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Israelischer Botschafter
Ron Prosor: Wahrscheinlich keine direkten Waffenlieferungen an die Ukraine

Obwohl die meisten in Israel ein Herz für die Ukraine hätten, sei es nicht wahrscheinlich, dass es direkte Waffenlieferungen gäbe, sagte Israels Botschafter Ron Prosor im Dlf. Andernfalls bekäme man Probleme mit Russland in Syrien.

Ron Prosor, Israelischer Botschafter in Deutschland, während einer Statements im Rahmen seiner  Akkreditierung als Botschafter.
Ron Prosor, Botschafter des Staates Israel in Deutschland, glaubt, dass im Ukrainekrieg es in Israel die Neigung zur Ukraine gebe (IMAGO / Christian Spicker / IMAGO / Christian Spicker)
Zur neutralen Haltung Israels im Blick auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine sagte der Botschafter des Staates Israel in Berlin, Ron Prosor, im Interview der Woche im Deutschlandfunk: „Wenn Israel Waffen an die Ukraine liefern würde, hätten wir ein großes Problem mit Russland an unserer Nordgrenze.“ Die russische Führung könnte dann in Syrien Waffensysteme installieren, die „echte Probleme für die israelische Luftwaffe bringen würden“.
„Unter dem Radarschirm“ helfe Israel aber der Ukraine. Es liefere Informationen über die iranischen Drohnen, mit denen die russische Armee die Ukraine bombardiere, an Kiew. Israel mache viel mehr als bekannt sei, auch im humanitären Bereich.
Wegen der Beteiligung von Extremisten an der neuen israelischen Regierung mache er sich keine Sorgen. Prosor hat die Beteiligung der Partei „Otzma Jehudit“ („Jüdische Stärke“) an der künftigen Regierung des Landes verteidigt. Der Oberste Gerichtshof Israels habe die Teilnahme der Partei an den Wahlen genehmigt, sagte Prosor.
In Deutschland beunruhigt den Botschafter insbesondere der linke Antisemitismus. Der Antisemitismusskandal bei der diesjährigen Kunstausstellung documenta in Kassel habe gezeigt: „Was am Rande der Gesellschaft im Gespräch war, wird plötzlich salonfähig gemacht.“ Die für antisemitische Kunst in Kassel mitverantwortlichen Kuratoren der documenta seien anschließend „als Dozenten mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes belohnt“ worden, erklärte Ron Prosor.

Das Interview im Wortlaut

Sebastian Engelbrecht: Schon mehr als drei Jahrzehnte dient Ron Prosor dem israelischen Außenministerium. Nach Stationen in Washington, Bonn, London und als ständiger Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen in New York, auch als Generaldirektor des Außenministeriums in Jerusalem. Und Ron Prosor ist nun seit August Botschafter in Berlin. Da schließt sich ein Kreis, denn Prosors Vater, Uri Proskauer, wurde 1927 in Berlin geboren und sein Großvater, Berthold Proskauer, war Offizier in der Reichswehr im Ersten Weltkrieg. 1933 floh die Familie Proskauer nach Palästina und nahm den neuen Namen Prosor an. Herr Prosor, was würde Ihr Großvater sagen, wenn er jetzt wüsste, dass Sie Botschafter Israels in Berlin sind?
Ron Prosor: Erstmal freue ich mich, hier zu sein, bei Euch. Und denken Sie mal nach. Als Enkelkind von Berthold und Friedel Proskauer, die an der Eisenzahnstraße 3 in Berlin gewohnt haben, übrigens mit meinem Vater, Ulrich Proskauer und seiner Schwester Lieselotte. Die Tatsache, dass ich als Vertreter des Staates Israel nach 74 Jahren hierher nach Berlin zurückkehre, ist für mich emotional. Und ich möchte, dass die Zuhörer verstehen, wie emotional es ist, als Botschafter des Staates Israel in Großbritannien habe ich mein Beglaubigungsschreiben an Queen Elisabeth II. mit vier weißen Pferden und einer Kutsche übergeben. Das war emotional.
Aber hier, mein Beglaubigungsschreiben an Präsident Steinmeier, mit meiner 90-jährigen Mutter, wo mein Vater da oben ist und wahrscheinlich sagt: „Junge, nicht schlecht.“ Das war für mich sehr viel emotionaler. Und ich sehe meine Zeit hier als Botschafter auch auf dem persönlichen und auch auf dem beruflichen Bereich unheimlich wichtig. Diese Beziehung, die israelisch-deutsche Beziehung, liegt mir sehr, sehr nah am Herzen. Und ich bin hier, um wirklich die zu vertiefen, zu erweitern und insbesondere diesen Jugendaustausch zwischen Israel und Deutschland zu vertiefen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (r) empfängt im Schloss Bellevue den neuen israelischen Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, zur Entgegennahme des Akkreditierungsschreibens.
Bevor Ron Prosor israelischer Botschafter in Deutschland wurde, hat er breits in vielen Vertretungen als Diplomat gearbeitet (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
Engelbrecht: Sie sprechen Deutsch, was gar nicht so selbstverständlich ist. War das auch die Sprache in Ihrem Elternhaus?
Prosor: Nein, das war es nicht. Mein Vater ist, wie gesagt, und meine Großmutter, die sprachen natürlich Deutsch miteinander. Wir haben ein paarmal mit meiner Großmutter Deutsch gesprochen, aber meine Mutter ist ja in Israel geboren, die Eltern kommen aus Odessa. Die waren Bauern.
Also, die Familie aus Deutschland war wohlhabend, Rechtsanwälte, aber wir haben Deutsch nicht zu Hause gesprochen. Und wo ich wirklich Deutsch studiert habe, nicht nur an der Uni, da studiert man theoretisch, sondern ich war vier Jahre lang … mein erster Posten war in Bonn-Bad Godesberg. Die ehemalige Hauptstadt.
Und das war von 88 bis 92. Und damals war ich – unter Anführungszeichen – für die fünf neuen Bundesländer zuständig. Da musste ich die Sprache mal studieren und lernen. Und ich bin froh, dass wir dieses Gespräch auch in Deutsch führen können.
Engelbrecht: Ich bin darüber sehr froh. Wie leben Sie aber mit dieser familienhistorischen Spannung? Ihre Familie musste fliehen aus Deutschland und jetzt sind Sie wieder hier. Das bringt Sie doch auch in eine Spannung, oder?
Prosor: Als Spannung würde ich es nicht so bezeichnen. Aber Sie müssen verstehen, dass deutsche … insbesondere die Juden, die aus Deutschland gekommen sind, also meine Familie hat nicht viel mit Judentum zu tun gehabt. Das heißt, die Familie Proskauer, die waren Deutsche und Patrioten, nationale Deutsche. Für meine Großeltern, damals nach Palästina zu fliehen, war die Wüste. Das war die Levante.
Meine Großmutter, Friedel Proskauer, die war sprachbegabt. Die konnte Lateinisch und Französisch und Englisch. Aber sie hat es nicht geschafft, 50 Jahre auf dem Carmel in Haifa Hebräisch zu studieren. Da war es … also, bei ihr hat sie immer über das Gewandhaus in Leipzig gesprochen. Goethe, Schiller, Heine – also, das war, was sie kulturell bezeichnet hat. Und das war nicht immer leicht, also da in Israel zu leben und irgendwo anders … also im Kopf und im Geist. Aber das war die Realität. Und vielleicht gibt es da irgend … man kann es eine Spannung nennen, aber bei mir war es immer … also, jetzt mal Deutschland aus einer anderen Sicht zu sehen. Und das möchte ich jetzt mal sagen.
Sie Deutsche können wirklich darauf stolz sein, wie Sie sich mit Ihrer eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt haben, auf allen Ebenen der Gesellschaft. Und diesen Satz hätte ich nicht gesagt, wenn … ich weiß, dass wir jetzt im Radio sind und öffentlich, hätte ich nicht gerade über …, wenn ich jetzt in Österreich wäre. Das heißt, diesen Satz, sich mutig mit der eigenen Vergangenheit auseinander … ist etwas, worauf Sie wirklich stolz sein können. Wir in Israel sehen uns auch sehr gut im Spiegel. Und ich glaube, dieser Charakter ist unheimlich wichtig, wenn wir zusammenarbeiten.

Fünf Wahlen in vier Jahren

Engelbrecht: Herr Botschafter, Israel hat in den vergangenen vier Jahren fünfmal die Knesset gewählt, wenn ich richtig gezählt habe. Zuletzt am 1. November. Ist die israelische Demokratie in einer strukturellen Krise?
Prosor: Ich glaube, dass Israel in dieser Hinsicht … also, wir übertreiben, wie immer, in allen Bereichen, auch, also, kann man nicht anders sagen. Also, fünfmal ist ein bisschen übertrieben. Aber es zeigt das Problem, wo innerhalb verschiedener Gesellschaften – uns Sie sehen es auch in anderen Staaten – nicht wirklich da eine direkte Entscheidung kommt. Das heißt, die Spaltung innerhalb der Gesellschaft ist unheimlich problematisch.
Und wir müssen bessere Wege finden, um diese Strukturen, die problematisch sind, insbesondere in diesem israelischen System … also, die Briten haben the first-past-the post, wo, wenn wir miteinander jetzt mal … Sie haben 51 Prozent, ich 49. Sie bekommen alles und ich nichts. Darum gibt es zwei oder maximal mit Lib Dems noch eine Partei. In Israel ist es fast unmöglich, so viele Koalitionspartner. Aber es ist eine echte Demokratie. Und das ist, was … es ist unheimlich wichtig, dass die Leute es verstehen, also, dieser demokratische Prozess in Israel mit all den Problemen, die wir drumherum haben.
Engelbrecht: Haben Sie den Eindruck, dass Ihr Land, dass Israel, auch gerade nach dem letzten Wahlergebnis, immer weiter nach rechts driftet?
Prosor: Erstmal objektiv, das war das Resultat dieser Wahlen, was wir jetzt sehen. Aber ich höre also die Stimmen hier in Deutschland und auch in Europa. Es ist sehr israelisch, auch zu jammern und zu meckern und die Schreie der Eule – „oi-oi-oi-oi-oi“. Nein, also ich bin ziemlich optimistisch in dieser Hinsicht, weil es immer diejenigen werden, die also alles pessimistisch sehen.
Aber wenn ich darüber nachdenke, als Menachim Begin in Israel gewählt worden ist in 1977, hat man auch „oi-oi-oi-oi-oi-oi, oi-oi-oi“. Drei Jahre danach hatten wir Frieden mit Ägypten. General Ariel Scharon als Premierminister – „oi-oi-oi-oi-oi-oi“. Krieg auf allen drei Fronten. Ein Rückzug aus Gaza, einseitig. Und auch Naftali Bennett. Das heißt, man soll die neue Regierung also mit den Taten analysieren, nicht, was man vorher hört oder in Koalitionsverhandlungen, die wirklich, also wie in jedem demokratischen Staat ein bisschen problematisch sind. Und in dieser Hinsicht glaube ich, dass es wahrscheinlich viele Herausforderungen geben wird.
Aber wir haben einen Premierminister, der zum dritten Mal Premierminister ist. Viel Erfahrung. Diese Koalition ist homogen. Das heißt, die Zeit, die ein Premierminister brauchen wird – und Sie waren in Israel, Sie kennen es –, um diese Koalition zusammenzuhalten, wird viel weniger sein, als in der Vergangenheit. Auch in seiner eigenen Partei hat er fast keinen Wettbewerb, zusätzlich weniger Zeit, um seine Partei und die Koalition zusammenzuhalten. Das lässt mehr Zeit, um wirklich Politik und auch Israel in die richtige Richtung zu nehmen.

3,25-Prozent-Hürde für die Knesset

Engelbrecht: Netanjahu hat 64 von 120 Sitzen in der Knesset. Damit eine relativ komfortable rechte Mehrheit. Aber der Kollege Yossi Verter von der israelischen Zeitung Haaretz schreibt: „Das ist keine Regierung. It’s a big mess. Das ist ein großes Durcheinander.“ Und er bezieht sich damit auf das Geschacher um Posten, um Zuschnitte von Ministerien, um Budgets. Dieses Geschacher ereignet sich jetzt gerade, während wir hier sprechen, in Israel. Also, warum dauert das so lange mit dieser Regierungsbildung, wo doch die Mehrheitsverhältnisse diesmal eigentlich ganz klar sind?
Prosor: Erst mal: Bei uns hat der Premierminister 28 Tage, um eine Koalition zu bilden und noch 14 zusätzliche Tage. Der Premierminister hat 14 und hat noch zehn Tage bekommen. Ich glaube, dass wir es schaffen, doch eine Regierung in der nächsten Woche zu sehen. Ja, das sind Koalitionsverhandlungen, die nicht leicht sind. Und weil es so viele Parteien gibt. Sie haben eine Fünf-Prozent-Hürde. Wir haben eine 3,25-Prozent-Hürde.
Und jeder will natürlich so viel wie möglich in diesen Koalitionsverhandlungen. Aber letztendlich wird diese Regierung ganz klar zusammengebracht. Und hoffentlich werden wir nächste Woche schon genau wissen, wer, welcher Minister in welchem Ministerium sitzt. Und dann kann man auch die Richtung mal vielleicht besser analysieren.
Engelbrecht: Reden wir mal über eine Partei, die da mit dabei ist in der Koalition. Mit sechs Sitzen ist die Partei Otzma Jehudit, übersetzt Jüdische Macht, an der neuen, nationalistisch-religiösen Regierung beteiligt. Zusammen mit zwei weiteren nationalreligiösen Parteien kam das Listenbündnis Religiöser Zionismus gar auf 14 Sitze. Bei Otzma Jehudit handelt es sich um eine extremistische Partei, eine rechtsextremistische, die alle Araber aus Israel ausweisen will. Und nun soll Parteichef Itamar Ben-Gvir künftig als Minister für die nationale Sicherheit zuständig sein. Was würde das für ein Land wie Israel, ein demokratisches Land, bedeuten?
Prosor: Gut, erstmal, damit die Zuhörer verstehen, also, unser Oberster Gerichtshof hat ein grünes Licht für diese Partei (gegeben) also, an diesen Wahlen teilzunehmen. Das ist wichtig. Und, wie Sie es definiert haben, ist es nicht gerade richtig, also die sagen nicht, dass sie alle Araber … aber sie haben ziemlich klare ideologische Positionen.
Engelbrecht: Was sagen sie denn? Sie wollen einen Transfer der Araber aus Israel heraus?
Prosor: Nein, auch nicht so ganz, aber es ist klar, dass sie sagen, dass aus ihrer Sicht die jüdische Bevölkerung benachteiligt wird in der israelischen Gesellschaft. Und die wollen das ändern. Wie Sie wissen, gibt es viele Bereiche, wo sie eine gute Argumentation in dieser Hinsicht aus ihrer Sicht haben.
Aber ich habe gesehen – und Sie kennen es auch aus der Vergangenheit: Wenn sie in Position sind, sieht die Sache plötzlich ganz anders (aus). Und ich hoffe, dass das der Fall sein wird. Wie gesagt, wir werden es sehen und analysieren, wenn sie beginnen, Dinge in die Tat umzusetzen und nicht nur darüber zu erzählen.
Engelbrecht: Herr Botschafter, die israelischen Medien sind momentan voll von Anzeigen für Immobilienkäufe im Ausland. Die Linken bringen ihr Geld ins Ausland momentan und versuchen, das Geld außer Landes zu schaffen. Und damit suchen sie sozusagen die Sicherheit außerhalb Israels. Sie flüchten praktisch vor Netanjahu und vor Ben-Gvir. Wie kann der Staat diese Flucht des Kapitals überhaupt ertragen?
Prosor: Erst mal sind sie so schnell und effizient. Also, das so schnell zu machen und auch während Weihnachten, also, das ist … ich glaube, dass das ein bisschen übertrieben ist. Wenn wir sehen, wie viele Leute außerhalb Israels nach Israel kommen, können wir darauf wirklich stolz sein. Ja, wir haben Probleme. Diejenigen, die außerhalb Israels leben wollen, sind natürlich frei, das zu tun.
Aber ich sehe viel mehr, die nach Israel kommen, obwohl sie hervorragende Gehälter in den Vereinigten Staaten haben, um wirklich die Kinder in Israel zu erziehen, dass sie ruhig durch die Straßen Jerusalems und Tel Avivs ohne Bewachung ruhig gehen können. Israel ist wirklich ein Land, wo fast alles möglich ist. Vielleicht … also, alle Träume können in Israel erzielt werden, wenn man richtig gut arbeitet. Und, ja, wir diskutieren sehr heftig. Und ich glaube, dass das Teil unseres Charakters ist. Darum haben wir so viele Rechtsanwälte in Israel. Wir litigieren Tag und Nacht. Wir geben uns gegenseitige Herzinfarkte, aber aus dieser Diskussion, die heftig ist, die wirklich keine discounts gibt, also kommen gute Sachen letztendlich.
Engelbrecht: Aber die Kapitalflucht ist nicht so gut.
Prosor: Ja, gibt es wirklich eine Kapitalflucht? Denn, wenn ich jetzt mal Immobilien in Tel Aviv sehe – sie sind teurer als manche in New York. Also, das heißt, Angebot und Nachfrage … also, ich muss sagen, dass ich in diesem Bereich nicht ein Experte bin, aber ich sehe das nicht noch in dieser Richtung, vielleicht in die andere.

Israel und der russische Angriffskrieg in der Ukraine

Engelbrecht: Kommen wir zu einem anderen Thema, Herr Botschafter. Israel hat vor Beginn des Krieges in Europa versucht, als Vermittler aufzutreten zwischen der Ukraine und Russland. Warum stellt sich Israel in diesem Krieg eigentlich bis heute nicht klar auf die Seite der Ukraine und auf die Seite der Vereinigten Staaten, des wichtigsten Verbündeten Israels?
Prosor: Danke für die Frage. Denn in Israel, wie Sie wissen, gibt es viele, die aus der Ukraine und auch aus Russland nach Israel gekommen sind. Wir haben eine große jüdische Gemeinde in Russland. Und wir haben die Russen an unserer Nordgrenze in Syrien. Wie Sie nun aus außenpolitischen Quellen wissen: Israel arbeitet fast jeden Dienstag und Donnerstag, und manchmal ist es Mittwoch, dann Verzeihung, gegen das, was die Iraner nach Syrien und Libanon liefern. Das sind auch Drohnen. Das sind direkte Raketen. Und die Russen sind da und sie …
Engelbrecht: Sie meinen die Angriffe auf Waffenkonvois aus dem Iran, durch Syrien, in den Libanon, um dort die Hisbollah zu unterstützen.
Prosor: Genau, danke – danke für die Erklärung. Ja, das sind Waffenlieferungen aus Iran nach Libanon und Syrien, die auch übrigens … diese Drohnen kommen auch nach Russland – mit dieser Zusammenarbeit zwischen Russland und Iran. Ich kann nur, Haaretz, wie Sie es zitiert haben, von vorgestern, wo Haaretz sagt, dass Israel unter diesem Radarschirm der Ukraine sehr viel hilft, um mit diesen Drohnen … wie mit denen umzugehen ist. Wir versuchen, Dinge zu tun, auch im humanitären Bereich, für die Ukraine.
Die meisten in Israel haben wirklich ein Herz für die Ukraine, weil sie für ihr eigenes Land sehr mutig kämpfen gegen Russland. Wir kennen es auch aus unserer Nachbarschaft – wenige gegen viele. Und ich glaube, die Neigung geht für die Ukraine … wir machen Dinge, viel mehr als es öffentlich zu sehen ist. Aber wir werden wahrscheinlich, zumindest bis jetzt haben wir nicht direkte Waffenlieferungen in die Ukraine gegeben.
Engelbrecht: Aber wir müssen mal Tacheles reden, Herr Botschafter. Warum liefert Israel keine Drohnen an die Ukraine?
Prosor: Wenn Israel auch Waffen in die Ukraine liefern wird, dann haben wir ein großes Problem mit Russland an unserer Nordgrenze. Putin kann ruhig auch Dinge in Syrien setzen, wie das S-400-System, das echte Probleme für die israelische Luftwaffe in dieser Region bringen wird. Und wegen anderer Sachen machen wir, was wir machen – und wir machen viel mehr, als die Leute denken, unter diesem Radarschirm.

"Die documenta war ein Foul im 16-Meter-Raum"

Engelbrecht: Lassen Sie uns zum Abschluss doch noch mal auf das deutsch-israelische Verhältnis blicken. Fühlen Sie sich in Deutschland eigentlich wohl? Wir hatten jetzt gerade diese Aufdeckung des Putschversuches von Reichsbürgern. In Deutschland gibt es Antisemitismus von links und rechts. Immer häufiger, immer deutlicher und lauter ist das zu vernehmen. Ich nenne nur als Beispiele den Anschlag auf die Synagoge in Halle und dann diese antisemitischen Kunstwerke auf der documenta in Kassel. Können Sie sich in diesem Land eigentlich noch wohlfühlen?
Prosor: Ja, ich fühle mich sehr wohl. Ich lebe in einem demokratischen Staat. Deutschland weiß genau, mit Verfassungsschutz in allen Bereichen, wie man gegen diese Extreme, Links- und Rechtsantisemitismus vorgeht. Es ist nicht leicht. Aber ich möchte die Sache mal angehen. Also, ich glaube, dass Rechtsantisemitismus ziemlich klar ist. Die sind direkt. Die sagen: „Wir sind gegen Juden. Wir sind gegen Farbige. Wir sind gegen Homosexuelle. Wir sind gegen …“ Sie sagen, sie werden das so direkt mal ansprechen. Es ist gefährlich, aber man weiß, mit wem man es wirklich zu tun hat. Linksantisemitismus – oh, oh, oh. Das ist problematisch. Wo ist die Grenze?
Und documenta ist ein Paradebeispiel dafür. Und, wenn wir jetzt über Fußball mal zusammen denken und WM, dann würde ich es so sagen: Also, es gibt wenige Spieler im Fußball, die riskieren ein Foul zu tun im 16-Meter-Raum. Also, dieses Foul machen sie im Mittelfeld. documenta war ein Foul im 16-Meter-Raum. Das heißt: Elfmeter und rote Karte.
Engelbrecht: Aber es gab keinen Elfmeter.
Prosor: Danke. Das ist der Punkt. Es gab keinen Elfmeter. Und die Kuratoren dieser documenta wurden belohnt als Dozenten mit einem Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Und was hatten wir an der documenta? Wir müssen wirklich … braucht man wirklich sieben Professoren, um festzustellen, dass ein Jude mit einer Hakennase über einem Beutel Geld mit einer Kippa Antisemitismus ist? Wirklich? Sieben Professoren, um das festzustellen? Der Punkt ist, dass (das), was am Rande der Gesellschaft im Gespräch war, plötzlich salonfähig gemacht wird.
Die Frage, die Sie noch nicht gefragt haben, aber für mich wichtig zu beantworten ist: Man sagt ja, aber man kann also Israel kritisieren. Demokratischer Staat. Natürlich kann man Israel kritisieren, und man soll Israel kritisieren. Und übrigens, die schlimmste und schlechteste Kritik übt man von innen in Israel. Und das kennen Sie ja also auch persönlich. Aber wo ist es plötzlich nicht legitim, sondern Dämonisierung und Delegitimierung gegen Israel als Staat? Und all diejenigen, diese BDS, Boycott, Divestment and Sanctions, die wollen wirklich … also, nicht Frieden mit … nein, die wollen wirklich, also, den Staat Israel zerstören. Ich habe keine anderen Worte dafür.
Und das ist echt die Diskussion. Also, ich als jemand, der liberal und Demokrat ist, sehe, wie Israel mit verschiedener Elle gemessen wird. Das heißt, es gibt einen Standard für demokratische Staaten, einen Standard für diktatorische und einen speziellen Standard für Israel, den man wirklich nie erzielen kann. Und das ist das Problem. Sonst bin ich sehr, sehr, sehr, sehr stolz auf dieses Land und sehe nach 74 Jahren … und warum sage ich 74 Jahre? Denken Sie mal historisch. Nach 74 Jahren ist Israel heute privilegiert, vielleicht Deutschland und Europa mit (dem) Arrow 3 Defense System zu verteidigen. Nicht schlecht nach 74 Jahren.
Engelbrecht: Vielen Dank, Herr Botschafter Prosor. Heute abend beginnt Chanukka. Werden Sie die ganze Festwoche in Berlin verleben?
Prosor: Erstmal esse ich zu viele Kartoffelpuffer und Berliner, die in Bonn Frankfurter heißen. Aber Chanukka – (das) ist für die Zuhörer auch interessant zu hören – das ist wirklich unser Festival of Light, also Lichter. Und die Idee ist wirklich, dass jeder mit einem kleinen Licht, das heißt, jeder von uns individuell kann die Welt ändern. Und dieses kleine Licht kann diese Dunkelheit, die rundherum ist, im Iran, in der Ukraine, irgendwie ändern. Wir müssen daran glauben, hoffen und zusammen werden wir hoffentlich ein gutes Jahr 23 haben. Ich wünsche allen Zuhörern frohe, gute Weihnachten und einen guten Rutsch.
Engelbrecht: Und Ihnen Chag Chanukka Sameach.