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Handelsstreit mit den USA
Von der Leyen zuversichtlich, dass es eine Einigung gibt

Es gebe intensive Verhandlungen mit dem Weißen Haus über die Unstimmigkeiten in der Handelspolitik, sagte die EU-Kommissionspräsidentin im Dlf. Es gehe darum, dass europäische Autobauer den gleichen Zugang zum US-Markt bekämen wie Mexiko und Kanada.

Ursula von der Leyen im Gespräch mit Peter Kapern |
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, steht im Gebäude des Europäischen Parlaments und spricht. Auf der Agenda der viertägigen Plenarwoche stehen für Mittwoch unter anderem die Wahl für eine Nachfolge von der in den Korruptionsskandal verwickelten Ex-Parlamentsvizepräsidentin Kaili. Zudem soll es eine Debatte zum letzten EU-Gipfel des vergangenen Jahres mit EU-Ratschef Michel und Kommissionspräsidentin von der Leyen sowie zu Gefahren durch rechtsextreme Terroristen auch mit Blick auf die Reichsbürger-Razzia in Deutschland geben.
Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission (picture alliance / dpa / Philipp von Ditfurth)
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte im Interview der Woche im Dlf, man sei in den Gesprächen ein ganzes Stück vorangekommen. Sie sei zuversichtlich, dass die europäische Autoindustrie mit ihren Elektrofahrzeugen genauso behandelt werden, wie zum Beispiel Kanada und Mexiko, mit denen die USA ein Freihandelsabkommen haben.
Die europäische Kritik hatte sich daran entzündet, dass es in den USA Steuererleichterungen für Elektromobilität gibt, allerdings nur für dort produzierte Fahrzeuge.
Das Interview im Wortlaut
Peter Kapern: Frau von der Leyen, die ukrainischen Truppen – und damit springen wir gleich hinein in die bittersten Themen, die die Zeit zu bieten hat –, die ukrainischen Truppen stehen an der Front unter massivem Druck. Jeden Tag stirbt eine dreistellige Zahl von Soldaten, so heißt es aus der Ukraine. Russische Truppen rücken langsam vor. Sie zerstören die Infrastruktur, sie zerstören Wohnhäuser, legen sie in Schutt und Asche und der Westen hat sich gestern nicht darauf verständigen können, der Ukraine die Waffen zu liefern, die sie am allerdringendsten fordert, nämlich Kampfpanzer. Was bedeutet die gestrige Nicht-Entscheidung von Ramstein?
Usula von der Leyen: Sie wissen, dass die Europäische Union nun nicht im Besitz von militärischem Material ist, sondern das ist eine souveräne Entscheidung der Mitgliedstaaten. Wir dürfen nicht vergessen, die Mitgliedsstaaten, aber auch viele internationale Länder, haben viel Material geliefert. Das ist gut. Und ich gehe fest davon aus, dass das auch weiter der Fall sein wird. Ich glaube nur, wenn wir als Europäische Union nicht beteiligt sind daran, dann ist es auch nicht an mir, das zu kommentieren.
Kapern: Aber braucht die Ukraine Kampfpanzer? Sie sprechen doch häufig mit Staatspräsident Selenskyj beispielsweise.
Von der Leyen: Die Ukraine hat von Anfang das militärische Material gebraucht, was nötig ist, um sich zu verteidigen. Und es ist – wenn wir mal zurückblicken jetzt fast ein Jahr – Putin hat drei schwere strategische Fehler gemacht. Der erste ist, er hat völlig unterschätzt die Widerstandskraft, die Tapferkeit der ukrainischen Bevölkerung und der ukrainischen Armee. Und dazu brauchen sie eben auch die Waffen, mit denen sie sich zur Wehr setzen können. Aber interessanterweise hat Putin auch völlig unterschätzt die Widerstandskraft und die Entschlussfreudigkeit der Europäischen Union, der Ukraine beizustehen. Und ich glaube, da werden wir sicher später noch drauf zu sprechen kommen, Putin hat auch schwer unterschätzt, dass die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, unsere Energieabhängigkeit von Russland, uns nicht dazu verleitet, uns erpressen zu lassen durch Putin. Und in dem Zusammenhang eben auch, die Ukraine hat von Anfang an sich gewehrt und es ist richtig, dass wir sie in der ganzen Breite unterstützt haben.

Vier Millionen ukrainische Flüchtlinge in der EU aufgenommen

Kapern: Nun habe ich gerade registriert, dass Sie natürlich vermeiden, einzelne Staaten möglicherweise zu kritisieren für die Entscheidungen, die getroffen worden sind oder nicht getroffen worden sind. Gleichwohl, wenn man sich so die Reaktionen von baltischen Staaten, von Polen anschaut, auf die – na ja – noch immer nicht vollzogene Lieferung, deutscher Kampfpanzer oder Kampfpanzer aus deutscher Produktion an die Ukraine, dann kann man sich gar nicht vorstellen, dass diese Missstimmung, die da zu hören ist, sich nicht auch an den Tischen der Europäischen Union niederschlägt, wenn die Staaten dort zusammenarbeiten müssen.
Von der Leyen: Wir haben in diesem vergangenen Jahr – das sind jetzt, ich glaube, wir sind jetzt bei Tag 332, als Russland die Invasion gegen die Ukraine und seinen brutalen Angriffskrieg begonnen hat – durchgehend natürlich intensive Diskussionen über die Hilfe in der ganzen Breite. Aber wir können auch blicken auf eine Bilanz, die beeindruckend ist. Neben den Waffenlieferungen ist für die Ukraine überlebenswichtig finanzielle Unterstützung. Wir haben allein Budgethilfe jetzt vereinbart für dieses Jahr 18 Milliarden – jeden Monat eineinhalb Milliarde –, und zwar schlicht und einfach, dass der Sold gezahlt werden kann für die Armee, dass Lehrerinnen und Lehrer bezahlt werden, Krankenhäuser weiter funktionieren, Schulen weiter funktionieren. Wir haben vier Millionen ukrainische Flüchtlinge aufgenommen in der Europäischen Union. Und das beeindruckt mich zutiefst, wie die Menschen in der Europäischen Union ihre Herzen und ihre Häuser geöffnet haben für diese Menschen.
Wir versuchen jeden Tag mit aller Kraft immer wieder auch das zu reparieren und instand zu setzen, was Putin gerade zerstört hat, mit seinen brutalen Angriffen, vor allen Dingen auf die Energieinfrastruktur. Und dann arbeiten wir in aller Breite mit der Ukraine an der großen Thematik „Kandidatenstatus der Ukraine“, für den Beitritt der Europäischen Union. Nur mal, um ganz kurz eine Skizze zu machen, wie breit das Feld ist, in dem wir zusammenarbeiten.
Kapern: Sie haben mir gerade drei Vorlagen gegeben, die ich jetzt mal ganz knapp aufgreife und noch mal zu Ihnen zurückspiele. Sie haben als Erstes gesagt, es habe Sie beeindruckt, wie die Europäer ihre Herzen und ihre Häuser geöffnet haben, für die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen. Gleichwohl darf man nicht verhehlen, dieser Krieg bringt auch Belastungen für die europäischen Bürger mit sich. Gestiegene Energiepreise, die Inflation. Es gibt wirklich viele Familien, die Schwierigkeiten haben, jetzt mit ihrem Budget auszukommen. Welche Überlegungen stellen Sie an, wie Sie verhindern wollen, dass die Europäer irgendwann vielleicht doch sagen: ‚Nein, jetzt reicht es mal mit der Ukraine, jetzt müssen wir auch mal wieder an uns denken‘?
Von der Leyen: Die Menschen in Europa verstehen sehr gut, dass dieses weit mehr ist als „nur“ ein Krieg, den Russland angefacht hat gegen die Ukraine, sondern dass die Ukraine stellvertretend für unsere grundsätzlichen Werte kämpft. Russland tritt mit Füßen das internationale Recht, die Menschenrechte, die UN-Charta, und die Ukraine verteidigt das für uns. Und ich glaube, die Menschen haben ein gutes Gespür dafür. Wir sehen in den Umfragen im Durchschnitt Europas breite Zustimmung, nach wie vor zu der Unterstützung der Ukraine – das ist gut.

"Preise sind natürlich durch diese Manipulation von Putin exorbitant gestiegen"

Kapern: Und es gehört nicht zum Reservoir verantwortlicher Politiker zu überlegen, könnte diese Unterstützung irgendwann verloren gehen?
Von der Leyen: Das Risiko besteht immer, auch von Tag eins des russischen Krieges, Angriffskrieges bestand und besteht dieses Risiko. Und unsere Aufgabe ist es, immer wieder zu erklären und natürlich auch die Probleme zu lösen. Sie haben zu Recht das Thema Energie angesprochen. Putin hat versucht, uns brutal zu erpressen auf dem Thema Energie. Wir haben eine übermäßige Abhängigkeit gehabt von russischem Gas, Kohle und Öl, und das war schon schwer, dieses letzte Jahr. Wir haben die russische Kohle gestoppt, das russische Öl gestoppt. Aber Putin hat systematisch, Scheibe für Scheibe, das russische Gas gedrosselt in der Hoffnung, dass er uns so erpressen kann, dass wir nachgeben, dass wir in die Knie gehen.
Und es ist uns gelungen, indem wir zusammenstehen, und zwar alle europäischen Länder, dass wir uns aus dieser Umklammerung und dieser Erpressung befreit haben. Wir haben uns an unsere Freunde gewandt – zum Beispiel Norwegen und die USA –, die uns geholfen haben, LNG-Gas zu liefern. Wir haben – und das sind die Menschen in Europa – beeindruckend Energie gespart, 20 Prozent! Wir haben unsere Speicher gefüllt. Und wir haben vor allem – das ist das Allerwichtigste – massiv in erneuerbare Energien investiert – Sonne, Windkraft, Wasserstoffentwicklung –, damit wir zu Hause die Energie produzieren und unabhängig werden. Und heute können wir sagen: Der Erfolg ist sichtbar. Die Preise sind natürlich durch diese Manipulation von Putin exorbitant gestiegen, waren im August am höchsten Punkt. Heute sind sie über 80 Prozent gefallen, im Vergleich zum August. Sie sind immer noch nicht da, wo wir sie haben wollen, die Energiepreise, aber es ist uns gelungen, uns zu befreien, aus diesem Würgegriff von Putin und unseren eigenen Weg zu bestimmen und wieder bessere Verhältnisse in der Energieversorgung hier darzustellen. Das ist entscheidend für die Menschen. Die gehen die Probleme mit, aber wir müssen sie auch lösen.

"Die Sanktionen beißen sehr bitter in die russische Wirtschaft"

Kapern: Vorlage Nummer zwei, die Sie mir eben gegeben haben. Die russische Regierung hat vor wenigen Tagen vorgerechnet, dass ihre Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas trotz aller Anstrengungen hier im Westen, unabhängig zu werden von russischen Energielieferungen, im vergangenen Jahr um fast ein Drittel angestiegen sind. Wirken die europäischen Sanktionen überhaupt?
Von der Leyen: Wir müssen zwei Dinge trennen. Das eine ist in der Tat russische Energie – Kohle, Öl und Gas –, und da ist für Russland das Öl das Wichtigste, die größte Einnahmequelle. Und die Sanktionen, die alle Güter betreffen, zum Beispiel Technologien, alle Exportgüter, die Sanktionen beißen sehr bitter in die russische Wirtschaft. Und das merkt man daran, die haben keine Halbleiter mehr, die haben die modernen Technologien nicht mehr. Man sieht, ein Wirtschaftszweig nach dem nächsten gerät in Schwierigkeiten. Übrigens ganz interessant: Russland gibt keine offiziellen Daten mehr raus, weil sie auch nicht wollen, dass wir sehen, wie dieser zermürbende Effekt auf die russische Wirtschaft um sich greift. Aber ja, Sie haben recht, insbesondere in den ersten Monaten, als die Energiepreise so explodiert sind, da hat Russland hohe Einnahmen gehabt, insbesondere auch nicht nur beim Gas, sondern auch beim Öl. Und deshalb haben wir jetzt weltweit – G7 – zusammen einen Ölpreisdeckel eingerichtet, der seine Wirkung zeigt. Wenn sie die internationalen Agenturen sich anschauen, die die Möglichkeit haben, auch hochzurechnen, wie die Einnahmen zum Beispiel in Russland bei Öl sind, dann zeigen die jetzt einen deutlichen Einbruch. Es hat gedauert, bis wir alle auf der Welt dazu bekommen haben, mitzumachen. Vielleicht noch eine Erklärung dazu. Ganz viele Staaten machen aktiv mit beim Ölpreisdeckel, aber diejenigen, die nicht mitmachen, die sagen natürlich zu Russland, warum sollten wir einen höheren Preis zahlen fürs Öl, wir zahlen auch nur unter dem Preisdeckel. Und deshalb wirkt er.

Perspektiven für EU-Beitritt der Ukraine

Kapern: Und die dritte Vorlage schließlich, Frau von der Leyen. Vor sieben Monaten – Sie haben das angesprochen – ist der Ukraine der offizielle Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt worden. Um wie viel ist die Ukraine dem EU-Beitritt seither nähergekommen?
Von der Leyen: Es ist für mich zutiefst beeindruckend und berührend zu sehen, mit welcher Leidenschaft, Hoffnung und Anstrengung die Ukraine alles tut, um nach vorne zu gehen und sich auf die Europäische Union zuzuentwickeln und für die Europäischen Union vorzubereiten. Es ist natürlich ein ganz breites Feld an Aufgaben, die da sind. Wir haben miteinander verabredet, dass wir an der Seite der Ukraine stehen und diese ganzen großen Reformvorhaben mit ihr bearbeiten, aber auch die Integration zum Beispiel in unseren Binnenmarkt, um nur einige wenige Punkte zu nennen, die Entwicklung des Rechtsstaates, die Bekämpfung der Korruption. Bei dem Thema Digitalisierung ist die Ukraine uns zum Teil weit voraus – also, es gibt auch Felder, wo sie beeindruckend gut sind.
Das Ziel ist, insbesondere, wenn dann eines Tages die Phase des Wiederaufbaus kommt, dass wir von Anfang an die Investitionen, die dann getätigt werden in der Ukraine, koppeln mit den notwendigen Reformen, damit dies den Weg ebnet für die Ukraine zu einem Beitritt zur Europäischen Union. Das ist alles viel, viel Arbeit, was ich jetzt in ganz dürren Worten beschrieben habe, aber mir sagte Präsident Selenskyj auch einmal, und das habe ich nie vergessen; ‚Wenn unsere Soldaten an der Front sterben, dann wollen sie wissen, dass ihre Kinder eines Tages in Freiheit Mitglieder der Europäischen Union sind.‘
Kapern: Jetzt haben Sie keine Jahreszahl für einen potenziellen Beitritt genannt, trotzdem haben Sie so etwas wie eine Verlaufslinie aufgezeichnet. Für den Wiederaufbau muss es erst mal einen Frieden geben. Und nach dem Wiederaufbau kommt dann irgendwann ein Beitritt. So habe ich Sie jetzt verstanden. Gleichwohl werden in Osteuropa immer wieder Forderungen erhoben nach einem beschleunigten Beitritt, nach einem Schnellbeitritt. Gibt es das? Kann es das geben?
Von der Leyen: Wir haben eine sehr klare Regel, und die heißt: „merits based“. Das heißt, auf der Grundlage von Fortschritt und Erfolgen gestaltet sich dieser Beitrittsprozess. Und das ist richtig so. Deshalb ist er eben auch ganz unterschiedlich von der Zeitdimension bei unterschiedlichen Mitgliedsländern. Die Slowakei hat zum Beispiel ab einem bestimmten Zeitpunkt beschlossen, jetzt meinen wir es ernst und wir tun alles, um der Europäischen Union beizutreten – die haben sechs Jahre gebraucht.
Aber nehmen sie andere Kandidaten, die sehr viel länger schon daran arbeiten, weil sie halbherzig Reformen machen oder nicht vorankommen. Es gibt auch Beitrittskandidaten, die gar nicht mehr vorankommen, sodass sich eigentlich die Beitrittsperspektive entfernt. Und deshalb noch mal sehr deutlich: Der Ball liegt im Feld des Landes, des Kandidatenlandes, dass der Europäischen Union beitreten möchte, und davon hängt es ab.
Kapern: Aber es ist durchaus ein Beitritt der Ukraine in diesem Jahrzehnt noch möglich oder ist das eher unwahrscheinlich?
Von der Leyen: Ich kann und möchte mich gar nicht auf eine Jahreszahl festlegen, weil ich glaube, aus meiner Beschreibung heraus geht hervor, mit großer Leidenschaft und großem Einsatz arbeitet die Ukraine da dran, aber wir müssen alle gemeinsam sehen, dass die Erfolge auch tatsächlich - dann auch die Reformen implementiert werden, umgesetzt werden.

"Gut, dass die Vereinigten Staaten diesen Inflation Reduction Act auf den Weg gebracht haben"

Kapern: Frau von der Leyen, ich würde den Blick gerne mal auf die ökonomische Entwicklung der Europäischen Union lenken. Die 27 Mitgliedsstaaten schienen sich ja eigentlich gerade ganz gut von den Rückschlägen der Coronapandemie zu erholen, als dann die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine durchschlugen. Die Energiepreise sind explodiert – wir haben schon eben darüber gesprochen –, die liegen jetzt deutlich höher als in den Vereinigten Staaten beispielsweise, und gleichzeitig hat die US-Regierung ein 370 Milliarden großes Subventionspaket namens Inflation Reduction Act auf den Weg gebracht, das Investitionen in Zukunftsindustrien fördern soll. Nun fürchten Experten, dass beides zusammengenommen, die Energiepreise und die verlockenden US-Subventionen, zu einer Abwanderung europäischer Betriebe in die USA, auf die andere Seite des Atlantiks führen könnten. Da ist sogar von einer „Deindustrialisierung Europas“ die Rede. Ist das Panikmache oder reale Gefahr?
Von der Leyen: Also erst einmal, grundsätzlich finde ich es gut und klasse, dass die Vereinigten Staaten diesen Inflation Reduction Act auf den Weg gebracht haben. Denn damit holen sie das nach, was wir bereits vorgelegt haben, sie investieren massiv in die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft, in saubere Technologien. Und das ist unendlich wichtig im Kampf gegen den Klimawandel. Wir haben auf der europäischen Seite, wir waren die erste Region, die gesagt hat, wir wollen Klimaneutralität 2050, wir haben klare Ziele bis 2030 und wir haben ein Investitionsprogramm breit auf den Weg gebracht, das nennen wir „NextGenerationEU“.
Jetzt haben die Vereinigten Staaten nachgezogen – das ist gut. Aber es gibt Teile, die wir mit Sorge sehen, und das betrifft vor allen Dingen auf der einen Seite zum Beispiel die Elektromobilität, elektrische Fahrzeuge, wo die USA sehr deutlich sagen, sie müssen in den USA produziert worden sein, um Steuererleichterung zu kriegen. Und zweitens, diese massive Investition in das, was wir „Clean Tech“ nennen, also saubere Technologien. Vielleicht die erste Komponente zunächst. Bei den elektrischen Fahrzeugen verhandeln wir jetzt mit den USA, damit unsere elektrischen Fahrzeuge genauso den Marktzugang haben zu den Vereinigten Staaten und dass wir behandelt werden wie zum Beispiel Kanada und Mexiko, Nachbarn der USA, mit denen sie ein Freihandelsabkommen haben.

"Führen intensive Verhandlungen mit dem Weißen Haus"

Kapern: Mit Aussichten auf Erfolg, bei diesen Verhandlungen, die laufen?
Von der Leyen: Ich bin zuversichtlich. Wir sind ein ganzes Stück schon vorangekommen und es sind ganz intensive Verhandlungen mit dem Weißen Haus, die wir im Augenblick führen. Aber der zweite Blick muss breiter sein, auf diesen ganzen großen Clean-Tech-Sector, der entscheidend ist, dass wir die Transformation, hin zu einer Kreislaufwirtschaft schaffen, hin dazu, den Kampf gegen den Klimawandel erfolgreich zu machen. Das sind alles die sauberen Technologien, von den erneuerbaren Energien bis hin zu Innovationen, die wir dringend brauchen, um diese – wie gesagt – Transformation, den europäischen Green Deal auch tatsächlich umzusetzen.
Wir sind Weltmarktführer. Wir sind absolute Pioniere. Unsere Unternehmen sind wettbewerbsfähig. Sie haben zu Recht gesagt, sogar mit den relativ hohen Energiepreisen, die wir haben, im Vergleich zu den USA. Aber wenn jetzt da obendrauf noch die Investitionsmittel der Vereinigten Staaten kommen, dann wird es schwer hier auf der europäischen Seite, für unsere Unternehmen. Und deshalb wollen wir das spiegeln hier. Wir wollen Investitionsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Da gibt es immer zwei Elemente, bei uns in Europa. Das eine ist Beihilfe – nicht alle Länder in Europa können sich das leisten. Und das Zweite ist ein Investitionsprogramm.
Kapern: Lassen Sie uns die beiden Punkte kurz erläutern. Thema „Beihilfe“. Überzeugte Marktwirtschaftler, denen läuft jetzt ein kalter Schauder den Rücken runter und die übersetzen das so: Ursula von der Leyen will die Subventionsschleusen öffnen. Ist die Furcht berechtigt?
Von der Leyen: Nein. Denn wir sind in einer ganz kritischen Übergangsphase. Kritischen Übergangsphase raus aus der alten, schmutzigen, fossilen Brennstoffwirtschaft, hin in eine saubere, nachhaltige, moderne Kreislaufwirtschaft. Und wir haben, wie ich sagte, viele, viele der innovativen Unternehmen. Die ganze Welt wird in einigen Jahren die Erzeugnisse dieser Unternehmen nachfragen. Das heißt, wenn es uns gelingt, diese Unternehmen jetzt hier zu halten und diesen Sektor weiter aufzubauen, bleiben wir Weltmarktführer. Das ist das Ziel. Und unsere Unternehmen ächzen im Augenblick immer noch unter den Energielasten der schmutzigen alten fossilen Brennstoffe. Das heißt, wir müssen ihnen diesen Übergang, den müssen wir ihnen erleichtern. Wie gesagt, sie sind wettbewerbsfähig, aber die Bedingungen sind nicht einfach für sie hier.
Kapern: Ein Übergang heißt, es ist befristet?
Von der Leyen: Es ist befristet. Und die Subventionen, die Beihilfe, sind sehr gezielt. Und die Unternehmen müssen uns beweisen, dass – und das nennen wir Matching Clause, also dass es eine Klausel gibt des Vergleichs – dass sie in den Vereinigten Staaten, welche Steuererleichterungen sie tatsächlich kriegen würden, wenn sie dort hingehen. Und wir sagen: ‚Pass auf, wir ermöglichen dir das auch hier, weil wir wollen dich hier halten.‘ Dann ist natürlich auch wichtig, dass wir sehr klar definieren, wer kommt da in Frage und wer nicht. An diesen Punkten arbeiten wir gerade. Aber befristet und gezielt, das sind die Hauptworte.
Kapern: Beihilfen, das sind Gelder, die von Brüssel genehmigt werden, aber von den Mitgliedsstaaten selbst aus der eigenen Schatulle gezahlt werden. Sie haben eben darauf hingewiesen, nicht alle EU-Mitgliedsstaaten können sich das leisten. Was nun? Erklären Sie unseren Hörern den Souveränitätsfond, wo kommt das Geld her, was da drinsteckt?
Von der Leyen: Der Souveränitätsfond, den wir später auf den Weg bringen, ist eine strukturelle Antwort, dass wir gemeinsam europäisches Geld haben, zum Beispiel für gemeinsame europäische Projekte, wenn wir Innovationen beim Grünen Wasserstoff nach vorne bringen wollen. Jetzt, für die Kurzfrist, brauchen wir einen Fond – wir nennen ihn REPowerEU –, der den Mitgliedsstaaten hilft, die Investitionen zu tätigen in die saubere Technologiensektoren, die nicht die Möglichkeiten haben, Beihilfe zu geben. Und hier ist auch wichtig, dass es nicht nur die Investitionen gibt, gekoppelt an klare Auflagen, sondern wir werden das begleiten mit einem Gesetz für den Clean-Tech-Sector, dass vor allen Dingen die Verfahren beschleunigt, die Genehmigungsverfahren, Bürokratie abbaut, diese Industrie, der Clean-Tech-Sector, ist überlebenswichtig für unsere europäische Wirtschaft, aber sie stöhnen oft unter Lasten, die wir ihnen abnehmen können. Das heißt, Sie merken aus meinen Worten, das ist ein ganzes Paket, das da auf den Weg geht.
Kapern: Aber in Deutschland, da gibt es viele Hörer, auch viele Politiker, die hören, wenn die Kommissionspräsidentin Worte benutzt, wie gemeinsame europäische Mittel oder Souveränitätsfond, dann hören die vor allem gemeinsame Schulden. Hören die richtig oder verhören die sich?
Von der Leyen: Hier ist wichtig zu sagen, dass wir in REPowerEU, diesem Fond für den Clean-Tech-Sector Gelder nutzen, die schon genehmigt sind, die da sind und das sind Kreditmöglichkeiten, die wir jetzt zur Verfügung stellen.
Kapern: Und der Souveränitätsfond?
Von der Leyen: Das ist später, wenn wir einmal unser Budget im Sommer revidiert haben. Wir wollen einmal prüfen, ob die Schwerpunkte noch richtig sind. Dann gibt es andere Finanzierungsinstrumente, die dort eingesetzt werden können. Aber wir haben, wie gesagt, auf europäischer Ebene Fonds, die bisher nicht ausgeschöpft werden, und die sollten wir nutzen.
Kapern: Aber Sie sehen mir nach, wenn ich jetzt einfach einmal beharre und sage: Andere Finanzierungsmöglichkeiten, das würde theoretisch auch gemeinsame Schulen inkludieren?
Von der Leyen: Da ist nichts beschlossen. Ungefähr 225 Milliarden kommen noch aus NextGenerationEU, 20 Milliarden sind Gelder, die aus dem Zertifikatehandel unter anderem kommen, wir haben einen sogenannten Investitionsfond und die Europäische Investitionsbank möchten wir auch mit ins Boot nehmen.
Kapern: Frau von der Leyen, ich würde gerne noch mal auf einen anderen Themenkomplex schauen. Die Europawahlen vor knapp vier Jahren haben hier ja in Brüssel geradezu eine Euphorie ausgelöst. Die Wahlbeteiligung so hoch wie nie, das Zutrauen der Menschen, das Brüssel die ganz großen Themen dieser Zeit lösen kann und nur Brüssel sie lösen kann, ist hier wahrgenommen worden. Und nun gibt es im Europaparlament den begründeten Verdacht, dass Europaabgeordnete käuflich waren. Was bedeutet das für das Bild, das sich die Bürger von der EU, von ihren Institutionen, von Brüssel machen?
Von der Leyen: Das Ganze ist wirklich bestürzend und sehr, sehr schmerzhaft. Meine Erfahrung in den drei Jahren jetzt hier sind, ich habe ausgesprochen und arbeite ausgesprochen gut mit dem Europäischen Parlament zusammen. Die Abgeordneten sind unendlich fleißig, leidenschaftlich für Europa, integer. Und dann ist es unendlich schmerzhaft, wenn es einige gibt, die offensichtlich auch mit krimineller Energie sich korrumpieren lassen. Und wir spüren das alle, dass natürlich der Blick auf die europäische Ebene von den Menschen mit einem Fragenzeichen begleitet ist: Was geht da vor? Und wie tief geht das? Ich bin sehr beeindruckt durch die Arbeit der belgischen Behörden.
Man sieht eben auch, der Rechtsstaat funktioniert. Aber für uns ist wichtig als Europäerinnen und Europäer, immer wieder das Vertrauen der Menschen zu gewinnen – wie meine Erfahrung ist –, indem wir gute Politik machen und liefern. Wir sehen die Zustimmungswerte zur Europäischen Union bei den letzten Erhebungen – das war bevor der Korruptionsskandal aufbrach – sehr hoch, deutlich höher als 2018, also deutlich zugenommen in diesem Mandat. Warum? Weil wir zum Beispiel die Coronakrise miteinander bewältigt haben, weil wir zum Beispiel zusammenstehen, mit wirklicher Kraft gegen Putin, in diesem schaurigen Krieg, den er gegen die Ukraine führt. Das heißt, die Menschen vertrauen uns, wenn wir ihre Probleme verstehen und wenn wir liefern. Und wir werden hart arbeiten müssen, um dieses Vertrauen auch weiterhin zu bekommen.

Von der Leyen lässt Kandidatur bei nächster Europawahl offen

Kapern: Die nächsten Europawahlen, das sind nicht mal mehr eineinhalb Jahren. Treten Sie wieder an? Wollen Sie Kommissionspräsidentin bleiben, nach den nächsten Wahlen?
Von der Leyen: Ich habe mich noch nicht entschieden. Ich habe jetzt drei Jahre Mandat hinter mir, zwei Jahre noch vor mir, und habe noch keine Entscheidung getroffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.