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Klassifizierung im Para-Sport
Para-Schwimmerin Schott: "Fair ist da nichts"

Um faire Bedingungen in Para-Sport-Wettkämpfen zu schaffen, werden Athletinnen und Athleten in ihrer Sportart klassifiziert. Das System sei allerdings weder fair noch nachvollziehbar, sagt die deutsche Para-Schwimmerin Verena Schott im Deutschlandfunk. Viele Länder und Sportler würden es für Betrug nutzen - auch Deutschland.

Verena Schott im Gespräch mit Christian von Stülpnagel | 18.05.2023
Para-Schwimmerin Verena Schott bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin 2022.
Para-Schwimmerin Verena Schott bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften in Berlin 2022. (IMAGO / camera4+ / IMAGO / Tilo Wiedensohler)
Im Para-Sport starten Sportler und Sportlerinnen mit unterschiedlichen Behinderungen und Bewegungsmöglichkeiten. Um möglichst faire und vergleichbare Bedingungen zu schaffen, werden sie für die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen innerhalb ihrer Sportart in unterschiedliche Startklassen eingeteilt. Das passiert mit der sogenannten Klassifizierung.
Das Ziel: Nicht die Behinderung soll über Sieg oder Niederlage im Wettkampf entscheiden, sondern die individuellen Fähig- und Fertigkeiten der Sportlerinnen und Sportler, die antrainierte Fitness, Kraft und Ausdauer sowie taktisches Geschick und mentale Stärke. Für jede Sportart gibt es ein eigenes Klassifizierungssystem. Entscheidend ist dabei, welchen Einfluss die jeweilige Behinderung auf das Ausüben der Sportart hat - und nicht die Art der Behinderung. 2018 wurde das Klassifizierungssystem zuletzt reformiert.

"Viele Sportler bescheißen"

100-prozentig fair könne man das Klassifizierungssystem nie machen, sagte Verena Schott, Para-Schwimmerin, im Deutschlandfunk. Zwar habe sie persönlich die Klassifizierer bisher immer als sehr nett in Erinnerung gehabt. Trotzdem sei das System frustrierend, weil es immer wieder Sportler gebe, die "bescheißen" würden. Hier sei das Internationale Paralympische Komitee (IPC) gefragt, sich ein System zu überlegen, das noch besser funktioniere.
Bei den Olympischen Winterspielen in Peking hatten einige Kritiker den Verdacht geäußert, dass vor allem China seine Athletinnen und Athleten so klassifiziert, dass sie gegen weniger beeinträchtige Sportlerinnen antreten können - um besser abzuschneiden. Nicht nur in China würden sich Athletinnen und Athleten in gewisse Startklassen reinschummeln, sagte Schott dem Deutschlandfunk: "Man würde lügen, wenn man sagt, dass das nicht auch in Deutschland der Fall ist." Man dürfe nicht nur auf andere Länder zeigen. "So krank ist das schon. Das ist beschämend."

"Wir machen es genauso wie andere Nationen"

Eigentlich seien es häufig die Deutschen, die den Mund aufreißen, dass alles fair ablaufen müsse und dass wir fairen Sport haben wollen: "Doch eigentlich machen wir es ja genauso wie andere Nationen", sagte Schott: "Da sind wir kein Deut besser." Aus Sportlerinnen-Sicht könne man dagegen nichts tun. Wenn sie zum Trainer gehe und den Betrug anspreche, heiße es immer: Nur so sei man konkurrenzfähig.
Am Ende sei das System mit seiner Punktevergabe und jeweils zwei Klassifizierern immer sehr subjektiv, sagt Schott. Daher brauche es ein System mit mehr Individualität, das noch mehr ins Detail geht. Das aktuelle System führt immer wieder zu fragwürdigen Konstellationen: Bekannt ist zum Beispiel der Fall des Para-Schwimmers Josia Topf. Topf hat von Geburt an keine Arme, keine Knie und zwei unterschiedlich lange Beine. Dennoch musste er nach einer Neu-Klassifizierung gegen Schwimmer mit Armen antreten. "Fair, gerecht oder nachvollziehbar ist da nichts", sagte Schott.