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Interview mit Iwan Baan
"Nennen Sie mich nicht Architekturfotograf!"

Lange Zeit war es in der Architekturfotografie verpönt, neben der reinen Architektur noch etwas anderes wie Autos oder Menschen zu zeigen. Bis der Niederländer Iwan Baan auftauchte. Er holte das Leben in die Architekturfotografie zurück. Im Museum MartA Herford ist jetzt die erste Einzelausstellung des Fotografen in Deutschland zu sehen: "52 Wochen, 52 Städte"

    Iwan Baan hält seine Mitarbeiterin Jessica Collins im Arm, im Hintergrund eine Fotografie mit Booten
    Fotograf Iwan Baan und Mitarbeiterin Jessica Collins (picture alliance / dpa/ Robert B. Fishman)
    Marietta Schwarz: Sind Sie müde?
    Iwan Baan: Ja, ein bisschen. Es ist mein Normalzustand, so halb im Jetlag (lacht). Man fällt aus dem Flugzeug und weiß noch nicht so genau, wo man eigentlich ist. Ich komme gerade aus Boston, da war ich 18 Stunden lang, davor vier Tage in Miami, und davor in New York.
    Schwarz: Als ich das mit der Ausstellung zum ersten Mal gehört habe, "52 Wochen, 52 Städte", dachte ich eigentlich, das muss ein Fake sein. Ist es aber nicht!
    Baan: Nein, wir leben quasi aus dem Koffer heraus, ich und meine Partnerin Jessica Collins, wir sind ständig unterwegs. Im Grunde genommen sind wir heimatlos.
    Schwarz: Also haben Sie keinen permanenten Wohnsitz?
    !!Baan:! Nein, den bauen wir gerade wieder auf. Ich hatte mein Studio in Amsterdam, aber vor anderthalb Jahren ist das komplett ausgebrannt. Seitdem bin ich ein richtiger Nomade. Aber die letzten sieben, acht Jahre war das auch nicht wesentlich anders. Da kam ich dann einmal im Monat nach Amsterdam für ein, zwei Tage. Das ist so mein Rhythmus.
    Schwarz: Was treibt Sie an, so zu leben?
    Baan: Es gibt einfach so viel zu sehen auf der Welt!! (lacht) Und ich sage mir immer: Lieber Heimweh haben als zu Hause sein. Vor sieben, acht Jahren habe ich Rem Koolhaas kennengelernt, den niederländischen Architekten. Er hat mich angesteckt. Dieses Architektenumfeld fasziniert mich. Tja, und da die Gebäude nicht zu mir kommen, muss ich zu ihnen. Das Reisen gehört einfach dazu.
    Schwarz: In der Ausstellung prallen ganz unterschiedliche Bilder und Welten aufeinander: eine religiöse Zeremonie in Japan, eine Baustelle in Brasilien, ein neues Gebäude von Zaha Hadid in Baku. Wie wählt man da die Projekte aus, wie macht man einen Jahresplan?
    Baan: Jahresplan? Ich plane eher eine Woche im Voraus. In meiner Arbeit geht es immer um die Gebäude in ihrem Kontext. Das gilt für einen im Wasser errichteten Slum in Lagos genauso wie für ein 500-Millionen-Dollar-Opernhaus von Zaha Hadid in Aserbaidschan. Alle diese Projekte stehen für einen bestimmten Ort, die herrschende Politik. Auch für einen bestimmten Zeitgeist. Mich interessiert: Wie leben die Leute? Wie schaffen sie sich ihr eigenes Umfeld?
    Schwarz: Das sind teilweise sehr bizarre urbane Situationen auf den Bildern. Etwa dieser Bezirk der Müllsammler in Kairo - was ist die Geschichte dahinter?
    Baan: Von diesem Ort hatte mir ein Freund erzählt. Es ist ein hochverdichtetes Viertel in Kairo, in dem seit Jahrzehnten die Müllsammler leben. Die haben illegal und kontrolllos in die Höhe gebaut, weil in der Fläche kein Platz war. Ein Mikrokosmos. Von außen betrachtet totales Chaos, es stinkt, es sieht aus wie ein riesiger Müllhaufen. Und dann kommst du in die Wohnungen und sie sind total dekoriert, individuell aufgehübscht.
    Schwarz: Wie finden Sie diese Orte? Sie haben den Freund erwähnt, der Ihnen davon erzählte. Ist das der übliche Weg?
    Baan: Ja irgendwie schon. Die Architekten, mit denen ich zusammen arbeite, interessieren sich ja auch für solche Orte. Und dann landet man da.
    Schwarz: Und dann gehen Sie da einfach hin? Da steckt doch Logistik dahinter, vor allem, wenn man jede Woche woanders ist.
    Baan: Ja klar, man braucht eine Kontaktperson, der die Leute in der Nachbarschaft vertrauen, und dann muss man selbst vor Ort zu ihnen irgendwie eine Beziehung aufbauen. Manchmal dauert das lange. Aber wenn man dann vor Ort ist, wird es einfacher. Die Leute sind ja auch so stolz auf das, was sie sich aufgebaut haben. Darin unterscheiden sie sich nicht von einem Rem Koolhaas oder einer Zaha Hadid, die einem ihr neuestes Projekt zeigen wollen! Nur dass sie das mit ihren eigenen Händen gebaut haben. Und plötzlich zeigen sie dir sogar ihr Schlafzimmer.
    Schwarz: Iwan Baan, Sie gelten ja als derjenige, der die Menschen zurück in die Architekturfotografie geholt hat, der ungewohnte Perspektiven einnimmt und so weiter. Was denken Sie denn über die "klassische Architekturfotografie", wo alles schön rechtwinklig, im Goldenen Schnitt, ohne stürzende Linien sein muss?
    Baan: Nennen Sie mich nicht Architekturfotograf! (lacht) Menschen machen einen Ort aus. Und sie verorten ein Bild auch zeitlich. Die meisten Architekten wollen zeitlose Fotos, ohne Bezug zu Zeit und Raum. Deshalb soll es auf diesen Bildern keine Autos geben oder Leute, an deren Modestil man sieht, wann das Bild entstanden ist. Aber ich finde, gerade das gibt Bildern einen Mehrwert. Und darum geht es auch in dieser Ausstellung "52 Wochen, 52 Städte" hier in Herford: Eigentlich ist das ein Reisetagebuch.
    Schwarz: Aber genau dieser Ansatz ist jahrzehntelang in der Architekturfotografie nicht nachgefragt worden. Wie haben Sie es geschafft, die Architekten zu überzeugen?
    Baan: Ich arbeite selten auf Bestellung. Ich verfolge meine eigenen Projekte. Und die mache ich so, wie ich es für richtig halte. Und am Ende mögen es die Leute oder eben nicht. Ich habe zu den Architekten keine Beziehung wie ein Dienstleister zu seinen Kunden. Die sagen mir nicht: Mach mir ein Bild von dieser Ecke oder von jener. Dafür haben die Architekten meistens noch einen anderen Fotografen. Ich bin eher für die Atmosphäre zuständig, und die Geschichte.
    Schwarz: Sie sind der Geschichtenerzähler!
    Baan: Das versuche ich, ja. Was auch interessant ist, wenn man in die Geschichte der Architekturfotografie schaut: Leute wie der Fotograf Julius Shulman, ich war nie bei einem seiner Shootings dabei, aber was man immer wieder hört ist, dass er mit dem Architekten vor Ort war und stundenlang auf das richtige Licht gewartet hat. Er hat ja auch mit diesen großen Plattenkameras gearbeitet, und dann Models im Raum genau platziert. Das ist ein ganz anderer Ansatz. Ich suche eher den richtigen Moment.
    Schwarz: Sind Sie einer von den schnellen Fotografen, die viele Bilder machen?
    Baan: Nicht so schnell, dass ich keine Zeit vor Ort verbrächte. Aber ich warte nicht auf den perfekten Lichteinfall. Manche Projekte kommen auch in strömendem Regen gut rüber, oder unter anderen Bedingungen. Es ist immer eine Suche.
    Schwarz: Kommen Sie eigentlich mit den Architektenpersönlichkeiten wie Toyo Ito oder Zaha Hadid direkt in Berührung?
    Baan Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, sie schätzen die Art, wie ich auf ihre Projekte schaue. Und sagen dann einfach: Mach mal! Viele sind inzwischen gute Freunde. Ich würde mir aber nicht von ihnen vor Ort über die Schultern gucken lassen, in dem Sinne, dass Sie mir sagen, was zu tun ist.
    Schwarz: Gibt es auch langweilige Orte für Sie? Oder eine Stadt, die Sie überhaupt nicht reizt?
    Baan: Schwierig zu sagen. Es gibt natürlich diese Orte, an denen ich nie leben wollte, die aber trotzdem sehr faszinierend sein können. Dubai, Abu Dhabi, diese Städte, die komplett von Entwicklern aus dem Boden gestampft werden mit Materialien von der Stange. Dann wird ein Architekt angeheuert, der eine fancy Fassade davorklatscht, dahinter befinden sich aber nur billige Wohn- oder Büroboxen. Das hat nichts mit Architektur zu tun. Das ist das genaue Gegenteil. Trotzdem ist es interessant zu sehen, wie diese Städte entstehen.