Raphael Twerenbold leitet das Epidemiologie Studienzentrum des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf und hat die Studie mitbetreut. Darin wurden 443 an Covid-19 erkrankte und später genesene Personen aus Hamburg auf verschiedenste Organfunktionen und -strukturen hin untersucht und mit der Hamburger Durchschnittbevölkerung verglichen, die keinen Kontakt zu SARS-CoV-2 hatte.
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Twerenbold: „Beispielsweise lag die Pumpkraft der linken Herzkammer im Mittel ein bis zwei Prozent unter dem Wert aus der Hamburger Durchschnittsbevölkerung, das Lungenvolumen war um drei Prozent reduziert, die Atemwegswiderstände als Ausdruck einer Steifigkeit der Atemwege und Bronchien um acht Prozent erhöht, die Nierenfunktion um zwei Prozent erniedrigt.“
Der Internist und Kardiologe warnt davor, diese auf den ersten Blick gering anmutenden Zahlen als harmlos zu betrachten. So könne selbst eine minimale Einschränkung der Herz-Pumpkraft langfristig die Gefahr einer Herzmuskelschwäche erhöhen.
Noch unklar, ob Organ-Beeinträchtigungen bei Geimpften geringer ausfallen
Da die untersuchten Genesenen ihre Erkrankung während der ersten und zweiten Welle im Jahr 2020 durchgemacht hatten – in den allermeisten Fällen mit milden Verläufen und ohne Hospitalisierungsbedarf – handelt es sich um ausschließlich ungeimpfte Patienten (die Impfstoffe standen erst später zur Verfügung).
„Wir hoffen natürlich, dass geimpfte Personen, deren Körper vorbereitet ist in gewissem Maße auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 durch die gestärkte Immunabwehr – dass mögliche Folgespuren geringer ausfallen an den Organen“, sagte Twerenbold. Letztendlich sei das aber abzuwarten.
Der Kardiologe appelliert, dass sich noch ungeimpfte Menschen für die Impfung entscheiden sollten und fasst zusammen: „Was wir sicherlich sagen können mit diesen Daten, ist, dass für Ungeimpfte die Strategie, jetzt auch in Anbetracht der aktuellen Omikron-Variante, die auch häufig mit einem vermeintlich harmloseren, milderen Verlauf einherzugehen scheint, trügerisch ist und die Strategie, dass man sich jetzt immunisiert, indem man sich durchseucht aus medizinischer Sicht keine gute Idee scheint. Denn man weiß jetzt anhand dieser Daten, dass auch milde Verläufe nicht harmlos sein müssen.“
Das Interview in voller Länge:
Ralf Krauter: Was für Patientinnen und Patienten wurden für diese Studie zu den mittelfristigen Folgen einer Covid-Erkrankung untersucht?
Raphael Twerenbold: Tatsächlich haben wir in dieser Studie aus Hamburg anhand von 443 an Covid-19 erkrankten Hamburgerinnen und Hamburgern, welche in der ersten und der zweiten Welle der Pandemie im Jahr 2020 erkrankt sind, dahingehend untersucht, ob wir – wenn wir sie ganz detailliert in einem mehr als siebenstündigen Untersuchungsprogramm auf verschiedenste Organfunktionen und -strukturen hin untersuchen – kleine oder gewisse Veränderungen sehen im Direktvergleich mit der Durchschnittsbevölkerung aus Hamburg, die keinen Kontakt zu SARS-CoV-2 hatte.
Krauter: Das waren als 443 Covid-Genesene zwischen 45 und 74 Jahren. Wichtig auch noch zu sagen: Die waren alle ungeimpft. Welche Gesundheits- und Fitnessparameter haben Sie denn erfasst und verglichen?
Twerenbold: Grundsätzlich ist ganz wichtig, zu betonen, ganz genau: Das waren Personen, welche allesamt ungeimpft waren, nicht, weil sie Impfgegner waren oder kritisch der Impfung gegenüberstanden, sondern weil die Impfung zum Zeitpunkt der Studie noch nicht zur Verfügung stand. Und auch wichtig anzumerken ist, dass wir die Untersuchung im Mittel zehn Monate nach der SARS-CoV-2-Infektion durchgeführt haben. Alle Teilnehmer hatten in der Mehrheit milde oder maximal moderate Symptome, und die absolute Mehrheit, insgesamt 93 Prozent, hatten keinen Hospitalisationsbedarf während der Infektion. Die Parameter, die wir untersucht haben, das waren mehrere tausend Variablen letztendlich, wir haben verschiedenste Organe untersucht, das Herz, die Lungenfunktion, die Nierenfunktion, aber auch die Beinvenen, die Halsschlagadern. Man hat auch Magnetresonanztomografie-Untersuchungen des Gehirns und des Herzens bei einer Mehrzahl der Patienten durchgeführt, um auch dort auffällige strukturelle Veränderungen detailliert frühzeitig erfassen zu können.
Unterschiede zwischen den Kontrollgruppen in vier Organen festgestellt
Krauter: Sie kommen ja letztlich zum Schluss in dieser Studie, dass selbst ein milder Verlauf einer Covid-19-Erkrankung mittelfristig Schäden in verschiedenen Organen hinterlassen kann. Wo genau haben Sie solche Schäden beobachten können?
Twerenbold: Grundsätzlich ist es vielleicht wichtig, wenn wir von den Folgen an den Organen sprechen, dass wir den Begriff „Spuren“ einer SARS-CoV-2-Erkrankung lieber verwenden, weil das Wort „Schädigung“ automatisch einen gewissen Krankheitswert implizieren würde, der nicht unbedingt gegeben ist. Wir hatten vielmehr im Kontinuum dieser Messwerte im Vergleich mit der normalen Bevölkerung Unterschiede gesehen. Ob und welchen Krankheitswert diese Unterschiede langfristig zeigen werden, ist noch Gegenstand diverser Untersuchungen, auch laufender Untersuchungen. Wenn Sie aber fragen, welche Unterschiede haben wir gesehen, welche Spuren hat die Infektion mit SARS-CoV-2 möglicherweise hinterlassen, sind uns vier Organe ins Auge gestochen, erstens einmal das Herz, die Lungen, die Nieren, aber auch Befunde der Beinvenen-Ultraschalluntersuchung.
Gehäuft Anzeichen von Beinvenen-Thrombosen
Krauter: Und wie deutlich waren die Spuren, die Sie dort sichten konnten in diesen eben beschriebenen vier Organen?
Twerenbold: Insgesamt waren die Unterschiede, die wir festgestellt haben, zwar statistisch hochsignifikant, zahlenmäßig lagen die aber oftmals im geringen prozentualen Bereich. Um ein paar Beispiele zu nennen, beispielsweise lag die Pumpkraft der linken Herzkammer im Mittel ein bis zwei Prozent unter dem Wert aus der Hamburger Durchschnittsbevölkerung, das Lungenvolumen war um drei Prozent reduziert, die Atemwegswiderstände als Ausdruck einer Steifigkeit der Atemwege und Bronchien um acht Prozent erhöht, die Nierenfunktion um zwei Prozent erniedrigt. Einer der Befunde, der uns ins Auge gestochen ist und Aufmerksamkeit auch ausgelöst hat, ist die Erkenntnis, dass in der Ultraschalluntersuchung der Beinvenen man zwei bis drei Mal häufiger Zeichen einer möglicherweise zurückliegenden unentdeckten Beinvenen-Thrombose hat finden können.
Krauter: Aus der Sicht des Laien scheinen diese Veränderungen, die Sie gerade genannt haben, ja recht gering zu sein, also niedriger Prozentbereich. Wie gravierend waren die denn im Alltag der Studienteilnehmerinnen? Haben die das zum Teil gar nicht gemerkt?
Twerenbold: Tatsächlich ist es so, dass die Zahlen gering sind und deswegen vielleicht auch trügerisch, weil sie als harmlos gelten mögen. Für den Einzelnen ist es oftmals so, dass diese Veränderungen nicht mit Beschwerden einhergehen, weil sie im geringen Bereich liegen. Und das ist wichtig auch anzumerken zur Beruhigung. Nichts desto trotz ist es so, dass man weiß aus großen Studien, die vor der Zeit der Corona-Pandemie entstanden sind, dass beispielsweise auch eine minimale Einschränkung der Pumpkraft des Herzens, beispielsweise ein bis zwei Prozent, langfristig gesehen auf die nächsten 10, 20 Jahre, doch mit einer leicht schlechteren Prognose einhergehen können und zum Beispiel in einer höheren Rate einer Herzmuskelschwäche münden. Man muss sich das vorstellen, es ist wie beim Körpergewicht, wenn man über die Feiertage drei Kilogramm zugenommen hat, das ist für den Einzelnen kein Drama, aber wenn man das nicht mehr loskriegt, diese drei Kilos, und angenommen, das wären plötzlich jetzt zehn Millionen Deutsche, die auf einen Schlag fünf Kilo mehr wiegen würden, dann hätte das auch aus gesundheitspolitischer Sicht auf lange Sicht schon Konsequenzen, weil das einfach Folgeschädigungen dann an den Organen bewirken könnte, die langfristig auch Beschwerden verursachen.
Krauter: Welche Folgerungen und Empfehlungen lassen sich denn aus dieser Studie jetzt ableiten aus Ihrer Sicht?
Twerenbold: Ich glaube, ganz wichtig ist, dass man zwar eine gewisse Aufmerksamkeit schenkt den möglichen Spuren, die Corona hinterlassen kann an den Organen, dass jedoch keine Panik deswegen entsteht, sondern dass man einfach diese Erkenntnisse nutzt, um systematisch und unaufgeregt die Organfunktion – und so empfehlen wir es – von zwei Organen routinemäßig nach sechs bis neun Monaten einmal beim Hausarzt zu bestimmen durch einen einfachen Bluttest, nämlich, dass man einmal die Nierenfunktion bestimmen lässt sowie einen Wert für die Belastung des Herzens bestimmen lässt, um zu schauen, ob man allenfalls doch stärker betroffen ist nach einer SARS-CoV-2-Infektion, oder ob man beruhigt sein kann im Wissen darum, dass das Herz oder die Nieren nicht stärker belastet sind. Hinsichtlich der Lungen empfehlen wir Abklärungen nur dann, wenn man anhaltende Atembeschwerden hat. Und gleichzeitig ist eine der Erkenntnisse: Wegen der möglicherweise höheren Raten an Beinvenen-Thrombosen empfehlen wir, dass, wenn man während oder nach einer SARS-CoV-2-Infektion über neue einseitige Beinschmerzen oder -schwellungen klagen sollte, dass man diese früh ärztlich abklären lässt, um da früh eine blutverdünnte Maßnahme zu treffen, sollte man tatsächlich Thrombosen finden.
Hoffnung, dass mögliche Folgen an den Organen bei Geimpften geringer ausfallen
Krauter: Sie haben das in Ihrer Studie jetzt nicht untersucht, aber die spannende Frage ist ja: Wären denn bei Geimpften, die sozusagen einen milden Verlauf von Covid-19 hatten, ähnliche Symptome zu erwarten?
Twerenbold: Das ist die ganz zentrale Frage, die uns alle brennend interessiert und höchste Relevanz hat. Wir müssen sagen, mit diesen Daten können wir diese Frage nicht beantworten leider und wir müssen dazu noch die laufenden Studien abwarten. Wir hoffen natürlich, dass geimpfte Personen, deren Körper vorbereitet ist in gewissem Maße auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 durch die gestärkte Immunabwehr, dass mögliche Folgespuren geringer ausfallen an den Organen. Ob das tatsächlich so ist, werden wir abwarten müssen. Aber was wir sicherlich sagen können, mit diesen Daten, dass für Ungeimpfte die Strategie, jetzt auch in Anbetracht der aktuellen Omikron-Variante, die auch häufig mit einem vermeintlich harmloseren, milderen Verlauf einherzugehen scheint, trügerisch ist und die Strategie, dass man sich jetzt immunisiert, indem man sich durchseucht aus medizinischer Sicht keine gute Idee scheint, weil man weiß jetzt anhand dieser Daten, dass auch milde Verläufe nicht harmlos sein müssen.
Krauter: Also die Empfehlung an Noch-Ungeimpfte wäre auch, sich schleunigst impfen zu lassen aus Ihrer Sicht.
Twerenbold: Genau. Ich glaube, die Empfehlung muss sicherlich sein, alle Maßnahmen zu treffen insbesondere für Ungeimpfte, um sich vor einer Infektion zu schützen – dazu gehört auch die Impfung.
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