Für viele Menschen im Land sei die Innere Sicherheit das drängendste Thema, sagte Laschet im Deutschlandfunk. Besonders der Einbruchskriminalität müsse man mit einer Null-Toleranz-Politik begegnen. Während es in München etwa 1.000 Einbrüche im Jahr gebe, seien es in Köln 5.000, erklärte der CDU-Politiker.
Zum Umgang mit dem späteren Weihnachtsmarkt-Attentäter Amri in Nordrhein-Westfalen sagte Laschet, Ministerpräsidentin Kraft müsse erklären, ob sie die Verantwortung des Landes habe vertuschen wollen. Dazu werde sie vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags aussagen, notfalls werde man sie gerichtlich dazu zwingen.
Das Interview in voller Länge:
Küpper: Einen guten Morgen oder einen guten Tag – je nachdem, wann dieser Sonntag für Sie begonnen hat. Hier live aus Aachen, der Heimatstadt des CDU-Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Herzlich willkommen.
Laschet: Guten Morgen Herr Küpper.
Küpper: Herr Laschet, in exakt sechs Wochen, am 14. Mai, wird hier in Nordrhein-Westfalen gewählt. Aktuell stellt die SPD ja die Ministerpräsidentin. Hannelore Kraft ist das. Ist Nordrhein-Westfalen wirklich ein Stammland der Sozialdemokratie?
Laschet: Also, die SPD hat hier lange Jahre regiert, aber …
"Vom Gefühl ist Nordrhein-Westfalen kein typisches Stammland der SPD"
Küpper: Jahrzehnte.
Laschet: Jahrzehntelang, ja, ja. Einmal 39 Jahre, dann fünf Jahre unterbrochen durch eine CDU-FDP-Regierung und jetzt schon wieder sieben Jahre. Also, sie hat lange Jahre hier regiert, aber vom Gefühl ist Nordrhein-Westfalen und von der Zusammensetzung der Menschen und der Struktur kein typisches Stammland der SPD. Nach dem Krieg in den 50er und 60er Jahren gab es viele Ministerpräsidenten der CDU, die auch das soziale Profil Deutschlands über Nordrhein-Westfalen damals geprägt haben. Und dann hat die lange Regierungszeit von Johannes Rau es möglich gemacht, dass die SPD lange an der Regierung war. Ich glaube, das ist kein Automatismus und wir haben viele Städte und einen Großteil der Landkreise, die heute von der CDU regiert werden.
Küpper: Aber, wenn wir in die Gegenwart zurückkehren und auf die Umfragen schauen, die Bilanz dieser Landesregierung ist, wenn man den Ländervergleich nimmt – ja – kritikwürdig, könnte man sagen. Oder es gibt Menschen, die es so formulieren, andere formulieren es drastischer. Dennoch, wenn wir auf die aktuellen Umfragewerte schauen, dann ist die SPD dann doch deutlich vor Ihnen, vor Ihrer CDU mit 37 zu 30. Es gibt auch andere, aber das ist jetzt mal eine. Wie erklären Sie sich das dann?
Laschet: Also, dieses Land hängt natürlich, weil es so groß ist, auch sehr an den Bundestrends. Wir waren drei Jahre lang, bis Anfang Januar, Kopf an Kopf, meistens sogar vor der SPD. Und dann kam der sogenannte "Schulz-Effekt" und die Demoskopen haben den, glaube ich, in vieles hineingerechnet. Und der letzte Sonntag im Saarland war für mich deshalb so ein Test. Gibt es den wirklich? Ist das die Berauschung innerhalb der SPD auf Parteitagen? Oder wählen Wähler auch wegen Schulz plötzlich bei einer Landtagswahl SPD? Und im Saarland war das nicht so – hat die SPD ein Prozent weniger als vor fünf Jahren. Der "Sigmar-Gabriel-Effekt" war also größer als der "Schulz-Effekt" diesmal. Und deshalb glaube ich, die Skepsis gegenüber diesen Umfragen, in die dieser "Schulz-Effekt" hineingerechnet wird, die ist berechtigt. Ich glaube, wir haben alle Chancen, stärkste Kraft zu werden.
Küpper: Das heißt mit anderen Worten, Umfragen sind gar nichts mehr wert?
Laschet: Umfragen sind was wert, weil auch jeder drauf schaut, und weil sie Stimmungen beeinflussen, und weil sie natürlich auch nach wissenschaftlichen Methoden gemacht werden. Nur im Saarland sagt bis drei Tage vor der Wahl das eine Umfrageinstitut, es geht Kopf an Kopf aus. In einem kleinen Land geschätzt – Kopf an Kopf. Und ein anderes sagt, die CDU liegt etwas vorne. Und am Ende sind elf Prozent Abstand. Also, es kommt immer mehr drauf an, wenige Tage vor der Wahl, die eigenen Wähler zu motivieren wählen zu gehen. Und wer das besser schafft, der gewinnt auch die Wahl.
"Mein Gegenkandidat ist nicht Herr Schulz, sondern Frau Kraft"
Küpper: Sie haben den "Schulz-Effekt" angesprochen. Martin Schulz kommt aus Würselen, das ist unweit – wir sind hier in Aachen –, unweit von dieser Stadt gelegen. Könnte es sein, dass Martin Schulz an Rhein und Ruhr, also in Nordrhein-Westfalen, in seinem Heimatland, dann doch mehr mobilisiert als beispielsweise im Saarland? Oder anders gefragt: Könnte das Saarland dann nicht der Ausrutscher sein?
Laschet: Ja, das wird sich zeigen. Also, er hat ja im Saarland erklärt, er sei ein halber Saarländer, weil ein Teil seiner Verwandtschaft aus dem Saarland kommt. Hier wird er stark betonen, er sei ein Rheinländer, ein Würselener. Was immer er hier betont, man wird ihn messen an dem, was er sagt und wie die Wirklichkeit in Nordrhein-Westfalen ist. Und das ist für ihn, glaube ich, eher ein Nachteil, denn die Kinderarmut ist unter SPD-Führung seit 2010 in Nordrhein-Westfalen angestiegen. Wir haben Bildungsarmut. Wir haben die geringsten Investitionen in Grundschüler. Ein Grundschüler in Nordrhein-Westfalen hat nach der Grundschulzeit ein halbes Jahr weniger Unterricht als in Bayern. Das ist nicht sozial gerecht. Denn die Abhängigkeit vom Elternhaus für den sozialen Aufstieg, die ist in Nordrhein-Westfalen besonders groß. Und deshalb gibt es eine Menge Themen, an denen man dann auch Herrn Schulz messen kann. Aber mein Gegenkandidat ist nicht Herr Schulz, sondern Frau Kraft. Als die Umfragen hochgingen, hat übrigens keiner geglaubt, es läge an Frau Kraft, sondern alle haben gesagt, es liegt an Herrn Schulz. Und insofern wird das ein gemischter Wahlkampf.
Küpper: Die Bundeskanzlerin war gestern zu Gast auf Ihrem Parteitag in Münster, auf dem Sie das Programm beschlossen haben für diese Landtagswahl. Und da hat die Bundeskanzlerin auch die Rot-Grüne Landesregierung hier angegriffen, hat aber eben auch Martin Schulz gesagt, dass er im Grunde genommen … dass die Sozialdemokraten eine rückwärtsgewandte – ja – Politik machen mit diesem sozialen Gerechtigkeitswahlkampf, Deutschland sei der starke Mann Europas. Ist die Kanzlerin mittlerweile im Wahlkampfmodus angekommen?
Laschet: Sie war, wie sie immer ist. Sie hat sachlich argumentiert. Und, wenn man sachlich über Nordrhein-Westfalen spricht, muss man leider attestieren, dass Nordrhein-Westfalen bei vielem Schlusslicht ist. Da braucht man gar keinen Wahlkampfmodus. Da muss man sich nur Statistiken angucken und das hat sie gestern gemacht. Aber, wenn sie auf einen Parteitag geht, spricht man natürlich anders, als wenn man ausländische Staatsgäste empfängt. Das Amt des Bundeskanzlers fordert anderes von einer Person als ein Amt des Parteivorsitzenden auf einem Parteitag. Und deshalb war das für uns gestern sehr hilfreich, dass sie kämpferisch deutlich gemacht hat, dass sie diese Bundestagswahl gewinnen will, dass sie eine Idee hat, was denn für die Zukunft passieren soll. Sie hat viel über Gerechtigkeit, über Innovation und Digitalisierung gesprochen. Und sie hat in der Tat der SPD vorgeworfen, dass sie sich immer noch an einer Agenda zu Beginn des Jahrtausends abarbeitet, während wir wirklich in die Zukunft gucken müssen. Das haben die Delegierten auch so empfunden.
"Wir haben die höchste Einbruchskriminalität in ganz Deutschland"
Küpper: Inwieweit ist die Kanzlerin für Sie ein Trumpf in diesem Landtagswahlkampf? Es gab im Februar noch Schlagzeilen "Merkels Flaute belastet Laschets Wahlkampf".
Laschet: Ach, Unsinn. Merkel ist … die Bundeskanzlerin ist bei den Bürgern hochangesehen, hochgeschätzt und sie ist ein absoluter Trumpf. Und ich kann Ihnen prophezeien …
Küpper: Das beste Gegenmittel zum "Schulz-Effekt"?
Laschet: Ja, das beste Gegenmittel, habe ich ja eben gesagt, ist Herrn Schulz messen an dem, was er redet. Aber ich bin sicher, bei den Auftritten, die Frau Merkel in Nordrhein-Westfalen hat, werden viele, viele Menschen kommen und ihr auch sehr gerne zuhören.
Küpper: Wir kommen gleich zu den Themen hier in Nordrhein-Westfalen, aber noch kurz einen Satz zur Kanzlerin. Sie hat gestern auch Applaus bekommen, als sie ihre Entscheidung in der Flüchtlingspolitik noch einmal dargestellt hat. Auch aus München von Horst Seehofer kommen versöhnliche Töne. Ist das … Sie sind im Wahlkampf, der Bundestagswahlkampf steht vor der Tür. Hat sich die Flüchtlingspolitik für den Wahlkampf erledigt?
Laschet: Ja, sie spielt vor Ort keine große Rolle mehr, weil die Flüchtlingszahlen deutlich zurückgegangen sind, weil das Konzept der Bundeskanzlerin nicht die österreichische Grenze mit einem Zaun zu schließen, sondern an der Ursache zu arbeiten und auf dem Mittelmeer zwischen der EU und der Türkei illegale Migration zu verhindern … da dieses jetzt funktioniert sind die Zahlen runtergegangen. Aber dieser Landesverband Nordrhein-Westfalen hat immer diesen europäischen Akzent der Bundeskanzlerin, auch diesen Akzent aus dem christlichen Menschenbild mitgetragen. Und bei uns gab es vor Ort viele, viele Tausend, die genau das dann auch praktisch umgesetzt haben. Insofern hat sie hier immer die Rückendeckung gehabt. Dass sie die heute wieder in allen Teilen der CDU hat, und dass auch die CSU sie heute unterstützt, ist natürlich ein erfreuliches Signal.
Küpper: Und auch eine gute Nachricht für Sie für diesen Landtagswahlkampf, in dem Sie die innere Sicherheit zum Thema machen wollen, die Bildung und die Wirtschaft. Vor allem diese Schwerpunkte, haben Sie sich geeignet. Was würden Sie direkt konkret ändern, sollten Sie diese Wahl gewinnen?
Laschet: Also, das drängendste Thema für viele Menschen hier in Nordrhein-Westfalen ist die innere Sicherheit. Wir haben die höchste Einbruchskriminalität in ganz Deutschland. Wir haben mehr Einbrüche als in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammen.
"Gegen Einbruchskriminelle mit größerer Priorität vorgehen"
Küpper: Was würden Sie machen?
Laschet: Und sie brauchen da erst einmal rechtliche Mittel, damit die Polizei strukturiert dagegen vorgehen kann. Es gibt einmal das Predictive Policing. Das ist eine Methode, in der man über elektronische Mittel im Vorfeld genau Täterhandeln analysiert und dann tätig ist. Bayern macht so etwas zum Beispiel. Nordrhein-Westfalen macht das nicht. Nordrhein-Westfalen hat keine Schleierfahndung. Alle, fast alle deutschen Länder können verdachtsunabhängig Täter, gerade im Grenzraum, kontrollieren. Denn viele Täter fliehen über die Landesgrenze. Das ist in rot-grünen, grün-roten, schwarz-roten, Kenia-regierten Ländern, egal, welche Parteifarbe, überall geregelt, nur in drei Ländern nicht: Bremen, Stadt Berlin und Nordrhein-Westfalen. Und die Polizei braucht aber diese Mittel. Und die sind in Bayern ebenfalls mit offenen Grenzen erfolgreicher, Kriminalität zu bekämpfen.
In München gibt es im Schnitt 1.000 Einbrüche im Jahr, in Köln 5.000. So, und das muss sich ändern. Und das geht nur mit einer Strategie, die ein Ministerpräsident seinem Innenminister vorgibt – null Toleranz überall walten lassen. Keine No-go-Areas, nicht so etwas wie die Kölner Silvesternacht gestatten und vor allem gegen Einbruchskriminelle mit größerer Priorität vorgehen als unsinnige Blitzer-Marathons zu veranstalten.
Küpper: Aber lassen Sie uns konkret werden. Sie haben auch gesagt, Sie wollen mehr Polizei einstellen. Sie haben aber nicht gesagt wie viele Polizisten.
Laschet: Doch, das haben wir gesagt. Wir haben gesagt, das Maximum, was an Ausbildungskapazitäten des Landes möglich ist.
Küpper: Lässt sich das beziffern?
Laschet: 2.300 sagen uns die Polizeigewerkschaften, 2.200 sind möglich. Aber die SPD versucht über die Zahl, "wir haben mehr Polizisten", so zu tun, als wäre das innere Sicherheit. Innere Sicherheit heißt aber, ein Innenminister, der eine Richtung vorgibt, der die Gesetze hat, der die rechtlichen Möglichkeiten hat und nicht einen Wettbewerb, ob das 2.000, 3.000, 4.000 oder 5.000 sind. Wir wollen so viele ausbilden, wie die Ausbildungskapazitäten des Landes hergeben. Aber wir brauchen dazu die Mittel, denn sie können ohne rechtliche Mittel 5.000 Polizisten einstellen. Wenn die nicht handeln können, hilft das denen gar nichts.
Küpper: Es ist 11:16 Uhr, 16 Minuten nach elf. Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk. Zu Gast ist Armin Laschet, Spitzenkandidat der NRW CDU bei der Landtagswahl in sechs Wochen. Herr Laschet, die innere Sicherheit, das ist ein großes Thema. Nicht nur hinsichtlich Einbruchskriminalität, worüber wir gerade gesprochen haben, sondern auch Stichwort "Anis Amri", der Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz. Dazu gibt es auch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss hier in Nordrhein-Westfalen. Der hat in der vergangenen Woche gerade hochkarätige Zeugen gehört. Wie ist Ihr Eindruck? Hätte man diesen Anschlag verhindern können?
Laschet: Also, man hat nicht alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt. Das wissen wir heute.
"Dieses Nichthandeln der Behörden in NRW hat die Gefahr dieses Terroranschlags erhöht"
Küpper: Der Innenminister hier in Nordrhein-Westfalen hat etwas anderes gesagt.
Laschet: Ja, aber der Innenminister ist der einzige Mann fast in ganz Deutschland, der das anders sieht. Der Deutsche Richterbund sieht das so, das NDR-, WDR-, Süddeutsche-Zeitungs-Rechercheteam sieht das so, renommierte Publizisten wie Heribert Prantl oder andere, die was von Jura verstehen, sehen das anders. Und der Nicht-Jurist Jäger glaubt nun, eine größere juristische Kompetenz zu haben als quasi die gesamte Expertenlandschaft von Juristen in Deutschland. Es ist doch logisch, dass wenn jemand 14 Identitäten hat, damit seine eigene Identität verschleiert und er selbst ein Abschiebehindernis schafft, alleine aus diesem einen Tatbestand in Abschiebehaft genommen werden kann. Er war ausreispflichtig. Und wer ausreisepflichtig ist, darf eigentlich überhaupt nicht mehr im Land sein.
Wenn er noch im Land bleibt, darf er den Kreis Kleve, in dem er lebte, eigentlich nicht verlassen. Und, wenn er dann noch seine eigene Identität verschleiert, ist das ein Grund, ihn in Haft zu nehmen, da er an der Abschiebung nicht mitwirkt – unabhängig von Papieren aus Tunesien oder was Herr Jäger da alles vorträgt. Aber jetzt kommt ja noch was anderes hinzu. Er war ein Gefährder. Er ist mit einem V-Mann nach Berlin gereist. Er hat ihm gesagt, ich will im Namen Allahs töten. Er hat sich als Selbstmordattentäter angeboten. Er hat in salafistischen Moscheen quer im Land gepredigt. Also, es gibt so viele Möglichkeiten ihn in Haft zu nehmen. Er ist dreimal verurteilt worden wegen Sozialbetrug. Dieses Nichthandeln der Behörden in Nordrhein-Westfalen hat die Gefahr dieses Terroranschlags erhöht und die Kausalität ist: Hätte er in Haft gesessen, hätte er den Anschlag nicht verübt.
Küpper: Schauen wir auf die Aufarbeitung des Ganzen. Heute meldet die Bild am Sonntag, dass man in der NRW-Staatskanzlei in der Außendarstellung Dinge relativiert hat, beschönigt hat, indem man von NRW wegweisen wollte auf … Das ist ja das Schwarzer-Peter-Spiel, was auch gerade ein Stück weit läuft zwischen Berlin, Bund und eben Nordrhein-Westfalen. Das wundert Sie nicht?
Laschet: Das wundert mich diesmal sehr, weil ich habe bisher gedacht, es ist die Methode von Herrn Jäger, die wir kannten – bei der Kölner Silvesternacht, bei der Hooligan-Demonstration in Köln, bei vielen anderen Fällen – dass er immer die Verantwortung auf andere schiebt und sich so quasi selbst rettet. Aber, dass die Staatskanzlei von Ministerpräsidentin Kraft, die am Tag bevor diese Vermerke waren, der Öffentlichkeit gesagt hat, sie ist an kompletter Aufklärung interessiert, am Tag danach in ihrer Staatskanzlei erörtern lässt durch ihre Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter, wie man denn möglichst viel vertuschen kann, wie man denn den Eindruck erwecken kann, er sei gar nicht gefährlich, die Moscheen seien harmlos gewesen, wie man den Eindruck erwecken kann, alle anderen Bundesländer seien zuständig, nur nicht Nordrhein-Westfalen.
Das ist nicht mehr plötzlich im Bereich von Herrn Jäger, sondern das findet bei den engsten Mitarbeitern von Frau Kraft unter dem Chef der Staatskanzlei in Nordrhein-Westfalen statt. Das hätte ich mir ehrlich nicht vorstellen können. Und deshalb werden wir das, was Freitag schon Thema war, jetzt in der nächsten Woche auch im Plenum erörtern müssen. Da muss die Ministerpräsidentin Antwort geben. Und sie wird auch vor den Untersuchungsausschuss müssen. Rot-grün wollte das verhindern, aber ich finde, eine Ministerpräsidentin kann sich den Bürgern oder den Journalisten entziehen, aber sie kann sich nicht einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss entziehen. Und wir wollen wissen: Wusste sie, dass ihre Abteilungsleiter, ihr Chef der Staatskanzlei alles tun wollten, um die Beteiligung Nordrhein-Westfalens zu vertuschen? Wusste sie es oder wusste sie es nicht?
"Möglicherweise hat der Bund auch Fehler gemacht"
Küpper: Wenn wir bei dieser Aufklärung, über die wir ja gerade sprechen hier in Nordrhein-Westfalen, auch auf die Bundesebene schauen, da gibt es nun auch Streit. Die Grünen werfen der Großen Koalition vor, eine Debatte im Innenausschuss zu verhindern und das Ganze in den geheim tagenden parlamentarischen Kontrollausschuss, diese Kontrollgremien zu verlagern. Würden Sie auch auf Bundesebene einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss empfehlen, nach den ja doch guten Erfahrungen hier in Nordrhein-Westfalen?
Laschet: Ja, auf jeden Fall. Ich habe das schon im Januar gemacht, übrigens Volker Kauder auch. Die SPD wollte diesen Untersuchungsausschuss nicht. Ich kann inzwischen erahnen, warum die Bundes-SPD es nicht wollte, weil …
Küpper: Lassen Sie uns teilhaben.
Laschet: Ja, weil natürlich dann all diese Versäumnisse in Nordrhein-Westfalen, weil wahrscheinlich dann Frau Kraft auch vor den Bundestagsausschuss in Berlin zitiert worden wäre. Das wollten sie nicht. Aber Volker Kauder und ich haben von Anfang an gesagt, man muss das auf allen Ebenen aufklären. Möglicherweise hat der Bund auch Fehler gemacht. Und dieses Vertuschen bei dem größten islamistischen Anschlag, den Deutschland je erlebt hat, mit vielen Opfern, über die ja viel zu wenig geredet wird, das ist diesem Tatbestand unwürdig. Und ich würde mir wünschen, dass man auch in Berlin, also im Bundestag, einen solchen Untersuchungsausschuss macht. Aber da, wo man ihn hat, finde ich, muss man, wenn man vorgeladen wird, auch aussagen. Sonst müssen wir Frau Kraft gerichtlich zwingen, vor dem Ausschuss die Wahrheit zu sagen.
Küpper: Wenn wir diese Debatte mal ein bisschen generalisieren und weiten, dann fällt doch auf, dass es sozusagen ein Schwarzer-Peter-Spiel gibt zwischen Bund und Land, zwischen den Sicherheitsbehörden, wer zuständig war. Ein Stück weit war das auch schon der Fall bei der Kölner Silvesternacht. Bedeutet das, dass wir aufgrund der – ja – Sicherheitsfragen, der Herausforderungen, die es auf diesem Bereich gibt, neu denken müssen? Ist die föderale Struktur vielleicht damit auch ein Stück weit überfordert?
Laschet: Also, ich glaube, bei ganz besonders schwierigen terroristischen Anschlägen, die über Landesgrenzen hinweggehen, braucht man eine stärkere Kompetenz und Zentralisierung …
"Es gibt Themen, die die Länder besser können"
Küpper: Beim Bund?
Laschet: … beim Bund. Und da hat Thomas de Maizière ja einige Vorschläge gemacht. Aber es gibt Themen, die die Länder besser können. Zu sagen, wir schaffen alle Landesverfassungsschutzämter ab und haben nur noch ein Bundesamt, ist falsch. Die Herausforderung in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen verfassungsfeindlicher Aktivitäten ist eine andere als in Nordrhein-Westfalen. Und auf die Einzelsituation besser eingehen zu können, das geht nur dezentral. Das geht nur über Länderzuständigkeiten. Und eines darf man bei diesem sogenannten Schwarzer-Peter-Spiel nun auch nicht außer Acht lassen. Die Zuständigkeiten sind klar zwischen Landes- und Bundespolizei. Im Kölner Hauptbahnhof für die Sicherheit des Bahnverkehrs ist die Bundespolizei zuständig. Aber auf der Domplatte, wo Tausende Menschen quasi Straftaten begehen, ist die Landespolizei verantwortlich. Und das ist inzwischen auch nicht mehr strittig. Und ich bin sicher, dass beispielsweise am Münchner Hauptbahnhof der bayerische Innenminister nicht geduldet hätte, dass acht Stunden lang so etwas stattfindet wie in Köln stattgefunden hat.
Küpper: Das Interview der Woche live aus Aachen mit Armin Laschet, dem Spitzenkandidaten der NRW-CDU. Herr Laschet, die deutsch-türkischen Beziehungen sind ein Thema – oder das, was davon noch übrig ist, kann man fast ja schon sagen, nach dem berichteten Putschversuch und nun das Referendum um das Präsidialsystem zu etablieren. Das Ganze schlägt Wellen bis nach Deutschland, vor allem auch nach Nordrhein-Westfalen. Neben Nazi-Vergleichen und Wahlkampfauftritten geht es dabei jetzt auch um Bespitzelungsvorwürfe oder auch um Bespitzelungen selbst, um Auseinandersetzungen hierzulande, bis hin zu einer Liste von Namen, die die Geheimdienste ausgetauscht haben bzw. der türkische Geheimdienst überbracht hat. Ab wann ist da eigentlich mal eine Grenze überschritten?
Laschet: Die Grenze ist überschritten und das hat die Bundesregierung deutlich gemacht. Die Grenze ist …
Küpper: Aber muss die Kanzlerin sich da nicht mal klarer äußern?
Laschet: Ja, was kann man denn klarer äußern, als sagen, das ist für uns inakzeptabel? Es ist inakzeptabel. Was soll man denn mehr sagen, als sagen: "Wir wollen keine Auftritte türkischer Minister."
"Manches kriegt man nicht verbal hin"
Küpper: Aber das scheint bei Erdoğan nicht anzukommen.
Laschet: Ja, gut, es kommt bei manchem … es kommt auch bei Herrn Putin nicht an, dass man sagt: "Bitte verlass die Krim". Also manches kriegt man nicht verbal hin. Es kommt auch nicht bei Herrn …
Küpper: Na ja, vielleicht muss man dann Konsequenzen ziehen.
Laschet: Man zieht ja Konsequenzen. Man hat der Türkei klipp und klar deutlich gemacht: Auftritte türkischer Minister und von Herrn Erdoğan sind unerwünscht. Und was ist passiert? Es gibt keine mehr. Man hat nicht das scharfe Mittel gegriffen, ein Einreiseverbot zu erlassen, aber man hat auf diplomatischem Wege so Klartext geredet, dass kein einziger türkischer Minister seither mehr nach Deutschland gekommen ist. Ich finde, das ist eine alte Erfahrung der Außenpolitik, schon aus den Ost-West-Zeiten. Hinter verschlossenen Türen Klartext reden bringt manchmal mehr als Show-Aktionen, die die Verhältnisse nur verhärten.
Küpper: Das heißt, als NRW-Ministerpräsident hätten Sie auch kein Auftrittsverbot erlassen?
Laschet: Ich hätte … das kann nicht der Ministerpräsident, sondern das kann nur die Kommune vor Ort. Oder die Bundesregierung kann ein Einreiseverbot erlassen. Aber ich habe von Anfang an gesagt, ich hätte mich mit den Kommunen zusammengesetzt und ihnen jede rechtliche Unterstützung gegeben, um einen solchen Auftritt zu verhindern. Frau Kraft hat gesagt, Berlin soll das machen. Also, man muss sich dann auch selbst kümmern und denen, die vor Ort tätig sind, in Frechen, in Köln, Porz und anderswo, wenn sie es können, die Rückendeckung geben. Und da muss man natürlich jeden Einzelfall prüfen. Aber was jetzt mit den Spionagegeschichten ist, das ist nicht akzeptabel. Man kann Listen an unseren Geheimdienst übergeben, aber der Geheimdienst kann auch sagen: Wir machen das nicht. Wir weisen das zurück. Wir werden keine Staatsbürger in Deutschland bespitzeln. Und, wenn das jemand doch getan hat, wenn das ein Imam oder wer auch immer in einer Moschee gemacht hat, muss der das Land verlassen. Das können wir nicht dulden.
"Wir brauchen klare Regeln für den Religionsunterricht"
Küpper: Sollte Deutschland die Wahlhilfe für das Referendum einstellen, also beispielsweise die organisatorische Unterstützung bei Wahlen?
Laschet: Es gibt nicht viel Unterstützung bei dieser Wahl. Die findet an neun Orten statt. Sechs sind Konsulate, also türkisches Hoheitsgebiet, aufgrund internationaler Vereinbarungen, und drei andere, eine in Nordrhein-Westfalen. War auch schon bei den türkischen Wahlen möglich. Zwei in Bayern übrigens. Und ich finde das in Ordnung. Und, wenn die Türken, die hier leben, das für ein Nein benutzen zum Referendum, wenn die sagen, die Rechte, die wir in Deutschland haben, sollen auch unsere Freunde in der Türkei haben, dann können diese Wahllokale sogar hilfreich gewesen sein.
Küpper: Die Debatte schwelt. Sie waren der erste Integrationsminister einer Landesregierung hierzulande – 2005 bis 2010 war das. Jetzt gibt es Parteifreunde von Ihnen aus Nordrhein-Westfalen, aber auch Julia Klöckner aus Rheinland-Pfalz, die fordern ein sogenanntes "Islam-Gesetz" für den kommenden Wahlkampf. Beispielsweise ein Moschee-Register, einen zentralen Ansprechpartner, auch etwas wie eine Kirchensteuer für Muslime, ein Verbot der Finanzierung aus dem Ausland von Moscheen. Ist so etwas umsetzbar?
Laschet: Es ist Vieles umsetzbar. Das Staats-Kirchen-Verhältnis …
Küpper: Würden Sie sich dafür aussprechen?
Laschet: Ja, aber das ist differenzierter als eine Kurzmeldung. Also, ob das deutsche Volk wirklich begeistert ist, wenn der Staat jetzt für die Moschee-Gemeinden eine Steuer einzieht und dann Millionen an Moscheegemeinden verteilt, da bin ich mir mal nicht so sicher.
Küpper: Der Islam gehört zu Deutschland.
Laschet: Ja, natürlich gehört … ist die Religion heute ein Bestandteil Deutschlands. Und deshalb hat ja Wolfgang Schäuble, als er diesen Satz formuliert hat 2006, die Deutsche Islamkonferenz gegründet. Wir brauchen klare Regeln für den Religionsunterricht, für die Militärseelsorge, für die Krankenhausseelsorge, für viele Fragen, die mit Staats-Kirchen-Verhältnis zu tun haben. Und, wenn die Kollegen da eine Debatte anstoßen, wird die sicher auch in die Überlegung der Islamkonferenz einfließen. Nur ich sage dazu, es ist extrem kompliziert und man muss klug überlegen: Was hat welche Wirkung?
"Das wird keine kleine Bundestagswahl, sondern eine große Landtagswahl"
Küpper: Dann noch kurz. Sie haben hier in Nordrhein-Westfalen abgelehnt, ein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer einzuführen. Auf der anderen Seite gibt es noch den Doppelpass, den Ihre Partei jetzt auch kippen möchte. Ist das richtig?
Laschet: Erstens gibt es keinen Doppelpass. Wir haben in Deutschland keine doppelte Staatsbürgerschaft. Jeder Türke, der sich einbürgern lässt, muss den türkischen Pass abgeben. Wir haben für Kinder ein Optionsrecht, die mit der Geburt beide bekommen und die sich zwischen 2018 und zwischen 2023 entscheiden müssen. Da haben wir noch kaum praktische Erfahrungen. Das muss man sich dann mal anschauen, wenn es soweit ist. Und beim kommunalen Wahlrecht ist das für mich völlig klar. Es ist absurd, denen, die sich nicht einbürgern lassen wollen, meistens türkische Staatsbürger, die Herrn Erdoğan zujubeln, denen jetzt ein Kommunalwahlrecht hier zu geben, ist mit uns nicht zu machen. Sonst haben sie demnächst Herrn Erdoğan in jedem Stadtrat sitzen. Und das spaltet die Gesellschaft. Das behindert Integration. Und deshalb lehnen wir das ab.
Küpper: Dann schauen wir zum Abschluss noch mal auf dieses Wahljahr. Die Landtagswahl hier in Nordrhein-Westfalen in sechs Wochen gilt ja so etwas wie ein Testlauf für die Bundestagswahl dann im September, am 24. September. Macht Ihnen das als Spitzenkandidat der CDU, sozusagen als Stadthalter der Kanzlerin hierzulande, einen besonderen Druck?
Laschet: Ich bin nicht der Statthalter der Kanzlerin, sondern ich bin Vorsitzender eines großen Landesverbandes und mein Ziel ist, wir reden nur über Landespolitik. Je mehr wir über Landespolitik reden, über Bildung, über innere Sicherheit, über Wirtschaft, über das Verkehrschaos hier, das man auch in den Deutschlandfunk-Nachrichten morgens mitverfolgen kann, wenn man nicht hier im Land lebt, je mehr wir darüber reden, haben wir die Chance, die Wahl zu gewinnen. Und deshalb wird das keine kleine Bundestagswahl, sondern eine große Landtagswahl.
Küpper: Jetzt gibt es Menschen, die sagen, eine verpatzte Generalprobe ist manchmal auch ein gutes Zeichen.
Laschet: Was ist verpatzt? Ja, gut, für Berlin meinen Sie? Das werden wir sehen. Ich glaube, das hat auf beides keine Wirkung. Im Herbst stimmen die Bürger über die Kanzlerin ab und das ist eine andere Frage. Jetzt geht es um Nordrhein-Westfalen.
Küpper: Sagt Armin Laschet im Interview der Woche im Deutschlandfunk.