuren Krisenzeiten leben, dass Sie eigentlich zum Regieren verdammt sind?
Lars Klingbeil: Nein, das ist definitiv nicht der Fall. Aber ich will gar nicht drumherum reden. Sie haben Recht. Das war eine turbulente Woche. Das waren auch Situationen, die ich mir anders gewünscht hätte. Ich hätte mir gewünscht, dass Christian Lindner, Robert Habeck, Olaf Scholz zu einer einvernehmlichen Lösung gekommen wären und der Kanzler dort nicht jetzt hätte einen Weg dann auch vorgeben müssen. Und dieser Streit ging viel zu lange. Also, wir sind gerade in einer wahnsinnig schweren Krise, sogar multiple Krisen. Die Pandemie ist noch da. Der Krieg ist. Wir haben die Klimakrise, die über allem liegt und jetzt eben die Inflation und die hohen Energiepreise. Und da dürfen wir uns mit diesen Fragen, die eben auch nur einen kleinen Teil dieser vielfältigen Krisen abbilden, mit denen dürfen wir uns nicht so wochenlang beschäftigen. Und ich hoffe, dass der Ruck jetzt durch die Reihen durchgeht. Aber das, was wir in den Koalitionsverhandlungen an Spirit hatten, das muss jetzt zurückkommen, denn die Aufgaben sind groß und dafür brauchen wir einen anderen Modus.
Bundeskanzler Olaf Scholz (l-r, SPD), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, halten den Bericht mit dem Vorschlag der Unabhängigen Kommission für Erdgas und Wärme in den Händen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (l-r, SPD), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, und Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, halten den Bericht mit dem Vorschlag der Unabhängigen Kommission für Erdgas und Wärme in den Händen. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)

Machtwort - das funktioniert nicht auf Dauer

Capellan:  Wir kennen ja auch Olaf Scholz nicht als Basta-Kanzler, wie wir Gerhard Schröder erlebt haben. Olaf Scholz hat ja auch immer gesagt: Ich will weg von diesem Koch-Kellner-Prinzip. Ich möchte eine Koalition auf Augenhöhe haben. Wird das jetzt dennoch seinen Regierungsstil verändern? Denn er hat ja im Sommer noch gesagt: „Ja, Richtlinienkompetenz, gut und schön, dass ich sie habe, aber ich werde das nicht so machen, dass ich Briefe schreibe an meine Minister, was sie zu tun haben.“ Und genau das musste er ja jetzt doch tun.
Klingbeil: Er musste das tun, aber auch, um eine öffentliche Debatte zu beenden. Und wenn man die Reaktion sieht aus der FDP, aber auch von den Grünen, dann sieht es ja fast ein bisschen danach aus, dass auch beide Koalitionspartner froh sind, dass in einer festgefahrenen Situation der Kanzler entschieden hat. Aber klar ist für mich auch: Das ist kein Stil, der auf Dauer funktioniert, wenn es andauernd zu Machtworten des Kanzlers kommen muss. Das ist auch nicht mein Anspruch an moderne Politik. Wir dürfen uns nicht so in den Fragen jetzt verhaken, wie das bei den AKWs der Fall war.
Olaf Scholz  Lars Klingbeil auf dem SPE Kongress in Berlin (15.10.2020)
Olaf Scholz und Lars Klingbeil auf dem SPE Kongress (IMAGO / Mike Schmidt)
Capellan: Man könnte auch sagen, die beiden – der Vizekanzler, Robert Habeck, der Finanzminister, Christian Lindner – haben Olaf Scholz auflaufen lassen. Sie haben überhaupt keine Bemühungen unternommen, so stellt sich das für uns dar, diesen Konflikt vorab zu lösen. Von den Grünen ist zu hören: „Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, ein Weiterbetrieb auch von Emsland, des Kernkraftwerkes Emsland, bis 2023 zum 15. April hätten wir auch auf dem Parteitag durchbekommen.“
Klingbeil: Ich kenne diese Vorschläge vonseiten der Grünen nicht. Ich habe erlebt, wie Robert Habeck und Christian Lindner sich ja sehr öffentlich, also für alle nachvollziehbar, über Wochen gestritten haben. Das war nicht gut. Das war nicht das Signal, was wir brauchen. Das Signal, das wir brauchen, ist: Diese Regierung erkennt die Probleme der Bürgerinnen und Bürger. Diese Regierung erkennt, was auf die Industrie, auf den Mittelstand in diesem Land gerade an großer Belastung zukommt. Und diese Regierung tut alles, um den Knoten durchzuschlagen. Dieses Signal ist durch diesen teils sehr persönlichen Streit nicht gesendet worden. Deswegen war es richtig, dass der Kanzler entschieden hat. Aber ich wünsche es mir eben anders.

Pragmatik im Umgang mit Atomkraft

Capellan: Sie sind Niedersachse. Die Niedersachsen-Wahl hat ja bei der ganzen Geschichte sicherlich eine große Rolle gespielt. Sie haben immer wieder gesagt: „Na, wenn ich im Land unterwegs war, hat das Thema Atom gar nicht die ganz große Rolle gespielt.“ Aber trotzdem ist es ja zum Thema gemacht worden – von der Union, von der FDP. Die SPD hat reagiert. Stephan Weil hat sich positioniert, hat gesagt, Emsland muss weg. War das nicht sehr ungut, dass diese Landtagswahl einen solchen Einfluss dann auch haben konnte auf die Bundespolitik?
Klingbeil: Ich habe immer deutlich gemacht für die SPD – und das hat auch Stephan Weil gesagt – wir müssen eine sehr pragmatische Frage haben mit dem Umgang der Atomkraft. Also, wir sind als SPD stolz darauf, dass wir den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen haben. Und an diesem Ausstieg wird auch nicht gerüttelt. Aber die Frage, ob ich in einer Zeit wie jetzt, wo es darum geht, dass den Bürgerinnen und Bürgern jeden Tag gesagt wird, ihr müsst Energie sparen, ihr müsst vernünftig mit dem kostbaren Gut Energie umgehen, dass in einer Phase wie jetzt wir gucken, ob wir aus den Brennstäben noch das Letzte rausquetschen und da ganz pragmatisch rangehen. Und da habe ich immer gesagt, da sind wir bereit zu. Für uns war sozusagen die rote Linie die Beschaffung neuer Brennstäbe. Und deswegen würde ich es mal wegtrennen von der Niedersachsen-Wahl und sagen, es war richtig, dass jetzt entschieden wurde. Und jetzt ist auch die Frage der Atomenergie geklärt. Und wir haben jetzt andere Aufgaben in der Energiepolitik und die müssen dringend angepackt werden.

"Dreieinhalb Monate sind anscheinend kein Problem"

Capellan: Sie haben aber auch gesagt, Emsland kann gar nicht weiterbetrieben werden, weil die Brennstäbe – salopp gesagt – ausgelutscht sind. Das geht gar nicht über den 31.12. hinaus. Das war aber nicht richtig. Jetzt wissen wir, es geht doch.
Klingbeil: Das waren Informationen, in der Tat, die ich hatte. Auch das hat der Stresstest ja ergeben. Und auf der Grundlage habe ich argumentiert. Es hat dann ja noch mal klärende Gespräche auch der drei, also von Scholz, Lindner und Habeck, mit den Atomkraftwerksbetreibern gegeben. Und da ist noch mal deutlich geworden, diese dreieinhalb Monate sind anscheinend kein Problem.
Capellan: Wenn die FDP im April das Fass dann doch noch mal aufmachen würde, Wolfgang Kubicki hat das schon so angedeutet: „Wir müssen da trotzdem drüber reden, ob wir die Atomkraftwerke nicht dann doch noch länger brauchen für den nachfolgenden Winter.“ Ist dann die Koalition am Ende?
Klingbeil: Also, ich kann der FDP in aller Freundschaft nur raten, eine Diskussion, die jetzt über Wochen wirklich die Bürgerinnen und Bürger genervt hat, diese Diskussion im Frühjahr nicht wieder zu starten. Der Kanzler hat jetzt in aller Klarheit gesagt, das Thema Atomenergie ist beendet. Und jetzt gilt es, dass diese Regierung alles tut dafür, dass Gas über LNG kommt, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen, dass gespart wird, dass effizient auch mit Energie umgegangen wird. Und deswegen glaube ich, dass alle, die jetzt gerade verantwortungsvoll auch mit der Frage umgehen, die Atomdebatte nicht mehr im Frühjahr aufleben lassen werden.

"Keine glorreichen Tage für diese Regierung"

Capellan: Sie lassen jetzt so durchblicken, eine Machtwort-Politik wünschen Sie sich eigentlich auch nicht weiterhin.
Klingbeil: Aber ich fand es hier richtig, an dieser Stelle. Also, ich fand das genau richtig, was Olaf Scholz jetzt gemacht hat. Aber ich glaube, dass insgesamt für das, wie die Menschen gerade auf Politik gucken, was sie sich von der politischen Führung erwarten, das es keine glorreichen Tage waren für diese Regierung.
Capellan: Und jetzt fragen wir uns, ob es gerade ein neues Machtwort des Kanzlers geben wird, geben könnte, in Sachen Beteiligung der Chinesen, des chinesischen Staatskonzerns COSCO, an Teilen des Hamburger Container Terminals. Der ehemalige Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, und der heutige Bürgermeister Peter Tschentscher wollen das durchsetzen, obwohl eigentlich das ganze Kabinett von Olaf Scholz sagt: „Nein, wir dürfen uns nicht in die Abhängigkeit von China begeben an diesem Punkt.“ Wird er das durchdrücken, Olaf Scholz?
Klingbeil: Ich bin dafür, dass wir da genau hingucken. Und das sind ja sehr grundsätzliche Fragen auch der Außen- und Sicherheitspolitik, wo ich auch dringend rate, dass wir aus Fehlern lernen, die wir bei Russland gemacht haben. Da haben wir uns in einseitige Abhängigkeiten begeben, energiepolitisch. Ich habe schon früh in diesem Jahr gesagt, wir müssen aufpassen, dass wir Fehler nicht wiederholen, was China angeht. Also, technologische Abhängigkeiten. Es gibt strategisch wichtige Bereiche, wo ich dringend dafür plädiere, dass wir China dort nicht eindringen lassen auch wirtschaftspolitisch, weil es am Ende eben doch politische Entscheidungen sind. Und wissen Sie, die Debatte über den Hamburger Hafen, die läuft seit einem Jahr. Also, seit einem Jahr stehen diese Entscheidungen an. Das kommt jetzt. In der letzten Kurve wird es eine öffentliche Debatte. Ich nehme auch wahr, dass es teilweise sehr verkürzt ist. Ich musste mir auch viele Informationen besorgen. Wir haben gestern dann gehört, es geht um den Ausverkauf des Hamburger Hafens. Wenn man ein bisschen ins Detail guckt, dann sieht man in der Tat, es geht um eine Betreibergesellschaft. Es geht um eine Minderheitenbeteiligung an einem Terminal. Ich will das jetzt gar nicht runterspielen, aber es geht nicht anscheinend – und das hat Peter Tschentscher ja deutlich gemacht, es geht nicht darum, dass man die Chinesen in die kritische Infrastruktur reinlässt. Das muss jetzt genau geklärt werden auch. Dafür sind noch ein paar Tage Zeit. Dafür gibt es jetzt Gespräche auch zwischen dem Land und dem Bund. Aber ich will das in aller Klarheit auch für mich sagen. Der Einstieg von China und einem Staatskonzern in kritische Infrastruktur, das ist eine Sache, die ich problematisch finde. Wenn jetzt diejenigen, die das seit einem Jahr verhandeln, die Hamburger Hafengesellschaft, auch der Hamburger Bürgermeister, wenn die sagen, das, was hier gerade passiert, führt aber nicht dazu, dass China Einfluss auf kritische Infrastruktur hat, dass man vertrauliche Daten sieht, dass man hochsensible Bereiche auch hat, dass man auch Einfluss nehmen kann auf die Frage der Infrastruktur, dann ist das was anderes als der Ausverkauf des Hamburger Hafens, wie manche das gestern tituliert haben.

"Abhängigkeit von China ehrlicherweise schon heute da"

Capellan: Aber, Pardon, warum ist das keine kritische Infrastruktur aus Ihrer Sicht? Also, wir machen uns doch möglicherweise erpressbar. Die Chinesen … sollte es etwa Sanktionen gegen Peking geben wegen der Taiwan-Politik, die Chinesen könnten den Handel mit Hamburg, mit Deutschland unterbinden. Und wir wissen ja, was das für die Lieferketten bedeutet. Also, die Abhängigkeit der deutschen Industrie, der Wirtschaft, die ist ja enorm.
Klingbeil: Die Abhängigkeit ist ja ehrlicherweise in vielen Bereichen heute schon da, unabhängig von der Entscheidung, was den Hamburger Hafen angeht. Stand jetzt ist es ja so, dass dort an diesen entsprechenden Terminals 40 Prozent des Handels schon über China laufen. Also, das findet ja faktisch gerade statt.
Capellan: Aber es geht ja auch darum, dass sich die Chinesen in vielen europäischen Häfen einkaufen.
Klingbeil: Das kommt dazu. Denn es geht ja auch um die Frage: Wie gehen wir eigentlich grundsätzlich mit diesen Fragen um? Wir sehen, dass China mittlerweile in zehn europäischen Häfen ist. Der Hafen Piräus gehört anscheinend ja China ganz. Wir sehen auch, dass es Beteiligungen, ähnlich, wie das in Hamburg geplant ist, wohl auch gibt in den USA, von China an Häfen, was ich gar nicht gedacht hätte. Anders herum ist es übrigens nicht möglich, dass wir uns in Häfen in China einkaufen könnten, was ich auch problematisch finde.
Capellan: Sie wollen ja aus den Fehlern lernen, die gerade auch die SPD gemacht im Umgang mit Russland. Manche fühlen sich jetzt schon erinnert an das, was Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister, als Vizekanzler gemacht hatte. 2016 hat er eigentlich sehenden Auges mitgetragen, wie Gazprom die Kontrolle über Teile unserer Gas-Pipelines, über die Netze und vor allen Dingen über die Gasspeicher übernehmen konnte. Kann so was noch mal passieren, wenn wir jetzt an China denken?
Klingbeil: Na, das darf definitiv nicht mehr passieren. Sie haben zwei wichtige Begriffe genannt. Das eine ist die Infrastruktur. Das andere ist die Kontrolle. Solange ein Staat, von dem wir wissen, dass er nicht unsere politische Überzeugung hat, sondern dass er sogar gefährlich ist oder gefährlich sein kann …, wenn ich jetzt auf China gucke und mir den letzten Parteitag angucke, dann sind dort wieder Dinge formuliert worden im Hinblick auf Taiwan, wo wir einfach sehen, dass dieses Land sich in eine falsche Richtung entwickelt. Aber wir haben es bei den Speichern, bei den Pipelines, was Sie gerade erwähnt haben, genau erlebt, dass mit einem System, mit dem wir wenig zu tun haben und das nicht unsere Ziele teilt, von dem wir spätestens 2014 hätten merken müssen, dass es sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt …
Capellan: Nach der Annexion der Krim.
Klingbeil: Nach der Annexion der Krim sind diese Entscheidungen getroffen worden und das war falsch, sowohl die Frage, wer hat die Kontrolle, als auf die Frage der Infrastruktur.
Capellan: Wer trägt denn da mehr Verantwortung? Angela Merkel als ehemalige Kanzlerin oder Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister?
Klingbeil: Mir fällt das wahnsinnig schwierig, aus heutiger Sicht zu sagen, diese Person oder diese Person trägt die Verantwortung. Denn zur Wahrheit gehört auch dazu, dass es in weiten Teilen der Öffentlichkeit ein Konsens war, dass wir mit Russland diese Geschäfte, diese Deals auch machen wollen.
Capellan: Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Gerhard Schröder als Ex-Kanzler und auch Manuela Schwesig als Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern diese Geschäfte auch forciert, eingefädelt haben. Man wollte sogar die Sanktionen der Amerikaner unterlaufen. All das wurde ja forciert.
Klingbeil: Das muss ich ein bisschen zurückweisen, was den Fall Manuela Schwesig angeht, weil die natürlich immer gehandelt hat auf Grundlage von, ich glaube sogar meistens einstimmigen, Landtagsbeschlüssen. Aber noch mal: Mir geht es gar nicht darum, dass ich jetzt auf die Kanzlerin oder den Kanzler oder den damaligen Wirtschaftsminister zeige. Sondern es gab einen Konsens zu sagen: Irgendwie kriegen wir das mit Russland schon hin. Und die Zeichen, die man hätte sehen müssen, die hat man nicht gesehen. Und deswegen habe ich diese Woche sehr deutlich in einer Rede ja auch für die SPD Fehler eingestanden, habe das adressiert. Das ist beim Handel, der ja auch richtig sein mag, aber dass es immer auch um eine politische Haltung gehen muss, und dass man die 2008 nach dem Angriff auf Georgien, 2014 nach der Annexion der Krim, auch danach, Nawalny, Tiergartenmord, dass man immer das wieder sozusagen zurückgestellt hat und den Handel da drüber gestellt hat, das sind alles Punkte, wo die SPD eine Verantwortung mitträgt. Und ich habe als Vorsitzender die Aufgabe und die Pflicht zu sagen: Wir arbeiten das für uns auf. Und, ob andere Parteien das für sich aufarbeiten, das müssen die anderen Parteien entscheiden. Ich kann nur dringend dazu raten, es zu tun.

"Scholz schon immer kritisch, was Russland angeht"

Capellan: Nur trägt die Verantwortung ja auch der Bundeskanzler, Olaf Scholz. Und die Frage ist, ob er das nicht auch viel zu lange noch verkannt hat, also, auch diese Abhängigkeiten. Ihm ist jetzt auf die Füße gefallen, auch in dieser Sitzungswoche, dass er gesagt hat: „Ich wusste immer schon, dass Putin Energie als Waffe einsetzen würde.“ Bezieht sich auf ein Gespräch aus dem Dezember 2021. Das war der Zeitpunkt vor dem Beginn des Krieges, als Olaf Scholz immer noch gesagt hat: „Nord Stream 2 brauchen wir.“ Nord Stream 2 ist im Grunde ein privatwirtschaftliches Projekt. Also, die Verantwortung liegt doch auch bei Olaf Scholz.
Klingbeil: Ich habe Olaf Scholz ja in den letzten Jahren auch in vielen parteiinternen Debatten erlebt, der schon immer sehr kritisch war, was Russland angeht. Und der Moment, in dem Olaf Scholz Bundeskanzler wurde, war der Moment, wo er alles dafür getan hat, dass wir uns energiepolitisch unabhängig von Russland aufstellen. Die Frage der Gasspeicher wäre nicht so zufriedenstellend gelöst worden, die sind ja heute wahnsinnig voll, wenn man nicht damals schon angefangen hätte, sich mit der Frage zu beschäftigen.
Capellan: Aber Nord Stream 2, daran hat er festgehalten – bis zuletzt.
Klingbeil: Nein, nicht bis zuletzt, sondern er hat festgehalten bis zu dem Moment, wo Putin diesen brutalen Krieg begonnen hat. Dann war der Kanzler ja auch sehr klar, dass wir aussteigen aus diesem Projekt. Aber natürlich haben wir immer gehofft, dass durch Beziehungen, die es ökonomisch und politisch gibt, wir auch verhindern können, dass Putin in diesen Krieg einsteigt. Und wissen Sie, ich sage Ihnen, das war auch richtig, dass der Bundeskanzler vier Tage vor Kriegsausbruch noch da war und Putin noch mal versucht hat von diesem Weg des Krieges abzubringen. Und ich halte es auch für richtig, dass der Bundeskanzler auch in diesen Zeiten, wo Putin für diesen brutalen völkerrechtswidrigen Krieg verantwortlich ist, dass man auch dort die Kontakte hält, um ihm immer wieder deutlich zu machen: „Beende diesen Krieg. Du trägst dafür die Verantwortung. Und wir stehen hier geschlossen gegen deinen Krieg.“ Das ist Aufgabe eines Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, den Druck auf Putin zu erhöhen. Und deswegen kann ich überhaupt nicht verstehen, wenn kritisiert wird, dass man auch in Zeiten des Krieges diese diplomatischen Wege für deutliche Worte aufrechterhält.

"Doppel-Wumms" auf jeden Fall durchziehen

Capellan: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk heute mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil. Lassen Sie uns reden über die aktuellen Folgen des russischen Angriffs und des Energiekrieges, den er auch führt. Die wirtschaftlichen Folgen, die explodierenden Energiepreise, was man dagegen tun kann. Der Bundestag hat das auf den Weg gebracht, was Olaf Scholz den „Doppel-Wumms“ genannt hat, einen Abwehrschirm von 200 Milliarden Euro. Viele EU-Partner sind ja wenig begeistert davon, sagen, das führt zu Wettbewerbsverzerrungen, weil sie eben dieses Geld nicht aufbringen können. Sollte man es trotzdem so, wie geplant, durchziehen?
Klingbeil: Ja, definitiv. Es geht darum, dass wir hier in Deutschland Arb eitsplätze sichern, dass wir auch Industrie hier am Standort halten, dass wir den sozialen Zusammenhalt stärken. Das ist wichtig auch für Europa. Und zur Wahrheit gehört ja auch, dass viele andere europäische Länder selbst auch eigene Pakete auf den Weg bringen, dass sie Deckelung vornehmen, dass sie auch Milliardenbeträge in die Hand nehmen, um zu gucken, wie sie selbst durch die Krise durchkommen. Also, das ist …
Capellan: Wir erleben aber gerade … Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche. Wir erleben aber gerade ganz aktuell, dass es da auch zu Missstimmungen etwa mit Frankreich kommt. Emmanuel Macron hat gesagt, Deutschland isoliert sich da, weil sich der Kanzler gegen einen europäischen Gaspreisdeckel wehrt. Warum tut er das? An anderer Stelle hat er sich für einen Ölpreisdeckel starkgemacht. Warum soll man nicht auch den Gaspreis deckeln auf europäischer Ebene?
Klingbeil: Also, ich finde, das sind sehr große Worte zu sagen, da isoliert sich jemand. Wenn man auf die Fakten guckt, dann sieht man, dass bei den Staaten der Europäischen Union 15 dafür sind, dass wir einen Einkaufsdeckel einführen. Und das heißt, der Rest ist skeptisch bei dieser Position. Deutschland steht da bei Weitem nicht alleine. Länder wie Dänemark haben sich auch geäußert. Das ist eine offene Debatte. Aber das Signal, das jetzt vom europäischen Gipfel ausgegangen ist, ist ja, dass man notfalls auch mit einem weiteren Gipfel, der dann zügig stattfinden kann, dass man zu einer Lösung kommen will, dass wir eine europäische Einkaufspolitik betreiben, dass wir schauen, wie wir den Druck auch erhöhen können, indem europäisch eingekauft wird. Aber natürlich gibt es Konflikte im Detail. Und wenn Sie auf den Deckel gucken, also auf den Gasdeckel, dann hat das natürlich damit zu tun, dass andere Länder mit weniger Gas auch hantieren, dass man dort einfacher sagen kann, wir machen den Einkaufsdeckel. Aber die dänische Argumentation zum Beispiel, zu sagen, wir setzen einen festen Preis fest und das geht dann auf Lasten der Versorgungssicherheit, diese Argumentation gilt für Deutschland auch. Aber Deutschland ist da keinesfalls isoliert.

Genau auf den Januar und Februar gucken

Capellan: Die Gaspreisbremse wird kommen, auch für Privathaushalte. Da sind Sie zuversichtlich, obwohl es ja noch einiges zwischen Bund und Ländern da zu besprechen gibt. Aber Sie würden zusagen, dass die Bürger im Dezember den Abschlag für die Gasrechnung bezahlt bekommen vom Staat?
Klingbeil: Das ist machbar. Die Entscheidungen müssen jetzt dann im November getroffen werden in der Regierung, im Parlament. Und das ist der richtige Weg. Also, ich … also, wir haben immer gesagt, das ist eine gute Grundlage. Wir werden jetzt im Detail gucken. Es gibt Ergänzungen. Also, ich sage mal, zum Beispiel die Frage von Öl und Pellets ist für uns sehr wichtig als SPD, dass wir das mit rein haben wollen. Ich finde auch, wir müssen uns sehr genau noch mal angucken: Wie ist eigentlich die Phase zwischen Dezember, also Januar, Februar, weil die eigentliche Deckelung des Gases ja erst im März kommen soll? Wie ist das da? Muss man da zur Überbrückung noch was machen? Das sind alles Fragen, die uns als SPD jetzt im Parlament beschäftigen.
Capellan: Ist das nicht zu spät möglicherweise, wenn das erst im März kommt? Dann ist der Winter ja schon vorbei.
Klingbeil: Aber das ist ja genau der Punkt. Also, erst mal hat die Gaskommission den machbaren Weg aufgezeigt. Und wir müssen jetzt gucken: Machbar okay, aber ist das auch politisch das Richtige? Und da frage ich mich schon, ohne dass ich jetzt eine konkrete Antwort heute geben kann: Was machen wir eigentlich in der Phase Januar, Februar? Muss man da nicht auch etwas finden, um den Unternehmen und vor allem den Bürgerinnen und Bürgern noch mal stärker unter die Arme zu greifen? Das wird uns in kurzen, schnellen Beratungen im November im Parlament beschäftigen. Aber das wichtige Signal ist eben: Diese Regierung nimmt nach drei Entlastungspaketen jetzt noch mal 200 Milliarden in die Hand, um die Arbeitsplätze zu sichern, dafür zu sorgen, dass die Menschen ihre Rechnungen bezahlen können. Die Strompreisbremse kommt ja auch noch oben drauf. Also, das sind alles erst mal wichtige Dinge, um uns sicher durch die nächsten Wochen und Monate zu bringen.

Entlastungen - Schnelligkeit vor Zielgenauigkeit

Capellan: Sie müssen sich auch fragen lassen als SPD-Vorsitzender, der Vorwurf steht im Raum, dass nun mit der Gießkanne entlastet werden soll, dass der Besitzer einer großen Villa genauso viel Entlastung bekommt, wie der Mieter einer 2-Zimmer-Wohnung. Wollen Sie da noch ran?
Klingbeil: Auch da hat die Kommission ja Vorschläge gemacht, die ich richtig finde. Zu sagen, diese Einmalzahlungen, die kommen im Dezember, die werden als geldwerter Vorteil dann in die Steuer, also versteuert und es gibt hohe Freibeträge, sodass es diejenigen, die wenig Geld haben, dass die das gar nicht trifft. Aber diejenigen, die viel verdienen, die müssen das besteuern. Und das würde ein Stück weit dann Gerechtigkeit bringen. Ich stimme der These „reiche Leute haben ein großes Haus“ auch nur bedingt zu. Gerade, wenn ich in den ländlichen Raum gucke, dann sind es dort häufig ältere Menschen, die nicht mehr ihre Familie haben, die alleine in großen, nicht gut gedämmten Häusern leben. Aber – und da haben Sie völlig recht – wir sind bei all diesen Fragen gerade in einem Dilemma zwischen Zielgenauigkeit und Schnelligkeit. Für mich ist das Wichtige gerade, dass wir schnell helfen, dass wir unkompliziert helfen. Und da mache ich gerade Druck und da muss man vielleicht ein bisschen in Kauf nehmen, dass es dann nicht an jeder Stelle die Zielgenauigkeit hat, die man sich eigentlich wünscht.
Capellan: Wir müssen noch reden über die Unterstützung der Ukraine mit Blick auf die militärische Unterstützung, Waffenlieferungen. Sie waren mit dem Kanzler in Munster auf dem Truppenübungsplatz, haben sich ja auch den Leopard 2 dort, den Kampfpanzer, angeschaut. Aber es bleibt dabei, aus deutscher Sicht, aus Ihrer Sicht, wir können den Leopard 2 nicht in die Ukraine liefern?
Klingbeil: Es gibt ja erst mal gar keinen Beschluss, dass wir irgendwas nicht liefern. Sondern es gibt täglich Bewertungen im Bündnis, was wir tun. Das ist etwas, wo ich auch hier noch mal dran erinnern will. Deutschland ist seit dem 24. Februar einen weiten Weg gegangen. Wir haben mit einem jahrzehntelangen Konsens, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, gebrochen. Das ist auch richtig. Wir sind mittlerweile der drittgrößte Waffenlieferant.

Immer mehr Kampfpanzer für die Ukraine

Capellan:   Aber viele sagen ja auch, mit einem Kampfpanzer könnten wir den Krieg schneller beenden.
Klingbeil: Wir haben jetzt IRIS-T, also, die Raketenabwehr. Auch die ist, das sehen wir in diesen Tagen nach den brutalen und feigen Angriffen auf Kiew, das ist auch wichtig. Und was wir ja tun, ist, dass wir ermöglichen, dass immer mehr Kampfpanzer auch in die Ukraine kommen durch den Ringtausch. Wir nehmen Marder, die beispielsweise hier in Deutschland bei der Industrie sind und helfen eben, dass sowjetische Kampfpanzer, an denen die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten ja ausgebildet sind, die sofort einsatzbereit sind, dass die jetzt dann auch im Krieg gegen Russland eingesetzt werden können. Also, alles das hilft.
Capellan: Nationale Alleingänge wird es nicht geben. Ihr Parteifreund Michael Roth hat vorgeschlagen, dass alle, die den Leopard 2 haben in Europa, sich darauf verständigen: Wir liefern den. Das wäre kein Alleingang und das wäre vielleicht auch das, was die sozialdemokratische Verteidigungsministerin Christine Lambrecht ausgedrückt hat: „Deutschland ist auch eine Führungsmacht im militärischen Bereich.“ Da muss man doch eigentlich auch mit Ideen, mit Vorschlägen vorangehen.
Klingbeil: Noch mal: Wir sind auf Platz drei. Und die Frage, welche Waffen als nächstes geliefert werden und wie die militärische Unterstützung der Ukraine aussehen kann, das wird besprochen zwischen den Staats- und Regierungschefs und nicht in irgendwelchen Talkshows, nicht in Interviews. Ich finde, dass wir auch die anderen Dinge mit in den Fokus nehmen müssen. Wie können wir den politischen Druck auf Russland hochfahren? Wir können wir … übrigens auch hier wieder das Beispiel China, wo wir vorhin aus einer kritischen Perspektive China diskutiert haben, was den ökonomischen und politischen Einfluss angeht, aber dass die chinesische Staatsführung sich in den letzten Wochen merkbar abgesetzt hat von Putin, dass es dort zunehmend kritische Töne gibt, das ist ganz wichtig, um auf den politischen Druck auf Putin zu erhöhen.

"Druck auf den Iran hochfahren"

Capellan: Kommen wir noch zu einem anderen Player. Der Iran. Wir wissen, dass der Iran Drohnen an Putin geliefert hat. Putin setzt diese Drohnen im Krieg gegen die Ukraine ein. Was bedeutet dieser Zusammenhang denn für den Umgang mit den Mullahs?
Klingbeil: Er macht noch mal deutlich, dass wir den Druck auf den Iran hochfahren müssen. Deswegen war es auch richtig, dass sofort Sanktionen noch mal beschlossen wurden, was die Drohnenlieferungen angeht, weitere Sanktionen ja auch auf den Weg gebracht wurden, aufgrund der Unterdrückung, die wir gerade täglich dort sehen müssen, vor allem von mutigen Frauen, die im Iran jetzt auf die Straße gehen, die ihre Rechte einfordern. Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein müssten. Der Iran ist mittlerweile eines der meistsanktionierten Länder dieser Welt. Ich glaube sogar, bis zum 24. Februar war es das Land mit den meisten Sanktionen. Aber wir müssen diesen Druck, diesen politischen Druck weiter hochhalten. Da geht es darum, dass wir unsere Solidarität mit den mutigen Frauen deutlich machen, aber dass wir auch politisch sehr, sehr klarmachen, an welcher Seite wir stehen.
Capellan: Müssen wir die Atomgespräche beenden mit dem Iran? So, wie es Ihre Ko-Chefin, Saskia Esken, gefordert hat?
Klingbeil: Zur Wahrheit gehört ja, dass diese Atomgespräche eh lahmliegen gerade, dass die gerade gar nicht stattfinden. Aber ich sage Ihnen auch, wir müssen gucken, dass wir dem Iran keinen Vorwand geben, aus diesen Gesprächen auszusteigen. Die verfolgen ja ein sehr wichtiges Ziel. Eine nukleare Aufrüstung in der Region wäre verheerend, wenn der Iran Atomwaffen hat. Das würde dazu führen, dass viele andere Länder in der Region auch sich Atomwaffen beschaffen würden. Das würde eine nukleare Eskalation vorantreiben. Und deswegen sind wir da in einer auch schwierigen Situation und sollten nicht die Frage der Sanktionen und des politischen Drucks auf das Regime wegen der Frage der Menschenrechte vermischen mit dem klaren politischen Ziel, dass der Iran keine Atomwaffen jemals besitzen darf.

"Hätte mir andere Entscheidung für WM gewünscht"

Capellan: Herr Klingbeil, meine letzte Frage – harter Bruch, aber vielleicht auch ein Zusammenhang mit „Schurkenstaaten“ dieser Welt, kann man vielleicht sagen. Meine letzte Frage geht an den Fußballfreund, den Bayern-Fan Lars Klingbeil. Sie sind im Verwaltungsbeirat in München. Ich nehme mal an, Sie werden die Fußballweltmeisterschaft in Katar nicht boykottieren? Mit welchen Gefühlen schauen Sie dort hin?
Klingbeil: Also, boykottieren – ich werde sicherlich irgendwann mal Spiele gucken, aber ich werde selbst nicht in Katar sein. Das habe ich früh für mich ausgeschlossen, dass ich da zu dieser WM hinfahre. Ich hätte mir gewünscht, dass die Entscheidung anders getroffen worden wäre als Katar. Auch, wenn man sich das unter Klimabedingungen anguckt, was dort passiert, das ist alles sehr fragwürdig. Und auch hier gilt, wir müssen immer bewerten: Gibt es Fortschritte? Gibt es Veränderungen in Katar? Hat man dort politischen Einfluss? Es gibt zweifelsohne Verbesserungen in diesem Land, aber das ist nach unseren Maßstäben überhaupt nicht das, was man erreichen will. Ich hätte mir gewünscht, dass die WM woanders stattfindet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.