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Journalistin und Nobelpreisträgerin Maria Ressa
"Im medialen Ökosystem breitet sich ein Lügen-Virus aus"

Weltweit wachsen die Bedrohungen für die Pressefreiheit und immer wieder verfestigen sich Desinformationen. Im Deutschlandfunk-Interview kritisiert die philippinische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa vor allem die Wirkung der sozialen Medien.

Maria Ressa im Gespräch mit Annika Schneider | Text: Sören Brinkmann | 21.06.2022
Die Journalistin Maria Ressa beim Global Media Forum (GMF) der Deutschen Welle
Die Journalistin und Nobelpreisträgerin Maria Ressa (imago/ Sven Simon)
Schon seit vielen Jahren warnt Maria Ressa davor, dass Algorithmen Wut, Hass und Verschwörungsmythen verstärken. Nun standen ihr kritischer Blick auf die sozialen Medien und die zerstörerische Kraft, die auf Demokratien wirkt, auch im Mittelpunkt ihres Auftritts beim Global Media Forum (GMF) der Deutschen Welle in Bonn.
In ihrer Rede griff sie eine journalistische Kernfrage auf: "What are you willing to sacrifice for the truth?" – Was ist man bereit, für die Wahrheit zu opfern?

Sorge vor alternativen Wirklichkeiten

Ressa ist Gründerin und Chefredakteurin des Online-Nachrichtenportals Rappler. Außerdem war sie als Reporterin für CNN tätig. In ihrer Heimat, den Philippinen, gilt sie als eine der schärfsten Kritikerinnen des umstrittenen scheidenden Präsidenten Rodrigo Duterte.
Die Journalistin Maria Ressa beim Global Media Forum (GMF) der Deutschen Welle
Maria Ressa auf dem Global Media Forum. (imago/ Sven Simon)
Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Ressa, sie verfolge mit Sorge, dass Desinformationskampagnen zunehmend verfangen und alternative Wirklichkeiten aufgebaut würden. Das sei in etlichen illiberalen Staaten zu beobachten.
"In unserem medialen Ökosystem breitet sich ein Lügen-Virus aus. Die Machthabenden verbreiten diesen Lügen-Virus und verändern so die Weltsicht und die Werte von Menschen."

Massiven Repressionen ausgesetzt

Ressa wurde wegen ihrer Arbeit mehrfach von offiziellen Stellen bedroht und musste sich nach einer Verleumdungsklage vor Gericht verantworten. Für ihre Verdienste um die Pressefreiheit bekam sie 2021 den Friedensnobelpreis – gemeinsam mit ihrem russischen Kollegen Dmitri Muratow.

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Auf die Zukunft der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen blickt Maria Ressa skeptisch, insbesondere, weil die sozialen Medien deutlich machtvoller seien als klassische Medien in früheren Jahren – dennoch gibt sich Ressa kämpferisch: "Wir verlieren die Schlacht gegen Desinformation auf der ganzen Welt. Das heißt nicht, dass wir aufgeben. Aber wir müssen allen sagen: der Kampf findet statt."
Als ein Beispiel sieht Ressa die philippinischen Präsidentschaftswahlen im Mai dieses Jahres, bei denen der Sohn des früheren Präsidenten Ferdinand Marcos gewählt wurde: "Vor 36 Jahren hat das Volk mit seinen Protesten Ferdinand Marcos entmachtet, der in seiner Amtszeit 10 Milliarden US-Dollar gestohlen haben soll. Heute haben Desinformationskampagnen die Geschichte neu geschrieben und Marcos zum Helden gemacht."

"Fact Checking" in sozialen Medien

Ressa hat immer wieder kritisch über die Politik des langjährigen Präsidenten Rodrigo Duterte berichtet. So machte sie auch auf die Folgen des von Duterte ausgerufenen Kriegs gegen Drogen aufmerksam. Dieser Anti-Drogen-Kampf komme einem Krieg gegen die eigene Bevölkerung gleich, so Kritiker. Durch Selbstjustiz und Gewaltexzesse wurden tausende Menschen getötet.
Lost fight against disinformation? Maria Ressa is sceptical about the future of democracy
Das Nachrichtenportal Rappler befasst sich aber auch mit "Fact Checking", Nachrichten und Kommentare aus den sozialen Netzwerken werden auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Facebook spielt auf den Philippinen eine überragende Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten.
Ohne eine gemeinsame Realität, die auf Fakten basiert, so Ressa, würden ein Austausch und demokratische Prozesse unmöglich. "Es geht mir dabei nicht nur um Journalismus."

Ressas Appell: "Jetzt beteiligen"

In welcher Rolle sich Maria Ressa mit ihrer journalistischen Arbeit sieht, wurde in einer Erklärung deutlich, die sie nach der Bekanntgabe der Nobelpreis-Ehrung abgab: "Wenn wir in einer Welt leben, in der Fakten umstritten sind, und in der die weltweit größten Verteiler von Nachrichten die Verbreitung von Wut und Hass priorisieren und diese schneller und weiter verbreiten als Fakten, dann wird Journalismus zu Aktivismus."
Als grundsätzlicher Appell ist der Satz von Maria Ressa zu verstehen, mit dem sie zum Erhalt demokratischer Werte aufruft: "Alle, denen Demokratie und die Menschheit am Herzen liegen, sollten sich jetzt beteiligen."