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EVP-Vorsitzender Weber
Mögliche Sanktionen gegen Russland beim Namen nennen

Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber, hat angesichts der Krise mit Russland an die Geschlossenheit der Europäischen Union appelliert. Er sagte im Dlf, auf europäischer Ebene müsse Klartext gesprochen werden, was Sanktionen gegenüber Russland betreffe.

Manfred Weber im Gespräch mit Silvia Engels |
Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament, im Februar 2022 vor blauer Wand
Manfred Weber, Chef der EVP-Fraktion im EU-Parlament (picture alliance / Geisler-Fotopress | Dwi Anoraganingrum)
Wegen der befürchteten Eskalation in der Ukraine-Krise haben die USA zu einem Krisengipfel per Videoschaltung mit sieben Staaten sowie den Spitzen der EU-Kommission und der NATO eingeladen. Für die EU dürfte der Außenbeauftragte Josep Borrell teilnehmen, für die Nato Generalsekretär Jens Stoltenberg. US-Außenminister Anthony Blinken erklärte zudem in Washington, er habe eine Einladung seines russischen Kollegen Sergej Lawrow zu einem Treffen Ende kommender Woche angenommen. Der Ort ist noch unklar.

Das Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Bei dieser neuen Schaltkonferenz, die US-Präsident Biden für heute angesetzt hat, soll auch die EU-Kommission vertreten sein. Wie sollte sie sich positionieren?
Manfred Weber: Hier einen Beitrag zur Geschlossenheit leisten, weil das das Wichtigste ist, die Einheit des Westens zu zeigen und uns auch ein Stück weit wachzurütteln, weil wir Europäer, auch wir Deutsche die derzeitige Diskussion aus einer starken Komfortzone heraus diskutieren. Bei uns leben wir in einem Bereich von Sicherheit. Wir dürfen unterm NATO-Schirm leben, wir dürfen in Sicherheit leben. Aber 44 Millionen Ukrainer – man muss sich mal für eine Minute in deren Situation begeben. Ein ganzes Land steht unter Kriegsdrohung, unter Kriegsangst, wo die Menschen nicht wissen, was passiert jetzt, wird es zur Invasion kommen. Deshalb müssen wir uns bewusst machen, in welcher guten Situation wir unterm NATO-Schirm leben dürfen, und da werden wir auch in Zukunft mehr investieren müssen, und wir sollten wie gesagt die Ukraine im Blick haben.

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"Vor Freiheit und vor Demokratie hat Putin Angst"

Die größte Drohung für Wladimir Putin ist nicht die NATO, ist nicht die Sicherheitsfrage. Er hat genug Waffen, um sich zu verteidigen. Die größte Drohung ist eine freie demokratische Ukraine, weil vor Freiheit und vor Demokratie hat Putin Angst.
Engels: Sie mahnen Geschlossenheit des Westens an. Nun ist ja bekannt, dass die EU sich vor allen Dingen auf die Wirtschaftssanktionen konzentrieren wird, falls es zu einer russischen Aggression gegen die Ukraine wieder kommen wird. Was sollte auf dieser Liste Ihrer Meinung nach draufstehen?

"Putin muss wissen, wir meinen es ernst"

Weber: Zunächst im Positiven möchte ich unterstreichen, dass das Europäische Parlament diese Woche eine Zusatzhilfe von 1,2 Milliarden Euro für die Ukraine bereitgestellt hat. Schon heute sind die wirtschaftlichen Schäden aufgrund der Kriegsdrohung für die Ukraine substanziell und problematisch. Deswegen ist diese Woche das Zeichen ausgesandt worden, wir helfen euch, wir stehen an eurer Seite.
Sollte es wirklich zur militärischen Eskalation kommen, was wir bis zum Schluss verhindern müssen, sollte es dazu wirklich kommen, steht eine militärische Reaktion der europäischen Partner natürlich nicht zur Debatte. Die Ukraine ist nicht NATO-Mitglied, wird deswegen keine direkte militärische Unterstützung bekommen, und da bleiben uns dann als Reaktion nur die Wirtschaftssanktionen. Da bin ich nach wie vor der, der sagt, wenn wir Frieden sichern wollen, dann müssen wir jetzt Putin Klarheit geben, dass die Rechnung hoch wird. Deswegen bin ich schon enttäuscht, wenn auch von den gestrigen Gesprächen auf europäischer Ebene wieder nicht Klartext gesprochen wird, wie denn die Sanktionen ausschauen. Aus Sicht der Europäischen Volkspartei ist es klar, dass Nord Stream 2 nicht zu halten ist, dass wir die russischen Banken aus dem europäischen und westlichen Finanzsystem ausschließen müssen und dass Hochtechnologie-Lieferungen nach Russland, mit der er dann ja auch seine Waffen beispielsweise baut, dass diese Hochtechnologie zukünftig nicht mehr geliefert wird. Putin muss wissen, wir meinen es ernst und wir sind vor allem geschlossen.

"Wir sind als Europäer für diesen Winter nicht erpressbar"

Engels: Das heißt, Nord Stream 2 und wahrscheinlich auch sämtliche Gaslieferungen aus Russland komplett beenden?
Weber: Nord Stream 2 ist ein Symbolprojekt für Gazprom und für die russische Gasindustrie und deswegen kann das Projekt, sollte es zur militärischen Eskalation kommen, nicht ans Netz gehen. Ob es dann zu Gegenreaktionen von Russland kommt, dass sie weitere Gaslieferungen stoppen, werden wir sehen. Wir sind als Europäer für diesen Winter nicht erpressbar. Ursula von der Leyen hat im Europäischen Parlament noch mal klargestellt, dass Gas für diesen Winter genug in Europa da ist und auch die Flüssiggas-Lieferungen aus anderen Teilen der Welt sichergestellt sind. Insofern: Wir sind jetzt im Moment in dieser Seite nicht erpressbar. Und klar muss sein: Wir haben es jetzt mit einer Aggression zu tun, die weit über wirtschaftliche Erwägungen hinausgeht. Es geht um Krieg und Frieden, es geht um die Idee von Freiheit und Demokratie, und da kann es für uns kein Wackeln geben.

"SWIFT liegt auf dem Tisch"

Engels: Sie haben angesprochen, die russischen Banken aus ihren internationalen Zahlungsmöglichkeiten herauszuziehen oder zu beschränken. Heißt, ein Ende des SWIFT-Abkommens, mit dem Russland international agiert, für Moskau?
Weber: So ist es. SWIFT liegt auf dem Tisch. Putin muss verstehen, dass das seine Wirtschaft massiv treffen würde, natürlich auch uns Europäer. Aber ich bleibe dabei: Jetzt geht es um Grundsatzfragen. Jetzt geht es um die Frage, wie wir zusammenleben. Es darf nicht sein, dass nach dem Zweiten Weltkrieg jetzt wieder Militär und Krieg führen als legitimes Mittel von Politik akzeptiert wird.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht oder auch den Zuhörerinnen und Zuhörern. Wenn ich jetzt morgens aufstehe und mir die Frage stelle, dass jetzt wieder Krieg geführt wird in Europa, dann schüttele ich den Kopf und sage, das kann doch nicht sein, dass das ernsthaft passiert. Und dann muss ich mir vergegenwärtigen: Es gibt einen Machthaber, nämlich Wladimir Putin, der bereit ist, das anzuwenden. Er macht das auch in anderen Krisenregionen der Welt. Er ist bereit, Krieg anzuwenden, militärisch zu intervenieren, um seine politischen Ziele durchzusetzen. Diese neue Realität, die müssen wir Europäer verstehen, und wir werden uns auch verändern müssen. Die Außen- und Sicherheitspolitik muss bei der Münchner Sicherheitskonferenz aus meiner Sicht im Mittelpunkt stehen. Europa muss endlich handlungsfähig werden. Derzeit haben wir mit Biden einen Partner im Weißen Haus. Man stelle sich mal vor, wir hätten diesen Konflikt jetzt mit Donald Trump im Weißen Haus. Das heißt, wir sind auf eigenständige außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit als Europäer angewiesen, und dort zeigt uns die Krise auch, dass wir auf die Stürme von morgen noch nicht vorbereitet sind als Europäer.

Forderungen aus Russland klingen "nach Provokation und Eskalation"

Engels: Sie verweisen jetzt sehr stark auf abschreckende Elemente gegenüber Moskau. Wo sehen Sie dann auch Möglichkeiten zum Entgegenkommen? Denn es ist ja immer so, dass auch Moskau in irgendeiner Form wieder Gesprächsangebote bekommen muss, um zu deeskalieren, oder nicht?
Weber: Na ja. Die Forderungen, die wir aus Moskau auf dem Tisch liegen haben, klingen nicht nach Wille zum Dialog, sondern nach Provokation und Eskalation. Putin weiß, dass wir die Souveränität der Staaten in Europa nicht aufgeben können. Putin weiß, dass wir Europa nicht wieder in Einfluss-Zonen aufteilen können, wo im Kreml entschieden wird, wie es den Menschen in Kiew geht oder wie sie weiterleben dürfen. Das sind Prinzipien, die wir in Europa auch mit der Helsinki-Akte eigentlich vereinbart haben und die jetzt von Putin in Frage gestellt werden. Deswegen hört sich das nicht nach Dialog an. Es ist jetzt schon die Phase von Stärke und von Einheit gefragt. Ich glaube, dass wir sehen müssen, dass Putin nur die Sprache der Stärke versteht. Und auch die Ankündigungen, dass die Ukraine ja gar nicht zur Debatte steht als NATO-Mitglied, dass auch nicht zur Debatte steht, dass wir weitere Truppen verlegen wollen an die Ostseite der NATO, all das wird in Moskau ja gar nicht wahrgenommen offensichtlich, sondern es wird jeden Tag weiter provoziert.
Und wir sollten uns nichts vormachen: Wenn er in der Ukraine-Sache erfolgreich ist, dann werden die Attacken auf uns Europäer weitergehen. Wir haben im Baltikum Angriffe jeden Tag auf Sicherheitssysteme im Cyber War. Wir werden erleben, dass auch Putin weiter versucht, Europa mit Fake News, Russia TV und so weiter zu destabilisieren. Das heißt: Die Idee, dass er stärker wird und dass die Europäische Union schwächer wird, dass unser Europa schwächer wird, das ist fest verankert im Kreml, und deswegen müssen wir jetzt Stärke entwickeln und Einheit wahren.
Engels: Herr Weber, dann müssen wir noch auf ein anderes außenpolitisches Thema für die EU zu sprechen kommen. Das läuft parallel zum laufenden EU-Afrika-Gipfel. Gestern wurde der dadurch dominiert, dass Frankreich angekündigt hat, in den nächsten Monaten seine Truppen aus Mali abziehen zu wollen. Das betrifft zunächst die französischen Missionen, das heißt Barkhane und die Mission Takuba. Das sind beides keine Missionen, die die EU betreibt. Doch in Mali gibt es auch einen EU-Ausbildungseinsatz für die malische Armee, an dem auch zum Beispiel die Bundeswehr beteiligt ist. Kann diese Mission ohne die Logistik und die Präsenz der Franzosen überhaupt fortgesetzt werden?

Mali - "Russland nutzt die durchaus vorhandenen Schwächen der Europäer aus"

Weber: Das wird natürlich deutlich schwieriger, weil die Franzosen die Hauptlast in der Region getragen haben in den letzten Jahren. Nichts desto trotz müssen wir uns vergegenwärtigen, dass die Dinge zusammenhängen. Die Söldnertruppen der Firma Wagner sind natürlich Teil des Kreml-Systems. Russland ist dort aktiv und nutzt auch die durchaus vorhandenen Schwächen der Europäer aus, in der Region Fuß zu fassen, stärker zu werden. Es kam jetzt zum Militärputsch und zu den dortigen Entwicklungen deswegen. Auch das hängt zusammen mit dem aggressiven Verhalten Moskaus. Ich werbe dafür, dass wir uns die Ausbildungsmission in aller Ruhe anschauen, nicht hektisch reagieren, weil natürlich klar ist, jeder weitere Rückzug aus der Region gibt Raum für Kräfte, die nicht partnerschaftlich arbeiten wollen, sondern beispielsweise aus der Region kommen viele Flüchtlinge, die dann am Mittelmeer ankommen und nach Europa wollen.
Natürlich wird versucht, dort Einfluss zu gewinnen, um Europa weiter unter Druck zu setzen. Nach Afghanistan ist das natürlich eine weitere Niederlage für den Westen in der Region, in Regionen, wo wir Instabilität haben, islamistischen Terrorismus auch haben, zu destabilisieren. Das ist eine weitere Niederlage für uns Europäer und deswegen ist umso mehr jetzt notwendig, dass wir überlegen, wie wir in der Welt mit unserem Ansatz, Frieden zu schaffen, mit unserem Ansatz, partnerschaftlich vorzugehen, neue Wege finden, um erfolgreich zu sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.