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Interview mit Hans-Dietrich Genscher
"Egon Bahr kämpfte für Frieden und Freiheit"

Hans-Dietrich Genscher hat Egon Bahr für dessen politisches Wirken gewürdigt. "Dieser Mann hat sein Leben drei großen Zielen gewidmet: Der Freiheit Berlins, der Einheit Deutschlands und dem Frieden in Europa", sagte der frühere Bundesaußenmininster im DLF. "Das ist untrennbar mit seinem Namen verbunden." Der SPD-Politiker Bahr ist im Alter von 93 Jahren gestorben.

Hans-Dietrich Genscher im Gespräch mit Gerd Breker |
    Bahr sei ein Vertrauter und enger Mitarbeiter des Bundeskanzlers Willy Brandt gewesen, sagte Genscher. "Durch seinen Tod ist Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes ärmer geworden." Die SPD hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass Bahr in der vergangenen Nacht gestorben ist. Der frühere Bundesminister gilt mit seiner Ostpolitik als Wegbereiter der Wiedervereinigung Deutschlands.
    "Wie man gesehen hat, war über einen geschichtlich kurzen Zeitraum etwas zu erreichen, was viele für unmöglich hielten. Nämlich die friedlich Wiedervereinigung", so Genscher weiter. Die Ostpolitik von Brandt und Bahr habe zur Einheit geführt, aber auch die Arbeit des früheren Bundesaußenministers Walter Scheel.
    Thema Iran zeigt: Zusammenarbeit mit Russland möglich
    Auch in Zukunft sei eine Ostpolitik wichtig, betonte Genscher. Das Atomabkommen mit dem Iran sei nur durch die Zusammenarbeit mit Russland im Weltsicherheitsrat möglich gewesen. "Das hat gezeigt, wo man gemeinsame Interessen entdeckt, ist eine Zusammenarbeit möglich. Das gilt es jetzt auf andere Gebiete auszudehnen."

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem ehemaligen Außenminister, mit Hans-Dietrich Genscher. Guten Tag, Herr Genscher.
    Hans-Dietrich Genscher: Guten Tag.
    Breker: Herr Genscher, wie werten Sie die Rolle, die Egon Bahr in der deutschen Ostpolitik gespielt hat?
    Genscher: Ich glaube, dass man mit guten Gründen sagen kann, dieser Mann hat sein Leben nach dem Zweiten Weltkrieg drei großen Zielen gewidmet: einmal der Freiheit Westberlins, zum anderen der Einheit Deutschlands und zum dritten dem Frieden in Europa. Das ist untrennbar mit seinem Namen in den verschiedenen Phasen und mit seinen verschiedenen Funktionen verbunden. Und natürlich auch mit dem Umstand, was hier schon erwähnt wurde, dass er ein enger Vertrauter und Mitarbeiter von Willy Brandt war, in den entscheidenden Jahren, in denen Brandt Außenminister und Bundeskanzler war. Mit ihm ist Deutschland im wahrsten Sinne des Wortes ärmer geworden durch seinen Tod.
    Genscher: Er hat ja den Begriff, Herr Genscher, "Wandel durch Annäherung" geprägt. War das ein Begriff, mit dem Sie von Beginn an etwas anfangen konnten?
    Genscher: Wir haben ja die Ostpolitik in der Koalition aus SPD und FDP gemeinsam betrieben. Für uns war wichtig, dass die Annäherung vom Osten auf uns sich zubewegt in der inneren Entwicklung und dass wir von uns aus die Realitäten auch sehen, so wie sie sich darstellen. Und wie man gesehen hat, war über einen geschichtlich gesehen relativ kurzen Zeitpunkt es möglich, etwas zu erreichen, was viele für unmöglich hielten, nämlich die friedliche Vereinigung der nach dem Kriege entstandenen beiden deutschen Staaten.
    Breker: Wir können festhalten, Herr Genscher: Die Ostpolitik von Egon Bahr und Willy Brandt hat am Ende zur deutschen Einheit geführt. Sie und Helmut Kohl durften ernten, was Brandt und Bahr gesät hatten.
    Genscher: Ich würde auf jeden Fall Walter Scheel mit erwähnen. Er war der Außenminister in der Regierung Brandt. Diese Namen stehen für den Weg zur deutschen Einheit, wobei das Tor dafür aufgeschlossen wurde einmal durch die Ostverträge und zum anderen auch durch den KSZE-Prozess, der gegen große Widerstände hier auch bei uns durchgesetzt werden musste.
    Breker: Denn zu Beginn dieses KSZE-Prozesses von Helsinki, da hatte man oder hatten viele behauptet, der Osten habe gewonnen. Aber am Ende war Korb III dann doch für den Westen das Entscheidende und für die Menschen in Osteuropa ebenfalls.
    Genscher: Natürlich, weil ich behaupte immer noch, dass die Schlussakte von Helsinki die größte Menschenrechtsinitiative der Geschichte ist, weil zum ersten Mal die Rechte der Menschen, Freiheit, Demokratie, Menschenwürde, zum Gegenstand internationaler Beziehungen gemacht worden ist.
    Breker: Mit dem Ukraine-Konflikt haben sich die Beziehungen zu Russland deutlich abgekühlt, Herr Genscher. Dabei wäre die Zusammenarbeit mit Russland im Lichte der Krisen dieser Welt doch gerade zum jetzigen Zeitpunkt besonders wichtig.
    Genscher: Nicht nur diese Krise, sondern wie das Abkommen mit dem Iran über deren Nuklearrüstung oder Verhinderung einer Nuklearrüstung nur möglich war durch die Zusammenarbeit mit Russland im Weltsicherheitsrat. Es haben ja verhandelt die Mächte des Weltsicherheitsrates plus Deutschland. Das hat gezeigt, dass dort, wo man gemeinsam Interessen entdeckt und ihnen auch aufrichtig nachgeht, eine Zusammenarbeit möglich ist. Das gilt es jetzt auf andere Gebiete auszudehnen.
    Breker: Bräuchten wir also eine neue Ostpolitik gegenüber Russland?
    Genscher: Es ist ein neuer Versuch anzusetzen. Und wenn Sie bedenken, dass die Akte, die Charta von Paris, die wir vor 25 Jahren im November in Paris unterzeichnet haben, wo die künftige Struktur Europas jetzt im November tatsächlich 25 Jahre in Kraft ist, dann müssen wir uns fragen, was haben wir daraus gemacht, was ist daraus geworden. Dann können wir, glaube ich, zu auch neuen Ufern kommen. Darum geht es jetzt und das ist ganz im Geiste des Mannes, den wir heute durch unser Gedenken ehren.
    Breker: Und das ist Egon Bahr. - Das war der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher im Deutschlandfunk. Wir würdigten den Ostpolitiker Egon Bahr, der in der Nacht im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Herr Genscher, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Genscher: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.