Grünen-Kanzlerkandidat im Interview
Robert Habeck fordert Sachpolitik statt Populismus

In Deutschland darf es nicht weitergehen wie bisher, sagt Kanzlerkandidat Habeck (Grüne). Wichtige Infrastrukturprojekte und militärische Ausgaben müssten aus der demokratischen Mitte entschieden werden und dürften nicht bis zu Neuwahlen warten.

Robert Habeck im Gespräch mit Stephan Detjen |
Robert Habeck spricht bei einer Pressekonferenz.
Robert Habeck im Blick auf den Ausgang der US-Wahl: "Wir müssen unsere Stärke in den Dienst Europas stellen." (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
In der Diskussion um den Termin einer Vertrauensfrage sagte Robert Habeck, er habe "Respekt vor der Position", die dem Bundeskanzler durch die Verfassung zukomme. Er fände es aber nicht gut, wenn diese besondere Stellung mit politischen Projekten verknüpft werde. Die könne man so oder so durchführen. Habeck sagte, auch nach der Vertrauensfrage bleibe Zeit, wichtige Gesetze noch zu verabschieden. Die Begründung für die Neuwahl am 15. Januar müsse also aus der Sache heraus erfolgen.
Vor allem wichtige Themen wie eine Verfassungsreform zum Schutze des Bundesverfassungsgerichts, die Krankenhausreform, Infrastrukturprojekte und der Bundeswehr-Etat sind nach Habecks Ansicht „notwendig für die Sicherheit, das Fortkommen und das Wachstum in Deutschland“. Diese dürften nicht mit der Diskussion um die Vertrauensfrage verknüpft werden.
So sei zum Beispiel das Sondervermögen für die Bundeswehr im Jahr 2027 aufgebraucht. Schon jetzt sei abzusehen, dass die Mittel nicht ausreichten. Habecks Ansicht nach kann man das nötige Geld dafür nicht aus dem bestehenden Haushalt nehmen. Für ein neues Sondervermögens brauche es aber eine Zweidrittel-Mehrheit.

Habeck befürchtet Blockade durch AfD und BSW

Es müsse jetzt getan werden, was möglich ist: "Wenn wir davon ausgehen, dass wir keine Zweidrittel-Beschlüsse nach einer Bundestagswahl aus der demokratischen Mitte heraus mehr erreichen, dann müsste indirekt mit Putin verhandelt werden", so Habeck im Interview.

Führung in Europa

Habeck nutzte das Interview auch, um die Notwendigkeit einer geschlossenen europäischen Position zu betonen – gerade angesichts der politischen Entwicklungen in den USA und der russischen Aggression in der Ukraine.
Dass Europa derzeit gespalten sei, liege vor allem daran, dass Deutschland nicht ausreichend führe. Führung in Europa bedeute, die Stärke Deutschlands in den Dienst der europäischen Sache zu stellen. Dazu müsse Deutschland immer auf der Seite der Mehrheit in der EU stehen. In der Vergangenheit sei die Bundesrepublik in Europa zu viele Sonderwege gegangen. Als Beispiel nannte Habeck das Festhalten der Bundesregierung am Pipeline-Projekt Nord Stream.

Habecks Kanzlerkandidatur: Angebot an die Bürgerinnen und Bürger

Am Freitag (08.11) hatte Habeck seine Kandidatur als Kanzlerkandidat der Grünen offiziell bekannt gegeben. Ein Parteitag in der kommenden Woche soll über seine Nominierung entscheiden. Angesichts schlechter Umfragewerte seiner Partei sei sich Habeck bewusst, dass die Ausgangslage nicht optimal sei.
Er betonte, es gehe ihm darum, ein glaubwürdiges Angebot an die Bürgerinnen und Bürger zu formulieren und Vertrauen zurückzugewinnen.. Es gebe viel aufzuholen. "Ob es gelingt und ob es angenommen wird, werden wir sehen."

Das Interview im Wortlaut:

Stephan Detjen: Das Interview der Woche, am Mikrofon ist Stephan Detjen und zu Gast im Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio ist Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler der rot-grünen Minderheitsregierung. Herzlich willkommen, Herr Habeck.
Robert Habeck: Guten Morgen, Herr Detjen und guten Morgen den Zuhörerinnen und Zuhörern.
Detjen: Herr Habeck, Sie wollen Bundeskanzler werden. Warum sollen die Menschen die Führung des Landes dem Vizekanzler einer Regierung anvertrauen, die gerade krachend gescheitert ist?
Habeck: Ich habe ein Angebot für die Menschen in Deutschland formuliert. Mir sind natürlich die Ausgangsbedingungen vollständig klar. Der Bruch der Regierung, schlechte Umfragewerte für meine Partei, die Geschichte der letzten drei Jahre ...
Detjen: Knapp 10 Prozent. Also, da ist einiges aufzuholen.
Habeck: Das ist unbestritten. Vor allem ist etwas zu erwerben, zu erarbeiten. Und das ist mein Blick auf die Dinge, dass man sich jetzt nicht hinstellt und sagt, "ich will", sondern ich biete etwas an. Und ich weiß, in einer ehrlichen Beschreibung, in welcher Situation, in welchem Zustand sich das Land und auch die politische Klasse befindet. Und dann will ich mir Vertrauen erarbeiten. Und das will ich tun. Und ob es gelingt und ob es angenommen wird, werden wir sehen. Insofern ist die Entscheidung, ob das Angebot angenommen wird, eine Entscheidung der Menschen. Es ist nicht an mir, das zu entscheiden. Ich kann nur mich prüfen und ein Angebot machen. Und dann sind es die Bürgerinnen und Bürger, die darüber zu entscheiden haben, ob es genommen wird oder nicht.
Detjen: Und wann sollen sie darüber entscheiden dürfen?
Habeck: Der Raum ist ja irgendwie im März, würde ich sagen. Wir reden im Moment darüber, wann die Vertrauensfrage …
Detjen: Das ist das, was der Bundeskanzler gesagt hat.
Habeck: Der Bundeskanzler hat gesagt, er stellt die Vertrauensfrage am 15.01. Das ist das, was ich weiß. Das ist das, was er gesagt hat. Und daraus ergäbe sich dann ein Termin im März.
Detjen: So, und darüber wird jetzt gestritten. Was ist Ihre Position?
Habeck: Meine Position ist erst mal fundamental, dass die Vertrauensfrage ein besonderer Weg ist, zu Neuwahlen zu kommen, ein sehr eingeschränkter Weg, der auch aus der Erfahrung der deutschen Geschichte nur vom Bundeskanzler beschritten werden kann. Also, in der Verfassung steht nicht, das Parlament löst sich selbst auf, das Parlament gibt dem Bundeskanzler – wie es bei Gesetzen ist – den Auftrag, wann er die Vertrauensfrage stellt, sondern das ist, wenn Sie es so wollen, die Würde und auch die Einsamkeit des Amtes, damit richtig umzugehen.
Detjen: Aber, Entschuldigung, er ist ja nicht einsam da drüben im Bundeskanzleramt. Und Sie sind der Vizekanzler. Sie reden ständig mit ihm. Da können Sie ja jetzt auch ein Stück Führungswillen zeigen, indem Sie den Kanzler dazu bewegen, dieses Taktieren, das wir da im Moment sehen, aufzuhören und möglichst schnell die Vertrauensfrage zu stellen. Das kann er ja machen.
Habeck: Wir reden häufig miteinander. Und was ich zu sagen habe, sage ich ihm dann auch. Aber ich will darauf hinweisen, dass es während der letzten … zumindest die letzten anderthalb Jahre häufig die Forderung nach Vertrauensfrage gab. Also, das war jetzt immer wieder ein politisches Moment. Und der Kanzler hat sich dagegengestellt. Und jetzt hat er sich für ein Datum entschieden. Das ist ja nicht ohne Risiko, wie wir sehen, in der ganzen Auseinandersetzung, in der ganzen Geschichte. Da habe ich einfach Respekt vor der Position, die ihm qua Amt oder qua Verfassung zugeschrieben wird. Was ich nicht gut finde, wäre, wenn diese besondere Position, für die es ja gute oder schlechte Gründe geben mag, also beispielsweise die Durchführung von sicheren Wahlen – die Bundeswahlleiterin hat sich geäußert und gesagt, wir brauchen Vorbereitungszeit, um gerade in dieser Zeit sichere Wahlen durchzuführen – wenn die verknüpft wird mit politischen Projekten, denn die kann man so oder so durchführen, wenn man will.
Denn der Bundestag ist ja bis zur Wahl der Bundestag. Also, es ist ja nicht so, dass man nicht nach der Vertrauensfrage arbeiten kann. Deswegen, die Begründung muss aus der Sache heraus erfolgen oder das muss aus der Sache heraus erfolgen und nicht verdealt werden. Das gilt aber auch an die Opposition. Das finde ich auch nicht korrekt zu sagen, ja, wenn wir aber unseren Willen kriegen, wann die Vertrauensfrage gestellt ist, dann machen wir bei Sachen mit. Denn die Sachen, also Gesetze, sagen wir, was die Sicherheitslage Deutschlands angeht, vielleicht, was die Energiesicherheit angeht, Projekte, von denen das ganze Land profitiert, wo man nicht wirklich sagen kann, das ist der Erfolg der Grünen oder der SPD, die sollten gemacht werden, weil sie gemacht werden sollten und nicht dieses Verknüpfen von getrennten Dingen. Das finde ich nicht …
Detjen: Aber das fing ja an, indem der Bundeskanzler gesagt hat, er will die Vertrauensfrage erst Mitte Januar stellen, damit vorher dann noch Projekte, die er gerne haben möchte, die er wichtig findet, im Bundestag beschlossen werden können. Und Sie sagen jetzt, das ginge auch, wenn er die Vertrauensfrage jetzt nächste Woche, sobald wie möglich stellt.
Habeck: Ein paar Projekte, das kann ich jetzt aus meiner Amtszeit oder aus meinem Amtsblick auf meine Projekte sagen, brauchen noch ein bisschen Zeit, damit sie beschlossen werden können. Also, wir brauchen zusätzlich …
Detjen: Aber das ist unabhängig davon, wann er die Vertrauensfrage stellt. Die können auch nach der Vertrauensfrage beschlossen werden.
Habeck: Die können auch nach der Vertrauensfrage gestellt sein. Nach der Neuwahl geht das nicht mehr so gut. Das wäre schon eine außergewöhnliche Situation. Dann ist ja ein neuer Bundestag gewählt und der alte hat nicht mehr ein volles Mandat. Aber bis dahin ist er handlungsfähig und sollte … jetzt bilde ich mir nicht ein, dass wir weitermachen wie bisher. Ich bilde mir auch nicht ein, dass Friedrich Merz seine große Liebe für – ich würde fast sagen – die Sachpolitik entdeckt, sondern natürlich ist Wahlkampf. Aber ein paar Dinge, meine ich, kann man identifizieren, wo man sagt, die sind notwendig für die Sicherheit, vielleicht für das Fortkommen, für das Wachstum in Deutschland.
Detjen: Welche sind das besonders? Also, da geht es um eine Krankenhausreform. Da geht es auch um ein Thema wie die Sicherung des Bundesverfassungsgerichts gegen mögliche Zerstörung, Deformierung durch populistische Kräfte.

Sondervermögen "nicht aus bestehendem Haushalt schneiden"

Habeck: Letzteres ist schon eine sehr große Sache. Da muss man sich kurz mal Gedanken machen, ob eine Verfassungsreform jetzt noch geht und ob nur das dann die Verfassungsreform sein soll. Ich würde einen zweiten Hinweis mir erlauben. Die Bundeswehr ist nicht besonders einsatzfähig. Das wissen alle. Das Sondervermögen ist geschaffen worden, um jenseits des Haushalts die Bundeswehr in einen wehrfähigen Zustand zu versetzen. Und das ist 2027 alle. Und eigentlich wissen alle, dass die Mittel schon jetzt nicht ausreichen. Man kann das Geld meiner Ansicht nach nicht aus dem bestehenden Haushalt rausschneiden. Das Sondervermögen braucht aber eine Zweidrittelmehrheit. Egal, wer Bundeskanzler sein wird und egal, wer die Regierung stellen wird, dieses Problem geht auch danach nicht weg. Also, wenn wir über so was anfangen zu reden, dann müssten wir meiner Ansicht nach über ganz andere und noch viel größere Dinge reden. Aber in der Sache selbst …
Detjen: Sie meinen, wenn man über Verfassungsänderungen redet – verstehe ich das richtig – etwa zum Schutz des Bundesverfassungsgerichtes, müsste man eigentlich auch über Verfassungsänderungen reden oder über Beschlüsse in Richtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr, die auch einer Zweidrittelmehrheit bedürfen?
Habeck: Wenn wir davon ausgehen, dass wir keine Zweidrittelbeschlüsse mehr treffen können nach einer Bundestagswahl oder könnten nach einer Bundestagswahl aus der demokratischen Mitte heraus …
Detjen: Weil unter Umständen AfD und BSW zusammen …
Habeck: Eine Sperrminorität haben, also …
Detjen: Also mehr als ein Drittel haben.
Habeck: Also, mal übersetzt hieße das ja, die Frage, ob unsere Bundeswehr genug finanzielle Ressourcen hat, also, ob sie sich wehrpflichtig ertüchtigen kann, muss quasi indirekt mit Putin verhandelt werden. Keine gute Idee vielleicht. Das ist aber wirklich jetzt ganz groß und im Moment nicht das, was politisch diskutiert wird – leider, will ich sagen. Das gilt übrigens auch für die Wirtschaft oder für die Finanzierung der Infrastrukturausgaben. Auch da meine ich, müssten wir unsere Spielregeln, nach denen wir die letzten 15 Jahre Finanzpolitik betrieben haben, überprüfen. Auch das bedeutet in der Regel eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Und jede Bundesregierung wird sich damit konfrontiert sehen. Die Wirklichkeit geht nicht weg, nur, weil die Ampelregierung weg ist. Da sind aber die meisten politischen Akteure nicht. Dafür würde ich allerdings werben, dass man sich, wenn man groß denkt, damit dann auch noch auseinandersetzt. Was konkret auf dem Tisch liegt, sind …
Detjen: Darf ich da noch mal …
Habeck: Selbstverständlich.
Detjen: Weil das ja wirklich ein großes und wichtiges Thema ist, wenn Sie sagen, eigentlich ist der Hinweis an die CDU: Verhandelt lieber jetzt mit uns – mit uns – über ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr, denn im Zweifelsfall müsst ihr es dann nach einer Wahl mit Sahra Wagenknecht tun. Das ist die Aussage?

Gelder für die Infrastruktur ausgeben

Habeck: Das Sondervermögen ist 2027 ungefähr ausgeschöpft. Also, es wird jetzt belegt. Das sind 100 Milliarden. Dafür hat das Bundesverteidigungsministerium immer Einkaufchargen definiert. Und die sind jetzt mehr oder weniger verausgabt, diese Gelder. Mit diesen Geldern erreichen wir so das Zwei-Prozent-Ziel. Das ist die Aufgabe, die wir in der NATO haben. Die Diskussion läuft, ob es denn reicht. Ich würde für mich auch sagen in dieser Phase, in der wir uns befinden, muss getan werden, was getan werden kann. Und dann können wir vielleicht in vier, fünf, sechs, sieben Jahren wieder in den Normalzustand eintreten, wo wir da Budget-Planungen machen. Aber 2027 spätestens, selbst wenn man in der alten Logik bleibt, fehlt es an Geld. Und in diesem Fall, wenn ich darauf hinweisen darf, die Lücke, über die die Ampel dann zerbrochen ist, die Ursache ist tiefergehend, aber die Lücke betrug ungefähr 13 Milliarden Euro. Dann habe ich gesagt, aus den Geldern, die ich verwalte, die eigentlich zur Wirtschaftsstärkung – können wir auch gut gebrauchen – zur Verfügung stehen, gebe ich auch noch gerne was da rein. Dann ist sie vielleicht reduziert worden auf sieben bis acht. Und darüber ist eine Regierung zerbrochen – wenn auch die Gründe tiefergehend sind. Das ist ja eine laufende Entfremdung gewesen. Ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes sind 40, 45 Milliarden ungefähr. Wenn wir jetzt von zwei auf drei gehen müssten oder das Sondervermögen ersetzen müssten, reden wir nicht über acht Milliarden, sondern irgendeine andere Zahl – deutlich größer als acht Milliarden. Ich kann schwer sehen, dass das in der angespannten Lage – wir müssen Gelder für die Infrastruktur ausgeben, wir müssen unsere Brücken, Schulen, die digitale Infrastruktur erneuern usw. –, dass das einfach rausgeschnitten werden soll.
Dieses ganze Gerede von „dann schaffen wir das Bürgergeld ab“ oder „dann kürzen wir bei der Rente“, selbst wenn man das wollte … also, ich erinnere daran, welche Proteste wir erlebt haben, als wir 450 Millionen bei der Landwirtschaft gekürzt haben. Selbst wenn man es wollte und die Demonstrationen, die Proteste, den Widerstand in Kauf nehmen würde, es reicht nicht. Insofern, ja, das ist ein relevanter Punkt. Und da rede ich jetzt nur über Sicherheit. Ich bin noch nicht dabei, dass wir eigentlich mehr Geld brauchen würden, unsere Schulen vernünftig auszustatten und schier zu machen und die Brücken zu sanieren und dass die Eisenbahn mal wieder pünktlich ist usw., usf. Also, das Problem geht nicht weg. Und ich bezweifele, dass die Union und Friedrich Merz das bisher vollumfänglich erfasst haben, auf was sie da zusteuern. Ein bisschen – letzter Satz – habe ich das Gefühl, die denken, dann machen wir weiter Große-Koalitions-Politik. Ja, dann ist dieser Störenfried Ampel weg. Dann machen wir die Große-Koalitions-Politik. Das Problem ist, die ganzen Probleme sind entstanden, weil die Große Koalition sie hat entstehen lassen. Die Unterfinanzierung der Bundeswehr, die marode Infrastruktur, alles GroKo …
Detjen: …jetzt gehen wir in der Geschichte zurück …
Habeck: … ja, deswegen ist die Idee von Friedrich Merz: Wählt mich und ich bin dann Merkel in männlich und bisschen anders und dann geht das alles so weiter, eine komplette falsche Idee.
Detjen: Ich wollte jetzt nicht zurückgehen.
Habeck: Das ist ein falsches Versprechen. Das ist nicht einzuhalten oder wir haben die Probleme nur x-fach größer.
Detjen: Jetzt kommen wir zurück in die Geschichte der letzten Großen Koalition. Ich wolle auch nicht jetzt die ganze Geschichte der Ampelkoalition aufarbeiten. Aber weil Sie über die Gründe gesprochen haben, würde ich gern schon fragen: Was sind die Gründe für das Scheitern dieser Regierung, die für Sie auch Lehren für die Zukunft beinhalten? Lehren für eine Regierung, die, wenn es nach Ihnen geht, von einem Bundeskanzler Robert Habeck geführt wird?
Habeck: Grund war am Ende die Lücke von diesen acht Milliarden, die wir nicht geschlossen haben.
Detjen: Der Auslöser.

Weltanschauliche Differenzen sind zutage getreten

Habeck: Der Auslöser sozusagen. Und die Ursachen sind tiefergehend. Es ist von Anfang an nicht gelungen, eine gemeinsame Linie in der Finanz- und meinetwegen auch Wirtschaftspolitik – und das schwappt dann über in die Arbeitsmarktpolitik, in die Energiepolitik usw. – zu finden. Das war am Anfang nicht so wichtig. Das wussten wir zwar, aber es war nicht so wichtig, weil wir uns auf die gesellschaftlichen Reformen konzentriert haben, also Staatsbürgerschaftsrecht, Zuwanderungsgesetze usw., usw. Dann kam der Ukraine-Krieg oder der russische Angriff auf die Ukraine. Auf einmal waren die Finanz- und Energiefragen dominant. Wir konnten das heilen, indem wir damals dann die Kraft aufgebracht haben, extra Geld aufzunehmen, also Sondervermögen Bundeswehr, der sogenannte Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Wir konnten damit dann die Energiekosten runterbringen, die Unternehmen ein bisschen retten. Und dann ist diese Möglichkeit weggeklagt worden durch die Klage, durch die gewonnene Klage der Union beim Verfassungsgericht. Und danach gab es diese Möglichkeit nicht mehr. Und wir mussten aus dem Haushalt heraus diese große Problemlage bearbeiten. Und dann sind die weltanschaulichen Differenzen voll zutage getreten. Also, der Bruch war eigentlich im Dezember 2023. Das haben auch alle, glaube ich, so empfunden, die damals dabei waren. Also, alle, die mitgedacht haben, haben sofort gesehen: Okay, jetzt sind wir in einer anderen Welt. Wir haben uns von Dezember 2023 bis November 2024 so durchgehangelt. Da ist schon viel passiert. Und jetzt ging es nicht mehr weiter.
Detjen: Sie sagen weltanschauliche, wirtschaftspolitische Differenzen, das war klar, die sind ganz erheblich. Das ist schwer zusammenzuführen. Aber welche Rolle spielt dann in einer Zusammenarbeit, in einer solchen Koalition – und wir werden es ja weiter mit schwierigen Koalitionen möglicherweise zu tun haben, haben es schon jetzt auch auf Landesebene. Haben wir auch gerade in Sachsen erlebt, dass da Koalitionsverhandlungen geplatzt sind. Also, welche Rolle spielen dann Personen, die Persönlichkeit, gerade in der Führungsspitze einer Koalition? Auch der Bundeskanzler hat das ja am Ende zu einer ganz höchstpersönlichen Abrechnung mit seinem Finanzminister gemacht.
Habeck: Ich glaube, insgesamt würde ich sagen, dass Persönlichkeiten oder die Persönlichkeit, die Person in der Politik die alles entscheidende Rolle spielt. Und das fängt schon bei dem basalen Wahlakt an. Also, ich als Bürger würde mir nicht anmaßen zu wissen: Was sind die Details der Kulturfinanzierung? Wie genau ist die Sozialgesetzgebung in irgendeinem Paragraphen? Was sind die Details des Mietrechtes? Wie machen wir die beste Förderung für Wasserstoff? Oder brauchen wir überhaupt eine Förderung für Wasserstoff? Und so weiter und so fort. Also, die Breite der Fachpolitik ist ja kaum überschaubar, bis auf diejenigen, die beruflich damit arbeiten. Was passiert bei der Wahl? Man gibt Menschen einen Vertrauensvorschuss, und zwar auf einer ganz allgemeinen Ebene. Sagt: Ich delegiere meine Stimme an dich. Und deswegen glaube ich, dass die Person oder das Vertrauensverhältnis schon beim Beginn des demokratischen Prozesses das alles Entscheidende ist. Und natürlich auch quasi beim Ende. Also, das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition, das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, zu den Ministerpräsidenten, ob es da ein Miteinander gibt oder einen Vertrauensraum, das hängt von Menschen ab, die entweder miteinander einen Weg finden und auch ebenfalls einen Vertrauensraum aufmachen oder nicht.
Detjen: Das hängt auch von Parteien ab, auch von der Führungsfähigkeit in Parteien, in Fraktionen. Das haben wir ja auch gesehen, dass das auch immer schwieriger geworden ist in dieser Koalition: die Parteien, die Fraktionen mitzunehmen. Das steht Ihnen jetzt auch bevor. Sie müssen zunächst mal die eigene Partei mitnehmen. Ende nächster Woche ist Bundesdelegiertenkonferenz, also der Parteitag der Grünen, bei dem Sie dann auch offiziell nominiert werden. Und wenn die Delegierten sich dann Ihr Programm anschauen, das Papier, dass Sie veröffentlicht haben unter dem Titel „Impuls für eine Wirtschaftsagenda“, unter anderem mit Plänen für erhebliche Subventionen, staatliche Subventionen, Staatsinvestitionen, da sind da ja Punkte drin, die werden einigen in Ihrer Partei nicht schmecken. Da geht es zum Beispiel darum, eine Rüstungs- eine Militärforschungsagentur nach amerikanischem Vorbild aufzubauen, Freihandelsverträge massiv ausweiten. Das war für manche bei den Grünen Teufelszeug.
Habeck: Aber meine Partei hat sich – und das hat sie bewiesen – in den letzten drei Jahren in einer unfassbaren Weise immer mit den Problemen der Wirklichkeit auseinandergesetzt und sich denen gestellt. Da sehe ich kein Problem. Meine Partei weiß, dass in Europa Krieg ist. Und noch mal: Wir kommen – ich auch persönlich – aus einer ganz anderen Geschichte. Niemand will das. Wir wollen den Frieden. Aber unsere Analyse ist nicht, indem man sich für Putin in den Staub wirft, kriegt man den Frieden zurück. Das verlängert nur den Krieg. Und das ist keine leichte Diskussion. Aber ich glaube, da muss ich Sie enttäuschen, an der Stelle erwarte ich keine großen Debatten. Das haben wir miteinander geklärt und diskutiert.
Detjen: Das heißt, die Grünen werden, können als die Partei auch in den Wahlkampf ziehen, die versprechen, dass Europa unter einer Präsidentschaft von Donald Trump in Washington in der Lage sein wird, die Leistungen der USA für die Unterstützung der Ukraine, die dann künftig wahrscheinlich wegfallen werden, auszugleichen? Das bedeutet ja auch enorme Anstrengungen, auch für Deutschland dann wieder.
Habeck: Ob man das versprechen kann kurzfristig, ist eine ganz andere Frage. Europa ist quasi abhängig von den amerikanischen Militärkapazitäten. Aber dass man diese Abhängigkeit in eine eigene Säule innerhalb der NATO überführen muss … also nicht die Abhängigkeiten überführen, sondern eine eigene europäische Säule innerhalb der NATO machen muss, dass man europäisch stärker, auch im militärischen Bereich, kooperiert, in anderen Bereichen auch, in der Außenpolitik, dass man nationale Egoismen überwindet, dass wir nicht 27 verschiedene Armeen in der Europäischen Union haben, dass man mit Großbritannien, die ja aus der EU ausgetreten sind, aber als Sicherheitspartner ein wichtiges Land sind, noch mal versucht eine engere Partnerschaft aufzubauen, ja, das ist genau unsere Linie.
Detjen: Aber die Frage war: Ist Europa, ist Deutschland überhaupt in der Lage, den Ausfall der Amerikaner, gerade mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine, irgendwie auszugleichen? Oder bedeutet die Lage, in der wir jetzt sind - Wahlsieg Trumps in Washington, Ausfall Deutschlands über lange Zeit als Führungsmacht in Europa mit einer Koalitionskrise, Neuwahlen - also, das ist das, was sich Wladimir Putin in seinen kühnsten Träumen kaum ausmalen konnte.

Gewinner der Woche ist Wladimir Putin

Habeck: Diese Woche hat einen Gewinner hervorgebracht. Das ist Wladimir Putin. Das muss man so sagen. Schon mit Beginn, mit der amerikanischen Wahlen. Und die deutsche Wahl sollte nicht ihn zu einem zweiten Gewinner machen. Das ist sehr, sehr wichtig für mich, dass das verstanden wird, in welcher geopolitischen Lage wir diesen Wahlkampf führen. Und vielleicht führen wir ihn auch entlang der großen Fragen unserer Zeit und machen nicht den Fehler, indem wir quasi die Wahlkämpfe der Vergangenheit fortführen mit den gleichen Debatten. Das ist eine Art Selbstüberschätzung, dass wir es uns leisten können, immer nur nach innen zu schauen in Europa und in Deutschland. Das ist schon richtig angetextet. Die Welt ist eine völlig andere. Und man kann auch nicht den Wählerinnen und Wählern versprechen – und der Sound ist manchmal zu hören bei den mitbewerbenden Parteien – wählt mich und alles wird zumutungsfrei. Diese Zumutungsfreiheit, diese Bequemlichkeit, ich würde sagen diese Bräsigkeit, hat uns in eine sehr schwache Position gebracht. Wir haben uns daraus in den letzten drei Jahren einigermaßen befreit oder jedenfalls halten können. Wir haben viele Dinge eingeleitet. Sondervermögen Bundeswehr, Souveränität in der Energieinfrastruktur hergestellt, auch europäisch sind wir vorangekommen. Aber es reicht nicht. Wir sind bei Weitem nicht durch und die Ernsthaftigkeit der Lage gebietet meiner Ansicht nach ganz andere Schritte. Und deswegen ist diese … ich habe heute ein Interview von Friedrich Merz aus den Augenwinkeln wahrgenommen, wo er gesagt hat: „Wenn ich Bundeskanzler bin, dann werde ich Deutschland stark gegen Amerika positionieren. Ich mache im Grunde das, was Donald Trump gemacht hat für Amerika für Deutschland.“ Da ist ein Denkfehler drin. Er muss es für Europa tun wollen oder wir müssen es für Europa tun wollen. Das ist die Verlängerung der Vergangenheit in die Zukunft. Aber so wird man die Zukunft nicht gewinnen. Deutschland ist stark, aber es ist nur stark in Europa. Und es muss seine Stärke in den Dienst Europas stellen, damit Deutschland wiederum stärker wird. Dieses Getöne von „wir machen das alles alleine“ mag auf Junge-Union-Parteitagen funktionieren. Es ist aber jenseits der Herausforderung der Wirklichkeit. So wird es nichts werden. Er verkennt die geschichtliche Situation.
Detjen: Der Appell an die Bedeutung, an die Geschlossenheit Europas. In der Situation droht …
Habeck: Es ist kein Appell. Es ist ein Auftrag für Deutschland. Und alle, die Kanzler werden wollen, müssen sich …
Detjen: Es droht ja auch in der jetzigen Situation, in der Europa ist … wir hatten gerade einen Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Budapest bei Orban. Das droht ja auch zu einer Sonntagsrede zu werden.

Stärke Deutschlands in den Dienst Europas stellen

Habeck: Ja. Und das liegt ganz maßgeblich daran, dass Deutschland nicht ausreichend führt an der Stelle. Und „führt“ heißt nicht, indem man sich hinstellt und sagt, ich bin der deutsche Bundeskanzler oder der deutsche kommende Bundeskanzler oder ich bin ein Deutscher, ihr habt alle keine Ahnung, ich sage mal, wie es geht. Und wenn ihr das nicht mitmacht, dann gehe ich nach Hause und mache meinen Kram alleine ohne euch. Sondern quasi die Stärke des Landes, die ja noch immer immens ist, in den Dienst der europäischen Sache stellt, damit die anderen mitmachen und daraus wieder die nächste Stärke Europas wird.
Detjen: Okay. Wie würde ein deutscher Bundeskanzler Robert Habeck reagieren, wenn Trump – wie angekündigt – massiv Schutzzölle für Amerika einführt, Importzölle von 10 oder sogar 20 Prozent?
Habeck: Dann ist erst mal das Erste zu sagen, dass Europa mit einer Stimme antworten muss, geschlossen antworten muss. Wir hatten ja einen kleinen Vorlauf vor einem Monat ungefähr, als es um die Frage ging, ob wir den europäischen Automarkt von chinesischen, subventionierten elektrischen Autos übernehmen lassen. Ich bin ein Gegner von Zöllen. Dass das nicht falsch verstanden wird.

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Detjen: Aber Sie schreiben in Ihrem Papier auch, dass man in bestimmten Fällen Schutzzölle erheben muss.
Habeck: An bestimmten Stellen kann man das tun und muss man es auch tun, wenn es nicht anders geht, den Markt zu schützen und zwar gegen illegale Dumping-Praktiken. Wir können ja nicht zugucken wie einer dauernd foulspielt. Es gibt keinen Schiedsrichter mehr. Die dafür gebaute WTO ist quasi handlungsunfähig. Dann muss man halt selbst robust gegenhalten. Das ist richtig. Aber ich will nicht, dass es dahin kommt. Aber Europa muss mit einer Stimme sprechen. Deswegen habe ich dafür geworben, dass wir nicht bei dieser Frage dagegen stimmen. Und dann nachher waren wir alleine mit drei anderen Ländern oder vier anderen Ländern – und das waren nicht die größten. Also haben wir als Deutsche das europäische Signal ausgesandt, wir sind uns uneins. Und das ist das Erste, bevor man über die verschiedenen Punkte redet, die man dann ändern muss, muss man sich klarmachen, dass Deutschland nicht Teil der Uneinigkeit Europas sein darf. Deutschland muss immer auf der Seite der Mehrheit stehen. Das ist die Logik. Heißt aber natürlich nicht, dass wir jede Mehrheit kaufen müssen. Wir müssen sie organisieren. Wie organisiert man eine Mehrheit? Entweder, indem man immer recht hat und alle akzeptieren das. Das ist auszuschließen in Europa. Beginnend bei unserer Geschichte hin zu unserer wirtschaftlichen Kraft, auf die andere ja immer noch eifersüchtig draufschauen oder unserer finanzpolitischen Kraft, aber auch, weil wir so viele Sonderwege gegangen sind. Dreiviertel Europa hat uns gewarnt, nachzulesen noch immer auf der Homepage meines Ministeriums, bei den Stellungsnahmen zu Nord Stream 2: Macht das nicht. Baut Leitungen nach Norwegen. Baut LNG-Terminals. Verzahnt euch mit uns, nicht mit Russland. Was haben wir gemacht? Wir haben gesagt: Die haben alle keine Ahnung, wir wissen es besser. Ja, wussten wir nicht – dumm gelaufen. Das haben die natürlich nicht vergessen. Ich erinnere an die Asyldebatte, die wir vor jetzt vielleicht sechs Wochen hatten, mit sehr großer Verve geführt. Der Vorschlag der Union war: Europarechtswidrig weisen wir die Leute an der Grenze einfach zurück, egal, was passiert. So was merken sich die Leute. Und das meine ich. In der Sprache, in den Interviews, die ich lese, wird nicht deutlich, dass verstanden wird, was die Stunde geschlagen hat. Und die Stunde hat geschlagen, dass die deutsche Stärke für Europa eingesetzt werden muss, damit Europa als eine Stärke im Konzert zwischen USA und China und meinetwegen Russland und Indien nicht zerrieben wird.
Detjen: In einem Europa, in dem dann der nächste Bundeskanzler, wer immer das wird, möglicherweise auf dem europäischen Gipfel neben Frau Le Pen aus Frankreich und Frau Meloni auf der anderen Seite und Herrn Orban gegenüber sitzt.
Habeck: So ist es. So ist es. Aber was leitet sich daraus ab? Man muss auch da sehen, wie viel grau da drin ist. Orban, klar, hat sich entschieden, dass er Putin besser findet als Ursula von der Leyen. Das ist nicht schön, aber es ist – die Ungarn werden es mir verzeihen – nur ein Land. Es ist nur Ungarn. Das ist nicht gut, weil wir in bestimmten Situationen eine Veto-Abstimmungsposition haben. Also, Ungarn kann schon viel verzögern, manchmal auch aufhalten. Das wäre auch zu überprüfen, damit Europa handlungsfähig ist und wir nicht die Form der qualifizierten Mehrheitsabstimmung in weitere Bereiche reinnehmen und damit es diese Blockaden so nicht gibt. Aber Italien wiederum ist nicht Ungarn. Die machen in der Migrationspolitik im eigenen Land, in der Innenpolitik, in der Pressepolitik vieles – wie ich finde – falsch. Europäisch arbeiten wir gut mit denen zusammen, auch ich im wirtschaftlichen Bereich mit denen. So muss man das durchdeklinieren. Es ist eben nicht so, dass alle da ein grünes Parteibuch haben und sagen: Schön, Robert, dass du da bist oder meinetwegen Deutschland, dass du da bist. Klar, es ist superkompliziert, aber es ändert ja nichts an der allgemeinen Analyse.
Detjen: Das ist ohne Frage richtig. Aber es war schön, dass Sie heute bei uns im Interview der Woche waren. Vielen Dank, Herr Minister Habeck.
Habeck: Ich danke Ihnen.